Ihr Zombielein kommet

Selbst nach mehreren Minuten erstaunten Schweigens war nur mein unkontrolliertes Lachen hörbar. Ich glaubte mir doof vorkommen zu müssen, doch die ganze Situation war einfach zu verrückt. Mutter fand als erstes ihre Stimme wieder und fragte Arthur nach dessen Mutter, Sabrina.

Sie war Mutters Cousine und enge Freundin. Leider hatte auch Arthur keine guten Nachrichten. Er wusste nicht ob seine Familie überlebt hatte. Der einzige Grund warum er hier gestrandet war, war ein Konzert.

Sein Hippie-van war in der Nähe der Kaserne zusammengebrochen und er hatte sich wohl gedacht, das Heer wäre eine gute Notlösung.

Nun sie hatten ihn schließlich aufgenommen, doch sagte mir der Gesichtsausdruck der heißen Soldaten, dass sie über ihre Entscheidung nicht sehr glücklich waren. Richie machte zu unser aller Dank die Tür zum Badezimmer zu und öffnete ein Fenster. Kaum war es offen, hörte man erfreutes Luftholen im ganzen Saal.

"Bevor wir schlafen gehen sollten wir uns die Wachen ausmachen.", meinte ich und sah mich um. Niemand schien über diese Aufgabe erfreut zu sein, aber es war nun mal notwendig.

"Ich kann die erste Wache übernehmen."

Nik richtete sich stolz auf. Valentina warf mir einen Blick zu und deutete mit den Augen auf Nik. Ich nickte und sie stellte sich neben ihn.

"Ich übernehme die erste Wache mit dir."

Und so wurde es eingeteilt. Immer zwei Leute meldeten sich freiwillig, meistens je nachdem wem man am liebsten hatte. Ich hätte meine Wache gerne mit Valentina oder Leon gehabt, als ich mich jedoch meldete, war es Caleb, der sich zu mir stellte.

Ich musste mein überraschtes und etwas enttäuschtes Gesicht verstecken. Die Betten wurden auf ähnliche Weise eingeteilt.

Allerdings kam es hier darauf an wer klein genug war und sich mit der anderen Person auch körperlich wohlfühlte. Zu meiner Freude würde ich mit meiner Mutter in einem Bett schlafen.

Ich war dies von Skiurlauben und anderen Urlauben schon gewohnt und hätte kein Problem mich in ihrer Nähe zu entspannen. Leon warf mir einen gequälten Blick zu, er würde neben Karl liegen müssen. Für zwei junge Männer musste das zusammenliegen auf so engem Raum unangenehm sein. Valentina umarmte mich schnell und stürmisch und ging dann zu ihrer Mutter. Sobald ihre Wache vorbei war, würde sie bei ihr schlafen.

Theresa drückte ihre Tochter genauso stürmisch in ihre Arme. Kleider wurden nicht gewechselt, aber das Gesicht im immer noch stinkenden Badezimmer gewaschen. Ich musste die Luft anhalten während in drinnen war. Es roch als hätte Arthur einen Zombie gefressen und dann wieder ausgeschissen. Veilchen waren es bei Gott keine.

Papa, Willhelm und Manni, bekamen wie ich es vorhergesehen hatte, ein eigenes Bett. Die Soldaten und Arthur losten ihr Schicksal aus und legten sich dann auch hin. Als endlich alle im Bett lagen setzten sich Valentina und Nik mit Waffen zugedeckt an die Tür und redeten leise.

Ich kuschelte mich in die Arme meiner Mutter, drückte ihrer weichen Körper an mich und versuchte mich zu entspannen. Sanft strich sie mir über die Haare und küsste meine Stirn.

"Ich liebe dich.", flüsterte sie. Ich erwiderte es und spürte wie ich langsamer atmete. Mein Kopf begann leer zu werden und schon war ich eingeschlafen. Sanftes Rütteln holte mich aus einem albtraumhaften Schlaf. Ich konnte mich immer an meine Träume erinnern, immer.

Einige hätte ich lieber vergessen. Dieser hier gehörte dazu. Der Traum handelte von riesigen Zombiekraken, schleimigen grünen Monstern, die einem Armbänder andrehen wollten und Karl, der im Hulakostüm vor meiner Nase herumtanzte.

Letzteres war bei weitem das Verstörendste.

Caleb stand mit einer Taschenlampe bewaffnet vor meinem Bett und sah mich an.

"Komm. Wir sind mit Wache stehen dran." Stöhnend richtete ich mich auf und sah zu Mutter. Diese schlief wie ein Stein und schnarchte fröhlich vor sich hin. Das Geräusch war im ganzen Saal zu hören, wobei mein Vater, Manni und der rothaarige Frederick mit einstimmten. Ein Schnarchkonzert.

Es wunderte mich, dass die Zombies bei diesem Lärm nicht schon Schlange standen. Caleb zog mich am Arm zur Tür und zeigte auf einen Sessel. Schwerfällig und kaum wach ließ ich mich darauf fallen und streckte mich. Mein einziger Wunsch war es wieder ins warme und kuschelige Bett zu steigen und nie wieder aufzustehen.

Angewidert sah ich an mir herunter. Mein Pullover war noch ansatzweise sauber, bis auf die Schweißflecken. Aber meine Hose sah furchtbar aus. Mein Haar wollte ich erst gar nicht anfassen und schon gar nicht sehen.

"Also, wie seid ihr aus Wien rausgekommen und weißt du was über meine Eltern? Über Dennis?"

Seine drängende, verzweifelte Stimme ließ mich aufhorchen. Ich blinzelte mehrmals und versuchte in der Dunkelheit sein Gesicht zu sehen.

Er sah verbissen und verzweifelt aus. Die Augen sogar ein bisschen feucht. Ich hatte diesen Jungen noch nie weinen sehen. Selbst als er mit voller Wucht vom Klettergerüst vor unserem Garten gefallen war und sich die Hand gebrochen hatte. Mutter hatte ihn zu seiner Mama gebracht und diese war dann mit ihm ins Krankenhaus gefahren.

Aber keine einzige Träne hatte seine braunen Augen verlassen.

Mitleid machte sich in mir breit. Ich war nie gut im trösten gewesen, fand nie die richtigen Worte. Was also sollte ich tun?

Obwohl ich wusste, dass es vermutlich eine verdammt dumme Idee war, nahm ich seine Hände und sprach sanft.

"Wir sind nur mit absolutem Glück da raus. Unsere Straße war von den Dinger überrannt. Ich habe Licht in eurer Wohnung gesehen, aber ob deine Familie überlebt hat, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, sie haben es aus Wien raus geschafft. Es tut mir wirklich leid."

Zu meiner Überraschung ließ Caleb meine Hände nicht los, er hielt sie fester. Nach Daniel war er meine zweite große Sandkastenliebe gewesen. Aber wie den schwulen Daniel hatte ich auch bei Caleb nie eine Chance gehabt. Im Gegenteil, er war äußerst grausam zu mir gewesen und obwohl ich mir immer einredete ihn zu hassen, konnte ich es nicht. Genauso wenig wie ich Karl oder Adam für ihre Taten mir gegenüber wirklich hassen konnte. Caleb und ich waren einmal sehr gute Freunde gewesen. Was ich empfand war kein Hass, es war Trauer über den Verlust eines Freundes.

"Danke. Vielleicht haben sie es ja geschafft. Dinni ist wirklich klug. Sie wird sich schon was einfallen lassen."

"Stimmt. Dinni kriegt das schon hin. Tut mir leid, dass ich nicht mehr Informationen für dich habe."

Caleb lies meine Hände los und fuhr sich durch die strubbligen dunklen Haare.

"Ihr musstet um euer Leben kämpfen. Das passt schon. Du schlägst dich ganz gut da draußen. Ich war überrascht."

"Dachtest du ich würde schreiend weglaufen?"

Caleb lachte leise.

"Ja irgendwie schon. Aber du bist stark, stärker als ich dachte."

Ich lehnte mich zurück und überlegte mir eine Antwort. Mein Gehirn war immer noch müde, doch diese Unterhaltung war interessanter als Schlaf. Solche Worte habe ich von ihm noch nie gehört. Er war immer hochmütig und arrogant gewesen.

"Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Wir haben uns beide sehr verändert. Ich dachte auch nicht, dich hier zu sehen."

Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Caleb erwiderte es.

"Tja, Bundesheer war mir lieber als Zivildienst. Die Jungs hier sind alle echt klasse." Neugierde erwachte in mir. Mit Blick auf mein Gegenüber beugte ich mich langsam vor.

"Was ist hier passiert?" Caleb kopierte mein Verhalten und begann zu erzählen.

"Da Weihnachten war, haben wir früher Dienstschluss gehabt. Alle wollten weg, doch unser Kommandant, ein riesen Arschloch, hatte noch einige Dinge zu erklären. Er hat ewig rumgeschwafelt. Ich hätte den Kerl fast eine runtergehauen. Ich meine, wie kann man zu Weihnachten nur so beschissen sein? Dann kam die Meldung von gewalttätigen Übergriffen in der Stadt und es hieß ausrücken.

Da es zu wenige Transporter für uns alle gab, sind wir vier übriggeblieben. Typisch Bundesheer. Wir sollten den Stützpunkt überwachen. Dann kamen ein paar von den Zombies auch nach Ried. Du weißt ja wie einfach sich das verbreitet. Hat nicht lange gedauert und die meisten hier waren nur noch fleischfressende Monster. Nik hat gesagt, wir sollen alles Essen und andere wichtige Sachen hierher schaffen. Danach haben wir uns eingeschlossen. Eine Stunde später klopft dein bekiffter Cousin Arthur an die Tür und etwa zwei Stunden später ihr. Wobei ihr definitiv angenehmer seid. Arthur redet die ganze Zeit, kifft und das Bad ist immer noch nicht benützbar."

Mein Lachen kam mir seltsam fremd vor. Ich hatte seit Jahren über keinen seiner Scherze gelacht.

"Ich weiß, aber Arthur ist ein echt lieber Kerl. Vielleicht etwas seltsam, aber das macht seinen Charm aus. Gib ihm einfach eine Chance."

"Wenn du meinst."

Seufzend stand ich auf und ging zu den Fenstern auf der anderen Seite des Raumes. Caleb folgte mir leise. Vorsichtig zog ich eine der Vorhänge zurück und sah hinaus. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen. Doch da Winter war ließ sie viel Zeit.

"Ich dachte schon, ich würde die Sonne nie wieder sehen.", flüsterte ich. Ein Gefühl unbändiger Freude durchströmte mich beim Anblick der blutroten Morgensonne.

Ich hatte diese Nacht überlebt. Wir hatten diese Nacht überlebt.

Viele Menschen waren gestorben, aber meine Familie lebte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Wir hatten den Anfang vom Ende überlebt. Natürlich würde es nicht einfacher werden, doch die warmen Sonnenstrahlen brachten mir ein bisschen Hoffnung.

Hoffnung auf einen neuen Tag.

So das war meine Geschichte. Der 24. Dezember, Weihnachten, kam und ging mit einem riesen Knall. Und viel Blut. Und Gedärmen.

Ich könnte jetzt schreiben, das wars, wir haben die Zombieapocalypse in dieser kuscheligen Kaserne überlebt, aber ich war nie gut im Lügen.

Fakt ist, es passierte noch eine Menge aber vermutlich will das keiner Wissen. Schließlich ist ja auch keiner mehr da um das hier zu lesen.

Alle tot oder verlernt zu lesen. Bei einigen bezweifle ich, dass sie es je konnten.

Ich schreibe das hier für mich. Nur für mich. Ich wollte immer eine Schriftstellerin sein und obwohl mir das Ende der Welt die Möglichkeit genommen hat für andere zu schreiben, so kann ich immerhin noch für mich schreiben.

So nun, für alle die dies lesen und denen ich ein klein wenig Vergnügen in dieser tristen Welt geben konnte: Frohe Weihnachten und lasst euch nicht vom Zombieweihnachtsmann fressen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top