Valerie - Kapitel 75

Auch hier wieder ein TW, Thema Magersucht

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Magensonde. Ich habe eine Magensonde.

Fast panisch versuche ich mich aufzurichten und an dem Schlauch zu ziehen, der an meiner Wange mit einem Pflaster befestigt ist. Ich will keine verdammte Magensonde. Ich will das nicht! Ich will nicht zunehmen. Auf keinen Fall. Das darf nicht passieren. Ich reiße die Augen auf und schaue mich um. Wieder mal ein Krankenhaus. Klar, was denn auch sonst? Meine Finger umfassen den Schlauch der in meinen Magen führt und versuchen, das Pflaster zu lösen, doch ich zittere zu sehr und rutsche immer wieder ab.

Die ersten Tränen finden den Weg in meine Augen, und ich atme hektisch ein und aus. Das hier ist der größte Alptraum der mir passieren kann. Ich will keine Sonde, nicht schon wieder verdammt. Ich lasse einen kleinen Schrei entweichen als ich wieder abrutsche, und in dem Moment wird die Türe geöffnet. Nate kommt herein und sieht mich erschrocken an, als er meine Finger an der Sonde sieht.

Innerhalb einer Sekunde ist er bei mir und umfasst meine Handgelenke. „Tu das nicht Val" fleht er mich an, doch ich schüttle nur den Kopf und will ihn jetzt nicht hören. „Nein! Nein, das darf nicht sein! Ich will dieses Teil nicht! Ich will, dass es rausgenommen wird, sofort! Lass mich los!" Ich schüttle meine Handgelenke und hoffe, Nate lässt sie los, doch er tut es nicht. Stattdessen drückt er sie neben meinem Kopf ins Kissen, wodurch ich wieder in eine Liegeposition komme.

„Lass mich los Nate!" schreie ich, doch Nate schüttelt nur den Kopf. „Nein, Valerie. Ich lasse dich nicht los, erst, wenn du dich beruhigt hast. Erst wenn du aufhörst, dir das einzige Instrument rauszuziehen, was dich noch am Leben hält." Ich schüttle immer noch den Kopf, und hysterische Schluchzer verlassen meinen Körper. „Ich werde fett! Ich werde fett verdammt! Ich hasse mich doch jetzt schon" heule ich, und kneife die Augen zusammen in der Hoffnung, dass alles nur ein schlechter Traum ist und ich gleich aufwache. Doch leider ist es nicht so.

„Du wärst fast abgekratzt man! Jetzt hör endlich auf und sei froh, dass du verdammt nochmal lebst! Dass du dazu fähig bist zu sprechen, dich zu wehren, Gefühle zu haben! Hätten die Notärzte nicht sofort reagiert, weiss ich nicht ob das noch möglich gewesen wäre. Willst du etwa sterben?" Ich heule einfach weiter und ringe nach Luft. Nate lässt meine Hände los als er merkt, dass ich keinen Wiederstand mehr leiste, und legt seine Hände an meine Wangen.

„Valerie, sieh mich an" befiehlt er, und ich blinzle stark, bevor ich ihm in die Augen schaue. „Atme tief ein und aus und beantworte bitte meine Frage" flüstert er, und ich sehe etwas in seinem Blick, was ich noch nie gesehen habe: Sorge. Angst. Trauer. „Willst du sterben?" wiederholt Nate seine Frage langsam, und ich schüttle meinen Kopf. „Ich will nicht sterben" wimmere ich, und breche erneut in einen Schwall von Tränen aus.

Nate nickt und wischt mir flink die Tränen weg. „Dann bitte, Valerie. Ich bitte dich inständig, lass dir helfen. Das ist doch kein Leben mehr. Ich wünschte mir so sehr, dass du dich gerade sehen könntest. Du bist ein Skelett. Du warst noch vor ein paar Stunden in einem kritischen Zustand, und die Ärzte konnten dich nur knapp retten. Tu es bitte für uns, für deine Freunde. Wir wollen dich nicht auf dem Friedhof besuchen gehen."

Tatsächlich werden Nates Augen feucht, und ich schlucke, so gut das zwischen den Schluchzern geht. „Es tut mir l-leid" flüstere ich weinend, und schluchze laut auf. „Ich w-wollte das doch alles n-nicht" hänge ich noch hintendran, und schliesse kurz die Augen. Nate richtet mich etwas auf und schlingt seine Arme dann um mich, und ich klammere mich wie eine Ertrinkende an seine Schultern.

„Ich weiss, Valerie, ich weiss. Es ist okay, du musst dir keine Vorwürfe machen" flüstert er immer wieder, und fährt mit der einen Hand meinen Hinterkopf immer wieder auf und ab, während er mich mit der anderen fest an sich gedrückt hält. Meine Gedanken sind unglaublich laut, und wäre Nate jetzt nicht hier, wäre ich wohl schon längst durchgedreht.

Laute Stimmen versuchen mich davon zu überzeugen, dass ich nur noch fetter werde, wenn ich mir helfen lasse. Dass ich keine Hilfe brauche, dass es mir gut geht, dass ich keine Hilfe verdient habe. Ein Keuchen verlässt meine Lippen, und ich kralle mich noch etwas mehr in Nates Schultern fest. „Ich habe Angst" sage ich dann so leise dass ich mich frage, wie Nate es verstehen konnte.

„Das verstehe ich, aber vertrau mir bitte. Du brauchst keine Angst zu haben. Es wird alles gut, okay? Es wird alles gut. Du wirst glücklich werden. Vertrau mir, es ist okay. Wir sind alle da." Ich nicke leicht und lege meinen Kopf dann auf Nates Schulter ab, welcher mich leicht in seinen Armen wiegt. Ich höre in der Ferne, wie er immer wieder flüstert, dass alles gut wird, und irgendwann drifte ich wieder in einen traumlosen Schlaf ab.

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„Wo ist er?"

Ich schaue Sid eindringlich an, doch er zuckt nur mit den Schultern und sieht auf den Boden. „Ich weiss es nicht, Valerie. Keiner weiss es." Ich beiße mir auf die Lippe um jetzt ruhig zu bleiben. „Wieso ist ihm keiner nach?" frage ich so ruhig wie möglich, und ich höre Sid bis hierher schlucken. „Hunter und du wart beide in Lebensgefahr, Val. Fuck du hattest fast keinen Puls mehr, als ich dich aufgefangen habe. Martin und ich – wir haben uns um dich gekümmert, okay? Ich hatte Angst, dass du mir in den Armen wegstirbst."

Ich nicke nur leicht und schaue raus. „Tut mir leid Sid, ich mache mir einfach nur so schreckliche Sorgen um ihn" sage ich dann mit brüchiger Stimme, und blinzle einige Male heftig, um nicht schon wieder zu heulen. „Das tun wir alle, glaub mir. Ich habe Silas schon lange nicht mehr in so einem Zustand erlebt. Ich dachte, er hätte es unter Kontrolle."

Sidneys Stimme ist ebenfalls lange nicht so fest und fröhlich wie sonst immer, und ich kann mir kaum vorstellen wie nah ihm alles gehen muss. Er kennt Silas schon so unglaublich lange und hat wohl auch viele Dinge live miterlebt, ihn auf seinem Weg begleitet. Ich denke, es frisst Sid innerlich auf. „Weißt du was das schlimmste ist?" Sid sieht mich fragend an, und ich schniefe kurz.

„Es waren nicht seine Worte die er mir gegen Ende gesagt. Es... es war sein Anblick. Seine Ansichten auf sein Leben, wie er alles sieht. Was er denkt was er verdient und was nicht. Und dass er sich die ganze Schuld dafür gibt, dass die Leute in seinem Umfeld beinahe gestorben oder gestorben sind. Er kann doch überhaupt nichts dafür, es waren doch einfach nur verdammte Zufälle" sage ich leise, und gegen Ende bricht meine Stimme doch etwas.

„Ich weiss nicht mehr was ich tun soll Sid. Ich habe ihn noch nie so erlebt. So hoffnungslos, so voller Hass auf sich selbst. Ich wusste nichts davon, gar nichts. Als er da draußen stand und mir all diese Dinge an den Kopf geworfen hat... ich wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen und nie mehr loslassen. Meine Welt ist in tausend Teile zersprungen, und das nur wegen einem einzigen Anblick."

Ich halte krampfhaft die Tränen zurück, doch als ich eine kleine Träne auf Sidneys Wange entdecke, brechen meine Dämme und ich fange an zu schluchzen, während ich einen Arm von mir strecke. „Komm her" sage ich leise, und Sid bewegt sich auf mein Bett zu. „Weißt du" fängt er an, und schnieft kurz schief lächelnd, als er sich gegen mich lehnt. „Ich weiss genauso wenig wie du, was ich machen soll. Es wurde schon so unglaublich viel probiert, er hat schon so viel mitgemacht. Er hatte sicher schon fünf verschiedene Therapeuten, aber niemand konnte ihm wirklich helfen. Dann bist du gekommen. Du hättest ihn vor dir sehen sollen – er war so anders, so kalt und distanziert, bis du kamst und dir deine Nase hast blutig schlagen lassen."

Ich lache kurz unter Tränen auf und wische mir dann über die nassen Wangen. „Du hast seine Welt auf den Kopf gestellt ohne dass auch nur einer von euch es mitbekommen hat. Er hat dir hinterhergeschaut als wärst du der Sechser im Lotto, glaub mir. Ich habe es sofort gesehen, und das obwohl ich ein Junge bin." Mein Herz erwärmt sich etwas, und ich schlucke um die Tränen etwas aufzuhalten. „Er hat angefangen immer mehr von dir zu erzählen, dich immer plötzlich zu erwähnen. Du glaubst nicht wie verdammt nervös er war, als ihr zusammengezogen seid. Er hat sich fast eingepisst."

Diesmal entfährt uns beiden ein etwas lauterer Lacher, und Sid wischt sich die Tränen ebenfalls kurz weg. „Er war verrückt nach dir. Er ist es immer noch. Egal was er dir heute gesagt hat, Val – dieser Junge liebt dich wie nichts Anderes. Du bist seine Welt, sein Zuhause, sein Halt. Du bist da wenn er jemanden braucht, du kennst ihn. Du hast ihn in schlimmen und in guten Zeiten erlebt. Er war wie ausgewechselt, so warmherzig und glücklich. Ich habe mich so gefreut meinen besten Kumpel endlich wieder herzlich lachen zu hören, dass ich fast geheult habe. Du weißt nicht wie lange ich darauf gewartet habe."

Ich lächle durchgehend, und verfestige meinen Griff um Sids Schulter etwas damit er weitererzählt. „Der Vorfall heute... es war nicht voraussehbar. Keiner hätte es wissen können. Es hat Silas an früher erinnert, daran, wie er seine Mutter aufgefunden hat. Seine Schuldgefühle sind zurückgekommen bevor ich etwas dagegen tun konnte, und was dann passiert ist, weißt du ja. Früher ist er regelmäßig, oft sogar zweimal am Tag in diese Zustände gefallen. Bis er in die Klinik ist. Glaub mir, die Zeit war schlimm. Er hat gelitten und geweint, er hatte seine Gefühle nicht unter Kontrolle. So oft ist Silas abgehauen, und nur dank Leo hat er sich nie das Leben genommen. Er hätte es getan, da bin ich mir sicher."

Ich schluchze wieder und beiße die Zähne zusammen. „Er war leer. Nur noch eine Hülle welche die Leute daran erinnert hat, wie er mal war. Und wie er nie mehr sein sollte. So viele Menschen haben ihn aufgegeben, Val. Es hat wehgetan, das zu sehen, zu sehen, wie er sich gegen außen nichts hat anmerken lassen und gleichzeitig zu wissen, wie sehr es ihn eigentlich verletzt hat. Deshalb habe ich eine Bitte, Val."

Ich schaue so gut es geht zu Sidney und sehe ihn fragend an. „Was auch immer er gesagt hat, wie sehr es dich auch verletzt hat und egal wie sehr du ihn gerade verfluchst – bitte gib ihn nicht auf. Er würde das nicht aushalten." Ich schnappe unbemerkt nach Luft, und erneut rollt eine Träne aus meinem Auge. „Ich schwöre dir, Sidney Hall. Ich habe es nicht mal gewagt auch nur eine Sekunde daran zu denken, Silas aufzugeben."

Sid lächelt und schlingt einen Arm um mich, um mich an seinen Oberkörper zu drücken. „Ich frage mich wieso manche Menschen so toll sein können wie du" sagt er leise, und ich schmunzle. „Ich bin aber auch nicht perfekt, Sid." Sidney schüttelt den Kopf, und ich spüre sein Lächeln an meiner Halsbeuge.

„Keiner ist das Valerie. Aber fuck, dein Herz ist trotz allem immer noch so verdammt groß, dass die ganze Welt da reinpassen würde. Ich habe dich schon immer dafür bewundert, dass du trotz allen möglichen Umständen für jeden da bist, allen versuchst irgendwie den Tag zu retten. Silas hat genau so jemanden verdient, und ich freue mich so unglaublich, dass ihr euch gefunden habt. Es macht mich glücklich, wenn ich euch zusammen sehe, und fast noch glücklicher wenn ich sehe, dass ihr auch diskutiert, da das einfach dazugehört. Es ist Gang und Gebe in einer Beziehung sich auch mal nicht einig zu sein, es ist einfach wichtig, auch dann den anderen nicht aufzugeben. Valerie, Silas braucht dich jetzt mehr denn je. Wir werden ihn finden, ganz klar. Aber dann wird eine schlimme und harte Zeit auf euch zukommen, und Silas wird oft versuchen, dich von sich zu stoßen. Lass dich davon bitte nicht einschüchtern, okay? Er braucht dich und das weiss er, aber er hat Angst es zu sagen oder zu zeigen. Er glaubt du würdest sterben, wenn er es zeigen würde."

Ich schlucke und nicke dann einfach nur, da meine Stimme sich verabschiedet hat. „Wann geht ihr ihn suchen?" frage ich leise, und spüre, wie Sid seinen Arm etwas bewegt um auf die Armbanduhr zu schauen. „In einer Stunde. Und Val, bitte versprich mir was." Ich löse mich etwas von dem Rotschopf und schaue ihn abwartend an.

„Gib dich nicht auf. Kämpfe. Wenigstens für uns, okay?" Ich schlucke und nicke dann leicht, ehe ich zittrig Luft hole. „Versprochen."

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Aww Nate und Sid zeigen weiche Seiten ^.^

Was haltet ihr von dem Kapitel?

Denkt ihr, dass die Jungs Silas finden werden?

- Xo, Zebisthoughts

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