Silas - Kapitel 40

Valerie steht sichtlich nervös vor mir und blinzelt einige Male, dann scheint sie sich zu fassen. „Kann ich reinkommen?" Eigentlich wollte ich mir gerade etwas zu essen holen, doch ich nicke und trete von der Türe weg, damit Valerie rein kann. Sie bleibt mitten in meinem Zimmer stehen und begutachtet es, als wäre sie das erste Mal hier. Etwas verwirrt kratze ich mich am Nacken und schliesse meine Türe wieder.

„Was gibt's?" frage ich dann, und Valerie erschreckt etwas. So als hätte ich sie gerade aus ihren Gedanken geholt. „Können wir vielleicht reden?" fragt Valy dann leise, und dreht sich zu mir um. Ihre blauen Augen schauen mich unsicher an, und ich stehe einen Moment stocksteif da. Valerie will mit mir reden? Freiwillig?

„Also... ich kann auch wieder gehen..." Valerie will gerade zur Türe laufen, als ich den Kopf schüttle. „Nein, bleib. Natürlich können wir reden. Ich war nur etwas überrascht." Valerie nickt und bleibt stehen. „Ich – also... fuck, das ist schwieriger als gedacht." Sie rauft sich die Haare und läuft zum Fenster. „Es tut mir leid" sagt sie dann einfach, und dreht sich nicht zu mir um.

„Es tut mir leid, was passiert ist, und dass ich dich nicht verstanden habe. Dass ich dich so lange ignoriert habe und so. Ich hätte dich erklären lassen sollen." Obwohl ich weiss, dass Valy das nicht sehen kann, schüttle ich den Kopf und setze mich auf mein Bett. „Es muss dir nicht leidtun. Ich habe dir kaum eine andere Wahl gelassen, oder?" Valerie dreht sich halb zu mir um und sieht mich unsicher an. „Ich hätte trotzdem nicht wiederholen müssen, was du gesagt hast" murmelt sie dann, und ich seufze.

„Val, es ist okay. Ich verstehe dich sogar, ich hätte wahrscheinlich auch so reagiert wie du. Der einzige der sich hier entschuldigen muss bin ich, das wissen wir beide. Ich habe richtig viel Scheisse gebaut, und ich wusste es. Ich war einfach feige und habe gedacht, wenn keiner Luna was sagt ist es so, als wäre es gar nicht passiert. Aber Lügen fliegen immer auf, dabei wäre diese sicherlich keine Ausnahme gewesen. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich so mies behandelt habe. Ich hatte absolut kein Recht und keinen Grund dazu. Ich war wütend, verzweifelt. Genervt, keine Ahnung. Einfach total durcheinander. Ich hatte Angst um meine Beziehung zu Luna. Ich dachte sie wäre alles, was ich noch habe."

Valerie sieht mich an und seufzt dann. „Das hättest du dir vorher überlegen dürfen" sagt sie dann vorsichtig, und ich nicke. „Ich weiss. Es tut mir leid, Valerie. Ich war ein Arsch." Val schmunzelt und schluckt dann. „Und ich will nicht, dass du denkst, du wärst nur von mir benutzt worden um eine Nacht Spaß zu haben. Und es war auch kein Fehler, jedenfalls sehe ich das so. Es war einfach nicht der passendste Zeitpunkt."

Valy sieht mich stumm an und scheint zu überlegen. „Ich habe nur gesagt, dass es ein Fehler war, weil ich nicht so erscheinen wollte als hätte es mir was bedeutet, während du so rüberkamst als wäre es dir egal gewesen" sagt sie dann leise, und ich mache Valy Platz, damit sie sich neben mich auf mein Bett sitzen kann. „Es hat mir aber was bedeutet" sage ich dann leise, und starre nach vorne. „Mir auch" murmelt Valerie, und als hätten wir es abgesprochen, seufzen wir gleichzeitig. Kurz lachen wir auf, und ich hebe einen Arm.

„Lassen wir das hinter uns?" frage ich leise, und Valerie nickt. Dann rutscht sie zu mir rüber und schlingt ihre Arme um mich. Ich drücke das kleine Mädchen fest an mich und platziere mein Kinn auf ihrem Kopf. Wir sitzen eine ganze Weile so, und irgendwann bewegt Valerie sich. „Silas?" Sie entfernt sich etwas von mir und sieht mir direkt in die Augen. „Was genau hatte der Abend zu bedeuten?"

Ich schlucke und kann den Blick von diesen blauen Augen nicht abwenden. Ja, was hatte der Abend zu bedeuten? Was fühle ich für Valy? „Ich weiss es nicht genau" murmle ich schlussendlich wahrheitsgemäß, und Valerie nickt. „Ich auch nicht" sagt sie dann, und lehnt ihre Stirn gegen meinen Brustkorb. Ich lege eine Hand auf ihren Hinterkopf und streiche vorsichtig über ihre Haare.

„Ich weiss, dass es mehr war als nur Sex" fange ich leise an, und drücke Valy's Kopf gegen meine Brust, als sie mich ansehen will. Ich glaube, ich kann besser reden, wenn ich nicht das Gefühl habe, dass mir jemand jede Emotion vom Gesicht ablesen kann.

„Du hast bei mir schon am ersten Tag einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Du bist nicht wie andere, die mir nachsabbern und versuchen, mich mit allen möglichen Mitteln ins Bett zu bekommen. Du bist stur, aufgedreht und hast eine gesunde Menge Feuer unterm Arsch. Du bist dir nicht zu schade um anderen deine unverblümte Meinung zu sagen, und du wehrst dich, wenn dich jemand versucht zu attackieren. Du steckst die Leute mit deiner Laune an – egal, welche. Wenn du glücklich bist, sind die anderen es auch. Wenn du traurig bist, würde ich am liebsten mit dir heulen. Und wenn du leer bist, bin ich es auch. Und ich rede da nicht nur von mir – ich wusste anhand von Jessie oder Joshua immer, wie es dir ging, bevor ich dich überhaupt zu Gesicht bekommen habe."

Valerie lacht leise, und ich schmunzle ebenfalls.

„Du hast mich mit deiner Art ohne Scheiss völlig vom Hocker gehauen. Ich hatte Mühe, mich an eine so lebendige Person wie dich zu gewöhnen und dachte, mein Leben würde ein einziges Chaos werden, wenn wir unter einem Dach leben würden. Gewissermaßen wurde es das ja auch, aber nicht, weil du so lebendig bist. Daran habe ich mich so schnell gewöhnt, dass ich ohne gar nicht mehr konnte. Wir haben nicht viel zusammen unternommen, aber wenn, dann waren das ungelogen meine besten Tage bisher."

Wieder lacht Valerie, und wir legen uns hin. „Erzähl weiter" nuschelt Valy leise, und ich lächle.

„Bei dir habe ich das Gefühl, dass du mich verstehst, obwohl du nicht mal die Hälfte meiner Vergangenheit kennst. An dem Abend an dem wir gestritten haben zum Beispiel – du warst einfach für mich da. Hast mich festgehalten und dafür gesorgt, dass ich nicht zerbreche. Ich kann mit dir über alles reden ohne Angst zu haben, du würdest mich als komisch oder total durchgeknallt bezeichnen. Du hörst mir einfach zu. Sogar, wenn ich versuche Gitarre zu spielen. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass wir irgendwie mehr als nur Freunde oder sozusagen Geschwister sind. Da war dieses Band, was ich noch immer nicht so genau beschreiben kann. Ich kann dich lesen als wärst du ein offenes Buch, Val. Und das kann garantiert kaum jemand. Ich vertraue dir, bei dir fühle ich mich irgendwie einfach gut. Erleichtert, weil ich so sein kann, wie ich nun mal bin. Keiner verurteilt mich. Sogar wenn wir streiten bin ich immer noch lieber in deiner Gegenwart als alleine, und ich hasse es mit Leuten zu streiten und dann bei ihnen zu sein. Eigentlich laufe ich immer davor weg, aber diesmal war es anders. Irgendwie. Du hast mich hiergehalten und dazu gebracht, trotzdem mit dir zu sprechen. Die letzten Wochen waren echt hart, weißt du das? Ich habe nicht nur Valerie Jones verloren. Ich habe meine beste Freundin verloren, meinen sicheren Ort. Meine verrückte Tanzpartnerin. Und gewissermaßen auch die Person, die ich schon immer mal küssen wollte, und genau deswegen dann alles verkackt habe. Du weißt gar nicht wie gut es sich gerade anfühlt, dich hier im Arm zu halten und dir all den kitschigen Scheiss zu erzählen damit du verstehst, wie es mir geht."

Diesmal lacht Valerie etwas lauter, und als ich kurz zu ihr sehe entdecke ich eine kleine Träne, die ihr linkes Auge verlässt. Reflexartig wische ich sie weg, und lege meine Hand dann wieder um Valeries Schultern.

„Ich dachte die letzten zwei Jahre ich wüsste, was Liebe ist. Ich hatte ja Luna, meine Freundin. Das musste doch Liebe sein, nicht wahr? Jedenfalls dachte ich das. Doch was es eigentlich war, ist Abhängigkeit. Ich habe mich an Luna festgeankert, mit dem Gedanken, dass eine Beziehung immer gut ist und man sich immer darauf verlassen kann. Dass sich die anderen Probleme dann quasi von selbst auflösen. Aber wenn die Beziehung selbst mehr Probleme macht als das restliche Leben, dann ist da was falsch gelaufen. Und so war es bei Luna und mir. Wir hatten Phasen, in denen alles gut war. Und dann kamen Tage, sogar Wochen, in denen wir durchgehend über komplett unnötige Dinge gestritten haben. Ich habe nicht gemerkt, dass es mir da nicht gut ging. Ich dachte das gehört dazu, Mom und Dad haben sich ja auch oft gestritten. Trotzdem waren sie zusammen und hatten zwei Kinder. Doch ich habe nicht gemerkt, dass ich Luna nicht wirklich liebte. Bis du kamst. Bis zu dieser einen Nacht. Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass ich noch nie sowas gefühlt habe wie mit dir."

Ich hole tief Luft und wische Valerie weitere Tränen weg, die sich den Weg über ihre Wangen gebahnt haben.

„Was ich eigentlich mit dieser chaotischen, kitschigen Rede sagen will, ist – ich glaube, ich habe mich irgendwie in dich verliebt, Valerie Jones."

Valerie sieht mich eine Weile lang aus grossen Augen an, und wir setzen uns etwas auf. „Mir hat noch nie jemand solche schönen Dinge gesagt" flüstert Valerie, und versucht, ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen. Sie wischt sich hektisch mit beiden Händen übers Gesicht und ich sehe, dass sie knallrot anläuft.

„Ich weiss nicht, was ich sagen soll" presst Val zwischen zwei Schluchzern hervor, und setzt sich ganz auf. Ich tue es ihr gleich und greife irgendwann nach ihren Handgelenken, um ihre Hände von ihrem Gesicht fernzuhalten. „Du musst nichts sagen, Valy. Aber wenn, dann sag mir bitte einfach die Wahrheit." Valerie sieht mich kurz zweifelnd an, dann nickt sie.

„Ich habe Angst fallen gelassen zu werden" sagt sie plötzlich ziemlich schnell, und will ihren Kopf in ihren Händen vergraben, doch die halte immer noch ich. „Wieso?" frage ich leise, und Valerie schluchzt leise auf. „Wegen Hunter" sagt sie dann leise, und ich schlucke. „Ich werde dich nicht fallen lassen. Niemals."

Valerie nickt schwach und fixiert meine Brust mit ihrem Blick. „Ich habe Angst, dass ich nicht gut genug bin. Dass du irgendwann genug von mir hast, dass du keine Lust mehr darauf hast, immer mit der gleichen Person zusammen zu sein. Ich bin in meinem Leben so oft verarscht worden, dass ich nicht mehr genau weiss, wem ich jetzt vertrauen kann, und wem nicht. Ich sage den meisten Personen nur das, wovon ich es verkraften könnte, wenn sie es weitererzählen würden. Für mein inneres Sicherheitssystem weißt du schon viel zu viel, aber daran kann ich jetzt auch nichts mehr ändern. Ich fühle mich bei dir mindestens so sicher, wie du dich bei mir. Irgendwas in mir sagt mir einfach, dass ich dir vertrauen kann, dass du immer irgendwie für mich da bist. Sogar wenn du am anderen Ende der Welt wärst. Aber meine Unsicherheit macht sich leider gerne sehr schnell in mir breit, wenn es was Ernstes wird, weißt du?"

Ich nicke langsam und streiche Valerie eine Strähne hinter ihr Ohr. „Okay, Val. Ich schwöre dir hier und jetzt, dass ich dich niemals einfach fallen lassen werde, weil du mir zu langweilig bist. Du könntest mir überhaupt gar nie zu langweilig werden. Du bist großartig, und ich frage mich was es alles braucht, bis du das verstehst. Ich weiss, dass du oft verarscht wurdest und ich würde die Menschen gerne dafür büßen lassen, aber es würde nichts mehr an der Situation ändern. Ich will, dass du weißt, dass ich nicht vorhabe dich zu ersetzen oder zu verarschen. Ich würde mir nie vergeben können. Alles was ich mir wünsche ist eine kleine Chance um dir zu zeigen, dass ich es wert bin, okay? Ich will dir zeigen, dass es gute Menschen gibt auf dieser Welt."

Valerie sieht zu mir auf, und ich entdecke ein kleines Lächeln auf ihren Lippen. „Okay" murmelt sie, und ich schaue sie hoffnungsvoll an. „Aber wir drängen uns zu nichts und schauen einfach, wie sich alles entwickelt, okay?" Ich nicke und grinse breit. „Bitte vermassele es nicht, okay?" Ich schüttle den Kopf. „Ich würde es nie wagen, ich kenne deine wütende Seite schon viel zu gut."

Valerie lacht und stößt mich in die Seite. Ich grinse ebenfalls und lasse mich wieder auf mein Bett fallen. Valerie folgt sofort und legt sich auf meine Brust. „Danke Silas" murmelt sie, und ich schaue zu ihr. „Wofür denn?" frage ich leise, und Valerie lacht leise. „Dafür, dass du in mein Leben gekommen bist, schätze ich mal?" Ich grinse breit und seufze dann.

„War mir ein Vergnügen" sage ich lachend, und wieder erhalte ich einen Stoß in die Seite. Und kurz darauf einen Kuss auf den Mund.

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Dumdumduuuum, die grosse Versöhnung :3

- xo, Zebisthoughts

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