Oh Zombiebaum! Oh Zombiebaum!
"Rosie, könntest du bitte die Tür aufmachen?", genervt seufzte ich und stand auf.
Eine Mischung aus Erwartung und absolutem Grauen ließ mein Gesicht zu einer beinahe freundlichen Maske erstarren. Als ich die Eingangstür unserer Wohnung öffnete standen meine Großeltern Sara und Rupert vor mir. Meine Großmutter wie immer leichenblass und mit einem ansatzweise netten Lächeln auf den Lippen, umarmte mich sobald sie mich sah. Die Beziehung zu meiner Oma war gut. Das konnte ich über die Beziehung zu meinem Opa leider nicht sagen. Grummelnd stapfte er an mir vorbei in das enge Vorzimmer.
Meine Mutter kam aus der Küche und küsste meinen Opa auf die Wange. Sie trug eine Schürze und versuchte mal wieder ein Festessen auf die Beine zu stellen.
Ich seufzte bei ihrem Anblick traurig. Selbst nach 45 Jahren versuchte sie ihn immer noch zu beeindrucken, leider erfolglos. Mein Opa war ein kleiner Sexist, er liebte seinen Sohn und seine männlichen Enkelkinder über alles. Da hatte meine Mutter egal wie sehr sie sich auch bemühte, keine Chance. Ihr fehlte einfach ein Penis. Genau in diesem Moment kam mein kleiner Bruder Leon die Stiegen zu unserem zweiten Stock hinunter und begrüßte unseren Besuch.
Herzliche Umarmungen wurden ausgetauscht, sowohl von meiner Oma als auch meinem Opa. Sofort wurde über Fußball und Sport geredet, meine Oma verzog sich mit meiner Mutter in die Küche und ich ging hinauf in mein Zimmer. Schon jetzt machte mir ihre Anwesenheit zu schaffen.
Auf den Weg in mein Zimmer, kam ich am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei. Mein Vater stapelte Geschenke auf das große Doppelbett.
Das Zimmer trug wie auch der Rest der Wohnung eindeutig die Handschrift meiner naiven, kitschigen Mutter. Überall waren kleine Feen und Figuren aufgestellt.
"Hi, nicht schauen! Das hat der Weihnachtsmann, gerade gebracht."
Ich lachte und meinte nur abfällig:
"Klar. Hoffe nur seine Rentiere haben nicht in unseren Garten geschissen." Mein Vater lachte in seiner tiefen Stimme und strich sich über den weißen Bart. Zu Weihnachten ließ er sich seinen Bart immer wachsen, früher sah er dadurch nur nach einem Hipster aus. Jetzt wurde aus seinem dunklen Bart ein weißer und durch seinen dicken Bierbauch wurde er langsam, aber sicher zum Weihnachtsmann. Ich stellte mir häufig vor wie meine eigenen Kinder, sollte ich je welche haben, auf seinem Schoss sitzen und er ho ho ho brummen würde.
"Rosie, Papa! Das Essen ist fertig!", rief Leon die Stiege hinauf.
Es war in unserer Familie ein alter Brauch, sich gegenseitig anzuschreien. Ohne darüber nachzudenken, antworteten mein Vater und ich in der selben Lautstärke wie mein Bruder.
"Nah, komm bringen wirs hinter uns.", meinte mein Vater lächelnd und stampfte hinunter ins Wohnzimmer beziehungsweise Esszimmer.
Die Feiertage waren genauso schwer für ihn wie für mich. Wir dachten einfach anders als der Rest unserer Familie. Vor allem seine Schwiegereltern machten ihm immer die Hölle heiß. Wer auch immer gesagt hat, Weihnachten war das Fest der Familie, hat anscheinend noch nie mit einer kaputten gefeiert.
Da das Schlafzimmer meiner Eltern, den einzigen Ganzkörperspiegel beherbergte, sah ich mich noch einmal genau an.
Es war dumm, doch auch ich versuchte immer noch meine Großeltern zu beeindrucken. Dabei hätte ich aus den Fehlern meiner Mutter lernen sollen. Ich trug ein weites Kleid, da ich von meinen Verwandten allgemein als dick bezeichnet wurde. Tatsächlich war ich weder dick, noch mollig noch sonst was. Ich war normal. Einfach stinknormal. Aber wenn einem jeder das Gegenteil sagte, glaubte man es dann doch irgendwann.
Also trug ich ein weites violettes Kleid. Meine schulterlangen rotgefärbten Haare hingen so glatt und fad hinunter wie immer. Seit meiner Kindheit wünschte ich mir Locken. Eine Brille auf der Nase und ein Tatoo in Form eines kleinen Buches an meinem linken Handgelenk rundeten meine unscheinbare Erscheinung ab. Zähneknirschend folgte ich meinem Vater hinunter. Zu meinen Großelter, meiner Mutter und Bruder, hatten sich nun auch der Rest meiner komischen Familie gesellt.
Dazu gehörten mein Onkel Wolfgang, Mütterlicherseits, mit seiner Frau Theresa und seinen ach so perfekten Kindern. David und Valentina. Eine exakte bessere Version von meinem Bruder und mir. Wie auch bei uns war Valentina die ältere und zwei Jahre später war ihr kleiner Bruder David geboren worden. So war zwischen uns vier Enkelkinder tatsächlich immer zwei Jahre Altersunterschied. Und ich durfte mich die Älteste, das Versuchskaninchen nennen.
Neben meiner Oma, hatte meine adoptierte Tante Effi Platz genommen.
Sie war nicht wirklich adoptiert, aber komischerweise nannte sie jeder so. Obwohl ich an die zehn andere Cousins und Cousinen hatte, kannte ich nur David, Valentina und meinen einzige Cousin auf der Seite meines Vaters, Manni. Dieser war bereits vierzig und sah langsam aber sicher so aus wie mein Vater. Auf jeden Fall erkannte man das Familiengen.
"Setz dich.", meinte meine Mutter und zeigte auf den Platz neben sich.
Ohne große Reden wurde der Schweinsbraten gegessen und viel Bier getrunken. Mein Opa war ein alter Säufer, früher wusste ich nie was ich ihm schenken sollte, deshalb gab es immer ein Schnapsglas.
Wie immer bei diesen furchtbaren Gelegenheiten gab Wolfgang mit seinen perfekten Kindern an und redete mit Opa und Leon über Fußball und Autos. Die Frauen der Familie tauschten den neuesten Klatsch aus und ich drehte mich zu Papa und Manni um. Diese beiden hatten denselben Humor wie ich.
Die Zeit verging, Geschenke wurden ausgetauscht und obwohl solche Familienfeste immer darauf hinausliefen, dass wir uns gegenseitig anschrien, versuchte meine Mutter eine ruhige Atmosphäre zu gestalten.
Da meine Großeltern alte Rassisten waren, war das nicht leicht zu bewerkstelligen. Auch Wolfgang ging mir mit seiner furchtbaren Angeberei auf die Nerven. Seine Kinder waren solche Spaßbremsen, wie man auf absolute Humortöter stolz sein konnte, fragte ich mich seit sie die Belger das erste Mal zu mir gebracht hatten.
Angefreundet hatten wir uns ja doch nie. Es wurde also herumgeschrien und über Flüchtlinge und Politik gestritten und gerade als ich einen Teller mit lauwarmen Schweinebraten auf dem Kopf meines Großvaters versenken wollte, läutete es an der Tür. Ich war so froh über die Möglichkeit abzuhauen, das ich zur Tür rannte. Die erste Wohnungstür führte in eine Eingangshalle und da ich schon bei der zweiten Tür erkannte um wenn es sich handelte rannte ich wieder hinein.
"Wolfgang, Tobias steht vor der Tür. Vielleicht kümmerst du dich um ihn!", rief ich verärgert und rannte fluchtartig in mein Zimmer. Die Wut machte mich absolut blind. Erst als ich in meinem Zimmer auf dem Bett saß und versuchte ruhig zu atmen, dachte ich richtig nach.
Hatte Tobias nicht vor ein paar Monaten Selbstmord begangen?
Wie konnte er dann vor der Tür stehen?
Nun war ich mir doch nicht mehr so sicher ob der Mann, den ich gesehen hatte, wirklich Tobias gewesen war. Mit einem Seufzer, zuckte ich die Achseln und lehnte mich zurück. Gegenüber vom Bett stand mein großer Bücherkasten. Es beruhigte mich immer an die Bücher darin zu denken.
"Rosie?", fragte Leon und kam in mein Zimmer. Er war mir wohl nachgelaufen und stand nun schief lächelnd vor mir. Er wusste genau was diese Familienfeste mit mir anstellten und konnte doch nichts für mich tun.
Irgendwann während all der Jahre hatte er sich die Fähigkeit zu eigen gemacht, auf jeden Bullshit unserer Verwandtschaft mit Humor zu antworten. Ich wünschte mir sehnlichst dieselbe Gabe, doch bei einigen Dinge die mein Opa sagte, konnte ich einfach nicht ruhig bleiben.
"Wieso ist unsere Verwandtschaft so scheiße?", fragte ich und sah meinen fast erwachsenen Bruder an. Die 19 Jahre sah man ihm kaum an.
Genauso wenig sah man mir die 21 Jahre glaubte. Leon zuckte die Achseln und setzte sich neben mich.
"Ist halt so. Damit musst du klar kommen. Ignorier sie einfach."
"Leichter gesagt als getan."
"Komm schon. Vergiss es einfach. Gehen wir wieder runter. Wir können Papa nicht mit den Verrückten alleine lassen." Da hatte er recht.
Als wir die Treppe langsam hinunter gingen und dabei ein paar Scherze machten, hörten wir Wolfgang leise auf jemanden einreden.
Meine gesamte Verwandtschaft stand im engen Vorzimmer und starrte bei geöffneter Tür auf Wolfgang und den fremden Mann. Leon und ich blieben auf der Treppe stehen und beobachteten Wolfgang genau.
Der Fremde war tatsächlich Tobias, aber er sah furchtbar aus.
Sein Anzug war voller Dreck und die Haut war bleich und verwest. Als er noch normal gewesen war, hatte Wolfgang ihn seinen besten Freund genannt.
Die beiden waren seit der Jugend befreundet gewesen. Bis Tobias sich auf tragische und absolut unvorhergesehene Weise das Leben nahm.
Erhängt, zumindest wurde sich das erzählt. Was genau damals vorgefallen war, wusste ich nicht.
"Schatz, vielleicht ist es besser wenn wir die Polizei rufen?", meinte Theresa und zückte ihr Handy. Während sie telefonierte versuchte Wolfgang weiterhin mit seinem sehr tot aussehenden Freund zu reden. Irgendwas über Weihnachten und Liebe. Ob das helfen würde?
"Kommt mit!", flüsterte mein Vater und führte meinen Bruder und mich in den Abstellraum unter der Treppe. Dort öffnete er eine Truhe und reichte jedem von uns ein langes Militärmesser. Leon nahm es freudestrahlend an, glaubte wohl sein Weihnachtsgeschenk bekommen zu haben.
Ich jedoch war immer sehr vorsichtig mit scharfen Objekten umgegangen und nahm das Messer nur widerwillig entgegen. Mein Vater wusste von dieser kleinen Phobie und würde sie nicht auslösen, wenn er keinen wichtigen Grund hätte. Sein Gesichtsausdruck war äußerst ernst.
"Egal was passiert, ihr bleibt zusammen, versprecht mir das!", meinte er verschwörerisch und umarmte uns fest.
"Papa, ich habe ein Messer in der Hand. Vielleicht solltest du mich nicht so fest umarmen."
"Sei nicht so eine Memme, Rosie. Das ist nur ein Messer, keine Atombombe.", fuhr Papa mich an.
"Okay...", meinte ich gedehnt und ging zurück zu meiner Familie.
Leon und Papa folgten mir und gemeinsam sahen wir zu wie Wolfgang Tobias immer näher kam und weiterhin von Weihnachten erzählte.
"Wir sind alle hier drin, Tobias. Du kannst zu uns reinkommen und wir essen zusammen. Leckere Kekse und Schweinsbraten ist auch noch da." Dies schien für den definitiv toten Tobias das Zeichen zum Essen fassen zu sein. Knurrend stürzte er sich auf Wolfgang und biss ihn in den Hals.
Das Blut schoss in Fontänen aus der offenen Schlagader und traf die Weihnachtsbeleuchtung in der Eingangshalle. Bis auf Leon, Manni, Papa und ich brachen alle in Chaos aus. Versuchten zu helfen oder wegzurennen.
Wir allerdings fingen leise an zu lachen. Ich weiß nicht wie es dazu gekommen war, aber bei Tod konnten wir einfach nicht traurig reagieren. Lachen war unsere einzige Reaktion. Krank, aber die Wahrheit.
Tobias feierte also ein Festessen mit Wolfgang. Oder auf ihm.
Theresa und Opa hatten aus der Küche mehrere Küchenmesser geholt und versuchten nun auf Tobias einzustechen. Da es in unserem Haushalt keine scharfen Messer außer denen meines Vaters gab, zeigte Tobias sich nicht wirklich beeindruckt.
Er knabberte fröhlich weiter an Wolfgangs nun offenen Brustkorb. Wolfgangs Kinder schrien und brüllten, doch natürlich half das niemanden, am allerwenigsten ihrem Vater. Es trug nur zur allgemeinen Hysterie bei.
"Lass meinen Mann sofort los, du Monster!", schrie Theresa und rammte das kurze, stumpfe Küchenmesser mit voller Wucht gegen die Schläfe des Angreifers. Die Klinge sank tief in Tobias Hirn und stöhnend fiel er zur Seite.
"Hätte nie gedacht, das unsere Messer das in sich haben.", meinte ich den Kopf vor Verwirrung schief gestellt. Als könnte mir die schiefe Ansicht, mehr Informationen geben.
"Hätte nie geglaubt, das Theresa, das in sich hat.", erwiderte mein Vater und drängte sich an uns vorbei. Wolfgang lag reglos in seinem eigenen und ein bisschen von Tobias Blut. Seine Kehle war vollkommen herausgerissen worden und sein Brustkorb hatte auch schon bessere Tage gesehen.
Das Bild, das diese beiden totsicheren Leichen abgaben, war grauenerregend. Theresa lag zitternd und schluchzend auf ihrem leblosen Ehemann und versuchte aus irgendeinem seltsamen Grund ihn aufzuwecken. Dabei war ziemlich klar, dass er tot war.
Mit blutverschmierten Fingern setzte sie die Organe Wolfgangs wieder an ihren angestammten Platz.
Hatte was von Leichen-Dr.Biber.
"Die Polizei reagiert nicht! Auch der Notruf für die Rettung ist tot! Was machen wir nun?!" Meine Mutter legte gerade genug Hysterie in ihre Stimme, so dass wir sie nicht zur Besinnung schlagen mussten.
Trotzdem wurde mir bei diesen Worten ein wenig flau im Magen.
Papa und Opa versuchten Theresa von ihrem toten Mann wegzuzerren, doch sie hatte tatsächlich eine ordentliche Portion Kraft in sich.
Valentina und David wurden von Oma getröstet. Diese sah allerdings selbst nach einem Herzinfaktkanidat aus. Papa hatte es endlich geschafft Theresa zum aufstehen zu bringen und schob sie sacht und doch bestimmt in die Arme meiner Mutter. Beide heulten sich gegenseitig die Ohren voll.
Opa beugte sich über seinen toten Sohn und weinte.
Alle weinten, doch unsere kleine Gruppe ganz hinten im Vorzimmer verkniff sich nur mit Mühe das Lachen. Bis Wolfgang plötzlich von den geehrten Toten wiedererwachte und meinem Opa die Nase abbiss. Kurz darauf folgte auch seine Kehle.
Bei diesem durchaus schockierenden Anblick versiegten sowohl die lach- als auch die Trauertränen. "Macht die Tür zu!", schrie mein Vater und versuchte durch das enge Vorzimmer zur Eingangstür zu kommen.
Sein Weihnachtsmannbauch leistete keine großartige Hilfe bei dieser wichtigen Mission. Wie erwartet hörte niemand auf meinen Vater, taten sie nie.
Die von Trauer vollkommen verrückte Theresa rannte ihrem absolut, mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sicheren, toten Ehemann entgegen. Dessen Eingeweide verteilten sich in der Eingangshalle wie rotes glitziges Lameter.
Wir sahen nicht was aus ihr wurde, da Papa es endlich zur Tür geschafft hatte und diese mit einem lauten krachen zuwarf.
Unnötig zu erwähnen war das David und Valentina den Verlust ihrer Eltern nicht gut aufnahmen.
Oma und Mutter konnten sie kaum bändigen.
"Alle ins Wohnzimmer!", rief Papa und scheuchte unsere kleine Herde ins große Wohnzimmer. Oma nahm mit David und Valentina auf dem großen roten Sofa Platz. Mama setzte sich auf die Lehne des Sofas. Normalerweise hätte sie das nie gemacht, da sie definitiv zu schwer war für die zarte Lehne ihrer wertvollen Caoch.
Doch nun schien ihr das tatsächlich egal zu sein. In diesem Moment wollte sie nur ihren Neffen und ihre Nichte beruhigen.
Tante Effi wurde auf einen braunen Sessel gesetzt. Die arme alte Frau sah nicht gut aus. Wegen der Möglichkeit angekotzt zu werden positionierten sich Leon und ich in der Nähe des Esstisches, weit weg von Tante Effi.
Manni hatte sich aus der Küche eine Flasche Alkohol besorgt und versuchte diese nun zu öffnen. Sobald die Flüssigkeit seine Lippen berührte, verzog er das Gesicht.
"Was ist das denn? Zuckerwasser?" Wut zeigte sich auf dem Gesicht meiner Mutter. Sie liebte ihren süßen, nicht starken Alkohol.
"Das ist Litschisekt. Und er ist sehr gut."
Manni, der in seinem Leben schon viele Nächte durch Alkohol vergessen hatte, würde diese am liebsten zu ihnen zählen.
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