Valerie - Kapitel 53
Ich laufe.
Und zwar um mein Leben.
Tränen tropfen mir von den Wangen, während ich versuche den richtigen Schlüssel zu finden, um die Haustüre aufzusperren. Das Haus ist älter, und ganz bestimmt nicht Marcs Ferienhaus. Wäre ja aber auch sehr schlecht überdacht von ihm.
Aus dem Keller dringen Schreie zu mir durch, welche von Marc und Martin stammen. Bei dem Gedanken daran, dass Martin da gerade für mich um sein Leben kämpft, fange ich heftiger an zu zittern und lasse den Schlüssel fallen.
Verdammte Scheisse reiß dich zusammen!
Ich schlucke ein paar Mal und hebe den Schlüssel auf. Hektisch finde ich den richtigen Schlüssel und drehe ihn im Schloss. Die Türe springt auf, und ich stürze ins Freie. Ich will gerade die erstbeste Straße entlanglaufen, als ich an eine Brust gezogen werde. Schreiend schlage ich um mich und verabschiede mich innerlich schon von meinem Leben.
„Valy beruhige dich!"
Ich erstarre als ich die Stimme erkenne und drehe mich langsam um. „Silas?" flüstere ich leise, und weitere Tränen bahnen sich den Weg über mein Gesicht. „Oh mein Gott Silas" flüstere ich, und falle dem Jungen um den Hals. „Ihr müsst in den Keller" sage ich leise, und bemühe mich um eine feste Stimme. „Marc und Martin prügeln sich da."
Sofort laufen alle Jungs außer Silas los. Silas hält mich fest an sich gedrückt, und ich spüre immer wieder seine Lippen auf meinen Haaren. Ich zittere am ganzen Körper, was nicht nur daran liegt, dass es scheinbar mitten in der Nacht ist. „Ich bin so froh, dass du da bist" flüstert Silas, und ich höre deutlich das Zittern seiner Stimme. „Ich habe mir die schlimmsten Dinge vorgestellt" murmelt er leise, und ich schluchze auf.
„Hat er dir wehgetan? Was für eine Frage. Natürlich, du... siehst beschissen aus." Tatsächlich schmunzle ich etwas, und nicke dann schwach. „Er hat mich geschlagen" sage ich leise, und drücke mein Gesicht in Silas' Schulter. „Ich bring ihn um" höre ich Silas leise zischen, während er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergräbt.
„Es tut mir so unfassbar leid dass wir euch nicht früher gefunden haben" sagt er dann leise, und ich spüre nasse Tropfen auf meiner Haut. Ich löse mich etwas von Silas und sehe ihm direkt in diese unfassbaren grauen Augen, die ich die letzten Tage nur im Traum gesehen habe. Ich nehme Silas' Gesicht in meine Hände und atme tief durch, während sich weitere Tränen den Weg über mein Gesicht bahnen.
„Du kannst nichts dafür Silas" flüstere ich, und schlucke. „Du kannst nichts dafür, okay?" Silas sieht mich verletzt an und nickt dann fast unmerklich. „Ich bin so froh, dass du lebst" sagt er dann leise, und eine Träne verlässt sein Auge. „Ich bin so unfassbar froh, dass du lebst und du hier und jetzt vor mir stehst. Ich... mein Leben wäre zerstört gewesen, wenn du... naja, tot wärst."
Seine Stimme zittert, und ich verziehe das Gesicht. „Ich hatte solche Angst" flüstere ich, und werde erneut von einem Heulkrampf geschüttelt. Silas zieht mich wieder fest in seine Arme, in denen ich mich sicher fühle. Sie fühlen sich wie mein Zuhause an. Silas' Wärme umhüllt mich, und ich gebe mich meinen Emotionen hin.
„Es ist alles gut" wiederholt Silas immer wieder, und fährt mir über die Haare. „Es ist alles gut. Die Polizei ist unterwegs. Marc wird die nie mehr etwas tun können. Er wird weg sein." Ich nicke und vernehme tatsächlich Sirenen aus der Ferne. Gleichzeitig höre ich ächzende Laute aus dem Haus, und löse mich etwas von Silas.
Ich sehe, wie Sid und Malik Martin aus dem Haus schleppen. Sein Gesicht ist blutig, doch als er mich sieht lächelt er und hebt einen Daumen hoch, was ich nur noch verschwommen sehe. „Er ist erledigt" sagt Martin, und ich lächle, ehe ich mich gegen Silas fallen lasse, und kurz darauf alles schwarz wird.
Er ist erledigt.
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„Sie wacht auf!"
Eine euphorische Stimme hallt durch meinen Kopf, und ich öffne ein Auge. Direkt fällt mir ein roter Haarschopf ins Blickfeld, und ich lächle gequält. „Sidney Hall, nicht so laut bitte" röchle ich, und öffne das zweite Auge. „Valerie Jones, das Nächste Mal lässt du den Schreck schön bleiben."
Ich schmunzle und werde in zwei Arme gezogen. Sid drückt mich fest an sich, und ich seufze erleichtert. Kurz darauf vernehme ich ein fast schon genervtes Räuspern. „Darf ich auch mal?" Sid lässt mich los, und Silas kommt auf mich zu.
Ohne lange zu überlegen schlinge ich meine Arme um den grossen Jungen und vergrabe mein Gesicht in seinem Pulli. Ich spüre, wie sich zwei Arme um meinen Körper schlingen und mich fest an eine Brust ziehen. „Was machst du auch immer für Sachen" seufzt Silas, und ich unterdrücke die Tränen. „Tut mir leid" sage ich bloss, und spüre Silas' Kopfschütteln.
„Nichts da. Du kannst nichts dafür. Ich bin froh, dass es dir soweit gut geht. Wir alle sind froh." Ich nicke nur und löse mich erschöpft von Silas. „Wie geht es Martin?" frage ich, und Silas sieht zu Sid. „Es geht ihm den Umständen entsprechend. Er muss noch im Bett bleiben, da er trotz seiner Kampffähigkeiten ganz schön was abbekommen hat."
Ich nicke erleichtert und schliesse die Augen. „Gott sei Dank" flüstere ich, und lächle. „Ihm ist die ganze Flucht zu verdanken" sage ich leise, und schlucke. „Er hat Marc getäuscht und sich geopfert, damit ich flüchten kann" erzähle ich leise, und Silas sieht mich mit glasigen Augen an.
„Ich weiss. Er hat es erzählt. Ich hatte zuerst etwas Angst, dass er... naja, dass er dich küssen würde oder so. Immerhin wart ihr so vertraut. Aber ich glaube nicht, dass er das tun würde. Trotz allem was ich gehört habe, halte ich Martin für einen korrekten Jungen. Er gehört jetzt auch zu unseren Freunden."
Ich reiße die Augen auf und würde Silas gerne anspringen, aber ich bin verkabelt. Da geht das nicht so gut, außer ich möchte zwei Monitore mitreißen. „Was sagt Hunter dazu?" frage ich leise, da ich ja durch Martin erfahren habe, wie die beiden sich verstehen. Silas zuckt mit den Schultern und grinst schief.
„Der wird sich damit abfinden müssen. Aber ich glaube er ist ihm ziemlich dankbar dafür, dass er auf dich aufgepasst hat. Er hätte draufgehen können." Ich schlucke und denke an die letzten Minuten in dem Keller zurück. Martin hat ohne zu zögern den Kampf gegen Marc aufgenommen, damit wenigstens einer von uns mit dem Leben davonkommen würde.
Ich habe die Angst in seinen Augen gesehen, gleichzeitig aber auch die Sorge um mich. Ich frage mich was ich getan hätte, wenn er gestorben wäre. Wie ich darauf reagiert hätte, dass ein eigentlich unschuldiger Mensch sein Leben für mich geopfert hat. Ich hätte mir das Leben lang Vorwürfe gemacht, da bin ich mir sicher.
„Val?"
Sid wedelt mit seiner Hand vor mir rum, und ich schrecke auf. Sidney setzt sich auf die andere Seite meines Betts, und starrt mich genauso besorgt an wie Silas. „Woran hast du gedacht?" Ich senke den Blick und fange an, mit meinen Fingern zu spielen, bis Silas sie in seine Hände nimmt und drückt.
„Daran, wie Martin einfach so sein Leben für mich geopfert hätte" murmle ich, und spüre, wie mir Tränen in den Augen brennen. „Ich hätte mir das Leben lang Vorwürfe gemacht, wenn er gestorben wäre. Er kennt mich nicht mal richtig und hat trotzdem alles dafür getan, dass es mir so gut wie möglich geht. Ich weiss nicht, wie ich ihm dafür danken soll."
Silas wischt mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange und lächelt sanft. „Ich denke er würde sich über Besucher freuen." Ich schaue auf und treffe direkt auf Silas' strahlende Augen. Sofort durchfließt mich eine Welle von Sicherheit und Glück, und ich frage mich jedes Mal aufs Neue, was dieser Junge alles mit mir anstellen kann.
Egal wo wir sind, bei ihm fühle ich mich so unglaublich sicher und fühle mich, als könnte mir nichts und niemand was anhaben. „Ich glaube, ich frage den nächsten Arzt, ob ich ihn besuchen darf" sage ich leise, aber bestimmt. Silas und Sid nicken heftig, und ich lache leise, während ich mir die letzten Tränen vom Gesicht wische.
--
Ich spüre, wie ich auf den Boden gedrückt werde und röchle nach Luft. Jemand sitzt rittlings auf mir und redet wild auf mich ein, doch in meinem Kopf ist nur ein einziges, lautes Rauschen zu vernehmen. Ich öffne qualvoll meine Augen und starre direkt in diese gelblichen Augen.
Marcs Mund bewegt sich immer noch, doch ich kann nicht verstehen, was er sagt. Plötzlich holt er aus, und mein Kopf fliegt nach rechts. Ich glaube ich schreie, doch ich höre nichts. Mein Körper fängt an um sich zu schlagen, doch natürlich bringt das nichts. Ich bin Marc hilflos ausgeliefert.
Der Druck um meinen Hals wird stärker, und ich schnappe nach Luft. Meine Bewegungen erstarren, und ich presse fest die Augen zusammen in der Hoffnung, gleich aufzuwachen. Ich spüre wie Tränen meine Wangen runterlaufen, während ich spüre, wie Marc auf mich einschlägt.
Plötzlich lässt er meinen Hals los, zieht mich an meinem Shirt hoch und schubst mich gegen die nächste Wand, wo er sofort weiter auf mich einschlägt. Ich schreie um Hilfe, ich schreie nach Martin, Silas und meinen Freunden, doch als Antwort erhalte ich nur Marcs hässliches Lachen.
Plötzlich ist noch eine weitere Person im Raum. Martin steht hinter Marc und zielt mit einer Waffe auf seinen Kopf. Marc folgt meinem Blick und entwendet Martin die Waffe schneller, als dass ich denken kann. Plötzlich landet Martin neben mir an der Wand, und Marc zielt mit der Waffe auf ihn.
Sein hasserfülltes Gesicht tropft vor Schweiß, und ich sehe, wie sein Finger sich langsam am Abzug krümmt.
„Nein!"
Ich schrecke hoch und starre in die Dunkelheit. Schwer atmend schaue ich mich hastig nach Martin und Marc um, doch keiner von beiden ist hier vorzufinden.
Ich bin alleine.
Langsam dringt das leise Piepen der Monitore wieder zu mir durch, und ich beruhige mich ganz wenig. Doch die Tränen finden ihren Weg ohne jegliches Kommando meinerseits über meine Wangen, und ich merke, wie die Last der letzten Tage über mir hineinbricht.
Die Bilder der letzten Tage spielen sich in meinem Kopf wie ein Film ab, und ich spüre, wie ich hysterisch werde und anfange zu heulen. Meine Hände zittern, und ich lege sie automatisch an meine Brust, die sich fast schmerzhaft zusammenzieht. Heiße Tränen tropfen auf meine Bettdecke, und es fühlt sich an als würde mir jemand die Kehle zuschnüren.
Sofort sehe ich wieder Marc vor mir und zittere noch stärker. Ich winde mich hin und her und versuche, mich von diesen Kabeln und Schläuchen zu lösen. Einer der Monitore fängt an, rot zu leuchten, und ein ohrenbetäubendes Geräusch dringt durch mein Zimmer. Wimmernd halte ich mir die Ohren zu und kneife die Augen zusammen, während ich alles rauslasse, was ich rauslassen kann.
Ich werde von Heulkrämpfen geschüttelt, bis plötzlich jemand die Hand auf meine Schulter legt. Zuerst will ich die Person schlagen, doch dann erkenne ich die geschockten Augen von Martin. „Vale" flüstert er, und ich schaue ihn durch meinen Tränenschleier hindurch an. Ich sehe nicht viel, doch gerade gut und gesund sieht anders aus. Marc scheint Martin wirklich erwischt zu haben.
Ohne ein weiteres Wort schließt Martin seine Arme um mich, und ich klammere mich an seinen Oberkörper. Vorsichtig wiegt Martin mich hin und her, während er mir immer wieder sagt, dass alles gut ist, dass Marc uns nichts mehr tun kann. Dass er weg ist, und dass wir in Sicherheit sind.
Irgendwann kommen ein paar Krankenschwestern rein, die mich wieder in mein Bett verfrachten und alle Schläuche und Kabel wieder an meinen Körper haften. Martin ist die ganze Zeit neben mir, und egal wie oft die Schwestern ihn auffordern, wieder in sein Zimmer zu gehen, er wehrt sich immer.
Irgendwann schüttelt eine Ärztin den Kopf und seufzt. „Ihr schlaft im gleichen Zimmer." Mit diesen Worten verlässt sie das Zimmer und kommt bald darauf mit einem zweiten Krankenbett zurück, in welches Martin sich dann wohl oder übel legen muss. Er lässt mich nicht aus den Augen, und während er verkabelt wird, drifte ich langsam wieder in einen traumlosen Schlaf ab.
—
Arme Valerie :(
Was haltet ihr von der Flucht?
- xo, zebisthoughts
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