Kapitel 4

Es war der erste Tag, an dem ich mich wirklich wieder wie ich selbst fühlte. Mein Fieber war endgültig verschwunden, die Gliederschmerzen hatten nachgelassen, und ich hatte das Gefühl, endlich wieder atmen zu können, ohne ständig von der Müdigkeit überwältigt zu werden. Die ersten Schritte draußen in den Garten waren ein befreiendes Gefühl, als ob die Welt mir endlich wieder offenstand. Die frische Luft füllte meine Lungen, und ich schloss für einen Moment die Augen, um die Sonne auf meinem Gesicht zu spüren.

„Endlich wieder draußen, was?" murmelte ich für mich selbst und grinste, als ich den kühlen Wind in meinem Gesicht spürte.

Ich ging ein paar Schritte weiter, genoss die Stille der Umgebung und die Freiheit, die ich so lange vermisst hatte. Doch kaum hatte ich einen Schritt auf den Rasen gemacht, spürte ich, wie jemand von hinten meine Schulter packte und mich grob zurückzog.

„Was tust du da?", zischte Yuichiro und zog mich mit einem Ruck zurück ins Haus.

„Lass mich los!", schrie ich und versuchte, mich zu befreien, doch seine Hand hielt mich fest. „Ich will doch nur ein bisschen raus!"

„Du bist noch nicht wieder fit genug, Muichiro!" Yuichiro klang frustriert, und ich wusste, dass er versuchte, ruhig zu bleiben. „Bleib da, wo du bist!"

„Was hast du jetzt schon wieder für ein Problem?", schnaubte ich und versuchte, mich loszureißen. Doch gerade als ich an ihm vorbei wollte, hörte ich das krächzende Geräusch einer Krähe, das den ganzen Garten durchbrach.

„Ein Auftrag", murmelte Yuichiro und ließ mich sofort los, um sich dem Vogel zuzuwenden. Er drehte sich zu mir um, ein ernster Blick auf seinem Gesicht. „Du bleibst hier. Das ist kein Wunsch, Muichiro. Ich will dich nicht noch einmal auf einem Auftragsfeld sehen, bevor du vollständig wiederhergestellt bist."

Ich warf ihm einen wütenden Blick zu. „Du kannst mir nicht einfach verbieten, zu kämpfen! Ich bin wieder gesund, Yuichiro, also lass mich endlich meinen Job machen."

„Du bist noch nicht ganz wieder gesund, das weißt du genauso gut wie ich. Außerdem weißt du, was diese Aufträge oft bedeuten", erwiderte er, seine Stimme jetzt ernst. „Und ich werde dir nicht erlauben, dich wieder in Gefahr zu bringen."

Doch ich konnte fühlen, wie der Drang, mich zu beweisen, wieder in mir hochkochte. „Du kannst mich nicht aufhalten, Yuichiro. Ich nehme diesen Auftrag an, egal was du sagst."

Er sah mich mit einem Blick an, der mich nur allzu gut kannte – das war der Blick, den er mir gab, wenn er wusste, dass ein Streit unvermeidlich war.

„Du bist unmöglich", murmelte er und drehte sich zur Krähe um, die gerade eine Nachricht von oben abwarf. Der Vogel krächzte und landete auf seiner Schulter, die Zettelrolle fest in den Krallen. Yuichiro griff sie und öffnete sie.

„Was steht da?" fragte ich, obwohl ich es ohnehin schon wusste. Der Vogel hatte die Aufgabe nur für ihn abgegeben, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass er mich von der Jagd ausschließen würde, wenn ich darauf bestand.

„Es ist ein Dämon im Norden, aber...", er machte eine kurze Pause, während er die Nachricht las, „...er ist stark. Sehr stark. Ich werde diesen Auftrag nicht alleine übernehmen."

„Was?", fragte ich ungeduldig, als ich mich endlich zu ihm begab, um die Nachricht selbst zu lesen. „Du willst mir also sagen, dass du ihn ablehnst?"

„Ich kann ihn nicht alleine annehmen. Du bist noch zu schwach, Muichiro", erklärte Yuichiro ruhig, aber seine Stimme trug die Sorge eines Bruders, der immer noch an mich dachte, selbst wenn er wusste, dass ich es nicht hören wollte.

„Du wirst ihn annehmen", bestand ich und trat noch einen Schritt näher. „Du wirst ihn annehmen, und du wirst mich mitnehmen. Ich will nicht, dass du da draußen bist und allein gegen diesen Dämon kämpfst. Ich bin wieder gesund, und ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich es kann!"

Yuichiro starrte mich für einen Moment an, als ob er versuchte, die Entschlossenheit in meinen Augen zu lesen, um zu prüfen, ob es wirklich nur mein Stolz war, der mich antrieb, oder ob ich wirklich bereit war, mich wieder dem Dämonenjägerleben zu stellen.

„Muichiro...", begann er mit einem warnenden Ton in seiner Stimme. „Du bist noch nicht zu 100 % fit. Dein Körper hat noch Zeit zu heilen, und ich werde nicht riskieren, dass du in der Hitze des Gefechts wieder umkippst."

„Ich werde nicht umkippen, Yuichiro!", widersprach ich heftig. „Das ist meine Entscheidung. Du kannst mich nicht einfach wie ein Kind behandeln."

Er seufzte tief und schloss für einen Moment die Augen, bevor er mich direkt ansah. „Okay", sagte er dann leise, aber mit einem festen Unterton in seiner Stimme. „Wenn du das wirklich willst, dann nehmen wir den Auftrag. Aber du wirst mir versprechen, dass du auf dich achtest. Wenn du das versprichst, dann gehe ich mit dir, aber nur, wenn du dich an mich hältst. Verstanden?"

„Verstanden", antwortete ich sofort, ohne zu zögern. „Ich werde nicht noch einmal ein Risiko eingehen."

Yuichiro nickte und drehte sich zur Krähe, die ihn inzwischen wieder beobachtete. „Gut. Wir brechen morgen früh auf. Bereite dich vor. Dies wird nicht einfach."

„Ich bin bereit", antwortete ich, und obwohl ich mich innerlich immer noch aufregte, wusste ich, dass dies unsere Chance war. Ich würde nicht mehr im Hintergrund bleiben – nicht nach allem, was ich durchgemacht hatte. Dies war der Moment, in dem ich mich beweisen konnte.

Der Blick, den Yuichiro mir zuwarf, war skeptisch, aber er sagte nichts mehr. Wir waren uns einig, zumindest für den Moment. Doch die Herausforderung, die vor uns lag, war größer, als wir beide ahnen konnten.

Es war ein sonniger Nachmittag, als ich es endlich geschafft hatte, vor Yuichiro zu fliehen. Natürlich hatte er mich kurz vorher noch gewarnt, aber ich konnte nicht länger an diesem verdammten Bett liegen bleiben. Ich musste einfach raus, die frische Luft genießen und mich endlich mal frei fühlen.

Also schlich ich aus dem Haus, so leise wie möglich, und rannte los, ohne groß nachzudenken. Die Sonne brannte auf meine Haut, und für einen Moment fühlte sich alles wie eine Flucht aus meiner eigenen Gefangenschaft an. Aber dann, während ich in die Richtung eines kleinen Parks lief, stieß ich plötzlich gegen jemanden und landete unsanft auf dem Boden.

„Autsch..." stöhnte ich und hielt mir sofort die Nase. Etwas warmes und Flüssiges tropfte mir zwischen den Fingern. „Was zum—?"

„Oh nein, tut mir leid!" Eine tiefere Stimme klang besorgt und hektisch, und ich sah auf, um eine junge, braungebrannte Gestalt zu erblicken. Ein Junge, vielleicht ein paar Jahre älter als ich, stand auf und reichte mir sofort ein Taschentuch.

„Hier", sagte er mit einem mitfühlenden Lächeln. „Halt das an die Nase. Es tut mir echt leid, ich habe dich nicht gesehen."

Ich nickte, als ich das Taschentuch nahm und es vorsichtig auf meine blutende Nase drückte. Meine Gedanken waren noch verwirrt von dem Aufprall, aber der Junge war so... hilfsbereit. Ich war nicht wirklich in der Stimmung, mich für mein eigenes Missgeschick zu schämen, also setzte ich mich einfach auf eine nahe Bank, während der Junge sich neben mich setzte.

„Besser?" fragte er, nachdem er mich eine Weile beobachtet hatte. Er schien darauf zu warten, dass ich antwortete.

„Ja, viel besser, danke", sagte ich, ohne zu wissen, warum ich ihm so viel Vertrauen schenkte. Ich nahm einen tieferen Atemzug und starrte in den Himmel, um nicht zu viel über mich nachzudenken.

„Ich bin Genya", stellte er sich schließlich vor, als wäre das eine selbstverständliche Einführung. „Genya Shinazugawa. Und du?"

„Muichiro", antwortete ich, ohne weiter darüber nachzudenken. Mein Name kam mir einfach über die Lippen. Vielleicht hätte ich mein Geschlecht vorher klären sollen, aber irgendwie fühlte ich mich bei ihm so wohl, dass ich es einfach ließ. Was wäre, wenn es unsere Beziehung – oder was auch immer es gerade war – irgendwie verändern würde? Was, wenn er mich anders behandeln würde, wenn er herausfände, dass ich ein Junge war? So viele Gedanken schossen mir durch den Kopf, dass ich einfach still in seine Richtung blickte.

„Muichiro... das klingt... schön. Ein schöner Name für ein Mädchen", sagte er nach einer kurzen Pause, die mich unruhig werden ließ. „Du bist wirklich ruhig, oder?"

„Ich bin nicht wirklich so", murmelte ich, irgendwie selbst überrascht, wie schnell ich mich ihm anvertraute. Vielleicht lag es daran, dass ich dachte, er würde mich niemals wieder sehen, oder vielleicht war es einfach, weil er mich so anders behandelte als andere. „Ich meine, ich war einfach nur... verletzt."

„Ich kann verstehen, wie du dich fühlst", sagte Genya und sah auf den Boden. „Manchmal fühle ich mich auch wie der Außenseiter. Aber es hilft, die Dinge mit einer gewissen Ruhe anzugehen."

Ich nickte und dachte, dass es irgendwie wie er ging, auch wenn ich seine Worte nicht ganz verstand. In meinem Kopf begann sich eine wachsende Wärme auszubreiten. Etwas, das mich nervös machte, aber gleichzeitig irgendwie angenehm war. „Weißt du, das tut gut zu hören."

Er schaute mich an und grinste leicht. „Ich hoffe, du hast dir nicht allzu viel wehgetan. Du hast dir ja ziemlich den Kopf gestoßen."

„Es geht schon. Ich bin hart im Nehmen", sagte ich und versuchte, die Situation ein bisschen zu entschärfen. Dabei merkte ich, dass meine Worte nicht ganz der Wahrheit entsprachen. Es war immer schwer, Dinge zuzugeben, vor allem in dieser Phase meines Lebens. Aber bei Genya fühlte sich alles so... natürlich an.

„Ich weiß, dass ich dir nicht helfen kann, wenn du nicht willst", sagte er dann ernst. „Aber falls du irgendwann jemanden zum Reden brauchst, ich bin da. Manchmal ist es einfacher, sich nicht alleine durch den ganzen Kram zu kämpfen."

Ich sah ihm in die Augen und war überrascht von der Intensität seines Blicks. Er schien wirklich aufrichtig zu sein, und obwohl ich immer noch mit der Tatsache kämpfte, dass er dachte, ich sei ein Mädchen, konnte ich mich nicht wirklich dazu durchringen, ihm die Wahrheit zu sagen. Etwas hielt mich zurück – vielleicht war es die Angst, dass er mich dann anders behandeln würde. Oder vielleicht war es, weil ich mich langsam zu ihm hingezogen fühlte. So etwas hatte ich noch nie zuvor gefühlt, und ich war unsicher, ob ich bereit war, mich diesem Gefühl zu stellen.

„Danke", murmelte ich schließlich, nicht sicher, was ich sonst noch sagen sollte.

Genya grinste wieder, ein schelmisches Funkeln in seinen Augen. „Kein Problem. Wenn du das nächste Mal gegen jemanden läufst, hoffe ich, du kannst es besser abfangen als jetzt. Ansonsten... sag mir vorher Bescheid, dann fang ich dich auf, versprochen."

Ich konnte nicht anders, als zu lächeln, auch wenn mein Herz schneller schlug als sonst. „Ich werde daran denken", antwortete ich schließlich und fühlte mich plötzlich viel mehr wie jemand, der verstanden wird – vielleicht sogar mehr als je zuvor.

In diesem Moment fragte ich mich, ob ich ihm je die Wahrheit über mich selbst sagen würde. Aber ich wusste auch, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war. Vielleicht irgendwann. Doch für jetzt war ich einfach nur froh, dass er mich so akzeptierte, wie ich war – auch wenn er noch nicht wusste, dass ich kein Mädchen war.

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