Valerie - Kapitel 57

„VALERIEEEE!"

Leona kommt mit dem breitesten Grinsen überhaupt auf mich zu gestürmt, und ich kann gerade noch in die Hocke gehen um das kleine Mädchen aufzufangen, ehe sie sich mir um den Hals wirft. Ihre kleinen Ärmchen klammern sich fest an mich ran, und ich lache leise während ich Leo an mich drücke. „Daddy hat gesagt, dass es dir nicht gut ging" murmelt Leona in meine Haare hinein, und ich schmunzle.

„Da hat er Recht. Aber es geht mir schon viel besser. Wie war's bei deiner Grandma?" Leona löst sich mit einem breiten Grinsen von mir und hüpft aufgeregt rum. „Richtig cool! Wir waren im Zoo, und Granny hat immer gekocht. Sie kocht viel besser als Silas." Ich lache leise als natürlich in dem Moment Josh und Silas das Haus betreten.

„Das habe ich gehört du Frechdachs" lacht Silas leise, und kommt die Treppen hoch. Sofort kreischt Leona auf und versteckt sich hinter meinem Bein, während ich mich grinsend wieder aufrichte. „Soso, da ist jemand offensichtlich nicht begeistert von deinen Kochkünsten" schmunzle ich, und Silas verdreht die Augen.

„Das höre ich wohl auch noch mein ganzes Leben, hab' ich recht?" Ich zucke mit den Schultern und grinse frech. „Möglich." Gerade will Silas noch was sagen, als Joshua die Treppe hochkommt. Sofort rennt Leona ihm entgegen und umarmt ihn mindestens so stürmisch wie mich vor ein paar Minuten. Es erwärmt mein Herz meinen Cousin so glücklich zu sehen, er hat neben mir sehr stark unter den letzten Jahren gelitten.

„Ich will was spielen! Josh, bitte, bitte, bitte!" Mit Glupschaugen sieht Leona meinen Cousin an, welcher ziemlich schnell nachgibt. „Okay, aber in einer halben Stunde geht's für dich ab ins Bett, ja?" Leona nickt glücklich, und Joshua nimmt sie auf den Arm. „Tja ich bin dann mal beschäftigt."

„Ich wünschte ich könnte so spielen wie du" murmle ich, und schaue Silas wieder mal dabei zu, wie er Gitarre spielt. „Wenn du dir die Zeit gut aufteilen würdest und weniger ungeduldig wärst, könntest du das auch schaffen." Ich lege mich schmollend hin und verschränke liegend die Arme vor der Brust. „Ich bin nicht ungeduldig." Silas lacht leise und legt die Gitarre weg. „Doch, das bist du."

Ich spüre wie sich das Bett unter deinem Gewicht neben mir etwas senkt und starre stur an die Decke. „Valy, muss ich etwa unseren Therapeuten Sid holen gehen?" Sofort schüttle ich den Kopf und grinse. „Bloß nicht." Silas schmunzelt und zieht mich dann an sich. Ich kuschle mich an seine Brust und ziehe die Decke über uns beide. Zufrieden schließe ich die Augen halb und lausche Silas' Herzschlag.

„Wie geht's dir?" fragt Silas nach einigen Minuten leise, und ich seufze. „Ich weiß nicht so genau. Tagsüber geht's mir ganz gut, aber ich träume ab und zu mal von ihm. Ich denke, mein Körper fängt damit an, alles zu verarbeiten. Aber ich komme schon klar." Ich spüre einen leichten Kuss auf meiner Stirn und kann nichts gegen das Lächeln tun, welches sich auf meinen Lippen ausbreitet.

„Das glaube ich auch. Deshalb würde ich gerne die nächsten Nächte, bis sich alles wieder gelegt hat, bei dir schlafen. Dann kann ich dich wecken." Ich lächle noch breiter und nicke. „Ich wüsste nicht was ich dagegen haben soll" schmunzle ich, und schließe die Augen. „Du weißt, dass ich immer auf dich aufpassen werde, oder?"

Ich bin kurz davor, vor Glück laut aufzuschreien. Jedoch nicke ich nur sehr stark. „Dann ist gut. Schlaf gut Kleine, morgen bereiten wir die Party vor." Ich lächle bei dem Gedanken daran, bald Geburtstag zu haben. „Gute Nacht Silas" murmle ich, und falle direkt in einen tiefen Schlaf.

Ein greller Schrei lässt mich aufschrecken, und ich fahre hoch. In Sitzposition versuche ich auszumachen wo ich bin, bis Silas sich neben mir bewegt. „Ich muss zu Leo" sagt er nur atemlos, und ich starre ihn verdutzt an. „War sie das?" frage ich leise, und Silas nickt, während er sich einen Pulli überzieht. Ohne nachzudenken folge ich dem Spanier in Leonas Zimmer, und was ich sehe verschlägt mir die Stimme.

Leona liegt mit einem tränenüberströmten Gesicht in ihrem Bett, während ihr einige Strähnen auf der verschwitzten Stirn kleben. Sie windet sich hin und her, und es bricht mir das Herz, sie so zu sehen. Silas stellt sich an das Bett seiner Schwester und nimmt ihr kleines Gesicht vorsichtig in seine Hände. „Leo, ich bin da" flüstert er leise, und ich lehne mich am Türrahmen an. „Es ist alles gut Prinzessin. Du brauchst keine Angst zu haben."

Silas hebt das kleine Mädchen auf seinen Schoß und wiegt sie sanft hin und her. Leonas Augen öffnen sich einen Spalt breit und bleiben an Silas hängen. „Silas" murmelt sie, und der Schmerz in ihren Augen erinnert mich sofort an Silas, wie er mir weinend auf dem Bett von seinen Erlebnissen erzählt, und wie er im Krankenhaus sagt, er hätte mich nicht verdient.

„Shht, du musst nichts sagen Leo. Schließ die Augen wieder und denk an was ganz Schönes, okay?" Silas fährt mit dem Daumen über Leonas kleine Hamsterbäckchen, um ihr die Tränen wegzuwischen, und sieht sie so unglaublich liebevoll an, dass ich fast losheule. „Wo ist Pooh?" Leona sieht sich suchend im Raum um, und Silas greift schnell nach einem gelben Teddybären auf Leonas Bett, um ihn seiner Schwester zu geben.

Der Bär stellt Winnie Pooh dar, und erst jetzt fällt mir richtig auf, dass Leos ganzes Zimmer mit dem Bären und seinen Freunden dekoriert ist. Ich lächle sanft und schaue wieder zu Leona, die nun ihre grauen Augen wieder geschlossen hat. Silas wiegt sie weiterhin leicht hin und her, und als plötzlich die Melodie von „La Le Lu" ertönt glaube ich es fast nicht, dass Silas tatsächlich singt.

Der taffe Silas Garcia singt seine Schwester in den Schlaf. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um den Mann zu heiraten.

Silas sieht seine Schwester an, als würde sie gleich zerbrechen, wenn er sie noch etwas fester wiegen würde, und ich frage mich, wieso Leona solche Träume hat. Sie ist doch noch so klein. Minuten verstreichen, bis Silas Leo wieder in ihr Bettchen legt und sie vorsichtig zudeckt. Er drückt ihr noch einen kleinen Kuss auf die Stirn, ehe er sich zu mir umdreht.

„Alles okay?" frage ich leise, und Silas nickt langsam. „Ja, es sollte vorbei sein" flüstert er, und läuft an mir vorbei. Wir verlassen den Raum, und Silas lässt die Türe einen Spalt breit offen. „Alpträume?" frage ich leise, als wir wieder in Silas' Zimmer sind, und er nickt mit glasigem Blick. „Ja" murmelt er, und schliesst kurz die Augen.

„Weißt du, sie hat vor einigen Jahren etwas mitgemacht, was ich keinem wünschen würde. Nicht mal Marc. Seither leidet sie extrem darunter, und bekommt mindestens einmal die Woche diese Alpträume." Ich schaue Silas abwartend an, welcher sich durch die Haare fährt und meinem Blick ausweicht. „Sie hat Mom gefunden" flüstert er dann leise, und meine Augen weiten sich.

„Oh Gott" flüstere ich, während ich mir gar nicht erst vorstellen möchte, wie es für ein kleines Kind ist, seine Mutter tot aufzufinden. Es muss wahrhaftig ein Alptraum sein, und ich wünsche mir auf der Stelle, dass ich Leona diesen Schmerz und die Erinnerung irgendwie nehmen könnte.

Silas weicht meinem Blick weiterhin aus und schaut auf seine Hände. „Sie geht regelmäßig zum Kindertherapeuten, der uns jeden Monat eine Beurteilung ihres Zustandes schickt. Sie macht Fortschritte, aber die Träume bleiben. Ich bin der einzige, der sie stoppen und dann beruhigen kann." Silas senkt den Blick und seufzt.

„Ich war derjenige der sich um sie gekümmert hat, als Dad für sicher ein Jahr lang in der Arbeit versunken ist. Ich dachte, Leo hätte beide Elternteile verloren. Wir hätten beide Elternteile verloren. Du würdest mich nicht erkennen, wenn du den Jungen von damals sehen würdest. Mir war alles egal, nur Leona sollte es gut gehen. War das nicht der Fall, bin ich komplett durchgedreht."

Ich überhöre das Zittern in Silas' Stimme keineswegs und robbe auf ihn zu, um ihn zu umarmen. „Ich bin stolz auf dich" flüstere ich leise, und streiche durch Silas' Haar. Schon nur der kleinste Gedanke daran, wie Leona und Silas sich gefühlt haben müssen, treibt mir die Tränen in die Augen. Ich glaube nicht, dass ich sowas geschafft hätte. „Ich glaube Leo könnte sich keinen besseren Bruder vorstellen. Sie vergöttert dich."

Ich hoffe, dass Silas das leichte Zittern meiner Stimme nicht bemerkt, denn ich muss jetzt stark sein für ihn. Weinen kann ich später. Silas schluckt und nickt dann. „Weißt du was ich mich frage?" Ich schaue Silas an und schüttle den Kopf. „Was denn?" Der Junge vor mir spielt mit seinen Händen und seufzt dann. „Wieso? Wieso musste das passieren? Und wieso musste ausgerechnet Leo sie finden? Wieso konnte nicht ich oder jemand anders das sein?"

Silas' Stimme bricht, und ich ziehe ihn mit einem schmerzlichen Ausdruck auf dem Gesicht wieder in meine Arme. Wie ein ertrinkender klammert Silas sich an mich und nimmt sich von mir den Trost, den er braucht. Ich weiss, dass ich seine Wunden nicht heilen kann. Dass ich ihm diese Fragen nicht beantworten kann, und dass ich seine Vergangenheit nicht ändern kann.

Aber schon nur deshalb will ich jetzt alles tun was ich kann, um Silas wenigstens das Gefühl zu geben, dass er nicht mehr alleine ist. Dass er jemanden hat, der ihn hält und für ihn da ist. „Das Leben ist manchmal echt scheisse" flüstere ich, und schließe die Augen. Silas nickt stumm weinend, und ich fahre durch seine Haare.

Immer wieder kämpfe ich gegen meine Tränen an und versuche mir nicht vorzustellen, was Leona und Silas in diesem jungen Alter schon alles durchgestanden haben. Ich versuche einfach nur, ein guter Mensch zu sein und Silas beizustehen.

Wir verharren noch lange in der Position, und ich höre Silas dabei zu, wie er leise weint, bis er nicht mehr kann. Wir lösen uns langsam voneinander, und ich streiche Silas vorsichtig seine getrockneten Tränen weg. „Es tut mir so leid" murmle ich, und schlucke, als ich Silas' schmerzerfüllte Augen sehe. Ich glaube er leidet mehr unter allem was passiert ist, als dass er zugibt.

„Schon okay" antwortet Silas mit rauer Stimme, und setzt ein brüchiges, aber ehrliches Lächeln auf. „Du bist wirklich ein einzigartiger Mensch, Valy" sagt er dann, und meine Brust füllt sich sofort mit Wärme. „Ich meine... seit du da bist kann ich schlafen. Ich kann mit jemandem reden. Ich habe jemanden, der für mich da ist. Du gibst mir so unglaublich viel, und ich weiss wirklich nicht, wie ich dich verdient habe."

Ich lächle unsicher und schüttle dann den Kopf. „Hör auf zu sagen du hättest mich nicht verdient, Silas. Jeder hat jemanden verdient, der sich wie ein Zuhause anfühlt. Bei dem man sein kann, wer man ist. Auch du, Silas. Vor allem du. Du warst jahrelang dieses Zuhause für deine kleine Schwester, jetzt bist du an der Reihe." Silas lächelt und drückt mir dann einen Kuss auf die Stirn. „Ich schwöre dir, ich werde auf mein Zuhause aufpassen."

„Valerie! Du hast Post."

Ich gehe mit gerunzelter Stirn die Treppe runter und sehe Maria, die mir einen Umschlag entgegenhält. „Post? Ich?" Maria zuckt nur mit den Schultern, und ich nehme den Briefumschlag entgegen. Die Schrift kommt mir nicht bekannt vor, also laufe ich wieder in mein Zimmer, ohne mir weiter Gedanken zu machen. Morgen ist mein Geburtstag, und ich habe noch etwas Zeit um meine Post zu öffnen, bevor meine Freunde kommen um alles vorzubereiten.

Ich setze mich auf meinem Bett hin und öffne gespannt den Umschlag, dessen Absender ich nicht kenne. Sofort purzelt ein Brief heraus, der auf beiden Seiten beschrieben ist. Ich nehme ihn in die Hände und fange an, zu lesen. Sobald ich jedoch die erste Zeile gelesen habe, schnappe ich hörbar nach Luft und lasse den Brief vor Schock fallen. Tränen sammeln sich in meinen Augen und rinnen über meine Wangen, während sich mein Herz schmerzvoll zusammenzieht.

Das kann nicht sein.

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Na was denkt ihr, von wem ist der Brief bzw. was steht da wohl drin?

Und omg... ich habe ohne Scheiss die Tränen bei diesem Kapitel zurückhalten müssen. Leo tut mir so leid :(

- Xo, Zebisthoughts

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