Kapitel 1
Es war einmal eine junge Frau
─━━━━━━⊱✿⊰━━━━━━─
2 Jahre später
Die Räder des Zuges rollen laut auf den Gleisen und Menschen bahnen sich ihre Wege durch den kleinen Bahnhof.
Es ist ein warmer Tag im chaotischen September, welcher nur zu gern mit dem Wetter spielt wie der sanfte Wind mit meinen Haaren. Die Sonne scheint wohltuend auf mich herab und säumt mein Gesicht mit sanfter Wärme.
Eine leichte Brise weht durch den kleinen Ort und zieht eine Frische mit sich, welche mich dazu bringt, den Reißverschluss meiner Jacke höher zu ziehen. Auch wenn die Temperaturen bei ungefähr fünfzehn Grad liegen, so schmiegt sich die Jacke angenehm an meine Haut und wärmt mich.
Das Gurren von Tauben ist zu hören und wie sie wild mit den Flügeln schlagen. Sie mischen sich unter die Menschen und gleichzeitig bewahren sie einen Abstand zu ihnen. Manche von ihnen suchen nach Essen, andere wiederum streiten sich und manche sehen sich einfach nur um.
Ich tue es ihnen gleich und lasse meinen Blick durch die Menge schweifen. Seit ich das letzte Mal vor fünf Jahren hier gewesen bin, hat sich nicht viel verändert. Die Mülleimer sind noch genauso rostig, wie ich sie in Erinnerung habe und die alten Laternen, welche sich aneinander reihen, stehen in schwarzer Lackierung an den Seiten des Bahnhofes. Sogar die bereits in die Jahre gekommene Bank, auf welcher gerade ein älteres Pärchen sitzt, steht noch an ihrem Platz.
Lediglich ist ein Getränkeautomat aufgebaut worden, der mit Abstand zu den Gleisen steht. Meine Lippen formen ein leichtes Lächeln und ein Gefühl von Vertrautheit breitet sich prickelnd in mir aus.
Ich betrete die kleine Halle, in welcher mehr Bänke stehen und Menschen auf ihren Zug warten. Ein Bäcker steht seitlich am Eingang und verkauft seine Ware, deren leckerer Duft das Gebäude erfüllt.
,,Margret, da bist du ja!" Mein Vater tritt aus der Menge hervor und zieht mich in eine herzliche Umarmung, als er bei mir angekommen ist. Der Duft von seinem Parfüm steigt mir in die Nase und auch jene Sache hat sich nicht verändert. Er trägt jeden Tag dasselbe Parfüm auf.
Erfreut schließe ich meine Arme um ihn und genieße die Nähe, welche ich vermisst habe. Das letzte Mal habe ich ihn vor zwei Jahren gesehen. Ich erinnere mich noch an sein besorgtes Gesicht, als er mich im Krankenhaus besucht hat. Es ist eine schwierige Zeit gewesen.
Ich löse mich aus seiner Umarmung und betrachte seine strahlende Miene. Die dunklen Augen, welche meinen gleichen, glänzen vor Freude und sein Mund zeigt ein breites Grinsen.
,,Ich möchte alles wissen! Wie deine letzten zwei Jahre waren, dein Abschluss, und oh, das Kleid vom Prom sah wunderschön an dir aus", spricht er schnell und ich lache amüsiert.
,,Sobald wir im Auto sind, fange ich bei Kapitel eins an", antworte ich ihm lachend, woraufhin er mir meine beiden Koffer abnimmt und mit einem Lächeln voraus läuft. Vereinzelte Blätter tanzen im Wind.
Wir treten durch die Tür, welche aus Holz gebaut ist und überqueren die kleine Straße, bis wir vor einem blauen Pickup stehen bleiben. Den Wagen habe ich bisher noch nicht gesehen, aber ich kann mich daran erinnern, dass mir mein Vater vor längerer Zeit von einem neuen Auto erzählt hat, welches er sich kaufen möchte. Das hier muss es sein.
Er hievt die zwei schweren Koffer nacheinander auf die Ladefläche, die mit einem dumpfen Geräusch auf dem Metall aufkommen und wendet sich dann mir zu.
,,Deine Tasche kannst du einfach auf die Rücksitze legen", sagt er lächelnd und geht zur Fahrerseite des Autos. Ich laufe auf die andere Seite des Wagens und lege die Tasche auf die hinteren Sitze, dann steige ich vorne auf dem Beifahrersitz ein. Ich lege den Gurt an und mein Vater startet den Wagen, dann fährt er los.
Der Herbst beginnt, seine Farben in der kleinen Stadt Washingtons zu verteilen, als würde er Pinsel und Farbe zücken und wie ein Künstler sein Werk an den verschiedensten Orten auf der Welt verrichten.
Bäume und Häuser ziehen an uns vorbei und je länger wir fahren, desto mehr verschwinden die modernen Häuser und stattdessen breitet sich eine ländliche Gegend mit Farmen und Seen aus. Feldwege ziehen sich durch die Wiesen und Wälder und Getreidefelder stehen in einem leuchtenden Gold zu unseren Seiten. Es erstreckt sich vor uns eine pittoreske Landschaft mit all ihrer Schönheit.
,,Also, wie war deine Fahrt?" Der Blick meines Vaters wendet sich kurz zu mir, dann wieder zur Straße vor ihm.
,,Angenehm für die vielen Gäste, aber sehr lang."
Meine Reise hat mich von Vancouver nach Westborne gebracht, eine kleine Stadt, in welcher ich fortan zur Universität gehen würde. Eigentlich habe ich mich früher immer an einer renommierten Universität gesehen wie Princeton oder Harvard. Jenen Plan habe ich jedoch schon lange verworfen.
,,An deiner Uni gibt es einen Thater-Club. Jedes Jahr führen sie im Winter und Sommer etwas auf, vielleicht machst du da ja mal mit." Seine Augen glänzen. Ein wenig Aufregung und ein wenig Freude, beides ist dabei.
Früher habe ich sehr oft an Theaterprojekten teilgenommen. Das muss wohl der Grund sein, weshalb er es erwähnt. Ich lächle ihn an.
,,Ja, vielleicht. Ich bin gespannt auf den Studiengang." Er nickt eifrig.
,,Medizin ist eine hervorragende Entscheidung von dir. Die Intelligenz hast du von mir.", scherzt er und ich muss lachen.
Ich reibe meine Hände aneinander, woraufhin er die Sitzheizung einschält. Dankend sehe ich ihn an. Mein Blick bleibt an Pferden hängen, die auf einer Wiese Gras fressen und den Sonnenuntergang genießen.
Mein Vater hat früher einmal ebenso Pferde auf seinem Grundstück verpflegt, aber vor zwei Jahren hat er die meisten seiner Tiere an andere mit geeigneten Behausungen abgegeben. Sie haben ihm zu viel Zeit genommen. Jedenfalls hat er das gesagt.
,,Ich kümmere mich jetzt um Enten. Am Teich habe ich ihnen eine kleine Holzkiste gebaut. Da schlafen sie."
,,Seit wann hast du sie?"
,,Seit fünf Monaten. Waren noch Babys, als ich sie gekauft habe." Von Pferden zu Enten. Ich schmunzle über die Veränderung.
,,Was ist aus Star geworden?"
Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, dass ich dem Fohlen einen Namen gegeben habe, da der Fleck auf seiner Stirn wie ein kleiner Stern ausgesehen hat. Das ist jetzt fünf Jahre her und obwohl ich es habe aufwachsen sehen wollen, bin ich wieder vom Hof gegangen. Das ist das letzte Mal gewesen, dass ich das Fohlen gesehen habe.
,,Hab es an die Kerrigans verkauft. Ihre Tochter wollte ihr eigenes Pferd." Der Name sagt mir nichts. Ich habe wohl so Manches in den vergangenen Jahren verpasst. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich viel verpasst, vor allem die Zeit mit meinem Vater. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, den ich schnell hinunterschlucke. Es würde mir nicht noch einmal passieren.
,,Aber jetzt erzähl mir von den letzten zwei Jahren."
Und so fange ich bei der elften Klasse an, wie ich mich durch die letzten zwei Schuljahre gewälzt habe und wie mein Prom gewesen ist. Letzteres lüge ich allerdings, denn ich bin nie auf dem Prom gewesen.
Zwar habe ich mir ein hübsches Kleid gekauft und meine Haare und mein Make Up gemacht, bin jedoch dann kurzerhand in den Park gegangen und habe dort gewartet, bis ich nach drei Stunden nach Hause gehen habe können, ohne dass es merkwürdig erscheint.
Die Leute im Park haben mich an dem Tag komisch angesehen. Zugegeben hätte ich es ebenfalls seltsam gefunden, ein Mädchen in einem Ballkleid auf einer alten Holzbank im Park sitzen zu sehen. Die Option ist mir allerdings sinnvoller erschienen, als mich zur Schule zu zwingen, um allein in einer Ecke herumzustehen und Cola zu trinken, während meine Mitschüler den Spaß ihres Lebens haben.
Ein wenig hat mich an dem Tag die Eifersucht ergriffen, aber nur ein wenig.
Vielleicht hat es daran gelegen, dass ich keine Begleitung gehabt habe, weshalb ich nicht zum Prom gegangen bin. Vielleicht aber auch an der Tatsache, dass ich dort überhaupt niemanden gehabt habe.
Meiner Schulzeit würde ich auf jeden Fall nicht nachweinen, denn ich bin froh, dass dieser Abschnitt meines Lebens ein Ende gefunden hat.
Manche haben mir gesagt, wie meine Mutter, dass ich es bereuen würde, eine derart negative Einstellung zur Schule zu haben. Doch alles hat seine Gründe und bisher habe ich es nicht bereut, die Schule für mich persönlich als eine Art Hölle anzusehen. Ein wenig melodramatisch, das gebe ich zu.
,,Dein Zimmer ist noch genau so, wie du es hinterlassen hast", erzählt er, während er konzentriert der Straße folgt. Die Sonne scheint nur noch zur Hälfte am Himmel und kleine Wolken bedecken das Farbenspiel aus Rot, Gold, Gelb, Orange und Blau.
,,Ich glaube, dass ich aus der Rosa-Mädchen-Phase raus bin." Er dreht sich kurz zu mir.
,,Wir können es jederzeit streichen. Nenn' mir einen Tag und ich besorge die Farbe." Die kleinen Falten um seine Augen und an seiner Stirn ziehen sich bei jedem Mal, wenn er lacht, zusammen. Er lacht viel, wenn meine Schwester und ich bei ihm sind.
Es ist mir nicht so wirklich aufgefallen, aber ich habe ihn vermisst.
Als ich meinen Blick nach vorn richte, erkenne ich in der Ferne das große Haus, welches seit vielen Jahren im Familienbesitz meines Vater ist.
Je näher ich dem Ort, an welchem ich einen Teil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe, komme, umso mehr lasse ich die Zeit hinter mir, welche mich von hier ferngehalten hat. Zumindest kommt es mir so vor.
─━━━━━━⊱✿⊰━━━━━━─
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top