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Remus P.o.v

Ich lauschte geduldig dem Kratzen der Feder, während ich wartete und den Raum um mich betrachtete. Ich war fest davon überzeugt gewesen, dass ich diesen Platz für eine sehr lange Zeit nicht mehr betreten würde, und doch war ich wieder hier und spürte die Blicke der Portraits, die mich misstrauisch beäugten. Ich versuchte nicht zu zeigen, wie unbehaglich ich mich fühlte und ließ meinen Blick über die vielen alten Bücher schweifen, bis hin zu dem alten, zerknautschten Hut.
Der sprechende Hut. Wie anders wäre wohl meine Welt und ich geworden, wenn er mich nicht nach Gryffindor geschickt hätte?
Ich hätte mich nicht mit James, Peter, Lily und Sirius befreundet und vermutlich hätte ich mich nicht in den Letzteren verliebt. ObwohlManchmal fühlte es sich so an, als hätte ich Sirius sowieso geliebt, egal in welcher Konstellation und in welchem Universum wir uns befanden. Ich schloss kurz schmerzerfüllt die Augen. Egal wie oft ich versuchte, die vier aus meinen Gedanken zu vertreiben, schaffte ich es einfach nicht.
Sie waren überall. Ich sah Lily in der rothaarigen Frau, die vor mir an der Kasse stand. Ich sah James in dem Vater, der sein Kind auf der Schaukel anschubste und Sirius, Sirius war einfach ständig in meinen Gedanken vertreten.
Wenn ich einschlief und er lag nicht neben mir.
Wenn ich aufwachte und das Bild auf meinem Nachttisch sah, welches ich einfach nicht wegschmeißen konnte. Morgen, mittags, abends war das einzige woran ich denken konnte Sirius.

Ehe ich schon wieder in Tränen ausbrechen konnte, räusperte sich Dumbledore und schaute mich durch seine goldene, randlose Brille freundlich an.
"Nun, weshalb sind sie hier, Remus?"
Ich richtete mich ein wenig auf und schilderte ihm meine Situation so ruhig und gefasst wie möglich.
"Ich brauche ihre Hilfe. Ich bin davon überzeugt, dass Ta- Sirius unschuldig ist.", Dumbledore stutzte merklich und hob eine Augenbraue, "aber wie wir beide wissen, wird das Ministerium keinem Werwolf trauen. Deswegen brauche ich sie als Unterstützung. Zusammen könnten wir vielleicht seine Freilassung beatragen.", schloss ich und wartete auf seine Antwort.
Dumbledore seufzte und betrachtete mich mit einem Blick, der mein Herz vor Frustration überlaufen ließ.
"Ich würde ihnen ja gerne glauben, aber ihr Wort steht gegen das zahlreicher Augenzeugen und Untersuchungen am Tatort. Zudem hat Sirius sich nie verteidigt. Sie verstehen bestimmt, dass ich da nicht sofort Feuer und Flamme bin."
"Als ich ihn besucht habe-Ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber er war komplett er selbst, Albus. Die Dementoren schienen ihn gar nicht zu stören. Das hat mich natürlich misstrauisch gemacht, also habe ich recherchiert und mehrere Berichte gefunden, von Insassen, bei denen später festgestellt wurde, dass sie unschuldig waren, und alle haben gesagt, dass durch die Tatsache, dass sie wussten, dass sie unschuldig sind, die Dementoren sie nicht so sehr bedrückt haben. Außerdem stimmt irgendwas an dem Tathergang nicht.", unbewusst hatte ich angefangen im Zimmer hin und her zu gehen. Ich hatte jegliche Ruhe verloren und redete nun fast schon verzweifelt auf Dumbledore ein.
"Vielleicht wolle Sirius Peter umbringen, das kann gut sein. James war die wichtigste Person in seinem Leben und als er von seinem Tot erfuhr Jedenfalls kann ich mir gut vorstellen, dass er durchaus ein wenig durchgedreht ist. Aber egal wie schlecht es ihm auch ging, er würde niemals Muggel in Gefahr bringen oder sogar töten. Niemals. Ich kenne Sirius und dieser Tatvorgang passt nicht zu ihm."
Dumbledore ließ sein Kinn auf seinen verschränkten Händen ruhen und blickte mich wortlos an.
"Sie wissen, dass ich ihnen nicht helfen kann, Remus. Ich würde gerne, aber es sind keine Beweise für seine Unschuld aufweisbar und ich kann nicht mit ein paar Studien beim Zaubereiminister auftauchen und die Freilassung einer ihrer populärsten Insassen beantragen. "
Ungewollt stiegen mir aus Frustration und Verzweiflung die Tränen in die Augen und ich machte einen Schritt auf seinen Schreibtisch zu. Ich schluckte schwer und meine Stimme klang brüchig, als ich sprach, nein, bettelte: "Bitte Albus, ich bitte sie, versuchen sie es wenigstens. Ich drehe durch ohne ihn. Ich glaube ich werde verrückt. Ich höre ihn, und Lily und James, ich höre wie sie mit mir reden, aber es kommt nichts an, verstehen sie? Ich brauche Sirius in meinem Leben. Ohne ihn schaffe ich es nicht. Ich weiß nicht wie ich auch nur noch einen Tag so weiter machen soll." Meine Hände verkrampften sich im Stoff meines Umhangs und mit inzwischen tränennassen Wangen betrachte ich das dunkle Holz des Schreibtisches.
Noch nie hatte ich mich so erniedrigt gefühlt.
Dumbledores blick wurde auf einmal weich, sanfter als ich ihn je erlebt hatte. Er fühlte sich fast schon greifbar an, wie eine Umarmung von einem Freund, in die ich mich für immer sinken lassen wollte. Ich schöpfte ein wenig Hoffnung und wartete sehnsüchtig auf seine Antwort, die mir vielleicht Tatze und damit ein Teil meines Zuhauses zurückbringen würde.
"Glauben sie mir, ich weiß wie es sich anfühlt, jemanden zu verlieren. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es bald nicht mehr so weh tut, denn das wird es immer. Aber es wird leichter, den Schmerz zu ertragen."
Ich brauchte ein paar Momente, ehe die Nachricht zu mir durchsickerte. Doch als ich verstand was er mir damit sagen wollte, stieg Wut in mir hoch, so heftig und schnell, dass ich fühlte wie mein ganzes Gesicht rot wurde und mein Brustkorb sich heftig hob und senkte. Mein ganzer Körper zitterte, als ich mich aufrichtete und ihn mit blitzenden Augen anzischte: "Sagen sie mir nicht, wie ich zu fühlen habe. Ich bezweifle, dass sie jemals ihre drei besten Freunde inklusive der Person, die sie lieben auf einmal verloren haben. Und jetzt nehmen sie mir die Chance, wenigstens einer diesen Menschen wieder in meinem Leben zu haben, weil es ihnen nicht in den Kram passt? Denken sie, dass ich ihre Methoden nicht durchschaut habe? Sie benutzen die Menschen bloß für ihre Absichten. Die mögen vielleicht gut sein, doch das heißt nicht, dass es ihren Charakter besser macht. Sie haben sich bei Sirius nur gemeldet, wenn sie ihn gebraucht haben, haben ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, in lebensgefährliche Situationen gebracht und haben es mir überlassen, ihn danach wieder zusammenzuflicken. Und natürlich ist er ihnen gefolgt, wie alle anderen auch, wie ich auch. Wir dachten das wäre das beste und vielleicht war es das auch. Das macht sie jedoch nicht weniger zu einem egoistischen, eigennützigen und manipulativen Menschen. Sie widern mich an, Dumbledore."
Ich spuckte diese Worte aus, wartete auf das Gefühl der Reue, welches meistens direkt danach einsetzte, doch es kam nicht und ich merkte, dass ich jedes einzelne Wort so gemeint hatte.
Ich war so wütend, dass ich am liebsten alles kurz und klein geschlagen hätte, ihn zuerst.
Es fühlte sich an, als würde ich vor Wut regelrecht glühen, als wäre ich ein Fegefeuer, meine Wangen brannten und vermutlich würde alles, was ich jetzt anfasste, in Flammen aufgehen.
Es war kein schönes Gefühl. Ich fühlte mich eklig, gefährlich und doch, die Stimme in mir schrie und schrie, verlangte nach Rache und einer Welt in Flammen.
Sein ruhiger Blick brachte mich nur noch mehr in Rage und ich wandte mich auf dem Absatz um und rauschte aus dem Büro, ohne ein weiteres Wort, ohne seine Antwort abzuwarten. Ich stürmte durch die Gänge, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen vergraben, weg von der Wut und seinem weichen Blick, weg von all dem hier, diesem Ort, der mich auf jeder Ebene aufwühlte.
Ich betrachtete den Boden unter mir, denn alles andere brachte nur Erinnerungen zurück, an Tage, die ich damals nicht genug wertgeschätzt hatte und mir vor Augen führten, was ich verloren hatte. Jede Wand, jede Nische kannte ich auswendig, wir hatten sie genauestens studiert, als wir die Karte des Rumtreibers erstellten. Ich war mir sicher, dass niemand dieses Schloss so gut kannte wie die Rumtreiber. Die Karte war unser Erbe, unser größter Stolz gewesen und war es immer noch, auch wenn nur noch einer übrig war. Und gerade, weil sie unser Erbe war, hatte ich beschlossen, sie dort zu lassen, wo es auch etwas wert sein würde.

Der, im Nachhinein sehr unerfreuliche, Besuch bei Dumbledore war die perfekte Möglichkeit gewesen.
Ich bog ab, meine Füße fanden den Weg von allein, da ich ihn schon viel zu oft gegangen war, meist in Begleitung in mindestens einer der anderen Rumtreiber. Vorsichtig horchte ich an der Tür und hoffte, betete, dass er nicht da sein würde. Dann belegte ich mich selbst mit einem Desillusionierungszauber und öffnete die Tür.
Filch hatte seine Tür immer mit einem bestimmten Zauber verschlossen, doch wir knackten den Code schon in der fünften. Wer konnte es uns verübeln? Wir waren jung, ungeduldig, schlauer als es uns guttat und vollgepumpt mit Testosteron, was uns einige dumme Entscheidungen treffen ließ. Diese hier war jedoch einer der Besseren.
Auf Zehenspitzen lief ich durch den dunklen Raum. Mit einem geflüsterten Lumos erhellte ich ihn minimal, um mir einen Überblick zu verschaffen. Mit einem Schmunzeln, das erste seit Langem, stellte ich fest, dass sich nichts verändert hatte. Schnurstracks lief ich zu seinen unzähligen Schubladen, nur um abrupt innezuhalten.
Eigentlich wollte ich die Karte in einer unserer Schubladen legen, die Rumtreiber gehörten zu dem Kreis der Ehrwürdigen, die jeweils eine eigene Schublade hatten, jedoch stellte ich fest, dass ich das nicht schaffen würde. Allein der Gedanke, dass ich unsere Namen auf den Berichten sehen würde, die alle unsere, mal mehr, mal weniger, genialen Streiche dokumentierten, breitete mir Übelkeit. Ich wollte so wenig zeit wie möglich mit diesen Erinnerungen verbringen.
Also drehte ich mich um und legte das Pergament auf den Schreibtisch, schlich mich wieder hinaus und schloss sorgfältig die Tür hinter mir.
Einmal hatte Sirius es vergessen und er hätte fast herausgefunden, dass wir diejenigen gewesen waren, die sein heiliges Reich ohne Erlaubnis betreten hatten. Jedoch kamen wir noch glimpflich davon, auch wenn er uns noch lange in Verdacht hatte. Natürlich erzählten wir James und Peter nicht, dass er es nur vergessen hatte, weil wir ein wenig zu sehr miteinander beschäftigt waren, um auf andere Lappalien wie Schlösser zu achten.
Mein Herz zog sich, mal wieder, schmerzhaft zusammen und ich seufzte. Würde es jemals aufhören wehzutun, wenn ich an ihn dachte? Vermutlich nicht.
Ich machte mich auf den Weg nach Hogsmeade, damit ich diesen Ort so schnell wie möglich verlassen konnte, denn auf einmal fühlte ich, wie eine Art unbestimmte Panik mich überkam.
Es fühlte sich an, als würde sich dieser Ort mit all den Erinnerungen verzweifelt an mich klammern, während ich versuchte, mich aus seinen klebrigen Fängen zu befreien. Es nahm mir den Atem, es schien als würden die steinernen Wände immer näher Rücken und sich unsichtbare Fäden um meinen Brustkorb wickeln, um mir die Luft abzuschnüren.

Mit jedem Schritt mehr wurde mir klarer, dass ich so nicht mehr weitermachen konnte.
Ich musste lernen, wieder zu Atmen, nein, ich wollte lernen wieder zu atmen. Ich hatte den Kopf lang genug unter Wasser gehabt. Es war Zeit, schwimmen zu lernen. Auch wenn das hieß, dass ich einen Schlussstrich ziehen musste, zwischen mir und meiner Vergangenheit.
Tief in mir spürte ich, wie wichtig dieser Abschluss für mich und meine Zukunft war. Und vielleicht hatte mein Unterbewusstsein es auch schon geahnt, weshalb ich beschlossen hatte, die Karte hier zu verstecken.
Ich betrachtete die letzten Wochen wie ein Film und bemerkte, dass ich schon vor einiger Zeit angefangen hatte, zumindest ein wenig loszulassen. Es fing damit an, dass es sich nicht mehr so anfühlte, als wäre jeder weiterer Atemzug ein Verrat an alles, was ich verloren hatte und hörte damit auf, dass ich nicht mehr Tag und Nacht Sirius Pullis trug.
Würde ich je wie früher werden? Auf keinen Fall. Kein Mensch erlebt so viel und bleibt der Gleiche. All der Schmerz, die Wut und die Verzweiflung hatten Narben hinterlassen, die für immer bleiben würden. Nie wieder würde ich so unbeschwert sein, so leichtmütig und schlagfertig.
Doch vor meinem inneren Auge erschien ein anderer Remus, einer, der nicht mal so weit von dem derzeitigen Original entfernt war.
Ein Remus, der mit allem umgehen konnte, was das Leben ihm vor die Füße warf.
Einer, der es überlebte, dass er alles verloren hatte, was ihm lieb und teuer war, einer der sich aus der Asche erhob, wie ein Phönix. Und ich wusste, wenn ich nur genügend Abstand zwischen mir und meiner Vergangenheit brachte, konnte ich es schaffen.
Ich drehte mich ein letztes Mal zum Schloss um und betrachtete dieses prachtvolle Gebäude mit Wehmut. Es war Zeit, Abschied zu nehmen.
Dann lächelte ich grimmig und drehte mich um, um durch das immergrüne Gras hinein in einen neuen Lebensabschnitt zu stapfen.

Ich werde das alles überleben, und wenn es mich mein derzeitiges Leben kostet. Wirst du das auch, Sirius?

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