Kapitel 11
Yuichiro POV:
Es war mitten in der Nacht, der Mond hoch am Himmel, und der Wald vor mir schien mit einer gespenstischen Stille erfüllt. Normalerweise konnte ich in dieser Dunkelheit alles hören: das Rascheln von Blättern, das Knacken von Zweigen unter den Pfoten von Dämonen, die sich durch das Unterholz bewegten. Doch in dieser Nacht war es anders. Etwas stimmte nicht, und ich spürte es tief in meinen Knochen.
Ich war auf Dämonenjagd, wie immer. Doch etwas rief mich zu einem abgelegenen Teil des Waldes. Etwas, das mich anstachelte, das mich trieb. Mein Herz raste, als ich eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen erblickte. Ein flimmerndes Bild, das sich in der Schattenwelt verlor. Der Atem blieb mir stehen, als ich näher trat. Mein Puls pochte in meinen Ohren, als ich die Umrisse der Person erkannte.
Es war er.
„Muichiro!"
Mein Herz setzte einen Moment lang aus. Da stand er, inmitten des Waldes, umgeben von drei leblosen Körpern von Dämonenjägern. Ihr Blut färbte den Boden unter seinen Füßen dunkel. In seinen Händen tropfte frisches Blut, und seine Augen – diese leeren Augen – blickten mich ohne irgendeine erkennbare Regung an.
„Muichiro... bist du... wirklich... am Leben?", stotterte ich, die Worte kamen nur schwer aus meinem Mund, als ob sie von einer unsichtbaren Hand erstickt wurden.
Er drehte sich langsam zu mir, und in seiner Miene lag keine Erinnerung, keine Reue. Kein Gefühl. Nur Kälte.
„Wer bist du?", fragte er ruhig, beinahe gelangweilt.
Ich wollte schreien, wollte ihm sagen, wer ich war, aber die Worte verharrten in meiner Kehle, wie ein Kloß, den ich nicht herunterschlucken konnte. „Ich... ich bin dein Bruder! Dein Zwillingsbruder, Yuichiro!"
Für einen Moment schien er in sich zu gehen. Doch dann – ein grausames Grinsen zog über sein Gesicht. Es war kein Grinsen von Freude oder Erleichterung, sondern von etwas Dunklem. Irgendetwas, das mich tief im Inneren erschauerte.
„Bruder?" Er lachte leise, doch dieses Lachen hallte wie ein schmerzhafter Klang in meinen Ohren wider. „Ich habe keinen Bruder. Ich habe niemanden."
Es war, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Diese Worte, diese kalte, unerbittliche Ablehnung – sie schnitten tiefer als jedes Schwert, das je in mich gestoßen wurde.
„Muichiro, was hast du...?" Ich konnte nicht mehr klar denken, alles, was ich sah, war dieser Körper, der einmal mein Bruder war, nun ein Dämon, ein Ungeheuer. „Du... du bist ein Dämon geworden...", flüsterte ich, und mein Atem war schwer, als hätte ich den Atem des Todes selbst eingeatmet.
Sein Grinsen wurde breiter. Er sah auf die Leichen der Dämonenjäger, deren Körper schon beinahe von der Dunkelheit verschlungen wurden. „Hunger", sagte er mit einer Stimme, die so leer war wie der Wald um uns herum. „Ich habe Hunger. Sehr großen Hunger. Du solltest zu mir kommen, Yuichiro..."
„Was?" Mein Körper versteifte sich, mein Verstand wollte sich dagegen wehren, aber mein Herz sagte mir, dass dies das Ende war. Dass mein Bruder, der nun ein Dämon war, mich fressen würde, wie er es mit all den anderen getan hatte. Ich würde in seinen Händen zerreißen. Aber nicht jetzt. Nicht so!
„Du... du bist mein Bruder, Muichiro! Du bist mein Bruder, verdammt!"
„Du bist nichts für mich, Yuichiro", sagte er ruhig. „Du bist genauso schwach wie die anderen. Wie alle anderen. Du bist niemand. Und ich bin hungrig."
Ich wusste, was er vorhatte. Es war klar. Der Dämon in ihm würde keine Gnade kennen. Und ich konnte nicht einfach zusehen, wie mein eigener Bruder zu einem Monster wurde.
„Ich werde nicht zulassen, dass du mich tötest!"
Mit einem Zischen sprang er auf mich zu, schneller, als ich es je erwartet hatte. Seine Bewegungen waren glatt und tödlich. In diesem Moment gab es kein Zögern in ihm. Es war, als würde der Dämon in ihm alles überwiegen, was er einmal war. Und ich war das nächste Ziel.
Mit einem Schrei stürzte ich mich auf ihn, ein verzweifelter Kampf, der nicht mehr um etwas anderes ging als um mein Überleben. Ich schlug zu, versuchte, ihn zu treffen, doch er wich mit einer Leichtigkeit aus, die mich in Verzweiflung stürzte. Jeder Schlag, den ich führte, traf nur die leere Luft. Und dann spürte ich es – wie seine Zähne sich in mein Fleisch bohrten.
„Das Ende", flüsterte er, während er sich an mir labte. „Dein Ende, Yuichiro."
Ich kämpfte gegen die Dunkelheit an, gegen die Finsternis, die in mir aufstieg, als er mich langsam lähmte. Doch tief in mir wusste ich, dass ich ihn nicht aufhalten konnte. Nicht in diesem Zustand. Nicht, wenn er ein Dämon war.
„Muichiro...", flüsterte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch, als ich versuchte, ihn noch einmal zu erreichen. Doch er hörte nicht.
Der letzte Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, war der, dass ich meinen Bruder verloren hatte. Und ich wusste, dass ich ihm nie wieder nahe kommen würde. Dass ich nie wieder den Muichiro sehen würde, den ich gekannt hatte – meinen Zwillingsbruder, der von mir gegangen war, noch bevor der Dämon in ihm erwacht war.
„Ich werde dich nicht töten", flüsterte er dann, als er sich von mir löste. „Ich werde dich in Ruhe lassen. Du bist nicht würdig."
Es war der Moment, den ich nie vergessen würde – der Moment, in dem mein Bruder, der jetzt ein Dämon war, mir ins Gesicht grinste. Es war kein Lächeln, das von Liebe oder Erinnerung an bessere Zeiten sprach, sondern ein grausames Grinsen, das in seinen leeren Augen glitzerte.
Mein Herz raste, als ich mich auf den Boden stürzte und ihn packte, um ihm das Leben zu nehmen – oder zumindest zu versuchen, es zu tun. Ich presste die Spitze meiner Nichirin-Klinge gegen seine Kehle und brüllte: „Du bist mein Bruder! Du bist immer noch mein Bruder, Muichiro!"
Aber er bewegte sich nicht. Kein Zögern. Nur diese Leere in seinen Augen. Dann, mit einer Geschwindigkeit, die mich fast erschlug, packte er meinen Arm und drückte mich brutal zu Boden.
„Du bist nicht mein Bruder", flüsterte er kalt, als er mit einem diabolischen Lächeln meine Hand, die noch die Klinge hielt, umklammerte. Und dann spürte ich es – das schmerzhafte Knacken, als er meinen linken Arm wie einen Zweig brach.
Ein scharfer Schrei entglitt mir, als der Schmerz durch meinen Körper raste. Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. „Warum, Muichiro? Warum tust du das?"
Er sah mich nicht wirklich an. Sein Blick war leer, unbeteiligt, als würde er mich nur als Beute betrachten. Er wollte sich an mir laben. „Du wirst schon sehen, wie das Ende aussieht, Yuichiro", sagte er, und seine Stimme war so kalt, dass es mich wie Eis berührte. „Es tut mir leid, aber du bist nicht mehr mein Bruder. Du bist nichts für mich. Du bist nur Nahrung."
Ich versuchte, meine Nichirin-Klinge zu heben, um noch einen letzten Angriff zu führen, doch der Schmerz in meinem Arm ließ mich zusammenzucken. Dann hörte ich es – das Geräusch, das jedes Sterbende fürchtet: das langsame, hungrige Zischen des Dämonen, der sich zu mir beugt.
„Muichiro... Bitte!", flehte ich mit aller Kraft, während er begann, sich an meinem Fleisch zu laben. Ich konnte die Zähne in meiner Haut spüren, als er mir das Leben aussaugte.
Ich wollte ihn stoppen, wollte irgendetwas tun, aber ich konnte nicht. Der Schmerz war zu groß. Er biss tiefer zu, und alles, was ich tun konnte, war zu stöhnen und zu hoffen, dass irgendetwas, irgendjemand kommen würde, um mich zu retten.
„Du bist nichts, Yuichiro", murmelte er, als er weiter an mir nuckelte. „Du wirst mir nicht entkommen. Keiner wird dich retten können."
Ich konnte kaum atmen, als die Dunkelheit sich um mich legte. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich versuchte, mich an das zu erinnern, was ich an ihm geliebt hatte – an den Momenten, in denen wir zusammen gelacht hatten, in denen er mein Bruder war. Doch jetzt war dieser Muichiro nur noch ein Schatten, ein Monster.
„Muichiro... bitte..."
Doch es war zu spät. Der Dämon in ihm hatte alles verzehrt. Es war, als ob der Muichiro, den ich gekannt hatte, schon lange gestorben war.
Ich wusste, dass mein Ende nahte. Doch in diesem Moment fühlte ich mich irgendwie befreit. Vielleicht war es die Erkenntnis, dass ich nicht mehr kämpfen konnte. Dass ich meinen Bruder verloren hatte – für immer.
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