Valerie - Kapitel 25
Das Summen meines Handys reißt mich aus meinem traumlosen Schlaf, und ich will meinen Wecker ausschalten als ich feststelle, dass es mitten in der Nacht ist. Genervt ziehe ich mein Handy vom Ladekabel und nehme es in mein Bett. Dort sehe ich dann, dass Silas mich anruft. Wieso sollte Silas mich anrufen? Um diese Zeit? Mit gerunzelter Stirn gehe ich ran.
„Hallo? Silas?" Meine Stimme ist belegt, und ich gähne kurz lautlos. „Valerie?" Diese Stimme gehört definitiv nicht Silas.
„Ähm, ja... die bin ich. Was ist los? Wer bist du?" Der Junge am anderen Ende räuspert sich. „Hunter. Ich bin Hunter."
Ich erstarre in meiner Bewegung und will eigentlich sofort wieder auflegen, bis mir einfällt, dass er mich über Silas' Handy anruft. „Was hast du mit Silas zu tun?" frage ich leise, aber ich bin mir sicher, dass Hunter meine Wut spürt. „Ich hab' ihn in der Bar getroffen. Er ist stockbesoffen und kann nicht mal mehr stehen. Er hat mir gesagt, dass du die einzige bist, die ihn um diese Zeit holen kommen würde."
Bitte was? Ich schlafe verdammt!
„Welche Bar?" frage ich leise, und fahre mir durch die Haare, während ich mich aus dem Bett kämpfe. „Twentyone" sagt Hunter nur, und ich nicke. „Ich bin in zehn Minuten da" sage ich nur, und lege auf.
Meine Arme sind mit einer Gänsehaut überzogen, von der ich bei grusligen Filmen nur so träume, und dass alles nur, weil ich seine Stimme gehört habe. Ich werde wohl nie mit Hunter klarkommen, ohne dass ich direkt in den Verteidigungsmodus übergehe. Ich bin aber auch ziemlich wütend auf Silas. Er weiss, dass weder Joshua noch ich aus bestimmten Gründen nicht gut auf Hunter zu sprechen sind, und hängt dann einfach mit ihm ab. Zwar verbietet es ihm niemand, aber ich hätte das nie getan.
Aber noch genervter bin ich davon, dass ich um halb zwei morgens aufstehen darf um den guten Herr Garcia von einer Bar zu holen, da er sich die Kante gegeben hat.
Das wird lustig, wenn er in paar Stunden wieder aufstehen muss. Ich ziehe mir schnell Silas' Pulli über und eine Leggings, da mir der Pulli eh bis zur Hälfte der Oberschenkel geht. Dann binde ich meine Haare zu einem Dutt und verlasse mein Zimmer mit meinem Handy in der Hand. Ich schleiche die Treppe runter, schlüpfe in meine Turnschuhe und schnappe mir Joshuas Autoschlüssel. Er wird davon eh nichts merken.
Ich schliesse lautlos die Wohnungstüre hinter mir und steige dann in den mattschwarzen Audi, der meinem Bruder gehört. Es ist ein schönes Auto, das muss ich Joshua lassen. Ich fahre gerne darin. Ich habe damit auch Silas abgeholt, und kurz erinnere ich mich daran, wie hier ein kleiner Streit eskaliert ist.
Ich fahre los und drücke ordentlich aufs Gas, da ich Silas so schnell wie möglich ins Bett bringen will. Er soll morgen nicht den ganzen Tag nur schlafen.
Da es mitten in der Nacht ist komme ich gut durch die Straßen, und keine fünf Minuten später stehe ich vor der Bar. Schon aus dem Auto heraus erkenne ich die zwei Gestalten, die an der Hauswand lehnen. Eine davon wird von einer anderen gestützt.
Hunter sieht mich mit seinen grünen Augen durchdringlich an, als ich auf die beiden zugelaufen komme, und ich schlucke. Mein Instinkt sagt mir gerade, ich solle so schnell wie ich kann wegrennen. „Hey" krächze ich, und bleibe vor Silas und Hunter stehen.
„Hey" murmelt Hunter nur, und zeigt auf Silas. „Ich helfe dir ihn in den Wagen zu bringen" sagt er dann nur, und ich nicke, während ich Silas keines Blickes würdige. Er ist selbst für diese Situation verantwortlich, und er kann froh sein, dass ich so nett bin und ihn abhole.
Ich schliesse den Wagen auf und öffne Hunter, der Silas mehr oder weniger hinter sich her schleift, die Beifahrertüre. Er verfrachtet Silas ziemlich akrobatisch und umständlich auf dem Beifahrersitz, und stößt sich dabei sicher zweimal den Kopf, doch er sagt nichts.
„Danke" murmle ich dann, als Silas sitzt, und Hunter reibt sich den Hinterkopf. „Kein Ding. Ich, ähm, geh dann mal wieder?" Ich nicke nur, und gerade als Hunter sich abwenden will, dreht er sich doch noch mal um.
„Sei ihm nicht böse weil er mit mir was gemacht hat. Er hat mich nicht erkannt." Ich nicke nur. „Und wieso hast du ihm nichts gesagt?" Hunter zuckt mit den Schultern. „Wollte nur einen gelassenen Abend haben mit guter Gesellschaft. Komm gut nach Hause, Val."
Hunter verschwindet, und ich beiße noch eine Weile grübelnd auf meiner Unterlippe rum, bis ich das Auto umrunde und ebenfalls einsteige. Ich erkenne Hunter nicht wieder. Würde er nicht gleich heißen und aussehen würde ich sagen, er ist eine andere Person.
Der Hunter, den ich kenne, hätte mich Silas tragen lassen und wäre lachend hinterhergelaufen. Er hätte Silas wohl nicht mal geholfen, sondern ihn alleine nach Hause gehen lassen.
„Schau nich' so komisch" murmelt Silas neben mir plötzlich, und ich wende kurz den Blick von der Straße ab um festzustellen, dass ich angestarrt werde. „Wie schaue ich denn?" frage ich leise und merke aus dem Augenwinkel, wie Silas übertrieben mit den Schultern zuckt. „Unzufrieden" sagt er dann einfach, und lehnt sich gegen die Scheibe.
„Wo gehst du eigentlich hin?" fragt er nach einer Weile, und ich lächle. „Nach Hause. Du brauchst Schlaf." Silas sagt den Rest der Fahrt nichts mehr, und als ich vor unserem Haus halte, schaue ich verzweifelt zu ihm. Ich werde ihn wohl oder übel stützen müssen.
„Sei bitte still, wenn wir drinnen sind, ja?" Silas nickt nur, und ich lege seinen schweren Arm um meine Schultern. Meine eigene Schulter schiebe ich etwas unter ihn, damit er sich auf mich stützen kann. Dann hieve ich Silas mit einem leisen Ächzen aus dem Wagen, wobei er mir, so gut wie es nun mal in seinem Zustand geht, versucht zu helfen.
Ich gebe mir die größte Mühe um unter Silas' Gewicht nicht einfach zusammenzusacken, und krame meinen Schlüssel hervor. Drinnen versuche ich gar nicht meine Schuhe abzustreifen, sondern lege nur Joshuas Schlüssel zurück und nehme dann mit Silas die Treppe in Angriff. Er stützt sich noch auf das Geländer, was mir unheimlich hilft, und ich stoße oben angekommen erfreut seine Türe auf.
Abgestandene Luft begrüßt uns, und Silas rümpft die Nase. „Hier riecht's nach Sex" murrt er, und ich schmunzle. „Du hattest ja auch den ganzen Vormittag welchen, wenn ich dich daran erinnern darf."
Ich schleife Silas, der stolz grinst, schmunzelnd zu seinem Bett und streife ihm seine Schuhe ab. Dann gehe ich zum Fenster und öffne es so weit wie möglich. „Wie spät isses eigentlich?" fragt Silas leise, und ich werfe einen Blick auf mein Handy. „Zehn vor zwei" sage ich dann, und Silas nickt nur. Er streckt alle viere von sich und seufzt dann.
„Ich bezweifle, dass du darin bequem schlafen kannst" murmle ich, und zeige auf seine Jeans. Silas hebt seinen Kopf und blickt an sich runter. „Oh" murmelt er, und öffnet einfach so seinen Gurt, als wäre ich nicht hier. Schnell drehe ich mich um und beiße mir auf die Lippe.
Ein betrunkener Silas kümmert sich eindeutig weniger darum, dass er eine Freundin hat, als ein nüchterner.
„Valy?" Ich drehe mich leicht um und blicke in Silas' verzweifeltes Gesicht. „Ich komme hier nicht raus." Er zeigt auf seine Jeans, die halb an seinen Beinen hängt, und erinnert mich gerade wirklich an einen kleinen Jungen.
„Ich helfe dir" murmle ich etwas errötet, und greife nach den Hosenenden. Ich ziehe daran, und stelle fest, dass diese Jeans angeleimt sein muss. Anders lässt es sich nicht erklären, dass sie fast nicht von Silas' Beinen kommt, und dabei ist es nicht mal eine Röhrchen Jeans. Ich ziehe nochmal kräftig an der Jeans, und als sie endlich nachgibt und sich von Silas ziehen lässt, falle ich mit dem Hintern auf den Boden.
Ich verziehe mein Gesicht und höre Silas' raues Lachen. „Alles klar da unten?" fragt er dann, und sein Kopf erscheint am Bettende. Ich nicke nur und lege Silas' Jeans, die ich immer noch in den Händen halte, auf seinen Schreibtischstuhl. Als ich mich zu Silas drehe, liegt er wieder auf seinem Bett. Seine Decke ist komisch zusammengewürfelt neben ihm, und ich sehe, dass er dank des offenen Fensters zittert.
„Muss ich dich jetzt etwa zudecken oder was?" frage ich, und Silas sieht mich bettelnd an. „Das glaub ich jetzt nicht" murmle ich, gehe aber tatsächlich auf das Bett zu. Dort greife ich nach der Decke und muss halb aufs Bett klettern, damit ich sie über Silas legen kann.
Sobald ich mehr oder weniger über ihm schwebe, spüre ich plötzlich eine Hand an meiner Taille, und erstarre. Mein Blick wandert unsicher zu Silas, der mich gedankenverloren anstarrt. „Uhm, Silas?" frage ich leise, und Silas' Blick huscht zu meinen Augen. „Ist was?" frage ich, und Silas schüttelt seinen Kopf. „Nein, ich – es is' alles gut. Naja, also... fast."
Ich schaue verwirrt zu Silas runter, und er lächelt schief. „Würdes' du vielleich' hierbleiben? Nur neben mir, keine Angst." Ich schlucke und schaue in Silas bettelnde Augen, ehe ich nicke. „Okay" sage ich leise, und Silas lächelt. Dann lässt er meine Taille etwas los, aber nicht ganz.
Ich schlüpfe neben Silas unter die Decke und spüre, wie seine Hand an meiner Taille mich etwas an ihn zieht. Also wieder mal kuscheln.
„Wieso hast du eigentlich getrunken?" frage ich leise in die Dunkelheit hinein, und vernehme Silas' Atem oberhalb von meinem Ohr. „Ich wollte nicht denken" sagt er dann leise, und ich schlucke. „Willst du deshalb nicht alleine sein?" frage ich weiter, und spüre ein Nicken.
Dann dreht Silas sich auf die Seite und drückt sein Gesicht in meine Halsbeuge. „Ich denke zu oft an meine Vergangenheit, wenn ich alleine bin" erklärt Silas leise, und zieht kurz darauf etwas am Saum des Pullis, den ich trage.
„Ist das meiner?" fragt er, und ich höre das Lächeln in seiner Stimme. „Ja" flüstere ich, und spüre tatsächlich kurz Silas' Lippen an meinem Schlüsselbein. Ruhig bleiben, Val.
„Silas?" flüstere ich, und spüre ein Brummen an meinem Hals. „Bitte trink nicht wieder, wenn du vor deinen Gedanken flüchten willst" murmle ich, und fahre gedankenverloren kurz über Silas' Haaransatz über seinem Ohr. Dies scheint er aber zu mögen, da er mich automatisch etwas fester an sich zieht. Also fahre ich lächelnd fort.
„Wo soll ich denn sonst hin? Ich kann dir und Sid nicht ständig die Zeit rauben." Etwas empört schnaube ich. „Das kannst du sehr wohl. Ich bin für dich da. Es ist mir lieber mich stundenlang mit dir über alles zu unterhalten, als dich nachts betrunken abzuholen. Meinem Schlaf übrigens auch." Ein leises Lachen ertönt an meinem Hals, und ich lächle ebenfalls.
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du toll bist?" fragt Silas leise, und ich seufze. „Es gab tatsächlich schon die ein oder andere Person" sage ich dann, und Silas nickt. „Die haben alle Recht" sagt er dann, und ich grinse. „Du bist auch toll" flüstere ich dann, und schliesse die Augen.
„Du solltest schlafen. In ein paar Stunden müssen wir aufstehen und uns für die Schule fertigmachen." Silas nickt nur. „Eine Frage habe ich aber noch" murmelt er, und ich öffne die Augen wieder. „Bist du mir eigentlich böse?"
Ich schmunzle kurz. „Wieso sollte ich dir denn böse sein?" frage ich leise. „Naja, du musstest aufstehen und mich holen kommen" murmelt Silas, und ich lächle. „Nein, ich bin dir nicht böse. Jedenfalls nicht mehr. Und jetzt schlaf, okay?"
Silas nickt und lockert seinen Griff um meine Taille etwas. „Gute Nacht, Valy" murmelt er, und ich schliesse die Augen. „Gute Nacht, Silas."
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Luft.
Ich brauche Luft.
Ich öffne verwirrt die Augen und entdecke einen Kopf, der auf meiner Schulter liegt, und einen Arm, der sich um meinen Bauch schlingt. Daher mein Defizit an Luft.
Kurz lächle ich, dann realisiere ich, dass es spät ist. Viel zu spät. Mein Handy zeigt mir, dass es elf Uhr ist. Fuck. Gerade will ich an Silas rütteln, um ihn zu wecken, als ich sehe, dass ich eine Nachricht von Joshua erhalten habe.
Joshua: Guten Morgen Kleine. Danke, dass du mein Auto unversehrt zurückgebracht hast. Vergiss nicht: Ich habe Fenster in meinem Zimmer ;) Und ich nehme mal an danke, dass du Silas nicht in mein Auto hast kotzen lassen. Ich melde euch von der Schule ab, aber ihr erklärt mir später, wieso ich euch heute Morgen kuschelnd und in einem Bett schlafend aufgefunden habe. Was laut Sidney übrigens richtig süß aussah, wobei Silas eher so aussah, als hätte er den übelsten Kater seines Lebens. Aspirin habe ich ihm auf der Küchentheke hingelegt. X, Josh
Ich schlucke. Fuck.
—
Soo, Valerie und Hunter haben sich also wieder gesehen.
Und Silas scheint wirklich anhänglich zu sein, nicht? ;)
- xo, zebisthoughts
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