chapter 1 - formula
♫ track no. 1
𝙔𝙚𝙝 𝙄 𝙁*𝙘𝙠𝙞𝙣' 𝘿𝙞𝙙 𝙄𝙩 𝘣𝘺 𝙇𝙖𝙗𝙧𝙞𝙣𝙩𝙝
DAS VIBE war einer jener hippen Clubs, die in Hongdae in den letzten Jahren an allen Ecken aus dem Boden geschossen waren. Wobei man jene Umschreibung in diesem Falle sogar mehr oder weniger wörtlich nehmen konnte. Vielleicht war es eher unkonventionell, einen alten Bunker aus Kriegszeiten zu einer Party-Location umzuwandeln, doch das Konzept funktionierte. Die Leute fühlten den Abstieg hinunter in die von Backsteinwänden umgebene Höhle, vorbei an den vergilbten Vintage-Postern und einem Leuchtschild, das die Worte Come As You Are formte. Sie zelebrierten die heruntergekommene Atmosphäre, die von Nebelanlagen und Neonlichtern dominiert und elektronischer Musik untermalt wurde.
Natürlich gab es dort unzählige Clubs, die einem ähnlichen Konzept folgten. Die Partys fanden in Hongdae meistens unterirdisch statt. Aber es war dieses gewisse Etwas, das das VIBE von den anderen Etablissements des Viertels unterschied. Hier fanden sich nicht die paarungswillige Junggesellenschicht Seouls oder feierwütige Touristen ein, sondern jene Menschen, die wirklich für eine Nacht ausblenden wollten, dass die Welt da draußen existierte. Komm so wie du bist. Hier zwingt dich keiner zu hohen Schuhen oder einem Hemd.
Dass das VIBE eine zweischneidige Klinge darstellte, war Yoongi vollkommen klar. Genauso wie die Tatsache, dass es sich bei Come As You Are um einen Song der Band Nirvana handelte. Auch wusste er, dass der Sänger Kurt Cobain an einer Überdosis Heroin und einem Kopfschuss mit einer Schrottflinte gestorben war. Komm so wie du bist. Deprimiert und kaputt. Wir lassen es dich hier unten zumindest für ein paar Stunden vergessen. Oder noch besser: Wir ziehen dich in diese Welt hinein, wenn du noch kein Teil von ihr bist. Keine Angst, du wirst schon nicht wie Kurt enden.
Trotzdem liebte Yoongi diesen Ort. Viel mehr als alle anderen gehypten Clubs, die das niemals schlafende Hongdae so zu bieten hatte. Er liebte das Halbdunkel, das Schimmern der Neonbeleuchtung auf den glänzenden Oberflächen und die durch alles vibrierenden Bässe. Das VIBE war sein Zufluchtsort vor der Realität. Ein kleines Paralleluniversum, das nichts von ihm erwartete, außer dass er seinen Job an der Bar gewissenhaft erledigte. Ein Bunker ist ein Ort, an dem man Schutz findet. Komm so wie du bist. Aber wenn du wieder gehst, können wir für nichts garantieren.
Mit dieser Tatsache musste sich Yoongi nach jeder langen Schicht in den frühen Morgenstunden konfrontieren. Dann, wenn er nach draußen auf die immerzu belebte Straße trat und die aggressiven ersten Lichtstrahlen auf seinem Gesicht brannten. Er hasste Sonnenaufgänge. Fast noch mehr, als die U-Bahn-Fahrt zurück nach Bongcheon, zusammen mit den Menschen, die gerade auf dem Weg zur Arbeit waren und bei seinem Anblick gerne das Gesicht verzogen. Oder sich frühmorgens von seinem besten Freund anhören zu müssen, dass ein Job in einem Club nicht gerade die beste Voraussetzung war, um ein Studium auf die Reihe zu bekommen.
Aber selbst Namjoon war sich darüber im Klaren, dass das VIBE nur einen einzelnen Faktor darstellte. Vielleicht war es sogar vielmehr die Konsequenz. Kein anderes Etablissement würde je dem gerecht werden, was Yoongi brauchte. Wenn man selbst ein Freak war, existierte es sich am besten unter seinesgleichen. Genau dieser Devise war er gefolgt. Und genau deswegen würde er auch einen Teufel tun und sich einen neuen Job suchen.
Die coolen Kids der SNU verirrten sich normalerweise nicht ins VIBE. Eher in die Trendclubs oder Bars, von denen es in der Gegend immerhin genügende gab. Oder sie gingen direkt in die exklusiveren Schuppen in Gangnam oder Itaewon. An eben jenem schicksalsbehafteten Abend, an dem unsere Geschichte beginnt, musste Yoongi jedoch dabei zusehen, wie der Feind die steinerne Treppe hinabstieg. Wie er das Heiligtum betrat, in dem er sich bisher immer ziemlich unantastbar gefühlt hatte.
Genau in diesem Moment besaß Yoongi einen wunderbaren Blick auf die Szenerie, die sich bei einer der Couch-Ecken abspielte. Park Jimin, umringt von seinem Squad (zu dem sonst auch leider Yoongis Mitbewohner Kim Seokjin zählte), versuchte offensichtlich gerade seine Ehre wiederzufinden. Vielleicht dachte er wirklich, er hätte sie im Mund von Hwang Yeji verloren und seine Zunge wäre das einzige Mittel, sie wiederzubekommen. Was auch immer in seinem Schädel vorging – er schien einen Heidenspaß an der Sache zu haben. Ebenso Yeji, die es sich nicht nehmen ließ, ihre manikürten Hände tief in die Arschtaschen von Jimins verboten enganliegenden Jeans zu schieben. Ein kleiner Teil von Yoongi hoffte, dass sie sich dabei einen Nagel abbrach.
»Na? Genießt du ebenfalls die Show?«
Yoongi zuckte beim Klang der süffisanten Stimme ein wenig zusammen. Er drehte den Kopf nach rechts und sah Hoseok auf einem der mit schwarzem Leder überzogenen Barhocker sitzen. Er hatte sich lässig über die Theke gelehnt und sein bordeauxrot gefärbtes Haar, das ihm in gegelten Strähnen in die Stirn fiel, ließ seinen Blick nur noch anzüglicher wirken.
»Welche Show?«, stellte sich Yoongi dumm und begann ohne Aufforderung damit, ihm einen Mojito zu richten – sein Lieblingsgetränk.
Hoseok lachte auf. »Ach, komm schon. Ich habe doch gesehen, wo deine Augen waren. Ich kann's dir nicht verübeln. Der kleine Aufreißer ist schon ein Schnittchen. Sieht leider ziemlich hetero aus, wenn du mich fragst.«
Yoongi senkte den Kopf und konzentrierte sich voll und ganz auf den Cocktail, den er gerade anrichtete. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein Gespräch dieser Art. Ganz besonders nicht mit Hoseok. Ihre gemeinsame Vergangenheit hing immer noch wie stickiger Rauch zwischen ihnen. Und zumindest Yoongi fiel es schwer, diesen auf lange Zeit in seine Lunge zu inhalieren. Trotz der Tatsache, dass er diese ohnehin schon jeden Tag mit Giftstoffen abhärtete.
»Ich steh nicht auf Gangnam-Kids.«
»Vielleicht sind sie aber hier, um zu den Hongdae-Kids überzuwechseln.«
»Die gehen mir genauso am Arsch vorbei.«
Hoseok verzog das Gesicht zu einer belustigten und vor allem vielsagenden Grimasse. Es war klar, worauf er anspielte. Yoongi hatte sich damals auch in ihn verguckt. Und er stellte wahrlich eine Hongdae-Ausgeburt dar. Als Resident-DJ J-HOPE frequentierte er fast jede Nacht diesen Schuppen, sogar noch öfter als Yoongi selbst. Er inhalierte die elektrisierte Nachtluft des belebten Stadtviertels, als wäre sie alles, was er zum Leben brauchte. Brachte die Besucher des VIBE's immer wieder mit seinem breiten Angebot an elektronischer Musik zum Toben. Hatte sich den extravaganten Hongdae-Style zu eigen gemacht, der sich trotzig vom Casual-Chic-Einheitsbrei auf Seouls Straßen abhob.
Yoongi empfand es leider nach wie vor als dezente Folter, sich jeden Tag erneut die Frage zu stellen, was jenes Zwinkern und jene unauffällige Berührung zu bedeuten hatten – falls letztere selten mal zustande kamen. Hoseok und er waren seit über einem Jahr getrennt. Wenn man das, was zwischen ihnen gewesen war, überhaupt eine Beziehung nennen konnte. Trotzdem war er Yoongis erster ausgewachsener Boycrush gewesen. Und das in einer der dunkelsten Episoden seines Lebens, als er gerade frisch nach Seoul gezogen war. Damals, vor fast zwei Jahren. Allerdings hatte es nicht lange gedauert, bis er den DJ zu sehr gelangweilt hatte. Inzwischen verirrte Hoseok sich nur noch selten mit Yoongi in eine dunkle Ecke. Vorzugsweise dann, wenn dieser besonders drauf und mitleiderregend aussah. Und wenn es mal passierte, dann war auch nur ein wenig Kuscheln drin.
Yoongi war sich darüber bewusst, dass es eventuell nicht die beste Methode war, durch Drogen seinen Exfreund zurückzugewinnen. Doch eigentlich war er ohnehin die meiste Zeit des Tages nicht nüchtern. Auch heute hatte er in seiner ersten Pause bereits einen Joint geraucht. Also zählte das bei Hoseok überhaupt als Versuch?
»Ob nun Hongdae-Kids oder nicht«, ergriff der DJ wieder das Wort. »Vielleicht solltest du darauf achten, ihnen nicht zu viel Alk in ihre kommenden Bestellungen zu mischen. Nicht, dass sie noch anfangen, vor aller Augen miteinander zu vögeln.«
Yoongi schnaubte und versuchte den Brechreiz zu ignorieren, der sich in seinem Rachen angesichts des Kopfkinos breitmachte. Bisher war ihm erspart geblieben, auch nur einen Drink für die Gruppe anzurichten. Er hoffte inständig, dass das auch so blieb.
»Wie auch immer«, philosophierte Hoseok weiter, noch ehe sich Yoongis durch den Joint etwas langsames Gehirn überhaupt an die Konstruktion einer Antwort hätte machen können. »Wir sollten uns hier nicht schon wieder in Lastern und Ausrutschern verlieren. Ich wollte dich eigentlich fragen, wie es in Busan war.«
Yoongi zögerte einen Moment beim Richten der Minzblätter. Einen Moment zu lange. Als er den fertigen Mojito mit einem eiskalten Kribbeln auf den Armen über den Tresen schob, verriet Hoseoks Blick bereits, dass dieser sich nichts vormachen ließ. Natürlich hatte er es mitbekommen. Wie auch immer ihm das gelungen war.
»Ganz nett«, antwortete Yoongi kurz angebunden und wandte sich wieder den restlichen, noch abzutrocknenden Gläsern zu. »Gibt nicht viel zu erzählen.«
»Offensichtlich nicht... Das seh' ich in deinen Augen.«
Hoseok kniff absichtlich übertrieben seine Lider zusammen und fing sich damit einen bitterbösen Blick von Yoongi ein. Er beließ es allerdings dabei. Seine Schlagfertigkeit war noch nie die Beste gewesen, wenn er high war. Ein weiterer Grund, weshalb er auf baldige Kundschaft hoffte.
»Du bist so leicht zu durchschauen«, sagte Hoseok mit einem verträumten Kopfschütteln und fuhr mit seinen schlanken Fingern am Rand des Mojito-Glases entlang. »Ich möchte dir trotzdem ans Herz legen, es nicht zu übertreiben...nur weil heute Samstag ist.«
Sichtlich selbstzufrieden, eine von Yoongis liebsten Ausreden als Witz gegen ihn verwendet zu haben, sprang Hoseok von seinem Barhocker.
Yoongi entwischte ein »Wo willst du hin?«, ehe er seiner Dummheit Einhalt gebieten konnte. Am liebsten hätte er sich im Anschluss mit der Hand gegen sein taubes Gesicht geschlagen. Warum musste er ihm auch immer so viel Angriffsfläche bieten? Wieso musste er sich selbst so auf dem Silbertablett servieren?
Der Grund war naheliegend. Hoseok war der Mittelpunkt dieses Paralleluniversums. Die Schulter, an die Yoongi sich gelehnt hatte, wenn er mal wieder völlig weggetreten gewesen war. Die Ohren, die seinem Schweigen zugehört hatten, wenn er mal wieder in einem Loch gesessen hatte. Ironisch, dass sich ihre Wege immer dann kreuzten, wenn Yoongi in seinen Abgründen wandelte. Dazwischen erfolgten nur flüchtige Begegnungen. Gespräche zwischen Tür und Angel, so wie dieses hier. Immer geprägt von ihrer Vergangenheit und hypothetischen Zukunft (zumindest der hypothetischen Zukunft, die sich Yoongi in seinem Kopf ausmalte).
Tief in sich wusste Yoongi, dass Hoseok immer das bleiben würde: eine flüchtige Episode seines Lebens, eine endliche, wenn auch hartnäckige Club-Affäre. HOPE, wie sein DJ-Name nur insoweit, dass die Hoffnung nur eine Hoffnung bleiben, aber niemals zu einem Happy End werden würde.
Genau aus diesem Grund führte die Erkenntnis, dass Hoseok sich mal wieder ohne ein weiteres Wort aus dem Staub gemacht und sein unberührtes Glas am Tresen zurückgelassen hatte, bei Yoongi zu einer seiner berühmt-berüchtigten Kurzschlussreaktionen.
Er rümpfte die Nase, schnappte sich den Mojito und kippte ihn sich in einem Zug die Kehle hinab. Eigentlich war es ihm nicht erlaubt, am Arbeitsplatz zu trinken, aber kam es darauf noch an, wenn man bedachte, was er jetzt vorhatte? Felix hatte es ohnehin nicht gesehen. Er blickte erst auf, als Yoongi ihm deutlich machte, dass er noch eine kleine Pause einlegen würde..
Yoongi war schon oft Opfer solcher Aktionen seitens Hoseoks geworden, allerdings würde er sich wohl nie ganz daran gewöhnen. Es war nicht schön, dauernd damit konfrontiert zu werden, welch eine flüchtige, unbedeutende Erscheinung man selbst im Leben eines anderen Menschen war. Dabei sollte es Yoongi doch inzwischen wirklich egal sein. War es natürlich nicht...wie so vieles, was er sich in die Bedeutungslosigkeit zu reden versuchte.
Vielleicht konnte man Park Jimin auch zu diesen Dingen zählen. Wäre er Yoongi so egal, wie er es selbst gerne hätte, würde sein Blick auf dem Weg in den hinteren Bereich der Bar nun nicht schon wieder zu der Ecke fliegen, in der er und seine Clique sich breitgemacht hatten. Warum war heute auch so wenig Kundschaft daran interessiert, bei ihm Getränke zu bestellen? Warum ließen sie ihm so viel Zeit und Spielraum, Szenerien anzustarren, die er eigentlich gar nicht sehen wollte? Und warum war Hoseok so ein Arschloch?
Yoongi kickte im Hinterraum einen Kasten mit leeren Glasflaschen aus dem Weg und bereute es sofort, als er sich dabei den Zeh in seinem Schuh stieß. Scheiß Vans. Fluchend stolperte er zu seinem Schließfach und griff sofort nach seinen Zigaretten. Innerhalb von Sekunden qualmte eine von ihnen zwischen seinen Lippen, während er bereits dabei war, mit seiner Tasche zur Toilette zu gehen. Er warf einen letzten verstohlenen Blick zu dem mit einem Klimpervorhang verhangenen Barzugang, ehe er die Tür hinter sich abschloss. Wie gut, dass es ihren Chef nicht juckte, wo sie rauchten. Im VIBE war es ohnehin überall erlaubt.
Kaum war er sicher innerhalb des viel zu kleinen und viel zu ranzigen Raums, ließ er sich auf dem Toilettendeckel nieder und kramte fahrig im Chaos seiner Tasche herum. In Windeseile hatte er das kleine Tütchen hervorgekramt sowie die silberne Kette mit dem kleinen Löffelanhänger. Eigentlich bevorzugte er es, sich die Zeit zu nehmen und eine Line zu legen, doch in Momenten wie diesen musste es schnell gehen. Zudem war Yoongi auf der Arbeit viel zu paranoid.
Nur ein bisschen Pep, sagte er sich selbst, während er im Halbdunkel der Glühbirne, die armselig aus einem Fliesenloch aus der Decke baumelte, mit dem Löffel ein wenig weißes Pulver zusammenkratzte. Das ist gerade genug Entschädigung dafür, dass Hoseok dich wieder nicht in Ruhe lassen konnte. Und dass diese anderen Kackbratzen heute ausgerechnet hier –
Yoongi verzog das Gesicht, kaum hatte er die gehäufte Menge der Droge durch die Nase gezogen. Er gab es ja nur sehr ungerne zu...aber das war kein Pep.
Der bittersüß-ätzende Geschmack kroch seinen Rachen hinab, genau wie die Erkenntnis, dass er gerade ganz große Scheiße gebaut hatte. Sein Plan war es gewesen, seine Stimmung mit dem Speed etwas aufzufrischen. Neue Energie zu tanken und hoffentlich nicht mehr so viel an unschöne Dinge zu denken. Jimin für sein Eindringen in den Safe-Space vor die Füße zu spucken zum Beispiel. Was Yoongi sich allerdings gerade auf die Schleimhäute katapultiert hatte, war Ketamin. Besser bekannt als Pferdebetäubungsmittel.
Vielleicht war es Hoseoks ganz persönliches Karma. Yoongi hörte ihn ganz fern fast schon wiehernd lachen. Er hatte ihn damals immer liebevoll damit aufgezogen, dass er ein Gesicht wie ein Pferd hatte. Das schönste und anmutigste Pferd, das Yoongi je gesehen hatte, verstand sich. Tja, das hatte er wohl jetzt davon.
Ketamin-Trips waren nicht besonders lang, aber dafür ziemlich intensiv. Yoongi hatte das Zeug erst gestern noch von vor der Therapie in seinem Zimmer gefunden und bei seinem raschen Packen für die Arbeit wohl mit der Pep-Tüte verwechselt, die er gekauft hatte, kaum war er aus Busan zurückgekehrt. Eigentlich lächerlich. Beides sah komplett verschieden aus. Wäre er zuhause nicht so achtlos gewesen und das Licht auf der Toilette nicht so furchtbar, wäre es ihm direkt aufgefallen. So hatte er nun zweimal verschissen und durfte gleich als Strafe einen Ketamin-Trip vor der Theke ausleben. Herrliche Scheiße.
Yoongi versuchte, keine Panik aufkommen zu lassen und überlegte fieberhaft, wie er nun am besten vorgehen sollte. Er konnte nicht abschätzen, wie groß der Haufen gewesen war. Oder wie gut das Zeug überhaupt noch wirkte, wo es doch mehrere Wochen in seinem Zimmer herumgelegen hatte. Er warf seine nur halb aufgerauchte Zigarette ins Klo und probierte es mit Nase putzen, doch es nützte nicht besonders viel. Wahrscheinlich hatte es dadurch sogar nur noch schlimmer gemacht.
Okay, reiß dich zusammen, sagte er zu sich selbst, mit dem Rücken gegen die Fliesenwand gelehnt. Es ist nicht viel los und nach zwanzig Minuten ist es wieder vorbei. Keine große Sache.
Er glaubte sich kein verdammtes Wort. Bei seinem letzten Keta-Trip hatte er sabbernd über Taehyungs Sofalehne gehangen und mit einer imaginären Katze gesprochen. Als er versucht hatte aufzustehen, um sie zu streicheln, war er hingefallen und hatte sich fast eine Platzwunde an der Kante des Wohnzimmertischs geholt.
Yoongi wischte sich den Kaltschweiß aus dem Gesicht und durfte frustriert feststellen, dass seine Finger zitterten. Er konnte sich nicht einmal genau erklären, ob dies noch vom Ärger über Hoseok oder seiner jetzigen Lage herrührte. Vielleicht konnte er einfach so tun, als wäre ihm plötzlich übel geworden und er konnte den Trip hier drinnen aussitzen. Ja, vielleicht wäre das die beste Lös–
»Yoongi-yah! Es reicht jetzt langsam, beweg deinen Arsch wieder zur Theke!«
Felix' Stimme fuhr Yoongi durch Mark und Bein. Natürlich war er genervt. Yoongi hatte ihn zwei Monate lang durch seinen Ausfall Überstunden schieben lassen und jetzt machte er schon seine dritte Pause.
»N-nur eine Sekunde«, krächzte Yoongi und schloss dabei die Augen. Er konnte sich einfach nicht dazu durchringen, falsche Krankheitssymptome vorzutäuschen. Felix würde ihm den Hals umdrehen.
»Mach hinne! Es ist wieder voller geworden und ich hab keine Lust, das alles alleine zu erledigen!«
»Ja...gib mir nur eine Minute.«
Yoongi atmete tief durch, wieder und wieder. Nach drei Durchläufen schaffte er es, mit bebenden Fingern seine Tasche zu schließen und den Riegel der Tür zu öffnen. Viel zu spät bemerkte er, dass er nicht einmal alibimäßig gespült hatte, doch Felix war ohnehin schon längst wieder aus dem Raum verschwunden. Welch ein Glück aber auch.
Es kostete Yoongi eine weitere kleine Ewigkeit, sich Schritt für Schritt zurück an seinen Arbeitsplatz zu bewegen. Er fühlte sich, als würde er den Körper eines Fremden steuern. War das bereits die Droge oder einfach nur sein von Adrenalin vernebelter Kopf? Eines war jedenfalls sicher: Wenn das hier in die Hose ging, war er heute Abend seinen Job ein für alle Mal los.
»Kümmere dich um die Ecke da hinten«, zischte ihm Felix zu, kaum war er durch den Vorhang getreten. »Die warten schon viel zu lange und werden langsam echt nervtötend.«
Yoongi hätte wirklich nicht gedacht, dass das Schicksal an diesem Abend noch ungnädiger mit ihm sein würde. Als er sich in besagte Richtung drehte, wurde er eines Besseren belehrt.
Ausgerechnet Yeji, deren Mund wohl nun wieder eine freie Zone war, stand dort und ließ ungeduldig ihre leider noch intakten Fingernägel auf die Theke klackern. Ein paar ihrer Gang tummelten sich hinter ihr und kabbelten sich. Offensichtlich lag es an ihr, die Sammelbestellung für alle aufzugeben.
Als Yeji Yoongi entdeckte, fiel der Unmut von ihr wie der Vorhang von einer Theater-Bühne. Stattdessen musterte sie ihn mit einer unverhohlenen Neugier. Der Hunger nach Gossip stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben.
»Yoongi-oppa! Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest«, platzte es prompt aus ihr und sie legte den Kopf schief. Ihre perfekt frisierten Haare wallten ihr dabei übers Dekolleté.
Yoongi zuckte als Antwort mit den Schultern. »Und ich wusste nicht, dass du hier feiern gehst.«
Yeji grinste frech. Warum auch nicht? Es gab kein böses Blut zwischen ihnen. Für sie war er nur einer der gesellschaftlich akzeptierten Weirdos, mit denen sie einige Kurse zusammen hatte.
Yoongi hatte sich zwar nie besonders große Mühe gegeben, ein Teil von irgendwelchen Cliquen zu werden – geschweige denn überhaupt aktiv Freundschaften in der Uni aufzubauen – aber dennoch war es ihm gelungen, noch ein gewisses Ansehen aufrechtzuerhalten. Trotz der Tatsache, dass er meist ohnehin in ganz anderen Sphären als seine Kommilitonen schwebte. Er wurde zu den meisten Partys eingeladen und keiner machte sich die Mühe, ihn aktiv auszuschließen. Er war wie Raumdeko. Von den meisten nicht beachtet, aber manchmal doch ganz nett, sie rumstehen zu haben. Yoongis innerer Groll gegen Yeji und die anderen coolen Kids basierte nicht auf gegenseitigen offiziellen Abneigungen. Vielleicht waren sie aber auch nur normal zu Yoongi, weil sie sich ohnehin die meiste Zeit gegenseitig ignorierten. Oder weil er mit Jin befreundet war. Apropos Jin...wo war der eigentlich, wenn man ihn mal brauchte?!
»Okay, wenn ich ehrlich bin, wundert es mich nicht«, ergriff Yeji wieder das Wort und stützte sich dabei mit den Ellenbögen auf der Theke ab. »Zumindest nicht mehr nach all dem, was nach dieser Party geredet wurde.«
Yoongi Kehle wurde trocken und er vergaß zum ersten Mal das Keta, das ihn früher oder später noch einholen würde. Er hatte mit diesem Thema nicht gerechnet, doch er hatte sich davor gefürchtet. Offensichtlich wusste inzwischen so gut wie jeder, was bei ihm in diesen Semesterferien abgegangen war. Wie hätte es auch anders sein sollen?
»Was wurde denn geredet?«, hakte er möglichst unbeeindruckt nach und machte sich zur Unterstreichung dessen daran, die ohnehin schon saubere Anrichte zu wischen. Bildete er sich das ein oder begannen seine Arme langsam heftig zu kribbeln?
Yeji verlagerte ihre Position, wobei ihr Blick ein wenig umherschweifte. Als würde sie nach etwas Ausschau halten, das ihr etwas mehr Halt als die Theke gab. Yoongi stellte mit Genugtuung fest, dass seine Gleichgültigkeit sie offensichtlich zu verunsichern schien.
»Naja, ich war ja auch da«, begann sie und zog die Worte dabei unnötig in die Länge. »Und wenn man dich gesehen hat, war es ja schon irgendwie...offensichtlich, oder? Stimmt es, dass man dich über den Sommer deswegen in eine –«
»Hey, was dauert hier denn so lange? Hast du dich jetzt doch gegen mich entschieden?«
Yoongis Eingeweide zogen sich zusammen und seine Finger um den Putzlappen bildeten unweigerlich eine Faust. Ein Arm hatte sich aus dem Halbdunkel um Yejis Schultern gelegt und das gefärbte Orange konkurrierte mit der blauen Bar-Beleuchtung. Doch nichts von beiden kam gegen das freche Grinsen an, das auf Park Jimins Gesicht florierte.
»Chill mal, das ist nur ein Kommilitone«, verteidigte sich Yeji sofort und schmiegte sich wie eine Katze in seine Umarmung. »Wir haben uns über eine Party unterhalten und –«
»Und du wolltest bestellen«, unterbrach sie Yoongi naserümpfend. Er traute Yeji voll und ganz ausgereifte Taktlosigkeit zu und das Letzte, was er gebrauchen konnte, waren gewisse Informationen in noch mehr Händen. Schon gar nicht in Park Jimins. Wenn sie nicht ohnehin schon dort waren.
Alleine die Vorstellung ließ noch mehr Übelkeit in Yoongis Rachen aufsteigen. Jimin und er hatten bis auf diesen einen Zusammenstoß noch nie miteinander gesprochen. Um genau zu sein, war Yoongi sich auch sicher, dass dieser ihn bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal so richtig physisch wahrgenommen hatte. Außer natürlich seine Clique hatte die Gerüchte bereits in seinem Beisein zerpflückt und ausgeweidet. Im Stillen mit den Fingern auf ihn gezeigt und sich darüber das Maul zerrissen, wie kaputt Yoongi wirklich war.
»Kann der werte Herr uns denn etwas empfehlen?«, grinste Jimin frech und beachtete Yoongi dabei kaum. All seine Aufmerksamkeit hing an Yeji, die ihn mit ihren Blicken förmlich auszog. Vielleicht war das gerade auch ganz gut so. Yoongi spürte, wie sich sein Kopf langsam mit mehr und mehr Watte füllte und sein Sichtfeld immer kleiner wurde. Konzentration, brüllte er sich innerlich selbst an. Lass dir jetzt verdammte Scheiße nichts anmerken.
»Ich empfehle einen Blick auf die Karte.«
Dass er gerade noch sowas wie Sarkasmus aufbringen konnte, grenze an ein wahres Wunder. Ob es wohl auch angemessen war, auf den Cocktail kommentarlos das aufzurechnen, was er für die Reparatur seines Handybildschirms blechen musste?
Yoongi spürte so viel Abneigung in sich. So viel Wut, die nur von dem verdammten Ketamin besänftigt wurde. Allerdings war sich Yoongi nicht einmal ganz sicher, welchem der zwei Jimins, die inzwischen vor ihm schwebten, diese nun galt. Beide von ihnen grinsten nun nur noch eine Spur dämlicher. Leider ziemlich umwerfend dämlich.
»Hmm...also wir hätten schon mal gerne drei Gin Tonic für unsere Freunde... Yeji-yah, du das Gleiche wie immer? Gut, dann noch einen Long Island Ice Tea... Und ich nehme...«
Jimin kniff die Augen zusammen, um die Getränkekarte über Yoongis Kopf besser lesen zu können. Der Barkeeper hatte sich unterdessen an einer kleinen Strähne seines feuerfarbenen Haares festgestarrt, die ihm verirrt in die Stirn fiel. Eigentlich wäre es doch kein Ding, wenn er die Hand ausstrecken würd– Konzentration, Yoongi! Reiß dich zusammen!!
Panik konnte nicht mehr in ihm aufkochen. Dafür wirkte Keta zu angstlösend. Trotzdem war jede nicht in Watte gepackte Zelle von Yoongis Körper mit Unbehagen erfüllt. Ein ekelhaftes Gefühl, das nur dann aufkam, wenn man sich mit aller Macht gegen einen Trip zu wehren versuchte. Da half es ihm auch nichts, schon einmal die Gin Tonic anzurichten. Oder besser gesagt, es zu versuchen.
Fuck, wieso musste das auch ausgerechnet heute passieren? Also nicht, dass Yoongi sich nicht ohnehin andauernd mit solchen Drogenmalheuren herumschlagen musste...aber warum ausgerechnet jetzt, wo Park Jimin seine Existenz bemerkte? Warum gerade hier, in dieser armseligen Konstellation?
»Ich denke...ich nehme einen Blowjob.«
Yoongis Reaktion war verzögert, doch intensiv genug, um mit der Hand eines der Gläser umzustoßen. Es fiel mitsamt Inhalt in die Spüle, ging dort zwar nicht zu Bruch, aber verursachte trotzdem einen viel zu großen Lärm. Yoongi wurde schwindlig und er griff nach der Kante der Theke, um sich zu stützen. Es war, als würde sein Arm von jemand Fremden geführt werden.
»E-entschuldige... Was hast du gesagt?«
Jimins Lächeln kippte ein wenig und Yeji zog die Augenbrauen hoch.
»Einen Blue Top...den einen von der alkoholfreien Liste.«
Zur Verdeutlichung zeigte Jimin über Yoongi, doch dieser wagte es nicht, sich umzudrehen. Seine ganze Konzentration ging dafür drauf, nicht einfach wegzukippen. Er sah Galaxien in den flackernden Clublichtern und Geister in jeder vernebelten Ecke, die er ausversehen anvisierte.
»Blue Top...okay«, wiederholte er mit drei Sekunden Verzögerung. »Und...und was wolltest du nochmal?«
Yejis verzog ein wenig das Gesicht. Sie öffnete den Mund – wahrscheinlich eher, um eine verhängnisvolle Frage zu stellen, statt eine Antwort zu geben – doch sie kam nie dazu, etwas zu sagen.
»Ich übernehme das, ja?«, drang Felix' Stimme wie ein fernes Echo an Yoongis Ohren. »Du kannst mir solange eine neue Flasche Peachtree von hinten holen.«
Es war unmissverständlich, dass er alles mitbekommen hatte. Die gewisse Nuance, die in seiner Stimme mitgeschwungen war, hatte für sich gesprochen. Doch Yoongi ließ sich nicht zweimal auffordern. Ohne zu zögern drehte er dem Schlachtfeld um seine eigene Ehre den Rücken zu und besiegelte den Verlust eben jener damit endgültig.
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Die Scheinwerfer tanzten durch den Vorhang, ließen die Perlen daran in Regenbogenfarben schillern und warfen die Reflektionen an die Wand des Hinterzimmers. Yoongis Augen hatten sich schon eine gute Ewigkeit in dem Spektakel verloren. Sie folgten jeder noch so kleinen Bewegung, jedem noch so winzigen Funkeln...
Wie viele Minuten waren vergangen, seit Felix ihn nach hier hinten geschickt hatte?
Yoongis Zeitgefühl war ihm vollkommen abhanden gekommen. Er wagte es nicht, auf sein Handy zu schauen – geschweige denn einen Blick durch den Vorhang zu werfen. Vielleicht richtete Felix immer noch die Drinks für die Gangnam-Kids an, vielleicht auch schon die zweite Runde...keine Ahnung. Er würde es nicht herausfinden, wenn er weiter wie versteinert hier herumsaß. Aber das war die einzige Möglichkeit, den Trip weitestgehend ruhig zu überstehen...
Felix musste etwas gecheckt haben. Es stand einfach außer Frage. Und in Anbetracht der Tatsache, welchen Groll er dank den vielen Überstunden auf Yoongi schob, würde er wahrscheinlich nicht mit der Wimper zucken und ihn an ihren Chef verpfeifen. Das wäre es dann mit seiner einzigen Einnahmequelle.
»Hast du es wieder geschafft, hm?«
Hoseoks melodische Stimme ließ Yoongi zusammenzucken – soweit das unter Betäubungsmitteleinfluss eben möglich war. Der Tatsache nach, dass die Spiegelungen des Vorhangs immer noch genauso stetig an der Wand tänzelten, musste er durch den anderen Zugang in den Raum gekommen sein. Lautlos, in guter alter Manier. Yoongis Wahrnehmung war wieder gefestigt genug, um ihn in einfacher Ausführung erfassen zu können.
»Ich hab's dir doch gesagt, Babe... Deine kleinen Wundermittel sind nicht die Lösung all deiner Probleme.«
Yoongi hob träge den Kopf, viel zu müde und deprimiert, um sich über seinen Ex aufzuregen. »Wieso sagst du mir es dann immer wieder, als würde es dir eigentlich Spaß machen, mir dabei zuzuschauen?«
Hoseok lächelte sein typisches anzügliches Lächeln und schüttelte nur leicht den Kopf. Seine rechte Hand strich eine Strähne aus Yoongis Stirn. Alleine diese kleine Berührung jagte einen frostigen Schauer durch Yoongis ganzen Körper.
»Versuch's gar nicht erst mit solchen Anspielungen. Ich nehme dich nicht mit nach Hause...auch, wenn du es dir immer noch wünschst.«
»Ich wäre dumm, zu glauben, dass du plötzlich deine Meinung geändert hast.«
Sein Ex grinste nur noch breiter. »Du bist mir nach wie vor zu jung, mein Lieber. Und zudem zu jung, um immer wieder all das mit Füßen zu treten, was dir vom Schicksal auf dem Silbertablett serviert wird.«
Yoongi versuchte gar nicht erst zu widersprechen. Diese Diskussion hatten sie zu oft geführt. Dass es Hoseok wirklich am Alter lag, wollte er nach wie vor nicht wahrhaben. Immerhin war er nicht so viel älter. Gerade Mal vier Jahre oder so. Yoongis Gehirn war zu matschig, um sich die genaue Zahl in Erinnerung zu rufen.
»Oh Babe«, hauchte Hoseok belustigt und beugte sich so weit zu ihm, dass der Barkeeper seinen heißen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Er trug zudem Parfum. Es roch nach Rosen und einer anderen Blumenart, die Yoongi nicht definieren konnte.
»Vielleicht ist es ja ganz gut, wenn sie dich hierfür kündigen...auch, wenn das bedeutet, dass ich nie mehr diesem süßen Gesicht beim Runterkommen zusehen darf. Aber vielleicht ist das ja auch ganz gut. Manchmal fällt es mir so schwer, dir zu widerstehen...weißt du?«
Yoongi schloss die Augen. Es war die einzige Möglichkeit, sich irgendwie vor Hoseok abzuschirmen. Nicht dem Drang nachzugeben, ihn einfach zu küssen. Nicht aus Liebe oder sowas, sondern einzig allein aus Verzweiflung. Aus dem Wunsch heraus, irgendwo Halt zu finden. Einen Ausweg.
»Was willst du von mir?«
»Etwas mehr Ambitionen, das ist alles.«
»Und wenn ich die nicht aufbringe?«
»Dann bin ich ganz, ganz traurig.«
»Ach, halt doch die Fresse...«
Yoongi wollte ihn schlagen und ihm gleichzeitig die Zunge in den Hals schieben. Zwischendurch dachte er an Park Jimin, der sich gerade wahrscheinlich wieder köstlich mit Yeji amüsierte. Vielleicht sogar inzwischen mit etwas mehr Hemmungslosigkeit und Privatsphäre in einer Toilettenkabine.
»So viel angestauter Frust«, seufzte Hoseok. »Wie auch immer... Vielleicht findest du ja 'ne passende Ausrede für deinen netten Kollegen. Magen-Darm mit einer Prise Schlafmangel und gestorbenem Haustier hat doch bisher immer gezogen... Du schaffst das schon.«
Es fühlte sich überraschend erleichternd an, als Hoseok wieder Abstand zu ihm einnahm. Es ging einher mit der sich breitmachenden Klarheit in Yoongis Kopf. Das Ketamin ließ endlich nach. Halleluja.
»Gib nicht einfach auf bei Mr. Blowjob«, flötete der DJ noch über seine Schulter, als er sich schon zum Gehen abgewandt hatte.
»W-warte...hast du alles –?«
»Ich bekomme mehr mit, als du denkst, Babe. Wir sehen uns!«
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Yoongi hasste den Ganzkörperspiegel im Flur der WG.
Manchmal war er fest überzeugt, dass Namjoon ihn nur seinetwegen dort aufgehängt hatte. Dass ihm keine Wahl blieb, als sich nach jeder durchzechten Nacht mit seinem Abbild zu konfrontieren. Heute sah er mal wieder besonders kaputt aus. Die Tür zu ihrem Gemeinschaftszimmer stand offen und ließ das Licht auf eine geradezu ironische Weise auf den heimgekehrten Studenten fallen. Wie ein Scheinwerfer, der noch einmal die gänzliche Unvollkommenheit seines Auftretens zur Schau stellen wollte.
Es war ein Wunder, dass er hier immer noch als ungekündigter Mitarbeiter des VIBE's stehen durfte. Trotzdem klang ihm nach wie vor Felix' Stimme in den Ohren.
»Warum kommst du überhaupt hier her, wenn du krank bist?! Nachher steckst du noch irgendwelche Gäste an und wir werden verklagt!«
Yoongi konnte immer noch nicht so ganz fassen, dass er ihm die Sache mit einer angeblichen Magen-Darm-Infektion abgekauft hatte. Allerdings nagte der Gedanke an ihm, dass Felix sich wahrscheinlich trotzdem bei ihrem Chef auskotzen würde – darüber, wie unzuverlässig er als Kollege war. Wie gut, dass Yoongis nächste Schicht erst am kommenden Wochenende stattfinden würde. So konnte er das tun, was er am besten konnte – das Problem erstmal ignorieren.
Yoongi hatte die Tür zur WG so leise wie möglich hinter sich geschlossen. Wohl darauf bedacht, nicht die Aufmerksamkeit von irgendjemandem zu erwecken, dem er jetzt ganz sicher nicht unter die Augen treten wollte. Er sah aus wie der größte Haufen Scheiße. Wie auch sonst nach null Stunden Schlaf, einem geexten Cocktail, einer guten Nase Pferdebetäubungsmittel und einer Line geschnorrtem Pep von irgendwelchen Druffis auf der Toilette?
Im Normalfall wäre Yoongi auf direktem Wege ins Bad und von dort in sein Zimmer. Das wiederum hätte er wahrscheinlich erst wieder verlassen, wenn die Dämmerung eingesetzt hätte. Allerdings erregte etwas seine Aufmerksamkeit – ein Geräusch, das nicht von dort kommen sollte, wo es eigentlich sonst um diese Uhrzeit herkam. Ein Pfeifen, um präziser zu sein.
Yoongis Füße trugen ihn unfreiwillig zum Licht hin. Der gemeinschaftlich genutzte Raum war – wie er bereits erwartet hatte – nicht verlassen. Namjoon saß vor einer Müsli-Schüssel an ihrem winzigen Esstisch. Auf dem Rand des Porzellans balancierte ein graublauer Wellensittich, der gierig nach den Haferflocken angelte. Leider kam ihm dabei immer wieder der Löffel in den Weg. Zumindest so lange, bis Namjoon innehielt, weil er Yoongi bemerkt hatte.
Was folgte, war eigentlich schon irgendwie als Routine zu bezeichnen. Ein intensiver Scan von Yoongis Gesicht, gefolgt von einem zutiefst missbilligenden Blick und geschürzten Lippen. Auch wenn Namjoon absolut nichts mit Drogen am Hut hatte, so war er doch inzwischen ein Experte darin, alles an ihm ablesen zu können. Selbst wenn es nur ein paar Züge von einem Joint gewesen waren. Wobei Yoongi ihm auch wahrlich genug Möglichkeit gegeben hatte, ihn in allen möglichen Zuständen zu studieren. Er hatte schon relativ früh aufgegeben, irgendetwas von seinem Konsum vor seinem besten Freund zu verheimlichen.
»Warum ist Bomi hier?«, fragte Yoongi gerade heraus. Es war ihm lieber, die unangenehme Frage zu stellen, als die noch unangenehmere Stille zu ertragen.
Namjoon rümpfte die Nase und musterte ihn vorwurfsvoll. »Weil du mal wieder den Käfig und deine Zimmertür offen stehen lassen hast. Sie wäre mir beinahe durch die Balkontür abgehauen.«
Yoongi presste die Lippen aufeinander und heftete seinen Blick an den grauen Federhaufen, der gerade genüsslich an einer Walnuss nagte. »Ich war mir sicher, ich hätte zugemacht...«
»Hättest du dir den Joint vor der Arbeit gespart, hättest du dir vielleicht auch zurecht sicher sein können.«
Bomi war die beste Methode, um bei Yoongi sowas wie Reue heraufzubeschwören. Er war normalerweise gut darin, lästige Gedanken in der Hinsicht zu umschiffen, doch sein Wellensittich war sein Kryptonit. Mit nichts konnte ihm Namjoon besser vor Augen halten, welche Folgen sein verantwortungsloses Verhalten haben konnte.
Eigentlich hatte Yoongi einst zwei Vögel gehabt. Der andere, Yujin, war bereits sehr früh gestorben. Seither hatte er es nicht übers Herz gebracht, Bomi wieder einen Partner zu holen. Allem voran deswegen, weil neben Namjoon ihm auch sein Vater ständig ins Gewissen redete, dass er sich nicht mal um den einen Wellensittich genug kümmerte. Dabei ließ er sie fast den ganzen Tag frei fliegen und verbrachte relativ viel Zeit damit, dem kleinen Federhaufen einfache Tricks beizubringen. Bomi war ziemlich handzahm...leider aber auch eine kleine Zicke, die ganz schön fest zubeißen konnte. Oder seine Befehle ignorieren. So wie den Pfiff, den Yoongi gerade in ihre Richtung ausgestoßen hatte.
»Bomi! Na los, komm her.«
»Ach bitte, hat sie denn jemals –?«
»Bomi!!«
Die Wellensittich-Dame hob träge das Köpfchen, wohlwissend, dass sie gemeint war, doch mit keinerlei Ambitionen, dem Ruf zu folgen. Das tat sie meist sowieso nur dann, wenn Yoongi irgendwas Essbares in der Hand hielt oder sie mal einen besonders guten Tag hatte. Dementsprechend dauerte es keine zwei Sekunden, bis ihre Aufmerksamkeit wieder der Müsli-Schüssel zugewendet wurde.
»Hey«, schaltete sich Namjoon mit matter Stimme wieder ein. »Ich will keinen Streit mit dir, das weißt du...«
»Dann hör auf, mir ständig unterschwellige Vorwürfe zu machen. Ich hab mein Leben mehr als im Griff, okay?«
Die Mundwinkel seines besten Freunds verzogen sich unweigerlich, doch Yoongis sturer Blick brachte ihn wie immer auf zuverlässige Weise zum Einknicken. Namjoon fand selten klare Worte für das, was er ihm wohl eigentlich gerne alles sagen würde. Und Yoongi war ein Meister darin, ab diesem Punkt sein schlechtes Gewissen in die hinterste Ecke seines Kopfes zu verdrängen. Von jetzt an zählte nur noch eines: Dominanz und Standhaftigkeit.
Yoongi ging hinüber zum Tisch und wich dabei vehement Namjoons Blick aus, um diesem nicht noch mehr Anlass zu geben, ihm Vorwürfe zu machen. Immerhin sah er nach wie vor aus, als hätte ihn jemand mit einer Abrissbirne vermöbelt. Er wollte einfach nur Bomi holen, sie zurück in sein Zimmer bringen und sich dann schnellstmöglich bettfertig machen. Da hatte er aber die Rechnung ohne den letzten verbliebenen Bewohner dieser WG gemacht.
»Da ist ja der verlorene Sohn«, flötete Jin unbekümmert wie eh und je, kaum hatte er in seinem Pyjama den Raum betreten, als würde er gerade eigentlich auf eine Bühne stolzieren. Seine vom Bett zerwühlten Haare sahen so aus, als hätte ihr Chaos seine gewollte Richtigkeit. Selbst seine Augenringe wirkten, als wären sie nur eine weitere Requisite, um seine verwegene Schönheit hervorzuheben. Das hatte man eben davon, mit einem der bestaussehendsten und beliebtesten Studenten der SNU zusammenzuwohnen: Minderwertigkeitskomplexe, sieben Tage die Woche und das quasi 24 Stunden am Stück.
»Wie war die Schicht, Yoon?«, kam er direkt zur Sache. »Ein paar Freunde von mir waren heute auch im –«
Er unterbrach sich, als Yoongi mit der Hand ausrutschte und die Müsli-Schüssel erwischte. Bomi flatterte erschrocken auf, drehte laut zeternd eine Runde im Raum und landete schlussendlich hechelnd auf Yoongis Kopf.
»Ganz ehrlich, ich hoffe sie kackt dir dafür in die Haare«, schnaubte Namjoon und zog sein Frühstück wieder zu sich heran.
Yoongi brummte genervt vor sich hin und betete, dass niemand das Zittern seiner Finger bemerkte, als er Bomi von seinem Kopf holte. Er hatte fast die komplette U-Bahn-Fahrt dafür gebraucht, um den Vorfall nicht immer und immer wieder in seinen Gedanken Revue passieren zu lassen. Zu vergessen, dass Park Jimin und seine aktuelle Schnitte First-Row-Seats bei seinem heutigen Keta-Absturz gehabt hatten.
Yeji hatte ihn gerade fragen wollen, ob die Gerüchte wahr waren. Ob er wirklich seine Semesterferien auf Entzug gewesen war. Und Yoongi hatte ihr die Antwort quasi auf dem Silbertablett serviert. Dass sie Jimin danach nichts davon erzählt hatte (wenn das nicht eh schon viel früher passiert war) stand völlig außer Frage.
»Eh...ja...wie auch immer«, nahm Jin den Gesprächsfaden wieder auf. »Was ich eigentlich fragen wollte...«
Er musste eigentlich nicht fragen. Das selbstgefällige Grinsen, das er Yoongi darauf schenkte sagte bereits alles. Selbst Namjoon verstand es und brachte mit einem genervten Schnauben seine Schüssel in ihre winzige Altbau-Küche.
»Hab nicht mehr viel da«, murmelte Yoongi. »Muss erst wieder was bei Tae holen.«
»Aber für unseren traditionellen Sonntagmorgen-Joint wird es ja noch reichen, oder?«
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Der Rauch kringelte sich stetig im Licht der morgendlichen Sonnenstrahlen, die mitunter auch das rostige Geländer und den dreckigen grünen Rollteppich in voller Pracht hervorhoben. Es war den drei Jungs nur mühsam gelungen, das Bild mit zwei nicht zueinander passenden Klappstühlen und einem wackeligen Tisch aufzupeppen, auf den Jin irgendwann einmal eine hässliche Solarlampe in Form eines Golden Retrievers gestellt hatte. (Das Ding leuchtete durch seine übergroßen Augen und Yoongi musste jeden Abend dem Drang widerstehen, es die fünf Stockwerke hinabzuwerfen.)
Alles in allem war es okay. Nicht sonderlich bequem, aber trotzdem irgendwie zuhause. Yoongi hatte schon einige schöne Abende hier verbracht. Und er träumte davon, irgendwann Bomi soweit zu trainieren, dass er sie hier draußen ein wenig fliegen lassen konnte. Besonders jetzt tat er dies wieder, wo der Joint, den er für Jin und sich gerollt hatte, voll und ganz seine Sinne vernebelte.
»Hast du den anderen was erzählt?«, wagte es Yoongi mit seiner neugewonnenen Sorglosigkeit zu fragen. »Du weißt schon...wegen der Party...und Busan und so...«
Jin, der gerade einen zu tiefen Zug vom Glimmstängel genommen hatte, hustete ein wenig. Er rauchte nicht besonders oft. Nur am Wochenende und dann schnorrte er sich auch nur bei Yoongi durch. Sie hatten auch schon mal die ein oder andere Nase zusammen gezogen oder Pille geteilt. Aber Jin hatte es zu seinem Glück bisher nicht zu seinem Alltag werden lassen. Genauso nahm er das Thema aber leider auch nicht wirklich ernst – ein Umstand, für den ihn Namjoon vielleicht noch irgendwann im Schlaf erdrosseln würde.
»Ich hab – boah, fuck, ist das stark... Ich hab ihnen gesagt, du hast nur deine Tante besucht...was ja auch irgendwie der Wahrheit entspricht, ne?«
Solange man davon absah, dass Yoongis Tante Heilpraktikerin war und mit ihm ein intensives »Entgiftungsprogramm« durchgezogen hatte, stimmte das sogar tatsächlich. Ein echter Entzug hätte einen Prozess mit sich gezogen – immerhin war hier in Südkorea selbst der Konsum von Betäubungsmitteln strafbar. Und ein Eintrag in Yoongis Polizeiakte hätte ebenso bedeutet, dass er wahrscheinlich seinen Studienplatz verloren hätte. Er war bisher erfolgreich unter dem Radar gefahren. Leider gab er momentan nicht gerade sein Bestes, dass dies auch so blieb.
»Hast du sie etwa getroffen und sie haben was anderes erzählt?«, fragte Jin mit einem seltsamen Unterton.
Yoongi antwortete ihm mit einem Schulterzucken.
Jin kaute ein wenig auf seiner Lippe herum. »Ach, mach dir nichts draus... Ich klär das schon noch. War ja sowieso klar, dass wieder irgendwer Scheiße labert, obwohl auf dieser Party eigentlich so viele was geschmissen haben. Ich meine, schau mich an... Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern.«
Jin lachte halbherzig auf und nahm einen weiteren Zug, welcher aber dennoch in einem erneuten Hustenanfall endete. In demütiger Kapitulation gab er den Joint an Yoongi zurück. Dieser starrte nur weiter nachdenklich auf die gegenüberliegende Backsteinhauswand. Eigentlich war es ihm wirklich egal, was Jins Freunde über ihn dachten. Nur Jimin, verdammt...
Yoongi versuchte sich einzureden, dass das Problem bei seinem Ego lag. Dass er nicht zulassen wollte, dass sein neuer Mitstudent ihn als das sah, was er wirklich war. Er wollte weiterhin als unauffällige Schattengestalt neben ihm existieren und ihn aus der Ferne begaff– ...nein, das wollte er doch eigentlich sein lassen. Egal. Jedenfalls versuchte Yoongi bestmöglich, es darauf zu schieben. Ganz sicher nicht auf den Fakt, dass Jimins Anwesenheit abnormales Herzrasen und unschickliche Gedanken in ihm hervorriefen.
»Sag's ihnen vielleicht nochmal... Kein Bock, dass der Neue da jetzt auch noch denkt, ich wäre ein Junkie.«
Was er ja natürlich nicht war...
Jin drehte ihm überrascht den Kopf zu. »Ach, du hast Jimin schon kennengelernt?«
Nun lag es Yoongi, sich fast am Rauch zu verschlucken. »Ich...ahem...nur flüchtig...«
Jin wusste nichts von seinen sexuellen Präferenzen und das sollte auch eigentlich so bleiben. Nicht, dass er ihm nicht vertraute, aber es war kein Thema, mit dem Yoongi hausierte. Kein Thema, mit dem man in einem Land wie diesem überhaupt hausieren sollte, wenn man schon genug andere Probleme hatte.
So blind wie Jin für seine Sexualität war, wäre es Yoongi ab diesem Punkt vielleicht sogar gelungen, ein paar interessante Fakten aus seinem Mitbewohner zu quetschen. Allerdings wurde das Gespräch vom Rascheln des Bastvorhangs unterbrochen. Namjoon war auf dem Balkon aufgetaucht. Etwas, was er sonst nie tat, wenn er genau wusste, dass hier gerade gekifft wurde.
»Ehm...«, begann er an Yoongi gewandt. »Ich weiß, ich bin wahrscheinlich der dümmste Vollidiot, dir das zu sagen, aber...dein Vater hat mir geschrieben.«
Yoongis Herz setzte ein paar Schläge aus. Es gelang ihm nur bedingt, die erste Panik herunterzuschlucken und Namjoons vorwurfsvollem Blick zu begegnen.
»Wieso schreibt dir mein Dad an einem Sonntagmorgen?«
Namjoon biss sich auf die Unterlippe. Der Kampf seiner Moralvorstellungen und der Loyalität zu seinem besten Freund zeichnete sich an seinem ganzen Körper ab. Eigentlich musste er gar nicht mehr erzählen, was in der Nachricht gestanden hatte. Yoongi wusste es bereits. Und beide wussten sie, was nun passieren würde.
»Er ist auf dem Weg hierher und wollte zumindest mich vorwarnen... Klingt so, als würde er das mit den Drogentests echt durchziehen wollen.«
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☽ 𝐚𝐮𝐭𝐡𝐨𝐫'𝐬 𝐧𝐨𝐭𝐞 ☾
Oh man... Ich möchte hier nochmal fett anmerken, dass ich Yoongi gerne für die Haltung seines Wellensittichs an die Wand klatschen möchte XD Es tut mir wirklich immer im Herzen weh, wenn ich sehe, dass jemand Einzelhaltung von Vögeln betreibt – ein Glück ist es hierzulande bei den meisten Arten sogar verboten. In der Story ist es leider relevant für den Plot.
Wie findet ihr die Einführung bisher? Eure Meinung zu Yoongi und seinem Charakter? Natürlich würde mich auch brennend interessieren, wie ihr die Vorstellung der bisher erschienen anderen Members fandet o.o
Vorerst wird es hierzu keine regelmäßigen bzw. sehr langsame Updates geben. Wenn ihr up to date bleiben wollt, folgt mir auf meinem Instagram dreizehn_fiction :)
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