Kapitel 8

Yuichiro POV:

Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte ihn nicht alleine gehen lassen dürfen.

Nur einen Tag, nachdem Muichiro zu seiner Mission aufgebrochen war, wurde ich ins Hauptquartier der Dämonenjäger bestellt. Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Ich spürte es. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, meine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich in den Versammlungssaal trat.

Kagaya Ubuyashiki saß, wie immer ruhig und gelassen, in seinem Stuhl. Neben ihm stand Amane-sama, ihre Hände sanft ineinandergelegt. Ich wollte sie nicht ansehen. Mein Blick war auf Kagaya gerichtet, diesen Mann, den ich ohnehin nicht ausstehen konnte. Ich hatte ihn nie respektiert. Und jetzt, wo ich in diesem Raum stand und bereits ahnte, was er mir sagen wollte, hasste ich ihn noch mehr.

„Yuichiro Tokito", begann er in seiner ruhigen, monotonen Stimme. „Ich habe traurige Nachrichten für dich."

Ich ballte meine Fäuste noch fester.

„Muichiro ist verschwunden", fuhr er fort. „Wir haben seit seiner Abreise nichts mehr von ihm gehört. Unsere Krähen haben seine Spur verloren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er—"

„Halt den Mund!" brüllte ich, meine Stimme bebte vor Wut. „Sag es nicht! Du wagst es nicht, das auszusprechen!"

Kagaya schwieg, seine leeren Augen blieben auf mich gerichtet, als ob er mich ansehen könnte. Seine Ruhe machte mich nur noch wütender.

„Das ist deine Schuld! Du hast ihn auf diese verdammte Mission geschickt! Du hast ihn in den Tod geschickt!" schrie ich weiter. „Er war nur ein Kind! Mein kleiner Bruder! Und du hast ihn einfach gehen lassen, als wäre er nichts weiter als ein Schachstein auf deinem Spielfeld!"

Kagaya zeigte keine Reaktion. Er ließ mich schreien, ließ mich meine Wut herauslassen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.

Ich wollte ihn angreifen. Ich wollte ihn packen, ihn schütteln, ihn dazu bringen, endlich irgendeine Reaktion zu zeigen. Doch in diesem Moment trat Amane-sama einen Schritt nach vorne und legte ihre Hand sanft auf meinen Arm.

„Yuichiro", sagte sie leise.

Ich erstarrte.

„Es tut mir leid", fuhr sie fort. Ihre Stimme war ruhig, aber nicht kalt. Sie meinte es ernst. Sie bedauerte es wirklich. Und genau deshalb konnte ich mich nicht gegen sie auflehnen. Ich hätte Kagaya weiter angeschrien, weiter beleidigt, vielleicht sogar die ganze Villa in Brand gesetzt – aber Amane-sama? Sie war die einzige Person, die ich wirklich respektierte.

Langsam senkte ich meinen Kopf. Ich biss die Zähne zusammen. Ich durfte jetzt nicht weinen. Ich durfte nicht schwach sein.

„Ich verstehe, dass du wütend bist", sagte sie. „Und du hast jedes Recht dazu. Aber dein Bruder hätte gewollt, dass du stark bleibst."

„Muichiro..." murmelte ich. Mein Bruder. Mein nerviger, talentierter, unverschämt perfekter kleiner Zwillingsbruder. Er durfte nicht tot sein. Das durfte einfach nicht sein.

„Wir brauchen eine neue Nebelsäule", sagte Amane schließlich. „Und ich möchte, dass du diesen Posten übernimmst."

Ich sah sie schockiert an.

„Was?!" fuhr ich sie an. „Ich soll was?!"

„Du bist stark, Yuichiro. Du hast die Nebelatmung ebenso gemeistert wie Muichiro", erklärte sie. „Und du bist sein Bruder. Niemand kennt seine Techniken und Kampfstile besser als du."

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich kann ihn nicht ersetzen", murmelte ich. „Ich werde nie so gut sein wie er. Er war die Nebelsäule, nicht ich."

„Es geht nicht darum, ihn zu ersetzen", sagte Amane sanft. „Es geht darum, weiterzumachen. Dein Bruder würde nicht wollen, dass du aufgibst."

Ich konnte nichts sagen. Ich konnte es nicht glauben.

Mein Bruder war tot.

Und ich sollte seinen Platz einnehmen.

Ich schloss die Augen. Mein Herz fühlte sich an, als ob es auseinandergerissen wurde.

Muichiro...

Ich hoffte, dass er irgendwo war, wo er endlich Frieden fand.

Muichiro POV:

Ich erwachte mit einem stechenden Schmerz in meinem Kopf. Alles fühlte sich verschwommen an. Wo war ich? Wie war ich hierhergekommen? Meine Augen öffneten sich langsam, und ich versuchte, meinen Blick zu schärfen. Doch alles um mich herum war vage, als ob ich durch einen dichten Nebel blickte. Die Umgebung war düster, und die Luft roch unangenehm, faulig.

Vor mir stand ein Mann, der in seiner Erscheinung fast übernatürlich wirkte. Sechs Augen starrten mich an, und sein Gesicht war von einem seltsamen Lächeln verzerrt, das mich tief beunruhigte. Ich wollte etwas sagen, doch meine Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an. Ich konnte kaum einen Ton herausbringen.

„Du bist also erwacht", sagte der Mann mit einer tiefen, durchdringenden Stimme. „Du hast eine lange Reise hinter dir, Mujirou."

„Mujirou...?" Die Worte kamen schwer über meine Lippen. Mein Kopf war ein einziges Wirrwarr aus verwirrenden Gedanken, und ein Schauer lief mir über den Rücken. Warum konnte ich mich an nichts erinnern? Wer war ich? Was war mit mir passiert?

„Ja, du bist jetzt Mujirou. Das ist dein neuer Name", erklärte der Mann mit einem Lächeln, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Und ich bin Kokushibo. Ein... Lehrer, könnte man sagen."

Lehrer? Warum fühlte sich das so falsch an? Doch ich konnte mich nicht aufraffen, irgendetwas zu hinterfragen. Etwas in mir sagte mir, dass es keinen Sinn hatte. Ich war zu schwach, zu verwirrt, zu verletzt, um mich zu wehren.

Kokushibo beugte sich näher zu mir und betrachtete mich mit seinen unheimlich vielen Augen. „Du bist anders als du warst, Mujirou. Du bist stärker jetzt, schneller. Du bist ein Dämon, und du wirst meine Fähigkeiten kennenlernen. Ich werde dir beibringen, wie du deine Macht nutzt. Du wirst der Jäger sein, von dem alle reden."

Dämon? Jäger? Die Worte hallten in meinem Kopf wider, aber sie ergaben keinen Sinn. Ich spürte nur eine tiefe Leere in mir, die ich nicht fassen konnte.

Kokushibo setzte sich neben mich und begann, mir zu erklären, was ich jetzt war und was ich tun musste. „Die Menschen sind nichts anderes als Beute, Mujirou. Du musst lernen, sie zu jagen, sie zu fressen. Nur so wirst du stärker werden. Du hast die Kraft eines Dämons. Du bist kein Mensch mehr, kein schwacher Mensch."

„Kein Mensch mehr?" fragte ich, meine Stimme klang hohl, als ob sie nicht zu mir gehörte. Was war mit mir passiert? Was hatte mich verändert?

„Nein. Du bist ein Dämon", sagte Kokushibo ruhig und nickte, als ob er ein Kind beruhigen würde. „Du wirst stärker, unaufhaltbar. Und du wirst lernen, die Menschen zu vernichten. Du wirst dich dem großen Muzan Kibutsuji unterwerfen. Und du wirst ihm dienen, wie ich es tue."

Unterwerfen? Muzan Kibutsuji? Der Name fühlte sich fremd an, doch in meinem Inneren war da dieses... Wissen, dass ich diesem Namen gehorchen musste. Etwas in mir verlangte danach, diesen Weg zu gehen.

Kokushibo führte mich an diesem ersten Tag zu einer Gruppe von Menschen. Ich spürte einen Hunger in mir, einen unstillbaren Durst, der nur mit Blut gestillt werden konnte. Ohne ein Wort jagte ich sie. Ich packte die ersten zwei, riss sie zu Boden, während mein Körper in einem mörderischen Rausch war. Die anderen versuchten zu fliehen, aber es war sinnlos. Ich ergriff sie, riss ihnen die Kehlen auf, und das Blut strömte in meinen Mund. Es war wie ein Sog, der mich weiter in seinen Bann zog. Ich verschlang 60 Menschen an diesem Tag, ohne ein Gefühl der Reue, ohne auch nur zu zögern.

„Gut gemacht", sagte Kokushibo, als er aus der Dunkelheit trat und meine Jagd beobachtet hatte. „Du hast deine erste Prüfung bestanden. Du hast deine neue Natur akzeptiert, ohne zu zögern. Du bist ein Dämon, und jetzt bist du bereit, zu lernen."

Ich fühlte nichts. Keine Reue, kein Bedauern. Nur eine unersättliche Leere, die mit jedem Tropfen Blut, den ich verschlang, größer wurde. Die Menschen waren nichts mehr als Fleisch, das ich verbrauchen konnte. Es gab kein Zurück mehr.

„Du wirst Muzan Kibutsuji dienen", sagte Kokushibo noch einmal, seine Stimme hatte nun einen festeren Klang. „Und du wirst deine neue Rolle als Dämon verstehen. Du wirst alles tun, was er verlangt. Das ist dein Schicksal. Das ist deine Bestimmung."

„Ja", sagte ich, ohne zu wissen, warum. Doch es fühlte sich richtig an. Die Worte flossen aus mir heraus, als ob sie mir schon immer gehört hätten.

Ich unterwarf mich. Und von diesem Moment an war mein Leben nicht mehr mein eigenes. Es gehörte Muzan Kibutsuji und Kokushibo. Sie formten mich, und ich folgte. Alles andere war verschwommen. Alles andere war ein verschwommener Traum, der mit jeder Sekunde mehr und mehr aus meiner Erinnerung verbannt wurde.

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