Silas - Kapitel 44

Wütend trete ich nach einem Steinchen, welches direkt weit weg spickt. Der kühle Wind sollte mich eigentlich zittern lassen, doch ich bin wie leergefegt. Nur noch eine einzige Hülle. Meine Verletzungen sind einigermaßen verheilt, und nur mein linker Arm schmerzt ziemlich. Ich denke, der ist geprellt.

Ich seufze und lasse mich gegen die Wand hinter mir fallen. Es ist schon lange nach Mitternacht, und ich habe aufgehört die Stunden zu zählen, in denen ich nicht mehr zu Hause war. Es ist Donnerstag, und ich penne die dritte Nacht bei Hunter. Dieser hat mich am Dienstagmorgen beim Park aufgegabelt und mir fast wortlos zu verstehen gegeben, dass ich dank der Hilfe vor etwa einer Woche bei ihm schlafen darf. Er sieht immer noch nicht ganz fit aus, doch definitiv besser als ich gerade.

„Komm endlich rein."

Ich drehe mich zu der Terrassentüre um und entdecke Hunter, der gerade zu mir ins Freie tritt. „Ich kann nicht schlafen" sage ich monoton, und Hunter seufzt. „Verdammt Silas. Wie lange willst du wegbleiben?" Ich zucke mit den Schultern und schaue zu den Sternen auf. „Bis es mir wieder besser geht?"

Ich spüre Hunters Kopfschütteln ohne hinzuschauen, und vernehme seine Präsenz neben mir. „Sie braucht dich." Ich schlucke. Ja, Valerie braucht mich. Sie hat es mir gesagt, ich habe es ihr versprochen, und jetzt bin ich nicht da. „Ich kann ihr nicht unter die Augen treten" gebe ich leise zu, und spüre Hunters Hand auf meiner Schulter. „Silas, sie wird dir vergeben. Sie hat sogar mir vergeben, und ich habe mir weitaus mehr geleistet als du."

Ich schlucke und zucke dann mit den Schultern. „Mag schon sein, aber trotzdem... ich kann ihr nicht unter die Augen treten mit dem Wissen, ihren Cousin ins Krankenhaus geprügelt zu haben." Eine Weile sagt keiner was, dann lacht Hunter leise. „Weißt du, ich hätte es auch getan."

Verwirrt drehe ich mich jetzt doch zu Hunter. „Was denn?" frage ich zur Sicherheit nochmal nach, und Hunter schmunzelt. „Ich hätte Joshua auch eine reingehauen. Zwar nicht so krass wie du, aber er hat einen Schlag für diese Aktion verdient." Ich schmunzle ebenfalls, und zum ersten Mal seit Tagen macht sich wieder ganz leise ein Anzeichen einer Emotion in mir breit.

„Wie geht es ihnen?" frage ich, und Hunter zuckt mit den Schultern. „Josh hat Val ziemlich erwischt, aber es geht ihr besser. Sie sollte am Wochenende wieder nach Hause dürfen. Joshua bleibt wohl noch eine Weile." Ich nicke und schlucke. „Wie geht es ihr? Psychisch, meine ich."

Hunter seufzt und kickt jetzt ebenfalls nach einem Steinchen. „Beschissen" sagt er dann, und ich nicke nur. „Aber nicht, weil du ihren quasi Bruder verprügelt hast, Silas." Ich hebe den Blick und starre in Hunters grüne Augen. „Sondern?" Hunter zieht eine Augenbraue hoch und schüttelt den Kopf. „Du bist manchmal blind und taub gleichzeitig, oder?"

Ich zucke mit den Schultern. „Sie macht sich Sorgen um dich. Alle machen sich Sorgen um dich. Sidney hat schon seit Tagen nicht einen seiner schlechten Witze fallen gelassen, und sein Geschlechtsteil hat er auch nicht nur ansatzweise erwähnt." Ich schlucke. Das bedeutet wirklich was, wenn sogar Sidney Hall ernst bleibt.

„Ich überlegs mir" murmle ich dann, und seufze. Hunter nickt und klopft mir auf die Schulter. „Und jetzt komm rein, du musst schlafen. Auch wenn du morgen wohl eher nicht zur Vorstellung kommst, oder?" Ich schnaube und schüttle den Kopf. „Niemals. Außerdem kann Valerie ja auch nicht."

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Sidney: Kumpel hör mal, ich weiss, dass du Abstand brauchst, aber bitte gib doch wenigstens ein einziges Lebenszeichen von dir.

Sidney: Hallo?

Sidney: Du bist jetzt schon seit drei Tagen spurlos verschwunden. Das ist nicht fair.

Sidney: Alter wir brauchen dich hier, du machst mich langsam wirklich wütend. Sag einfach nur, dass es dir gut geht, mehr will ich nicht wissen. Oh, und sag vielleicht noch, wie ich dir am besten in die Eier schlagen kann, damit du das Wochen später noch spürst.

Malik: Die Vorstellung war scheisse ohne euch. Komm zurück. Valerie braucht dich. Ich weiss nicht was passiert ist, aber sie braucht dich.

Jay: Beweg deinen verdammten Arsch wieder zu uns, beende die Rennen und sprich dann endlich über Dienstag. Sidney ist schon fast deprimiert, bei Valerie weiss ich gar nicht wo ich anfangen soll.

Ich schlucke und will gerade wieder mein Handy weglegen, als mir noch eine weitere Nachricht auffällt.

Valerie: Silas, bitte melde dich. Ich bin wieder zu Hause. Ich brauche dich. Sidney braucht dich verdammt. Juan stirbt vor Sorge und Leona glaubt, du wärst zu ihrer Mutter gegangen.

Ich stocke. Leona. Sie denkt ich wäre tot. Sie denkt, ich wäre bei Mom im Himmel. Das darf nicht sein. Ich schlucke und fange dann langsam an, zu schreiben.

Silas: Val... kann ich dich treffen? Alleine? Ohne dass die anderen was wissen?

Sofort wechselt Valeries Status auf „online", und sie fängt an zu schreiben.

Valerie: In einer halben Stunde im Park?

Ich bestätige und ziehe mir dann ein Shirt über. Als ich in die Küche komme, in der Hunter steht, dreht er sich verwundert um. „Du gehst raus?" fragt er, und ich nicke. „Treffe mich mit Valerie" sage ich knapp, und verschwinde aus der Haustüre. Ich entdecke, wie Hunter mir durch die Scheibe hinterherschaut, bis ich mit meinem Wagen aus der Einfahrt weg bin.

Die zwanzig minütige Fahrt zum Park fühlt sich an wie eine halbe Ewigkeit, und schon bald entdecke ich auf dem Parkplatz Joshuas Auto. Scheinbar ist Valy also schon hier. Ich parkiere meinen Wagen und steige dann aus, als ich Valerie auf einer Bank sitzend entdecke. Sie scheint mich noch nicht gesehen zu haben, oder jedenfalls lässt sie sich nichts anmerken.

Vorsichtig nähere ich mich ihr und frage mich, wie wütend sie wohl ist. Ich mache mich darauf gefasst, dass sie laut rumschreien wird und mich zur Schnecke machen wird, was ich ja auch verdient hätte. Immerhin habe ich ihren Cousin krankenhausreif geschlagen und bin dann einfach abgehauen, obwohl ich ihr versprochen habe da zu sein.

Plötzlich hebt Valerie den Blick, und als sie mich entdeckt steht sie auf und kommt schnell auf mich zu. Ich will schon eine Rechtfertigung für mein Verhalten herauspressen, als sich zwei dünne Arme um meinen Bauch schlingen und Valerie ihr Gesicht in meine Brust drückt. Etwas perplex stehe ich da und verstehe nicht ganz, wieso Val mich nicht anschreit. Dann lege ich meine Arme vorsichtig um Valy, stütze mein Kinn auf ihrem Kopf ab und schließe die Augen.

Sicher fünf Minuten stehen wir wortlos so da und umarmen uns, doch es könnte mir nicht egaler sein, wenn das noch stundenlang so weitergehen würde. Für mich zählt gerade nur, dass ich Valerie im Arm halten kann. Sie lässt alle in mir aufkommenden Zweifel noch im Keim ersticken und gibt mir genau das, was ich die letzten Tage gebraucht habe: jemanden, der mich hält.

Einfach nur festhält und sonst nichts tut. Der mich durch seine pure Anwesenheit beruhigt und glücklich macht. Ich wollte es die letzten Tage nicht einsehen, aber was mir gefehlt hat war Valerie. Ihr ausgesprochen heißes Temperament, ihre ironischen Bemerkungen. Sogar ihre Pancakes. Das Gefühl von Wärme, wenn sie mich umarmt, diese Sicherheit und das Vertrauen. Ihr breites Lächeln, wenn sie glücklich ist und das Gefühl von ihrem Kopf auf meiner Schulter.

Ich habe Valerie vermisst, und zwar so sehr, dass ich gerne einfach losheulen würde.

„Geht's dir gut?" fragt mich Valy nach weiteren geschlagenen fünf Minuten, und schlucke. „Jetzt schon" murmle ich dann, und spüre das Lächeln an meiner Brust. „Und was ist mit dir? Wie geht's dir?" Valerie seufzt und vergräbt ihr Gesicht etwas mehr in meinem Shirt. „Jetzt auch wieder gut" nuschelt sie dann, und ich lächle. „Bitte mach sowas nie wieder okay?"

Ich seufze und drücke Valerie etwas von mir weg. „Versprochen" murmle ich dann, und Valerie lächelt breit. Gott, wie ich das vermisst habe. „Was war los?" fragt Valy mich nach einer Zeit, und ich schlucke. „Ich musste einfach mal weg. Raus aus allem, du weißt schon. Eine Pause haben, Zeit zum Nachdenken und so." Valerie nickt, und wir setzen uns auf eine Bank. „Und über was hast du so nachgedacht?" fragt sie dann, und ich lächle.

„Ich habe mich gefragt wie es dir geht. Wie es Joshua geht. Und... ob die Leute dich in Ruhe lassen." Valerie lächelt, dann nickt sie. „Das tun sie. Jelena hat noch niemandem was gesagt." Ich seufze erleichtert auf. „Vielleicht waren es ja auch nur leere Worte um ihre Freundin zu beeindrucken oder so" mutmaße ich dann, und Valerie zuckt mit den Schultern. „Schön wärs auf jeden Fall."

Eine Weile schweigen wir beide, und ich starre in den blauen Himmel hoch. Es ist trotz der Jahreszeit ziemlich warm, und ich kann sogar in einem Shirt rumlaufen. Jedoch verraten mir die Orange-Rot-Gelb-Braun gefärbten Blätter, dass es doch schon Herbst ist.

„Sidney will übrigens immer noch wegfahren mit uns" teilt mir Valerie plötzlich mit, und ich schaue zu ihr. „Wann genau denn?" frage ich, und Valy schaut wieder geradeaus. „Übermorgen." Ich nicke. „Gehst du mit?" Val sagt eine Weile nichts und senkt dann den Blick. „Gehst du mit?"

Ich halte meinen Blick auf den Baum vor uns fokussiert und grüble. Soll ich mitgehen? Was denken die Jungs jetzt überhaupt von mir? Immerhin habe ich meinen Kumpel verprügelt. Aber er hat seine Cousine verraten. Ich seufze und treffe auf Valeries fragenden Blick.

„Ich komme mit."

„Du lässt dich ja doch noch blicken!"

Sid kommt freudig auf mich zu, und ich lasse mich von ihm umarmen. Hunter bleibt neben mir stehen und blickt schluckend in die Runde. Ich seufze und nehme einen kleinen Schritt Abstand zu Sidney. Valerie erscheint an Hunters anderer Seite, und die Jungs werfen uns fragende Blicke zu.

„Leute, das hier ist Hunter. Er ist derjenige, der Mir früher viel Leid zugefügt hat. Aber er hat sich geändert und vor allem gebessert. Er ist nicht mehr der Hunter, der andere verletzt. Er will ein guter Mensch sein. Wie jeder andere Freunde haben und normal zur Schule gehen, ohne ängstliche Blicke zugeworfen zu bekommen. Und da wir alle irgendwie verkorkst sind, glaube ich, dass ihr euch gut mit ihm verstehen würdet."

Valerie holt nach ihrer Rede wieder Luft, und ich nicke ihr zu. Die Jungs mustern Hunter skeptisch, bis Sidney auf ihn zu kommt. „Ich bin Sidney, aber nenn mich Sid." Er umarmt Hunter einfach so, und Hunter ist etwas überrumpelt.

Dann lächelt er, und die anderen Jungs folgen Sidneys Beispiel. Ich grinse Valerie breit an, bis mir jemand auf die Schulter tippt. Joshua. „Silas, können wir nach der Fahrt vielleicht reden?" Ich schlucke, dann nicke ich. Wir müssen es irgendwann klären. Außerdem will ich nicht wegen einer Auseinandersetzung einen guten Freund verlieren.

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AwWwWwwwww :3

Sorry dass es so spät wurde haha, hatten noch Besuch

- Xo, Zebisthoughts

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