Valerie - Kapitel 9

„Ich bin so fertig."

Ich lasse mich auf den Beifahrersitz von Jessies Auto fallen und lehne meinen Kopf an die Rücklehne. „Nicht nur du, Val. Wir alle sind fertig. Das war echt das härteste Training seit langem."

Eine Weile sitzen wir einfach nur da, bis Jessie den Schlüssel dreht und der Motor anspringt. „Ich will noch nicht nach Hause" murrt sie, und ich nicke zustimmend. „Starbucks?" Ich grinse und nicke. „Starbucks."

Jessie fährt lächelnd vom Parkplatz des Tanzstudios und fügt sich in den Verkehr ein, der mittlerweile zum Glück etwas abgenommen hat. Die Stoßzeit sollte langsam aber sicher auch vorbei sein. Eine Weile sagt keiner was, und meine Augen drohen zuzufallen, als Jessie sich räuspert.

„Hat Joshua eigentlich gerade jemanden?" fragt sie dann, und ich lächle. „Nein, in den letzten Wochen habe ich seinen Namen tatsächlich nicht mehr quer durchs ganze Haus gehört. Außer Maria hat sich mit ihm gestritten oder ich bin ihm nachgerannt. Völlig übermüdete Mädchen habe ich in der Küche auch keine mehr gefunden." Ein kleines Lächeln schleicht sich auf Jessies Lippen, und ich wünsche ihr, dass Josh sie irgendwann genau so wahrnimmt, wie sie ihn.

„Denkst du, ich werde ihm irgendwann auffallen?" Ich denke nach. Sehr lange. „Val?" Ich räuspere mich und setze mich aufrecht hin. „Vielleicht, wenn du ihn in ein Gespräch oder so verwickelst. Keine Ahnung, Jess. Ich weiss nicht, wie man Joshua rumbekommt, da müsstest du dich fast an Jelena widmen."

Angeekelt verzieht Jessie das Gesicht, und ich lächle. „Nein danke, da bleibe ich lieber mein Leben lang Single." Wir lachen beide, als mein Handy vibriert. Ich habe eine Nachricht von einer unbekannten Person bekommen.

Unbekannt: Hey, Nick hier. Du bist Valerie, richtig?

Ich speichere den Kontakt lächelnd ein. Nick Mason hat mich angeschrieben. Mich!

Und wenn ich nicht völlig bekloppt rüberkommen möchte, sollte ich vielleicht antworten, denn er ist online.

Valerie: Oh hey. Ja, ich bin Valerie. Wie hast du denn meine Nummer bekommen?

Ich schicke die Nachricht ab, und Jessie beugt sich leicht zu mir. „Naa, wer zaubert dir denn so ein breites Grinsen aufs Gesicht?" Ich schaue empört zu ihr. „Ich grinse gar nicht!" sage ich beleidigt, und Jessie lacht. „Und ob du das tust." Ich seufze und lese die neue Nachricht von Nick.

Nick: Josh hat sie mir gegeben. Habe ihn eben bei der Strecke getroffen. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du mal mit mir was machen möchtest?

Mein Herz springt mir fast aus der Brust. „Jessie" flüstere ich, und sie sieht zu mir. „NICK WILL WAS MIT MIR MACHEN" schreie ich plötzlich, und Jessie sieht mich ungläubig an. „Der Nick?" fragt sie dann, und ich nicke wie eine Verrückte. „Ja, der Nick. Nick Mason, Jess."

Meine beste Freundin hebt anerkennend die Augenbrauen. „Das wurde ja auch mal Zeit" sagt sie dann grinsend, und hält vor dem Starbucks. Ich streiche mir noch ein paar Strähnen, die sich aus meinem Zopf gelöst haben hinters Ohr, und steige dann aus. Gerade will ich meine Antwort verfassen, als jemand neben mir erscheint.

„Also, so früh hätte ich nicht damit gerechnet."

Ich fahre herum und blicke in Nicks grüne Augen.

„Oh – ähm – hi" stammle ich, und lächle dann. „Wir wollten eigentlich gerade was trinken gehen. Du kannst gerne mitkommen. Ich bin übrigens Jessie, Val's gute Seite." Jessie stellt sich Nick vor und gibt ihm die Hand, während ich ihn nur anstarre.

Er hat seine blonden Haare eigentlich wie immer etwas gestylt, was verdammt gut aussieht, und trägt ein weißes Shirt mit einer schwarzen Jeans.

„Klar, gerne."

Und so laufen wir zu dritt weiter.

--

„Nein Jessie das tust du nicht!"

Doch da hat Jessie schon abgedrückt. Sie zeigt Nick und mir lachend ihr Handy, auf dem jetzt ein Foto von Nick und mir zu sehen ist, wie er versucht mir mit seinem Finger Sahne auf die Nase zu schmieren. Bisher war er noch erfolglos, doch der Typ ist verdammt hartnäckig und versucht es immer wieder.

Jetzt gerade zum Beispiel versucht er, mit seiner freien Hand meinen Kopf so zu drehen, dass ich zu ihm schauen muss, doch ich weiche immer wieder lachend aus. „Jess jetzt hilf mir doch" sage ich dann hilflos, doch meine beste Freundin lacht mich nur aus. Und macht Fotos.

Irgendwann bekommt Nick tatsächlich mein Kinn zu fassen, dreht meinen Kopf zu ihm und stupst mir mit einem Finger voll Sahne auf die Nase. „Ha, geschafft!" Ich drehe mich schmollend weg, während Jessie fröhlich weiter fotografiert und ihrem Speicher somit an den Kragen geht.

„Jetzt schmoll nicht" bettelt Nick mit einer engelsgleichen Stimme, und ich seufze frustriert. „Ihr seid echt Kinder" sage ich dann tadelnd, lache dabei aber. „Aber Kinder die du magst" sagt Jessie, und legt endlich ihr Handy weg. „Ja, Kinder die ich mag" sage ich müde, und lächle.

Dass Nick und ich uns so gut verstehen, hätte ich niemals gedacht. Vielleicht wird das mit uns ja doch was.

--

Ich laufe durch den Schulkorridor und versuche mein Gesicht hinter meinen Haaren zu verstecken. Bisher hat mich noch niemand entdeckt. Ich atme viel schneller als nötig, und mein Puls läuft auf Hochtouren. Fast habe ich den Ausgang erreicht. Fast bin ich wieder frei und kann mir endlich diesen verdammten Pulli ausziehen. Fast ist dieser Schultag um.

Doch in dem Moment, in dem ich die Türe öffnen will, tritt jemand vor mich. Hunter. Hunter Taylor. Seine Finger graben sich unter mein Kinn und zwingen mich, ihn anzusehen.

„Wohin des Weges, meine Liebe?"

Ich schlucke schwer und versuche gegen die aufkommende Panik in meiner Magengegend anzukämpfen. „Lass mich los" flüstere ich, doch Hunter und seine Freunde lachen nur dreckig. Das Lachen hallt in meinem Kopf wieder, und am liebsten würde ich mir die Ohren zuhalten.

„Aber nicht doch, du weißt, wie gerne ich mich mit dir unterhalte. Hast du inzwischen endlich etwas abgenommen?" Ich sage nichts, sondern starre nur in seine dunklen Augen. Er kennt die Antwort. Er kennt mich. Er weiss, wie es mir geht.

„Weißt du, auch als dünnes Skelett wärst du bestimmt immer noch so grottenschlecht im Bett wie vor einem Jahr" flüstert er mir ins Ohr, und mir steigen die Tränen in die Augen. „Außerdem" fängt er an, und streicht mir eine Strähne hinters Ohr. „Wirst du sowieso nie schön sein. Niemand wird dich jemals wollen. Niemand wird dich jemals lieben. Weder ich, noch alle anderen."

Tränen verlassen mein Gesicht, und plötzlich wechsle ich den Ort. Ich befinde mich mit Hunter in der Abstellkammer. Seine Hände sind überall an mir.

„Hör auf!" schreie ich so laut ich kann, und fange an, um mich zu schlagen. „Hör auf, lass mich los!" schreie ich immer wieder wimmernd.

„Valerie!"

Jemand rüttelt grob an meiner Schulter, und langsam verschwindet die Abstellkammer mitsamt Hunter aus meinem Blick, doch das Gefühl seiner Hände an mir bleibt. Ich schrecke hoch und knalle dabei fast mit der Stirn an die von Joshua, der sich über mich gebeugt hat um mich zu wecken.

Eine Weile starre ich nur in seine Augen und versuche zu verstehen, dass das alles nur ein Traum war. Hunter ist nicht mehr hier. Es ist vorbei. „Joshua" sage ich irgendwann leise, und mein Cousin sieht mich besorgt an. Erst dann realisiere ich, dass ich wohl geschrien, geweint und um mich geschlagen haben muss.

Mein Gesicht ist pitschnass, und ich fahre mir über die Wangen, um meine Tränen wegzuwischen, die jedoch sofort wieder nachkommen. Als ich neben mein Bett schaue, sehe ich wie Silas sich bloss mit einer Boxershorts bekleidet ans Ende meines Bettes gesetzt hat und mich ebenfalls besorgt mustert. Maria und Juan stehen im Türrahmen, und Joshua dreht sich zu ihnen um.

„Ich hab' sie wieder" murmelt er nur, und Maria nickt traurig. Ich glaube sie weiss genauso gut wie Joshua, wovon ich geträumt habe. Sie lächelt mir kurz zu, und ich nicke nur langsam. Dann verschwindet sie mit Juan, und ich seufze auf.

„Was hast du geträumt?" fragt Joshua leise, und ich schlucke. Die Erinnerungen an meinen Traum treiben mir einen Schauer über den Rücken, denn er war schon lange nicht mehr so real. „Das was du denkst" ist meine einzige Antwort, und ich fange wieder an zu weinen. Joshua zieht mich in seine Arme, und ich vergrabe mein Gesicht in seiner Schulter.

„Sil, du kannst schlafen gehen. Ich rufe dich wenn wir was brauchen, okay?"

Da ich keine Antwort höre nehme ich an, dass Silas nickt, und kurz darauf höre ich, wie er meine Türe schließt.

„Wie lange hast du die Träume wieder?" fragt Joshua irgendwann, und ich schluchze kurz auf. „Heute war es das erste Mal" murmle ich, und versuche langsam, meinen Atem wieder zu kontrollieren. Wieso kommen ausgerechnet jetzt wieder diese Träume? Ausgerechnet jetzt, wo es mir eigentlich gut geht, ich eine neue Umgebung habe und mich endlich mit meinem Schwarm verstehe?

Liegt es vielleicht gerade daran, dass ich wieder einen Jungen, der nicht Joshua heißt, in meinem Leben habe, dem ich vertraue? Ich schliesse die Augen und vergrabe meine Hände in Joshuas Shirt, das er sich eben wohl übergezogen hat. Eine Weile umarmt Joshua mich nur, bis es an der Türe klopft.

Sie geht auf und ich erwarte eigentlich Juan oder Maria, doch stattdessen steht ein müder Silas da, mit einem Tablett in der Hand, auf dem sich drei Tassen befinden. Er hat sich über seine Boxershorts eine Jogginghose übergezogen, doch sein Oberkörper ist immer noch frei, und auch seine Haare stehen immer noch in alle Richtungen ab.

„Ich hab' uns was zu trinken gemacht" sagt er schlicht, als er unsere Blicke bemerkt, und tatsächlich schaffe ich es, zu lächeln. Diese Geste von einem Jungen, der eigentlich verstört von mir sein sollte, bedeutet mir gerade extrem viel, und vielleicht hat Silas es genau deswegen gemacht.

„Wieso gehst du nicht schlafen?" frage ich ihn mit brüchiger Stimme, und Silas schließt mit seinem Bein meine Türe, während er mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht. „Du bist jetzt sowas wie eine Schwester, und ich will für dich da sein. Außerdem kenne ich mich mit Albträumen aus."

Mein erster Instinkt ist es, ihn zu fragen wieso, doch dann halte ich meinen Mund. Wahrscheinlich will er nicht darüber reden. Ich rutsche in die Mitte meines Betts, und auf beide Seiten legen sich Joshua und Silas hin. Silas reicht mir eine Tasse, in der sich Kakao befindet, und ich lächle dankbar.

„Danke Silas" murmle ich, und er grinst. „Nichts zu danken." Joshua grinst seinen Kumpel ebenfalls breit an, und ich weiss, dass er froh ist, nicht ganz alleine bei mir zu sein. So hat er jemand der ihm hilft, mich wieder aufzumuntern. Ich schnappe mir meine Fernbedienung und starte Netflix, und wenig später schauen wir uns eine Serie an.

Mitten in der Nacht, auf meinem Bett und ziemlich aneinander gequetscht.

Irgendwann knickt Joshua weg, und ich gebe ihm lächelnd einen Kuss auf die Stirn. Das habe ich früher auch immer getan, wenn er wegen den Träumen bei mir geschlafen hat.

„Willst du darüber reden?" fragt Silas mich leise, und ich schaue zu ihm. „Ich... kann nicht" murmle ich, und senke den Blick. Ich kann ihm nicht einfach vertrauen. „Das verstehe ich" sagt Silas bloss, und als ich ihn ansehe, sehe ich tatsächlich sowas wie Verständnis in seinen Augen.

Ich lächle leicht und lege meinen Kopf wohl eher unbewusst als bewusst auf seine Schulter. Wenig später fallen mir die Augen fast zu, und Silas lacht leise. „Du kannst ruhig schlafen. Josh und ich sind da um dich rechtzeitig zu wecken, okay? Es wird dir nichts passieren."

Silas legt einen Arm um meine Schulter, weshalb mein Kopf etwas auf seine Brust rutscht, doch es ist mir gerade wirklich egal. Ich seufze aus und schliesse meine Augen endgültig. „Danke" murmle ich, und knicke dann – wieder mal in Silas' Armen – völlig weg.

--

Hier mal ein etwas grösserer Einblick in Valeries Vergangenheit. Was haltet ihr davon?

Und Nick ist also tatsächlich auf Val aufmerksam geworden ;)

- Xo, Zebisthoughts

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top