Valerie - Kapitel 19

„Ich halte das nicht mehr aus."

Ich lege meinen Kopf auf die Tischplatte und nehme den Duft meines Cupcakes wahr, der neben meinem Kopf auf einem Teller steht und nur darauf wartet, von mir gegessen zu werden.

Gleich, mein Freundchen. Gleich.

„Val, es war nur eine Party und nur ein Kondom."

Ich hebe meinen Blick und starre meine beste Freundin wütend an. „Ich meine nicht das Kondom. Ich rede über den Fakt, dass das sicher nicht die letzte Party in meinem Haus war." Jessie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Und wenn du dich einfach wehrst?" Ich seufze und schliesse die Augen wieder.

„Ich habe sozusagen zwei ältere Geschwister. Wie soll ich mich da noch wehren? Joshua weiss, wie er mich um den Finger wickeln muss, und Silas scheint es auch rauszufinden." Jessie seufzt ebenfalls theatralisch laut aus, und ich grinse leicht. Wir sitzen in unserem Lieblings Café und halten eine Art Krisensitzung ab.

Ich, weil ich nicht weiss wie ich die nächsten Jahre mit Silas und Joshua in einem Haus überleben soll, und Jess, weil sie nicht weiss, was Joshua jetzt von ihr will. Innerlich klatsche ich meinen Cousin für seine undeutlichen Signale. Wahrscheinlich würde ich es jetzt auch tun, aber der gute hat sich mit seinen Freunden zur Strecke verpisst.

„Was hast du eigentlich während der Party gemacht? Ich weiss ja, dass du auch auf Partys gehst, aber so begeistert wie du von der gestern erzählst glaube ich kaum, dass du richtig abgegangen bist." Ich hebe irritiert eine Augenbraue und versuche mich an alles von gestern zu erinnern, um meiner Freundin die Details zu geben, nach denen sie gerade wirklich strebt.

Dass mir dabei nicht nur die komische Situation mit Silas, sondern auch Nicks Outing einfällt, war eigentlich nicht geplant. Ich habe es bisher recht gut verdrängt. Aber kann ich es Jessie einfach so erzählen? Immerhin ist es Nicks Sache. Ich kann nicht einfach sein Geheimnis ausplaudern, auch, wenn Jess meine absolut beste Freundin ist. Also entscheide ich mich kurzfristig dafür, Nick einfach ganz auszulassen. Aber von Silas werde ich erzählen.

Jessie hört mir aufmerksam und mit weit geöffneten Augen zu, und bei jedem Namen, der einem Jungen gehört, schleicht sich ein vielsagendes Grinsen auf ihre Lippen. Vor allem als ich davon erzähle, wie wir Joshua ins Bett gebracht haben. Bevor ich erzähle, dass ich mit Silas auf sein Zimmer verschwunden bin, nehme ich jedoch einen grossen Schluck von meinem Kaffee, um die dramatische Pause noch etwas in die Länge zu ziehen.

„Und dann bin ich mit Silas rauf."

Jessie verschluckt sich und hustet heftig, wobei sie fast ihren Schluck von ihrem Milkshake wieder in den Becher spuckt. Ich versuche, so gleichgültig wie möglich auszusehen, während ich die Veränderung von pervers zu erstaunt und dann geschockt auf Jessies Gesicht wahrnehme. Ja, es ist wirklich eine wahre Genugtuung, das mit ansehen zu dürfen.

„Du – Silas? Du und Silas? Bitte sag mir, dass du wenigstens nicht schwanger bist." Jessie redet etwas laut, weshalb sich ein älteres Paar mit verwirrten und geschockten Blicken zu uns umdreht, doch das ist mir gerade egal. Jessies Reaktion muss ich gerade einfach zu sehr genießen. „Jessie, wir haben nichts gemacht. Wir haben nur geredet."

Jessie sieht mich tatsächlich etwas enttäuscht an, nimmt einen Schluck von ihrem Milkshake und seufzt dann. „Irgendwie kann ich es mir aber schon vorstellen" sagt sie dann recht gelassen, und diesmal verschlucke ich mich. „Ich und Silas?! Niemals" krächze ich und laufe rot an. Jessie klopft mir grinsend auf den Rücken und nickt dann. „Never say never" flötet sie gut gelaunt, und ich schüttle nur den Kopf, während ich nach Atem röchle.

„Aber jetzt sag schon. Was habt ihr so besprochen?" Ich atme noch einige Male tief ein und aus, bis ich mir sicher bin, dass meine Lungen wieder voll funktionsfähig sind. „Ich war etwas angetrunken-"

„Du warst was?!"

„Angetrunken-"

„Wieso?"

„Mann Jess! Sid hat mir etwas gegeben, weil ich wollte. Und jetzt zurück zu Silas. Also, ich war etwas angetrunken, und jetzt sieh mich nicht so an, und Silas war glaube ich recht dicht. Jedenfalls habe ich ihm von Nick erzählt und bin völlig in Zweifeln untergegangen. So wie du es eben kennst. Dann hat Silas mich einfach umarmt und gesagt, dass Hunter ein Idiot ist, weil er gesagt hat, niemand würde mich wollen. Und er hat gesagt, dass mich sicher viele wollen, und dass er mich wunderschön findet. Und dass er das im nüchternen Zustand auch sagen würde."

Jessie sieht mich nach meinem kurzen Redeschwall erstaunt aber auch nachdenklich an. „Ich hoffe dein dummes Hirn nimmt das Kompliment an" sagt sie dann, und ich seufze. „Tut es." Jessie nickt zufrieden, und ich lächle leicht. „Ich sag doch, aus euch wird noch was. Change my mind bitch." Ich lache und schüttle den Kopf. „Ich würde es nicht mal versuchen, Jess. Ich kenne dich und deinen Dickschädel." Abermals grinst Jessie zufrieden, und ich wende mich nun endlich meinem Cupcake zu.

„Und wie steht's bei Joshua und dir so?" frage ich mit vollem Mund, und hindere gerade noch einen Krümel daran, von meinen Lippen zu fallen. Jessie lässt sich in die Bank zurücksinken und plustert ihre Wangen auf, ehe sie die Luft laut auspustet. „Keine Ahnung. Es war so schön vorgestern, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass er mich nur als gute Freundin sieht. Und wenn nicht, dass ich nur eine schnelle Nummer für ihn bin. Ich meine – du kennst ihn ja. Er hat kaum eine Beziehung gehabt, die länger als zwei Monate hielt. Mal abgesehen von Jelena."

Ich nicke und nehme schweren Herzens den letzten Bissen meines Cupcakes. „Aber niemand sagt, dass man das nicht ändern kann" nuschle ich, und Jessie schenkt mir einen „Aber natürlich, sonst noch Wünsche?"-Blick. „Och, jetzt komm schon. Immerhin wollte er dich nicht direkt flachlegen, das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung." Jessie schnaubt. „Ja, in die Richtung Friendzone."

Ich nehme den letzten Schluck meines Kaffees und lehne mich dann ebenfalls zurück. „Jess, ich kenne Joshua. Auch wenn er es selbst noch nicht weiss, da ist mehr. Ich würde dich nicht so überreden und überzeugen, wenn ich wissen würde, dass er dein Herz brechen wird." Jessie sieht mich skeptisch an, während sie den Strohhalm ihres Milkshakes zwischen den Lippen hin und her dreht.

„Meinst du?" nuschelt sie dann, und ich nicke wild. Für meinen leichten Kater etwas zu wild. „Ich weiss nicht" murmelt Jessie, und schließt die Augen. „Es wäre schon schön, wenn du Recht hättest." Ich lächle. „Habe ich auch. Und jetzt komm, die Mall wartet nicht auf uns. Wir müssen uns beeilen, wenn wir noch vor Ladenschluss rein wollen."

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„Ich hab' keine Lust mehr!"

Ich lehne mich gegen die Fassade des grossen Einkaufzentrums und verschränke die Arme vor der Brust. „Du warst doch diejenige die mich überredet hat mitzukommen." Ich verdrehe die Augen und sage nichts. „Willst du noch was trinken gehen?" Ich schüttle den Kopf und werfe einen Blick auf die Uhr.

Es dämmert schon, und ich würde eigentlich gerne mit Jessie nach Hause. Wir haben uns dazu entschieden, dass sie bei mir übernachtet, da wir einen Serien-Marathon hinlegen möchten. Wir haben ja dann noch einen Tag, um auszuschlafen. „Dann gehen wir nach Hause?" Ich nicke und stoße mich von der Wand ab. Ich habe nicht viel gekauft, aber bin zufrieden mit dem, was ich habe.

Ich habe vor allem ein paar neue Dekogegenstände für mein Zimmer gekauft, weil ich ja nicht jeden Tag die Chance dazu bekomme, es etwas neu einzurichten und neu zu dekorieren. Jessie und ich entscheiden uns gegen ein Taxi, da der Weg nach Hause zu einem Großteil am Meer entlangführt. Und wie ich schon erwähnt habe, liebe ich das Meer.

Wir schweigen größtenteils, da wir schon fast den ganzen Nachmittag über alles Mögliche geredet haben. Irgendwann klingelt Jessies Handy, und sie geht etwas verwundert ran. „Jackie?" fragt sie, und ich runzle die Stirn, als ich den Namen unserer Trainerin vernehme. „Wie, morgen?" Jessie seufzt und fährt sich durch ihre blonden, langen Haare. „Okay" murrt sie dann, und legt nach einer kurzen Verabschiedung auf.

„Das darf doch nicht wahr sein" murmelt sie und steckt ihr Handy in ihre Hosentasche zurück. „Was ist denn?" frage ich, obwohl ich mir die Antwort schon denken kann. „Wir müssen morgen ins Studio. Extratraining und so." Ich seufze und frage mich, wieso Jackie immer uns nehmen muss. Wir sind die zwei besten des Teams und werden immer als die Vorbilder angesehen.

Da die Leute die es für nötig empfinden das letzte Wochenende vor dem Auftritt noch etwas Extratraining haben dürfen, müssen wir da auch hin, um Jackie zu unterstützen. „Wann?" frage ich, und hoffe, dass es wenigstens nicht früh morgens ist. „Halb zwei nachmittags" sagt Jessie zu meiner Erleichterung, und ich nicke. „Packen wir schon" sage ich bloss, und grinse.

Jessie nickt und grinst ebenfalls, bis sie auf die geniale Idee kommt, ein Wettrennen am Strand entlang bis nach Hause zu machen. Weil wir ihrer Meinung nach etwas unsportlich sind, dabei gehe ich immer noch regelmäßig tanzen und mache außerhalb des obligatorischen Trainings auch mit Joshua viel Sport. Wie zu Beispiel joggen, obwohl ich es über alles hasse.

„Jessie, bitte" murre ich, doch Jessie streckt ihren Zeigefinger hoch. „Nichts da. Auf drei geht's los!" Ich bringe mich schnell in Position und bin froh darum, einen Turnbeutel als Tasche benutzt zu haben, da ich so meine Arme frei habe. Zwar brauche ich die nicht zum Laufen, aber wenn da was dran hängt fühlt sich das immer so komisch an.

„Drei!"

Wir schießen los, und ich fokussiere mein Ziel, das man in der Ferne sogar schon erkennen kann: mein Zuhause. Ich blicke kein einziges Mal zu Jessie oder dem Meer um, da mich das zu sehr ablenken würde, und überhole meine beste Freundin tatsächlich nach einigen Sekunden. Lachend ziehe ich an ihr vorbei und erreiche als Siegerin die kleine Treppe, die zu unserer Haustüre führt.

Dort bleibe ich stehen und stemme die Hände in die Knie, um mich zu erholen. Jessie kommt keine zwei Sekunden nach mir neben mir zum Stehen und nimmt die gleiche, vorübergebeugte Pose ein. Gerade wollen wir uns abklatschen, als die Türe aufgerissen wird, und Silas neben Joshua zum Vorschein kommt.

„Wo wart ihr?" fragt mich Joshua, und ich zeige auf meinen Turnbeutel. „Shoppen" keuche ich nur, und stehe wieder ganz auf. „Und was ist jetzt passiert? Wurdet ihr etwa verfolgt? Geht's euch gut? Müssen wir jemanden verprügeln?" Sid drückt sich wild redend und gestikulierend zwischen Joshua und Silas durch, um vor mir stehen zu bleiben.

Ich lächle und schüttle den Kopf. „Uns geht's gut. Wir haben uns nur ein Wettrennen geliefert." Sid sieht uns prüfend an, und nickt dann. „Ihr könnt trotzdem kommen, wenn mal was sein sollte" sagt er dann nur, und dreht sich zu seinen Kumpels um, deren Blicke auf uns liegen.

Oder besser gesagt: Silas starrt mich breit grinsend an, während Joshua gebannt zu Jessie schaut, die das natürlich nicht merkt. Ich sage doch, der Typ findet sie toll. Sie müssen es nur noch beide herausfinden und dann zugeben. Aber da werde ich schon noch etwas nachhelfen können, da bin ich mir sicher.

„Wollt ihr auch mal rein?" Sidney steht verwirrt im Türrahmen, und ich setze mich in Bewegung. Jessie kommt mir nach, und nach einem Schnipser vor Joshuas Gesicht kommt auch Silas rein. Joshua schließt dann die Türe, während Sid uns je ein Glas Wasser in die Hand drückt. „Danke" sage ich lächelnd, und schütte den Inhalt direkt in meinen Rachen.

Die Abkühlung tut unglaublich gut, denn obwohl es abends ist, ist es draußen immer noch recht warm. Sommer eben. „Wir müssen morgen übrigens ins Studio" sage ich beiläufig, und Joshua nickt. „Studio?" Silas sieht mich etwas verwirrt an, und mir fällt wieder ein, dass er ja nur mal am Rande mitbekommen hat, dass ich tanze.

„Ja, Tanzstudio. Wir tanzen beide Hip-Hop." Silas nickt nur und aus irgendeinem Grund glaube ich, Schmerz in seinen Augen aufflackern zu sehen. Dies ist aber so schnell wieder vorbei, dass ich mir nichts davon denke und bald darauf mit Jessie in meinem Zimmer verschwinde, um endlich ein paar Filme mit ihr zu sehen.

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Denkt ihr, Val hat sich das nur eingebildet? Wenn nein, wieso denkt ihr, dass Silas so reagiert hat?

Und findet ihr, Jessie hat Recht damit, dass aus den beiden was werden könnte?

- Xo, Zebisthoughts

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