Valerie - Kapitel 81

Sechs Monate später


„Maus, bist du endlich fertig?" Ich nicke eifrig und schmeiße die letzte LED-Kerze in meinen Koffer, den ich dann nur zu bekomme, wenn ich drauf sitze.

„Du hattest schon immer ein fehlendes Talent für Koffer" schmunzelt plötzlich eine tiefe Stimme, und als ich mich umdrehe entdecke ich Nate, der grinsend im Türrahmen steht. „Nate" murmle ich, springe von meinem Koffer und renne meinem Halbbruder in die Arme. „Was machst du hier" murmle ich in sein Shirt, und spüre, wie er mich fest an sich drückt. „Na dich abholen natürlich. Ich würde sogar vom anderen Ende der Welt hierherfliegen, um das zu erleben." Tränen bilden sich in meinen Augen, und ich seufze tief.

„Aber du solltest in New York sein, was ist denn mit deinem Aufenthalt dort?" Nate lacht leise und drückt mir einen Kuss auf den Kopf. „Meine Gastmutter hat das hier möglich gemacht du Dulli. Ich werde in einer Woche wieder abreisen, und dann dauert es ja nur noch einen Monat, bis ich wieder zu Hause bin." Ich lächle und löse mich etwas von Nate. „Und dann wird das Haus auseinandergenommen."

Nate lacht als er den schockierten Blick unserer Mutter sieht, und ich zwinkere ihr zu. Kopfschüttelnd aber lächelnd schnappt sie sich meinen Koffer, der noch auf dem Bett liegt, und stellt ihn auf seine Räder. „Ich habe übrigens noch eine Überraschung" verkündet Nate, und ich schaue ihn ungläubig an. „Noch eine?" Nate nickt, dann stellt er sich etwas in den Flur und winkt. Verwirrt schaue ich ihn an, bis ein grosser Junge mit dunklen Augen, blonden Haaren deren Ansatz noch immer verrät, dass seine eigentliche Haarfarbe schwarz wäre und brauner Haut vor mir erscheint.

Mir klappt die Kinnlade runter, und bevor ich es tun kann, stürmt Martin breit grinsend auf ich zu, hebt mich hoch und dreht mich einige Male im Kreis. „Du bist raus! Mein Minion ist endlich raus!" Immer noch ungläubig lache ich und klammere mich an Martins Armen fest, da ich sonst kaum Halt finden würde. Als Martin endlich zum Stehen kommt klammere ich mich wie ein Äffchen an ihm fest und habe nicht vor, ihn so schnell wieder loszulassen.

„Ich liebe euch" murmle ich, und halte gerade noch so eine Träne dabei auf, über meine Wange zu rollen. Martin drückt mich fest an sich, und ich spüre sein Grinsen in meiner Halsbeuge. „Wir dich auch Minion." Ich zwicke ihn leicht in die Schulter, lache aber leise. „Ich hasse dich jedoch für den Spitznamen." Wieder grinst Martin, und erst als Mom sich nicht gerade sehr verhalten räuspert, lösen wir uns voneinander.

Ich lächle so breit ich kann, und Mom schließt mich kurz in ihre Arme, bis meine Therapeutin den Raum betritt und uns alle anlächelt. „So, guten Tag Mrs. Jones, Nate, Martin – und natürlich Valerie. Nun, ich möchte mich nochmal persönlich von dir verabschieden, Valerie. Ein halbes Jahr mag sehr lange klingen, doch die Zeit ist wirklich sehr schnell vergangen, und ich bin so stolz auf dich, dass du von Anfang an so gute Fortschritte gemacht hast. Und du darfst ruhig auch sehr stolz sein auf dich, du hast lange gekämpft und schlussendlich gewonnen. Nun, ich hoffe wir sehen uns nur noch zu den Pflichtuntersuchungen hier, und nicht mehr auf Station. Die Arbeit mit dir war trotz den Umständen sehr schön, du hast viele Emotionen mitgebracht und die Station am Laufen gehalten. Ich hoffe, dass du uns vielleicht mal besuchen kommst. Vorerst jedoch wünsche ich dir alles Gute für die Zukunft, und ich hoffe, dass du dein Leben nun endlich so genießen darfst, wie du es immer wolltest."

Gerührt stehe ich vor meiner Therapeutin, die mich die letzten Monate durch so unglaublich viele Dinge geboxt hat, dass ich oft nicht mehr wusste, wo mir der Kopf stand und welches Datum wir überhaupt hatten. Rückfälle hatte ich nur ganz am Anfang welche, und vor allem darauf bin ich stolz.

Ohne groß zu überlegen lege ich meine Arme um meine Therapeutin, und höre sie leise lachen, ehe sie die Umarmung herzlich erwidert. Als wir uns wieder voneinander lösen streiche ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel und schlucke. „Es hat mir ebenfalls trotz allem viel Spaß gemacht, mit Ihnen zu arbeiten. Sie haben mir so sehr geholfen, dass ich gar nicht so richtig weiss, wie dankbar ich Ihnen sein soll. Ich bitte Sie, bitte bleiben Sie für immer in diesem Beruf, Sie sind wie gemacht dafür."

Meine Therapeutin lächelt mich an und nickt dann. „Das werde ich. So, jetzt muss ich euch aber leider verjagen, der Neuzugang kommt in zwei Stunden." Ich lächle und schaue auf den Brief, den ich der neuen Patientin die in mein Zimmer kommen wird auf der Kommode hinterlassen werde. In dem Brief steckt eine große Menge an Hoffnung, Mut, Erlebnissen, Kampfgeist und Mitgefühl. Ich hoffe, dass sie sich dadurch etwas besser fühlen wird.

Mit einem letzten Blick in mein Zimmer verlasse ich es dann und schliesse die Türe ab. Mom rollt meinen Koffer den Flur entlang, und ich laufe auf das Zimmer zu, in dem ich die letzten Monate so viel Zeit verbracht habe. Sofort öffnet Mira sie und schließt mich augenblicklich fest in die Arme. „Wehe ich sehe dich hier nochmal" murrt sie, und ich lache leise. „Höchstens um dich zu besuchen Süße" flüstere ich zurück, und schlucke.

„Du wirst mir fehlen" schluchzt Mira plötzlich, und ich drücke sie noch etwas fester. „Ich komme ganz bald um dich zu besuchen, okay? Du bist nicht alleine, nur, weil ich nicht mehr hier wohne" flüstere ich leise, und schlucke mühevoll die aufkommenden Tränen runter. Mira war die letzten Monate wie eine Schwester für mich, wir sind ungefähr zum gleichen Zeitpunkt eingewiesen worden und haben auch ziemlich dasselbe erlebt. Wir haben uns auf Anhieb verstanden, und ich wüsste heute nicht mehr, was ich ohne dieses Bündel voller Energie machen sollte.

Ich drücke Mira einen Kuss auf die Wange, streiche ihr ein paar Strähnen aus ihrem verheulten Gesicht und lächle dann gequält. „Du schaffst das" flüstere ich, und Mira nickt. „Ich will schließlich bald mal sehen, wo du so wohnst" lacht sie mit einer verheulten Stimme, und ich lächle ebenfalls. „Glaub mir, das wirst du bald sehen können." Wir umarmen uns nochmal, ehe ich gehen muss, da meine Mutter etwas drängelt. Sie hat anscheinend noch eine Überraschung für mich, von der ich nichts weiss.

Mira und ich winken uns so lange zu, bis ich im Lift verschwunden bin, und mir endlich auf die Lippe beißen kann. „Du wirst sie ganz bald besuchen können" sagt Nate, und streicht mir über den Kopf. „Aber zuerst mal müssen wir dich wieder zu Hause integrieren." Ich lache leise und nicke dann. „Ich freue mich auf mein Bett." Mom lacht, und ich grinse breit.

Wir treten in die Eingangshalle, die ich bei meiner Einweisung nur schummrig wahrgenommen habe, und ich betrachte alles nochmal genau. Dann trete ich aus der Türe raus ins Freie und fange automatisch an zu lachen. Es fühlt sich so unglaublich gut an, dass es fast wehtut, und ich könnte schreien. So laut, dass Silas es im vierten Stockwerk hört. So laut, dass Jessie es zu Hause hört. So laut, dass Ray es hört.

Ich schlucke und spüre eine Hand auf meiner Schulter. „Woran denkst du?" Ich lächle und drehe mich etwas zu Nate. „Ich frage mich gerade, was Ray sagen würde, wenn ich jetzt einfach losschreie." Nates Augen fangen an zu leuchten, und ich grinse.

„Ray würde es als eine wundervolle Idee abstempeln."

--

„Ich bin zu Hause!"

Ich betrete das Haus, welches mir schon so lange vertraut ist, und direkt darauf kommt ein kleines Mädchen auf mich zu gestürmt. „Valyy! Valyyyy!" Leona schmeißt sich um meinen Hals, und ich lache als ich sie auffange und nach hinten auf den Hosenboden kippe. „Na, wie geht's dir Kleine?" Ich streiche Leona lächelnd ein paar Strähnen aus dem Gesicht und komme immer noch nicht so ganz drauf klar, wie funkelnd ihre Augen sein können. Sie erwecken in jedem das Leben, egal wie schlecht es einem geht.

„Mir geht's super! Das Haus ist endlich nicht mehr so leer." Ich lächle und drücke dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn. Leona ist im Dezember elf geworden, und ich durfte an dem Tag für ein paar Stunden nach Hause, um ihren Geburtstag zu erleben. Langsam stehe ich wieder auf und schmeiße meine Jacke über das Treppengeländer. „Wo ist denn der Rest? Maria? Juan? Josh?"

Verwirrt blicke ich mich um, doch keiner antwortet mir. Nate runzelt ebenfalls die Stirn und erscheint neben mir. „Vielleicht verstecken sie sich?" Ich zucke mit den Schultern und mache mich dann auf die Suche nach meiner Tante, ihrem jetzt Ehemann und meinem Cousin, den ich schrecklich vermisst habe. Ich gehe zuerst in die Küche, in der ich so oft Pancakes zubereitet habe, dass ich den Geruch förmlich riechen kann. Dann laufe ich ins Wohnzimmer, welches wie ausgestorben aussieht.

Gerade will ich auf den Flur raus, als ich plötzlich wahrnehme, wie Nate eine Hand hochhält. Im gleichen Moment schießen alle meine Freunde aus allen erdenklichen Ecken hervor und jubeln laut. Eine Konfettibombe explodiert irgendwo, doch das wichtigste läuft geradewegs auf mich zu: Silas.

Aus der Klinik.

Ohne dass ich es wusste.

Mit grossen Augen starre ich meinen Freund an, der breit grinsend zu mir kommt. „Willkommen zu Hause Baby" raunt er mir ins Ohr, als er mich erreicht hat, und ein kleiner Schluchzer vor Freude verlässt meinen Mund. „Du bist ja gar nicht in der Klinik" flüstere ich mit Tränen in den Augen, und umfasse Silas' Gesicht um zu überprüfen, dass er wirklich echt ist. Als er leicht zusammenzuckt als ich ihn in die Wange zwicke bekomme ich meinen Beweis, und ich schüttle nur den Kopf.

„Seit wann bist du zu Hause?" frage ich leise, und Silas grinst. „Seit genau vier Stunden." Ich schüttle breit grinsend den Kopf, ehe ich Silas fest an mich ziehe. „Und ich wollte doch dabei sein, wenn du entlassen wirst" murre ich beleidigt, und Silas lacht, ehe er mich plötzlich mit einem Ruck hochhebt, und ich instinktiv meine Beine um seine Hüfte schlinge.

„Tja, das tut mir wirklich sehr leid" sagt er mit einem entschuldigen Blick, und ich schüttle nur den Kopf, bevor ich Silas küsse. „Du bist ein Idiot" nuschle ich gegen seine Lippen, und vergrabe mein Gesicht wieder in seiner Halsbeuge. Silas lacht rau und drückt mir einen flüchtigen Kuss auf den Hals. „Aber du liebst mich." Ich schnaube und antworte einige Sekunden nicht, bis ich dann nachgebe. „Ja, tue ich" murre ich, und wieder lacht Silas.

Dann lässt er mich runter, und noch bevor meine Füße den Boden berühren kommt Joshua zu mir und zieht mich mit einem Ruck gegen seine Brust. „Wehe du machst das noch ein einziges Mal" warnt er mich, und ich lächle. „Ich verspreche dir, es wird nicht mehr vorkommen" flüstere ich, und schlinge meine Arme um Joshuas Bauch.

Als wir uns nach einer halben Ewigkeit voneinander lösen kommt Hunter auf mich zu, und ich fange fast an zu heulen. Auch er war eine Zeit lang in der Klinik, ist jedoch schon seit zwei Monaten wieder zu Hause. Sein Vater wurde verhaftet, und er ist zu Nick und Caine gezogen, die eine WG gegründet haben. Nach seinem Krankenhausaufenthalt ist er in die Klinik gekommen, um alle Erlebnisse zu verarbeiten, und es hat ihm wirklich viel geholfen.

Ich umarme ihn so fest ich kann, und erst als ich seine übertrieben erstickenden Geräusche höre, lasse ich ihn los. „Idiot" murmle ich, und Hunter grinst breit, während er mich mit seinen grünen Augen anblitzt. Gerade will ich mich zu meinen Freunden drehen, als ich einen Fluch aus der Ecke höre.

Sidney steht mit der Zunge zwischen den Lippen hinter dem Sofa und kämpft anscheinend immer noch mit seiner Konfettibombe, die vor sicher fünf Minuten hätte losgehen sollen. „Ich raff' den Scheiss nicht" sagt er irgendwann, und gerade als er sie von einer Hand in die andere schmeißt, geht das Teil los – mitten in Silas' Gesicht.

Augenblicklich bekommen wir alle kaum noch Luft vor Lachen, und Sid stolpert keuchend ein paar Schritte nach Hinten, als Silas sich ihm nähert. „Sidney Hall!" sagt er laut, und wischt sich etwas Konfetti aus den Haaren. „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?" Sid lacht nur noch und winkt ab, doch als er Silas erneut ansieht bricht er dermaßen heftig in einen Lachanfall aus, dass er nur noch eines tun kann und auch schleunigst sollte: flüchten.

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Nun... ich mag Konfettibomben aus genau einem Grund nicht: ich raff' den Scheiss auch nicht xD (Ja, mir ist genau das was Sid passiert ist auch schonmal passiert. Das Schlimme daran: Das Opfer war eine fremde Person.)

- Xo, Zebisthoughts

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