Kapitel 23

"Hey."

"Hey."

"Lange nicht gesehen." Ein sanftes Lächeln.

"Scheint so."

Stille.

"Es ist schön dich zu sehen.", sagte Chan schließlich. Er lächelte mich wieder an. "Darf ich reinkommen?"

Schnell ging ich einen Schritt zur Seite und ließ ihn herein. Gemeinsam gingen wir schweigend in mein Zimmer.
Gestern hatte er mir sofort geantwortet und so kam es, dass er pünktlich vor meiner Tür stand.
Er folgte mir und schloss die Zimmertür hinter sich. Ich lehnte mich an meine Fensterbank und sah auf das Parkett auf meinen Boden. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ihm schien es ähnlich zu gehen.

Chan kam langsam näher und lehnte sich neben mich an die Fensterbank. Unsere Schultern berührten sich leicht.

"Wie geht es dir?", brach er die Stille. Der Klang seiner Stimme, sagte mir, dass er die Frage nicht einfach nur so gestellt hatte.
Kurz schwieg ich noch.

"Gut."

"Wirklich?" Ich spürte seinen Blick von der Seite auf mir und sah zu ihm hoch.

"Wirklich.", sagte ich und meinte es jedenfalls für den Moment auch so. Es ging mir besser, als vor einer Woche aber die Stille in mir drückte immer noch schwer auf meinen Körper.

"Ich dachte schon, es wär etwas passiert.", sagte er leise und schaute mich dabei immer noch an. "Du hast so lange nicht geantwortet."
Wieder schwieg ich.
"Jedenfalls bin ich froh, dass es dir gut geht."

Erneut richtete ich meinen Blick auf ihn, den ich zwischenzeitlich abgewandt hatte und lächelte leicht. Seine Worte berührten mich. Sie wahren ehrlich, er hatte sich wirklich Sorgen gemacht, das sah man ihm an.

Wir sahen wieder weg.

"Also? Sollen wir weiterarbeiten?", fragte ich nach ein paar Minuten Stille.

"Lass uns anfangen.", erwiederte er begeistert und klatschte in die Hände. Schlagartig änderte sich seine Ausstrahlung. Chan wirkte wieder fröhlich und voller Tatendrang als er sich an meinem Schreibtisch niederlies und seine Unterlagen raussuchte.
"Kommst du?" Auffordernd sah er zu mir. Aufeinmal wirkte er wie ein kleiner Junge, der mich mit großen Hundeaugen ansah, als würde er mich gleich fragen, wann wir endlich auf den Spielplatz gehen würden. Dieser Anblick ließ mich schmunzeln.

Die Aufgaben waren schnell erledigt und der Vortrag fertig. Den Großteil hatten wir das letzte Mal schon erledigt. Erleichtert lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück.

"Jetzt müssen wir es also nur noch vortragen.", meinte er, während er sein Schulzeug wieder in seinem Rucksack verstaute.
"Das ist ein Problem für mein Zukunfts-Ich.", antwortete ich darauf. "Kaffee?" Fragend sah ich ihn an.

Er nickte nur und stand auf.

Zurück in meinem Zimmer, nach einem kurzem Kampf mit der Kaffeemaschine und meinem Vater, der mich deswegen auslachte und dann auch einen Kaffee wollte, saßen wir nun, jeder mit einer dampfenden Tasse in der Hand, auf meiner Fensterbank. Genüsslich sog ich den herrlichen Duft ein, der meinen Kopf sofort entspannte und sah aus dem Fenster auf die Straße. Chan saß mir gegenüber unf musterte mich.

"Darf ich dich etwas fragen?", brach er die angenehme Stille.

"Hm?", war alles was ich sagen konnte, da ich gerade einen großen Schluck von meinem Kaffee genommen hatte.

Er zögerte kurz, schien so, als wäre er sich nicht sicher, ob er wirklich nachfragen sollte. Schlussendlich ring er sich doch die Frage ab.

"Wer ist der Junge auf den Bildern im Flur?"

Ich stockte, blinzelte, sah ihn an, blinzelte wieder.

"Der Junge. Er ist auf vielen Bildern mit dir drauf und auch auf dem Bild auf deinem Nachttisch aber ich habe ihn noch nie gesehen.", fügte er hinzu.

Immer noch sah ich ihn an, dann wieder aus dem Fenster. Das angenehme Gefühl, das ich bis eben noch hatte war schlagartig verschwunden und musste der Leere weichen.

"Mein Bruder", sagte ich dann leise, den Blick immer noch auf die Straße gerichtet. Meine Finger schlossen sich stärker um die Tasse in meiner Hand, als würde sie mir irgendwie den Halt geben, den ich suchte, um diese Frage beantworten zu können. "Er wohnt nicht mehr hier."

Mehr konnte ich nicht sagen. Mehr wollte ich ihm nicht erzählen. Er musste nicht mein ganzes Leid kennen. Er musste nicht wissen, was passiert war. Er musste nicht wissen, warum er auch nie wieder hier sein würde. Nichts davon musste er wissen.

"Ah."

Ein Auto fuhr auf der Straße entlang.

"Du hast nie erzählt, dass du einen Bruder hast."

Ich seufzte, nahm noch einen Schluck aus der Tasse, sah schließlich zu ihm und versuchte zu lächeln. "Du hast nie gefragt."

Meine Augen verrieten mich. Ich wusste, dass er merkte, dass etwas nicht stimmte. Er sah mir so durchdringend in die Augen, als wollte er aus ihnen lesen können, was es genau war. Lange konnte ich seinem Blick nicht standhalten.

"Und was macht er jetzt so?", fragte Chan vorsichtig weiter. "Auf den Bildern wirkt es so, als würdet ihr euch sehr nahe stehen."

"Ja" Das Wort entwich meinen Lippen eher gehaucht als gesprochen. "Ja.", wiederholte ich. Meine Augen fingen an verdächtig zu brennen und mit aller Kraft versuchte ich zu verhindern, dass meine Tränen entkommen konnten.

Chan sah mich immer noch an, fragte aber nicht weiter nach. Er schien zu merken, dass er jetzt besser nicht auf dem Thema beharren sollte auch wenn er das wollte. Er wollte wissen, was es damit auf sich hatte. Er sah mich an, mit so vielen Fragen, die ihm ins Gesicht geschrieben waren aber keine wurde ausgesprochen.

Und dafür war ich ihm sehr dankbar.

Ich konnte nicht über darüber reden. Noch nicht.

Und er gab mir mit seinem Schweigen zu verstehen, dass er mich nicht drängen würde.

Ich sah in meinen halbleeren Kaffe, der langsam kalt wurde. Kalter Kaffee schmeckte nie.

Es war Dienstag und wie immer saß ich nach der Schule im Café. Ich wartete auf ihn, er musste noch etwas erledigen und kam später. Die Tasse, die vor mir auf dem Tisch stand hatte schon lange ihre Wärme verloren. Ich war zu sehr in Gedanken versunken und hatte vergessen, dass ich noch Kaffee hatte.
Die letzten Tag waren merkwürdig. In der Luft lag etwas Unheilvolles. Ein dunkler Schatten, der nicht verschwand. Und niemand sagte mir, was vor sich ging.
Alle spielten mir etwas vor. Ich bemerkte, dass sie nicht so glücklich waren, wie sie es vorgaben. Aber den Grund kannte ich nicht. Es war beengend, zu wissen, dass es etwas gab, das nichts Gutes heißen konnte, ich aber nicht wusste was es war.
"Entschuldigung, hast du lange gewartet?" Mein Blick schreckte hoch und ich sah in sein Gesicht. Es war blass und sah gestresst aus. Er hatte tiefere Augenringe als normalerweise. Und doch lächelte er mich an.
So wie immer.
"Ein bisschen." Ich lächelte zurück. "Mein Kaffee ist schon kalt.", bemerkte ich. "Gib ihn mir, ich hole dir einen neuen." Er wusste, dass ich kalten Kaffee hasste. Er selbst mochte es auch nicht wirklich aber er tat so, als würde es ihn nicht stören.
"Danke.", sagte ich, als ich eine neue dampfende Tasse in der Hand hielt. "Für dich doch immer.", grinste er, nahm einen Schluck vom kalten Kaffee und verzog ein wenig das Gesicht. Kichernd sah ich ihn an und fing an von meinem Tag zu erzählen, während er mir aufmerksam zuhörte.
So saßen wir im Café und alles wirkte wie immer.
Als er seinen Geldbeutel zum Bezahlen aus dem Rucksack nahm, viel mir ein Bogen Papier auf. Es war Notenpapier, die ersten Zeilen beschrieben.
"Was sind das für Noten?", neugierig deute ich auf die Blätter. Er folgte meinem Blick und ich bildete mir ein, ein Schatten huschte über seine Augen. Nur für einen kurzen Augenblick, dann lächelte er wieder.
"Das verrate ich dir nicht."

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