Kapitel 1

Muichiro POV:

Ich war vierzehn Jahre alt, die Nebelsäule und der jüngere von zwei Zwillingsbrüdern. Yuichiro, mein älterer Bruder, war nur neun Minuten älter als ich, doch das hielt ihn nicht davon ab, den "großen Bruder" zu markieren. Er hatte eine natürliche Strenge an sich, die ich nie ganz durchschauen konnte. Vielleicht war es seine Art, mich zu schützen.

„Muichiro!", rief er, während er mir eine dampfende Schüssel Reis auf den Tisch stellte. Sein Ton ließ keinen Widerspruch zu. „Du bist viel zu dünn. Wenn du so weiter machst, kannst du nicht mal dein Schwert richtig schwingen."

Ich sah ihn mit halb geschlossenen Augen an und versuchte, einen genervten Seufzer zu unterdrücken. „Ich habe schon genug gegessen, Yuichiro. Wirklich."

„Blödsinn", knurrte er und setzte sich mir gegenüber. „Du isst, bis du keinen Platz mehr hast. Du bist die Nebelsäule, nicht irgendein dahergelaufener Schwertkämpfer. Deine Verantwortung ist größer, also musst du stärker sein."

„Du redest, als ob du wüsstest, wie das ist", murmelte ich leise, doch laut genug, dass er es hören konnte.

Sein Blick wurde scharf, fast wie eine Klinge. „Ich weiß genug, um zu sehen, dass du dich kaputtmachst, wenn du nicht auf dich aufpasst."

Widerwillig hob ich die Stäbchen und nahm einen Bissen. Es war nicht so, dass ich Yuichiros Fürsorge nicht zu schätzen wusste – es war nur seine Art, die mir manchmal auf die Nerven ging. Aber das sagte ich ihm nie. Stattdessen kaute ich langsam, während er mich ungeduldig musterte, als würde er jeden meiner Bissen zählen.

„Du kannst nicht einfach immer alles durch deine dicke Schädeldecke ignorieren, Muichiro", begann er wieder, nachdem ich die Hälfte geschafft hatte. „Du bist zwar die Nebelsäule, aber das bedeutet nicht, dass du unbesiegbar bist."

„Ich weiß", antwortete ich leise und stellte die Schüssel ab. „Aber du tust so, als ob ich sterben würde, wenn ich einen Bissen auslasse."

Er stand auf, ging um den Tisch herum und drückte mir die Schüssel zurück in die Hände. „Wenn du aufhörst zu essen, bevor die Schüssel leer ist, stopfe ich dir den Rest rein. Glaub mir, ich meine es ernst."

Ich sah ihn an, halb verärgert, halb amüsiert. Es war Yuichiro in seiner reinsten Form – stur, kompromisslos und immer bereit, mich zu "retten".

„Manchmal frage ich mich, wer von uns beiden wirklich der Ältere ist", murmelte ich und schob einen weiteren Bissen in den Mund.

„Ich natürlich", erwiderte er mit einem Anflug von Stolz. „Und deshalb mache ich mir Sorgen um dich. Du bist so dünn, dass ich Angst habe, der Wind könnte dich davontragen."

Ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Das war Yuichiro – mein strenger, überfürsorglicher Bruder, der niemals zugab, wie sehr er sich wirklich kümmerte. Auch wenn es manchmal anstrengend war, wusste ich, dass er es nur gut meinte. Und irgendwie fühlte ich mich in diesen Momenten weniger allein, auch wenn wir oft aneinandergerieten.

„Okay, okay", sagte ich schließlich. „Ich esse. Zufrieden?"

Er verschränkte die Arme und nickte. „Das sollte dir ein Beispiel dafür sein, dass du deinen großen Bruder immer ernst nehmen solltest."

„Neun Minuten", erinnerte ich ihn mit einem schiefen Lächeln. „Du bist nur neun Minuten älter."

„Reicht aus", sagte er trocken, wandte sich ab und begann, die Küche aufzuräumen.

Während ich weiter aß, sah ich ihn an. Manchmal fragte ich mich, ob er wusste, wie viel er mir bedeutete – wie sehr ich seine Anwesenheit brauchte, auch wenn ich es nie laut sagte. Yuichiro war wie ein Anker für mich, der mich festhielt, wenn die Nebel in meinem Kopf zu dicht wurden.

Und obwohl ich oft mit ihm stritt, wusste ich eines ganz genau: Ich würde alles tun, um ihn zu beschützen. Denn ohne Yuichiro wäre ich nicht die Nebelsäule, sondern nur ein verlorener Junge im Nebel.

Yuichiro und ich beherrschten beide die Nebelatmung. Er hatte sie zwar nie offiziell perfektioniert, aber seine Techniken waren präzise und tödlich. Doch im Gegensatz zu mir verweigerte er die meisten Aufträge. „Es gibt genug andere, die das übernehmen können", pflegte er zu sagen, wenn er sich weigerte, seinen Schwertkämpferdienst anzutreten.

Ich hingegen nahm jeden Auftrag an. Es war nicht nur meine Pflicht, sondern auch meine Flucht. Wenn ich kämpfte, wurde der Nebel in meinem Kopf klarer, und die Welt fühlte sich einen Moment lang greifbar an. Doch Yuichiro war anderer Meinung.

„Warum tust du dir das an?" fragte er eines Abends, während er am Fenster lehnte und mich mit verschränkten Armen musterte. „Du bist verletzt, Muichiro. Dein Arm ist kaum verheilt, und du willst schon wieder losziehen?"

Ich saß auf der Futon-Matte und wickelte meine Bandagen fester. „Es gibt niemanden sonst, der die Arbeit erledigen kann. Außerdem ist es meine Verantwortung als Säule."

Yuichiros Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Das ist Unsinn. Du bist kein Held, der alles allein schaffen muss. Hör auf, dich selbst zu zerstören."

„Du verstehst es nicht", sagte ich leise und sah auf meine Hände. „Wenn ich nichts tue, wer dann?"

Er stieß ein genervtes Schnauben aus. „Es gibt Dutzende von Jägern, die genauso fähig sind wie du. Du bist nicht der Einzige, der Dämonen töten kann."

„Aber ich bin besser", entgegnete ich ruhig.

Yuichiro schnaubte. „Arrogant bist du auch noch geworden. Perfekt."

Ich sah ihn an, und für einen Moment schien er etwas sagen zu wollen, hielt aber inne. Schließlich wandte er sich ab und starrte in die Dunkelheit draußen. „Ich habe heute deinen Auftrag abgefangen."

Mein Kopf fuhr herum. „Was?"

„Ich habe ihn an Tengen weitergeleitet", sagte er gelassen, ohne mich anzusehen. „Du brauchst eine Pause. Und wenn du nicht auf dich selbst aufpasst, dann mache ich das für dich."

„Yuichiro!" rief ich aufgebracht und stand auf. „Das kannst du nicht einfach tun! Es war ein wichtiger Auftrag!"

„Und genau deshalb solltest du ihn nicht annehmen", schnitt er mir das Wort ab und drehte sich zu mir um. „Du bist angeschlagen, Muichiro. Was, wenn du dort draußen stirbst? Was dann?"

„Das ist nicht deine Entscheidung", zischte ich und ballte die Fäuste. „Ich bin die Nebelsäule. Es ist meine Pflicht!"

Er trat einen Schritt näher, und sein Blick war wie Eis. „Und ich bin dein Bruder. Es ist meine Pflicht, dich am Leben zu halten. Wenn du das nicht verstehst, bist du dümmer, als ich dachte."

Die Worte trafen mich härter, als ich zugeben wollte. Für einen Moment herrschte Stille zwischen uns, nur unterbrochen vom fernen Zirpen der Grillen draußen.

„Du kannst mich nicht ewig beschützen, Yuichiro", sagte ich schließlich, meine Stimme leiser.

„Vielleicht nicht", erwiderte er, ohne zu zögern. „Aber ich kann es versuchen."

Ich wusste, dass er es ernst meinte. Er würde alles tun, um mich zu schützen, selbst wenn es bedeutete, mich gegen meinen Willen zurückzuhalten.

„Du kannst nicht immer die Kontrolle übernehmen", murmelte ich.

„Und du kannst nicht immer alles alleine machen", konterte er.

Es war ein endloser Kreis, ein Kampf zwischen unserer Sturheit und unseren Ängsten. Doch trotz allem wusste ich, dass sein Handeln aus Sorge kam – auch wenn er es nie laut sagte.

„Muichiro", sagte er nach einer langen Pause, seine Stimme ungewohnt weich. „Du bist nicht unbesiegbar. Und selbst eine Säule braucht jemanden, der auf sie aufpasst."

Ich antwortete nicht, denn was hätte ich sagen können? Yuichiro hatte recht, so sehr ich es auch hasste, es zuzugeben. Doch tief in mir wusste ich, dass dieser Konflikt zwischen uns nicht so leicht enden würde.

Am nächsten Morgen war mein Schwert verschwunden. Und obwohl ich ihn nicht direkt zur Rede stellte, wusste ich genau, wer es versteckt hatte.

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