„Wo bleibt Valerie so lange?"
Micah sieht sich mit gerunzelter Stirn in der Bar um, und jetzt fällt mir auch auf, dass Valy wirklich schon sehr lange weg ist. „Vielleicht solltest du mal nachsehen gehen?" schlage ich vor, und Micah nickt. „Ich bin gleich wieder da" sagt sie dann leise, und verschwindet wie Valerie vor sicher zehn Minuten in der Menschenmenge.
Sobald Micah weg ist, rutscht Sid zu mir rüber. „Ihr habt also tatsächlich geredet?" fragt er mich, und ich nicke grinsend. „Das war deine Idee, stimmt's?" Sid nickt und tätschelt sich selbst die Schulter. „Aber natürlich, wer von euch Hohlköpfen hat sonst überhaupt irgendwelche Ideen, geschweige denn solche, die mit meinen schritthalten können?"
Ich lache und stoße Sidney mit dem Ellbogen in die Seite. „Sei mal nicht so überheblich" sage ich grinsend, und Sidney seufz. „Silas, ich bin nicht überheblich. Ich weiss nur über meine Qualitäten Bescheid." Ich schüttle den Kopf und grinse weiterhin breit. „Und was seid ihr jetzt?" fragt Sidney, und ich seufze. „Keine Ahnung. Sie hat mich geküsst, aber wir haben eigentlich nie wirklich darüber geredet."
Sidney nickt und wendet den Kopf wieder nach vorne. „Lass es langsam angehen. Wir wissen nicht genau, was sie alles schon erlebt hat. Es wird seine Gründe haben, wieso sie eher zurückhaltend ist." Ich nicke und will noch etwas sagen, als eine aufgewühlte Micah zu uns gelaufen kommt. „Leute, bitte, ihr müsst sofort kommen" schreit sie über die Musik hinweg, und ich entdecke die Sorge in ihrem Gesicht.
Sofort springe ich auf und kämpfe mich dicht gefolgt von Sid und Micah durch die Menschen. Ich ignoriere die empörten Mädchen vor der Toilette, als ich die Türe einfach so aufstoße. Sofort fallen mir zwei Sachen auf: Würgegeräusche, und Valeries Beine, die aus einer Kabine herausschauen. Ich laufe schnell auf das kleine Mädchen zu und knie mich neben sie, um ihr die Haare aus dem Gesicht zu halten.
„Val, was ist los?" frage ich leise, und ein Zittern durchfährt ihren Körper. „Jelena" schluchzt sie leise, und betätigt die Klospülung. Sie versucht sich etwas aufzurichten, doch rutscht sofort wieder ab. Ich greife Valerie unter die Arme und setze sie zwischen meine Beine, damit sie sich mit dem Rücken an meine Brust lehnen kann. Valy weint und presst sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschluchzen.
„Hey, es ist alles gut" flüstere ich ihr immer wieder ins Ohr, und lehne mich selbst mit dem Rücken gegen die Kabinenwand. „Silas, ich werde fertiggemacht in der Schule" presst Valy zwischen einigen Schluchzern hervor, und weint noch heftiger. Ich lege meine Arme um ihren dünnen Körper und drücke ihn fest an mich. „Niemand wird dich auch nur anfassen, okay? Ich bin bei dir, und die anderen sind es auch. Es ist alles gut. Du brauchst keine Angst zu haben."
Valerie nickt schwach, dreht sich um und drückt ihr Gesicht in mein Shirt. Ich fahre ihr beruhigend durch die Haare und platziere meine Lippen auf ihrem Haaransatz. Meine andere Hand fährt auf ihrem Rücken vorsichtig auf und ab. Ich schliesse die Augen und schmiede jetzt schon verschiedene Pläne, wie ich Jelena das hier zurückzahlen soll.
Ich weiss noch nicht mal was genau passiert ist und hasse sie schon. Es wäre für sie sogar besser, wenn Valerie mir nicht sagen würde. Aber ich will, nein ich muss es sogar wissen. Ich muss wissen wie ich für dieses kleine Mädchen da sein muss, vor wem ich sie beschützen soll.
„Ich glaube wir sollten mal nach Hause" sagt Sidney leise, und zum ersten Mal seit langem sehe ich ihn so bedrückt und wütend zugleich. Micah schmiegt sich völlig fertig an seinen Arm, und ich sehe Tränen in ihren Augen glitzern. Ich nicke vorsichtig und hebe Valeries Kopf etwas an. „Willst du gehen?" Valerie nickt fast unmerklich, und mir fallen die dunklen Ringe unter ihren Augen auf, die ganz bestimmt nicht nur von ihrer Mascara stammen. Es geht ihr wirklich verdammt dreckig.
Ohne darüber nachzudenken hebe ich Valerie im Brautstil hoch, und sie klammert sich an meinen Hals. Wir verlassen die Toilette wieder, und Sidney hält mir den Weg frei. Draußen bin ich froh um die frische Luft, und auch Valerie atmet etwas erleichtert auf. Sidney hält mir die Hintertür seines Autos auf, und ich verfrachte Valerie auf der Rückbank. Selbst steige ich auf der anderen Seite ein und ziehe Valerie sofort wieder an mich, sobald ich mich angeschnallt habe.
Sidney lässt sich schwerfällig auf dem Fahrersitz nieder und startet den Motor. Die Fahrt nach Hause verläuft ziemlich ruhig, nur die Musik läuft leise im Hintergrund. Valeries Schluchzen hat sich in ein etwas schwereres Atmen umgewandelt, und auch ihre Tränen sind versiegt. Stattdessen sieht sie so aus, als würde sie jeden Moment einschlafen. Als wir auf unsere Einfahrt einbiegen, sieht Sid mich durch den Rückspiegel fragend an.
„Sollen wir noch etwas bleiben?" Ich schaue fragend zu Valerie, die schwerfällig anfängt, zu sprechen. „Es ist schon okay, ich bin ehrlich gesagt nur noch hundemüde und will schlafen" murmelt sie, und Sidney nickt. Wir steigen aus, und draußen hebe ich Valerie wieder hoch, da sie bei jedem Schritt stolpert. Sidney drückt ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn und wischt ihr eine letzte Träne weg.
Valerie lächelt leicht, und schließt dann die Augen. Micah drückt ihr einen Kuss auf die Wange, und ich verabschiede mich mit einem Nicken von meinen Freunden. Ich spüre die Blicke der Beiden in meinem Rücken, bis die Haustüre hinter uns zu fällt. Sofort laufe ich hoch in mein Zimmer und denke gar nicht daran, Valerie auch nur eine Sekunde alleine in ihrem Zimmer zu lassen. Irgendwas sagt mir, dass das jetzt gar nicht gut ausgehen würde.
Also lege ich das kleine Mädchen vorsichtig in mein Bett und hole einen Pulli aus meinem Kleiderschrank. „Kannst du das alleine?" frage ich vorsichtig, und Valerie sieht den Pulli eine Weile aus halb geschlossenen Augen an. Dann schüttelt sie den Kopf. „Du darfst mir helfen" murmelt sie nur, als ich sie gerade fragen wollte, und ich nicke.
Ich setze mich zu ihr aufs Bett und ziehe vorsichtig den Saum ihres Shirts hoch. Valerie hebt halb lebendig die Arme und lässt sich das Shirt ausziehen. Gerade will ich ihr den Pulli überziehen, als mein Blick an ihren Rippen hängen bleibt. So dünn war sie vor paar Wochen noch nicht. „Val..." fange ich an, doch Valerie schüttelt den Kopf. „Sag jetzt nichts. Ich habe keine Nerven dafür."
Ich nicke und schlucke hart, ehe ich ihr den Pulli überziehe. Ich habe gemerkt, dass sie die letzten Wochen nicht zugenommen hat, aber dass sie so dünn ist hätte ich nicht erwartet. Sie weiss wirklich gut, wie man solche Dinge kaschiert. Natürlich du Idiot, sie war ja schon mal magersüchtig.
Innerlich schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wie konnte ich so dumm sein und glauben, dass Valerie mit einem einzigen Versprechen wieder gesund wird? Dass sie all ihre Selbstzweifel über Bord wirft und wieder normal isst? Ich schüttle den Kopf und lege mich hin. Valerie kuschelt sich sofort an mich, und ich fahre über ihre Haare. „Willst du mir sagen, was passiert ist?"
Eine Weile schweigt Valerie, dann seufzt sie. „Als ich auf Toilette war sind Jelena und ihre Freundin reingekommen. Die gleiche, die mich im Restaurant beleidigt hat. Sie haben darüber geredet, dass ein gewisses Mädchen untergehen werden an der Schule. Als sie dann meinen Namen erwähnt haben, war für mich alles klar. Ich habe sie weiterhin belauscht."
Valeries Stimme stockt, und ich höre sie schlucken. Mit einer etwas brüchigeren Stimme fährt sie dann fort. „Jelena hat gesagt, dass Joshua ihr fast alles über meine Vergangenheit erzählt hat. Und dass sie Hunter einen Deal angeboten hat, damit er mich auch wieder fertigmacht. Er hat aber abgelehnt. Aber ich bin so verdammt enttäuscht. Wieso ausgerechnet Joshua? Wieso der Junge, dem ich immer vertraut habe? Dem ich immer alles gesagt habe?"
Ich schlucke und sage eine Weile nichts. Ich bin unglaublich wütend auf Joshua. Ich hätte nie damit gerechnet, dass er Valerie so hintergehen würde. Dass er ausgerechnet der größten Schulbitch alles erzählt. Ich verstehe es nicht. Wieso hat er das getan? Valerie ist doch für ihn wie eine Schwester? Ich schüttle den Kopf und drücke Valerie dann einen Kuss auf den Kopf.
„Es tut mir so leid" murmle ich, und höre Valy leise seufzen. „Du kannst da doch nichts für" nuschelt sie in mein Shirt, und ich lache leise auf. „Ich weiss, aber trotzdem. Ich kann nicht verstehen, wieso Joshua sowas tut. Er hat kein Motiv, immerhin bist du alles für ihn!" Valerie lacht bitter auf.
„Silas, denk mal nach. Josh und Jelena – die hatten mal was. Joshua ist der Bitch nachgelaufen wie der Hund dem Knochen. Ich hätte nur nicht gedacht, dass er ihr das wirklich erzählen würde." Ich schnaube. „Er ist unglaublich" murmle ich, und presse den Kiefer zusammen. Ich würde ihm gerade wirklich gerne eine reinhauen.
Gerade geht es Valerie wieder einigermaßen gut und sie hat sich sogar mit Hunter vertragen, und dann kommt sowas. Hat er überhaupt eine Ahnung, was er ihr damit antut? Was er angerichtet hat und was jetzt alles auf Valerie zukommen wird? Wo sie jetzt wieder durchgehen darf?
„Silas sieh mich an" dringt Valeries Stimme zu mir durch, und ich spüre, wie ihr Blick meinen sucht. Ich kneife die Augen zusammen und lasse meine Hände wieder etwas lockerer. „Hey, bitte. Sieh mich jetzt an, okay? Nur mich." Eine Hand dreht mein Gesicht, und ich treffe auf Valeries blaue Augen. Sofort verliere ich mich in ihnen, obwohl es dunkel ist.
„Beruhig dich wieder, bitte" flüstert Valerie, und ich nicke. „Es ist okay, ich werde mit Joshua schon irgendwie klarkommen. Du musst mir nur eins versprechen." Ich schaue Valerie fragend an, und sie beißt auf ihrer Unterlippe rum. „Ich möchte mich in den nächsten Wochen voll auf dich verlassen können" flüstert sie, und ich lächle.
„Ich verspreche dir, dass ich für dich da sein werde. Nicht nur die nächsten Wochen, Valy." Valerie lächelt und gähnt dann verhalten. „Wir sollten schlafen" murmle ich, und Valerie nickt. Sie kuschelt sich wieder an mich, und ich drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Valy" murmle ich, und bekomme ein gedämpftes „Nacht" zurück.
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„Ich gehe runter und mache Frühstück" murmelt Valerie, und schält sich aus dem Bett. Ich nicke und schaue ihr dabei zu, wie sie sich wieder ihre Kleider von gestern anzieht und dann mit einem schüchternen Lächeln aus meinem Zimmer verschwindet. Ich sinke wieder in die Kissen zurück und schliesse die Augen.
Der gestrige Abend ist mehr als nur schiefgegangen, und ich frage mich, was wir jetzt tun werden. Wie es auf der Schule laufen wird. Wie Valerie sich Joshua gegenüber verhalten wird. Ich seufze und will mich gerade umdrehen, als ich Joshuas Stimme vernehme. Sofort lausche ich und setze mich auf.
„Val, was ist los?" höre ich Joshua aus der Küche, und bin gerade froh darum, dass Dad und Maria auf eine Hochzeit gefahren sind. „Frag doch Jelena mal was los ist!" Ich höre Kochtöpfe scheppern und stehe auf, um nachzusehen, ob alles okay ist. Schnell laufe ich die Treppen runter, und als ich die Küche betrete sehe ich, wie Valerie den Tränen nahe am Boden kniet und gerade eine Teigmischung aufwischt.
Sie wollte Pancakes machen.
„Val es tut mir leid, lass mich dir helfen" stösst Joshua erschrocken hervor, doch Valerie schüttelt nur den Kopf. „Geh bitte einfach und lass mich alleine" flüstert Valerie. Wahrscheinlich haben beide mich noch nicht entdeckt. „Valerie bitte!"
„Sie will, dass du gehst Joshua. Mach es nicht noch schlimmer. Deine eigene Cousine zu verraten war keine Glanzidee. Jelena wird sie fertigmachen."
Joshua schaut zu mir und schluckt. „Was?" fragt er dann leise, und Valerie sieht mich aus grossen Augen an. „Du hast mich schon verstanden. Mit den tollen Informationen die du der Barbie gegeben hast wird Jelena deine Cousine fertigmachen. Und jetzt bitte, geh einfach." Joshua fährt sich durch die Haare und ich sehe, wie er innerlich aufgewühlt ist.
Richtig so.
„Ich werde nicht gehen."
„Verdammt Joshua! Sie will dich nicht hierhaben, verstehst du? Du hast sie verletzt. Sie ist komplett fertig, siehst du das nicht?" Joshua nähert sich mir und bleibt direkt vor mir stehen. „Nichts da. Ich bleibe hier. Hör auf dich wie ein Held aufzuspielen, nur, weil du vor drei Jahren nichts anrichten konntest und jetzt dein Gewissen ausbaden musst."
Ich weiss nicht, was genau passiert ist, doch als ich spüre, wie meine Faust in Joshuas Gesicht landet, tut es irgendwie gut.
Er hätte das nicht sagen sollen.
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Drama babyyyy
- xo, Zebisthoughts
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