Silas - Kapitel 76

Uuuund das nächste TW haha, sorry dass im Moment so viel davon kommt, aber es ist notwendig xD Thema: Suizid & allgemeine Erkrankungen wie Depressionen usw., "Krasse" Flashbacks und Gedanken über Selbsthass

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Ich habe es nicht verdient. Ich habe es nicht verdient.

Schniefend laufe ich durch das Gestrüpp zwischen der Straße und dem Park, da ich beim Eingang Jay und Malik erkannt habe. Ich will gerade nicht, dass sie mich finden. Aber wo soll ich hin? Ich kann doch nicht einfach nach Hause und so tun als wäre nichts passiert. Sobald Joshua nach Hause kommt wird er mich drauf ansprechen, da bin ich mir sicher. Er wird mir wohl erzählen was genau mit Valerie und Hunter ist, und ich werde mich noch schuldiger fühlen.

Ich entferne einen Ast vor meinem Gesicht und bleibe dann einfach auf dem Gehweg stehen, um die vorbeirasenden Autos zu betrachten. Keiner der Fahrer beachtet mich wirklich, und alle wollen irgendwo hin. Manche sind glücklich, andere wiederum genervt, wütend, traurig oder leer.

Ich finde, Leere ist das schlimmste Gefühl von allen.

Wenn du einfach nicht mehr weißt wie es ist, Liebe, Glück, Wut oder Trauer zu empfinden. Du sitzt einfach alleine in deinem Zimmer, starrst Löcher in die Wand und wartest ab. Wartest die Zeit ab, die es braucht, bis du wieder das gefälschte Lächeln aufsetzen kannst, ohne dass die Leute es entlarven. Wartest, bis sich vielleicht ein kleines Gefühl in dir breitmacht. Es kann Stunden dauern, manchmal Tage und selten sogar Monate bis Jahre. Eine unbestimmte Zeit, in der du einfach nur wartest.

In deinem Kopf herrscht dabei jedoch das reinste Chaos, und vor lauter Gedanken weißt du nicht mehr, wohin mit dir selbst. Du bist einfach nur da und drehst innerlich durch, während du gegen außen keine einzige Emotion zeigen kannst, und es bringt dich innerlich noch viel mehr um. Und dann kommen sie.

Die Schuldgefühle, die dich sogar bis in den Schlaf verfolgen.

Stimmen die dir sagen, dass du es nicht verdient hast zu leben, dass du leiden sollst. Du hast es auch nicht verdient zu sterben, weil du sollst ja noch leiden. Sie reden dir ein, dass du keine Liebe verdient hast. Dass du Menschen auf dem Gewissen hast, dass du durch dein egoistisches Handeln nichts mehr verhindern konntest.

Eine kleine Träne rollt über meine Wange, und ich mache mir nicht mal mehr die Mühe, sie wegzuwischen. Meine Gedanken springen zu Valerie, und ich presse meine Zähne aufeinander. Ich habe sie verletzt, ich habe ihr Angst gemacht. Ich habe es in ihren Augen gesehen. In ihren Tränen. Ich habe das einzige gemacht, was ich für richtig hielt – sie von mir zu stoßen. Und auch jetzt glaube ich immer noch daran, dass es im Endeffekt das richtige war.

Valerie hat wegen mir schon so viel durchmachen müssen, ich will ihr nicht noch mehr Schmerzen zufügen. Ich will sie nicht noch mehr Leid ertragen müssen. Ich will nicht, dass sie sich um einen kaputten Jungen kümmern muss, während sie mit sich selbst schon zu kämpfen hat. Ich will, dass sie jemanden hat, der immer für sie da ist. Jemanden, auf den sie sich immer voll und ganz verlassen kann, der nicht einfach aus dem nichts plötzlich durchdreht wie ich. Jemanden, der sich selbst mag und mit was auch immer abgeschlossen hat.

Jemanden, der nicht gebrochen ist.

Ein kleiner Schluchzer entfährt mir bei der Vorstellung, Valy könnte tatsächlich schnell jemand besseres finden, und ich verziehe das Gesicht. Ich darf nicht lieben. Ich darf sie nicht lieben. Diese zwei Sätze hallen wie ein Mantra immer wieder in meinem Kopf umher und bringen mich fast um den Verstand. Diese verweinten, blauen Augen wollen mir nicht aus dem Kopf gehen, egal wie sehr ich auch dagegen ankämpfe. Wütend und frustriert trete ich gegen einen Stein und stoße zwischen zusammengebissenen Zähnen gleichzeitig einen lauten Fluch aus.

Ich muss sie gehen lassen. Ich habe keine andere Wahl.

Auch diese Sätze wiederholen sich immer wieder, und treiben mir Tränen in die Augen. Tränen voller Wut, Frustration, Trauer. Tränen, die nur darauf warten endlich hervorzubrechen und mein Leben in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Ich setze mich auf den Boden und fange an zu schreien, um mich zu treten, mich selbst zu verfluchen und schlussendlich umarme ich mich einfach selbst. Wie ein kleines Kind wippe ich vor und zurück während ich krampfhaft versuche, die Kontrolle über meine Gedanken wieder an mich zu reißen, damit alles endlich ein Ende nimmt.

Ich weine und schluchze lange vor mich hin, bis sich der Sturm in meinem Kopf endlich etwas legt, und nur noch eine unerträgliche Leere hinterlässt. Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet, und ich merke nur am Rande, wie sich mir jemand nähert. Erst als Sid sich neben mich setzt bemerke ich seine Anwesenheit, doch ich halte es nicht für nötig, mich zu ihm zu wenden.

„Sie leben" ist vorerst das einzige, was mein bester Kumpel mit einer belegten Stimme hervorbringt, und ich nicke etwas erleichtert. Wenigstens ist niemand gestorben. Wir schweigen eine ganze Weile lang, und eigentlich würde ich es als störend empfinden und die Person neben mir wegschicken, aber Sidney Hall lässt sich leider nicht abwimmeln, wenn er einen mal gefunden hat.

„Ist es schlimm?" höre ich ihn plötzlich fragen, und ich schlucke hart. „Aushaltbarer als auch schon" krächze ich dann, und vernehme ein leichtes Nicken. „Willst du noch bleiben?" Sid deutet auf uns und die Straße unter uns, und nach einigen Minuten schüttle ich den Kopf. „Nein, es ist kalt." Sid nickt, und wir richten uns auf. „Du pennst bei mir" sagt Sid dann auch schon, doch ich leiste keinen Widerstand.

Ich bin froh darüber, doch noch ein Dach über dem Kopf zu haben, auch wenn ich eh kein Auge schließen werde. Dafür sind die Geschehnisse von heute noch viel zu nah und real, ich muss das alles zuerst mal verarbeiten. Und das geht leider nicht so von jetzt auf gleich.

Stumm gehen wir nebeneinander her, und ich spüre deutlich, dass Sid auch nicht in Höchstform ist. Er hat es immer gespürt, wenn es mir nicht gut ging. Er hat mir mal gesagt, dass er nie lachen würde, wenn es mir nicht gut geht. Da waren wir noch kleiner und haben darüber gelacht, aber er hat sein Wort gehalten: Sidney hat noch nie gelacht, wenn ich geweint habe, egal wie zerstritten wir waren.

Manchmal, wenn ich in diesem Zustand war, haben wir tagelang nur geschwiegen, nichts gemacht, kaum gegessen, aber Sid war immer an meiner Seite und hat mich keine Sekunde alleine gelassen, bis es mir wieder gut ging. Ich habe ihn schon so oft versucht abzuwimmeln, doch ich kenne niemanden der hartnäckiger ist als Sidney Hall. Und irgendwie, ganz tief in mir drin bin ich ihm unendlich dankbar dafür.

„Willst du wissen was die Ärzte gesagt haben?" fragt Sid leise nach, und ich schlucke. Ja, will ich es denn wissen? Was, wenn es so schlimm ist, dass ich mir noch mehr Schuldgefühle mache? Andererseits: Vielleicht nimmt es mir dieses schreckliche Gefühl ja auch etwas, wenn es beiden gut geht? Ich denke lange darüber nach, sicher eine Minute, doch von Sid spüre ich keinerlei Druck eine Antwort zu geben. Er lässt mir Zeit, und genau die brauche ich jetzt. Zeit, Unmengen an Zeit um nachzudenken und um alles mit mir selbst auszumachen. Ich nicke langsam und schlucke.

„Ich würde es gerne wissen" krächze ich, und ziehe die Nase hoch. Sid nickt nur leicht und holt dann Luft. „Also, ich fange bei Valerie an. Ist das okay?" Ich nicke und warte darauf, dass Sid weiterfährt.

„Ihr Kreislauf hat sie im Stich gelassen, weil sie so stark unterernährt war. Die Aufregung wegen Hunter hat ihr den Rest gegeben. Auf dem Weg ins Krankenhaus war noch unklar, ob sie überhaupt ohne jegliche Schäden überleben würde. Ob sie überhaupt überleben würde. Nate ist mit ihr mitgefahren, der Rest hat sich ins Auto gesetzt. Nick ist mit Hunter gefahren. Die Ärzte haben Valerie stabilisiert und ihr eine Magensonde gelegt, und wenn sie stabil genug ist wird sie in eine Klinik für Essgestörte eingewiesen. Soweit geht es ihr den Umständen entsprechend, ich glaube sie fängt schon langsam damit an, ihre Magensonde zu akzeptieren und zu kooperieren. Ich weiss nicht genau was passiert ist, aber nachdem Nate bei ihr war ging es ihr viel besser und sie hat sich nicht mehr gewehrt."

Sid macht eine kleine Pause, und ich schlucke schwer. Tief im Inneren wusste ich, dass Valerie irgendwann in eine Klinik gehen muss. Die Krankheit hatte sie schon zu sehr im Griff, um ohne jegliche Hilfe von außen da noch rauszukommen. Auch wenn ich mir gut vorstellen kann, wie sehr Valy darunter leiden mag, ist es wohl doch das Beste für sie, wenn sie eine Weile unter der Kontrolle von Fachpersonen lebt, die nur das Beste für sie wollen. Ich glaube, dass der Fakt, dass sie knapp überlebt hat, auch einen gewissen Eindruck bei Valy hinterlassen hat.

„Und was ist mit Hunter?" frage ich irgendwann, und Sid schluckt. „Er ist auf der Intensivstation und an Schläuche angehängt. Sie mussten ihm den Magen auspumpen, aber er lebt und es geht ihm soweit gut. Er hat es wegen seinem Vater getan, der ihn am Morgen verprügelt hat und ihn dann dazu animiert hat, sich endlich das Leben zu nehmen. Hunter lebt seit er hier ist mit einem unglaublich schlechten Gewissen wegen der Person, die er mal war. Das konnte keiner von uns wissen, okay? Keiner hätte erwartet, dass es so schlimm ist. Keiner trägt Schuld."

Ich nicke nur und starre weiterhin geradeaus. Wir nähern uns langsam Sidneys Haus, und schon von weitem höre ich Kinderstimmen. Kinderstimmen, die mir mehr als nur bekannt vorkommen. „Was macht Leo um diese Zeit bei euch?" frage ich Sid verwirrt, doch er scheint keine Ahnung davon zu haben, dass Leo bei ihm zu Hause ist. „Ich habe keine Ahnung, ich war noch nicht zu Hause seit heute Morgen" antwortet Sid dann auch ziemlich schnell, und wir laufen etwas schneller auf das Haus zu.

Tatsächlich kommt Leona aus dem Haus gerannt, sobald sie uns sieht, und ich kann gerade noch in die Hocke gehen. Sobald ich meine kleine Schwester in den Armen halte läuft mir wieder eine kleine Träne über das Gesicht, und ich wische sie schnell weg. „Ich habe auf dich gewartet" piepst Leona in mein Ohr, und ich runzle die Stirn. „Wieso denn?" frage ich nach, und hoffe, nichts vergessen zu haben.

„Wir wollten doch heute nach der Schule in den Zoo" nuschelt Leona beleidigt, und für einen kleinen Moment bleibt mein Herz stehen. „Das... das habe ich völlig vergessen Leo" stelle ich erschrocken fest, und ein weiteres Schuldgefühl purzelt in meinen Kopf rein. „Es tut mir leid Prinzessin, wir werden das ganz bestimmt nachholen okay?" Leona löst sich etwas von mir und entdeckt im Dunkeln zum Glück nicht, dass ich weine. „Versprochen?" Sie hält mir ihren kleinen Finger hin, und ich lächle ehrlich, ehe ich meinen kleinen Finger mit ihrem verhake. „Versprochen."

Leonas darauffolgendes Grinsen ist so breit, dass mir warm ums Herz wird, und eine weitere Träne mein Auge verlässt. „Und jetzt komm, du musst ins Bett. Weiss Papa überhaupt, dass du hier bist?" Leona schmollt, und nickt dann, während ich sie auf den Arm nehme und mit ihr aufstehe. „Ja, er war auch hier, aber ist jetzt wieder zu Maria, weil sie wegen Josh angerufen hat" berichtet Leona mir, und ich nicke nur. „Okay, das ist gut. Schläfst du bei Jamie?" Leona nickt begeistert, und ich lächle.

Jamie ist der jüngste Bruder von Sid, der in Leonas Alter ist. Die beiden verstehen sich prächtig, was Sid und mich natürlich extrem stolz macht. Sid hat auch noch einen Bruder der sechzehn ist, Milo. Aber er ist momentan kaum zu Hause, da er jetzt in der Party-Phase ist und öfters bei Freunden schläft. Wir betreten das Haus, und ich übergebe Leona an Sid, der sie zu Jamie bringt. Jamie sollte schon schlafen, doch natürlich macht er erst ein Auge zu, als Leona auch da ist.

Langsam schließt er die Zimmertüre und hält mir dann seine auf. Sofort pflanze ich mich aufs Sofa und starre dann die Decke an. „Film?" Ich schaue skeptisch zu Sid rüber, dessen Augenringe man schon aus meilenweiter Entfernung sehen könnte. „Du siehst aus wie ein Zombie. Geh schon schlafen" sage ich deshalb nur, und Sid seufzt. „Wir schauen jetzt einen Film. Ich weiss auch so, dass du kein Auge zumachen wirst."

Ich zucke mit den Schultern und starre wieder an die Decke. „Wäre ja auch nichts Neues. Geh bitte einfach schlafen, ich fühle mich so schon scheisse genug. Außerdem ist morgen Schule." Sid sieht mich mit einer gerunzelten Stirn an und setzt sich dann auf seinen Bettrand. „Du willst morgen also zur Schule?" fragt er langsam, und ich schaue ihm in die Augen. „Nein, ich nicht. Aber du."

Nach einer kleinen Diskussion legt Sid sich dann endlich schlafen, und ich schaue aus dem Fenster zum Mond, der ziemlich hell scheint. Eine Weile wälze ich mich hin und her, während Sid schon lange friedlich schläft. Kleine Tränen lösen sich zwischendurch aus meinen Augen, und meine Gedanken prügeln auf mich ein wie bei einem verdammten Boxwettkampf. Meine Schuldgefühle kreisen schreiend in meinem Kopf rum, und irgendwann halte ich es nicht mehr aus.

Leise betrete ich die Küche der Familie Hall, öffne einen Schrank und nehme mir eine Flasche Vodka raus. Mit der Flasche fest in einer Hand verlasse ich vorsichtig das Haus, und sobald ich vom Mond angeschienen werde, laufe ich los, während mir immer wie mehr Tränen über die Wangen rollen. Ich habe die alte Halle schnell erreicht, und die Flasche ist noch immer zu.

Ich betrete die alte Fabrik und gehe den mir so vertrauten Weg zur Leiter, die aufs Dach führt. Oben angekommen setze ich mich ganz an den Rand des Abgrunds und schaue kurz runter, nur um festzustellen, dass ich das hier definitiv nicht nüchtern tun kann. Also öffne ich die Flasche und setze an.

Es tut mir leid.

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Was denkt ihr, dass jetzt passieren wird?

Und könnt ihr Silas verstehen? Seine Gedanken usw?

- xo, Zebisthoughts

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