Silas - Kapitel 32
Ich werde durch einen gedämpften Schrei geweckt und öffne verwirrt die Augen. Wer sollte denn um diese Zeit hier schreien?
Von unten höre ich, dass die Party wohl vorbei ist, denn es ist still im Haus. Dann spüre ich, wie sich zwei Hände in meinen Arm krallen, und drehe den Kopf zur Seite. Valerie liegt völlig fertig neben mir mit pitschnassem Gesicht, wobei ich nicht sagen kann ob es Schweißperlen oder Tränen sind. Sie windet sich in der Decke und murmelt immer wieder irgendwelche wirren Sachen vor sich hin. Es sieht so aus, als würde sie sich gegen jemanden wehren.
Ich schlucke und beuge mich dann über Valy, um sie zu fixieren. Dann packe ich ihre Schultern und schüttle sie sanft. „Val, wach auf" zische ich, als Valy sich immer noch in meinem Griff windet. Ich nehme ihre Handgelenke und drücke sie neben ihrem Kopf in die Kissen, in der Hoffnung, dass sie davon aufwacht, sich nicht mehr bewegen zu können. Doch das tut sie nicht.
Also seufze ich und betrachte Valy's Tränenüberströmtes Gesicht noch ein letztes Mal, ehe ich mich zu ihr runterbeuge und meine Lippen auf ihre drücke.
Am Anfang reagiert Valerie nicht, und ich will mich gerade wieder zurückziehen als ich spüre, wie Valerie den Kuss vorsichtig erwidert. Wir verharren eine Weile in der Position, ehe ich mich langsam zurückziehe und ich dunklen versuche, Valy's Gesichtsausdruck zu lesen. „Geht's wieder?" frage ich leise, und Valerie nickt. Ich lasse ihre Handgelenke los und lege mich wieder neben sie.
„Was hast du geträumt?" frage ich leise, und Valerie kaut auf ihrer Unterlippe rum. „Früher sind Dinge passiert, die mich ziemlich fertiggemacht haben. Darunter war auch Hunter, deswegen mögen wir ihn nicht. Oder besser gesagt: deswegen bekomme ich jedes Mal einen halben Anfall, wenn ich ihn sehe. Seit ein paar Wochen träume ich auch hin und wieder mal davon." Ich nicke nur und strecke einen Arm aus. Valerie rutscht sofort zu mir rüber und legt ihren Kopf auf meiner Brust ab, während sich ihr anderer Arm um meinen Bauch schlingt.
„Das muss schlimm sein" sage ich nur leise, und Valy nickt. „Aber du brauchst keine Angst mehr haben okay? Ich bin bei dir. Ich wecke dich sofort, wenn etwas ist, okay?" Abermals nickt Valerie, und ich drücke ihr einen Kuss auf die Haare, ehe ich meinen Kopf in die Kissen sacken lasse. „Danke Silas" murmelt Val im Halbschlaf, und ich lächle. „Gerne, Valy."
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„Sidney, du bist tot."
Sid steht mitten in meinem Zimmer und hat gerade die Türe wieder aufgeschlossen. „Alter du kannst froh sein, dass ich euch nicht völlig vergessen habe." Ich will gerade etwas sagen, als Valerie aufspringt und aus der Türe rennt. „TOILETTE! ICH HABE DICH VERMISST!"
Ich schmunzle, und Sid grinst ebenfalls. Dann wendet er sich wieder mir zu. „Wieso habe ich euch überhaupt eingesperrt?"
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und bin kurz davor, Sidney anzuspringen. „WIESO? Alter sag mir jetzt nicht, dass du das nicht weißt." Sid zuckt mit den Schultern, und ich lasse verzweifelt den Kopf hängen. „Aber ich mag die Ideen von meinem betrunkenen ich."
Mit diesen Worten lässt Sid mich alleine, und ich lehne mich wieder in meinem Bett zurück. Die Erinnerungen an gestern Abend kommen wieder in mein Gedächtnis zurück, und ich seufze, ehe ich mir die Hand über die Augen lege. Ich habe wirklich Mist gebaut, und Valerie da auch noch mit reingezogen. So wie ich sie kenne wird sie Luna nicht mehr in die Augen sehen können. Ich hätte sie nicht küssen sollen, sie hat mir sogar noch gesagt, ich soll es nicht tun. Nicht, dass ich es bereue sie geküsst zu haben. Ich würde es jederzeit wieder tun. Aber ich habe meine Freundin betrogen.
„Du musst es ihr sagen, Silas."
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, steht Valerie im Türrahmen und schaut mich direkt an. Ich seufze und setze mich etwas auf. Ich rutsche an die Bettkante und stütze meine Unterarme auf den Knien auf. „Ich weiss, Valy. Aber es ist nicht so einfach, verstehst du? Ich... wir sind seit zwei Jahren zusammen. Ich kann sie nicht einfach hängen lassen." Valerie schließt die Türe und setzt sich neben mich.
„Aber sie muss es wissen, Sil. Sie wird es sowieso irgendwann erfahren, und dann wird es noch viel schlimmer sein. Ich glaube es ist immer noch besser, wenn du es ihr wenigstens direkt sagst und sie es nicht erst in einem Jahr oder so rausfindet." Ich nicke nur. Ich weiss, dass sie Recht hat. „Ich kann sie nicht damit konfrontieren, Val. Sie hat es zu Hause nicht immer leicht. Ich würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen." Valerie schüttelt nur den Kopf. „Das wirst du sowieso."
„Valerie, es ist meine Beziehung. Ich lasse mich nicht dazu zwingen." Valerie steht auf und zuckt bei der Härte in meiner Stimme etwas zurück. „Das weiss ich Silas, aber leider bist du nicht der einzige der hier was mitzureden hat." Ich verdrehe die Augen und raufe mir die Haare. „Ich weiss verdammt, aber ich kann es ihr nicht einfach so sagen! Ich würde mich hassen!" Valerie geht vor mir auf und ab und schüttelt immer wieder den Kopf.
„Silas, es geht hier aber nicht nur um dich und deine Gefühle! Luna hat ein Recht darauf es zu erfahren, immerhin bist du ihr Freund. Und außerdem bist du nicht der einzige mit einem Gewissen, okay?"
Ich schnaube. „Du hättest mich ja nicht küssen müssen."
Valerie bleibt stehen und dreht sich zu mir um.
„Wie bitte?"
„Du hättest mich nicht küssen müssen!"
Ich stehe ebenfalls auf und bleibe vor Valerie stehen, die aussieht, als würde sie mir gleich eine reinhauen. Aber sie ist hier nicht diejenige die sich beschweren darf, immerhin hat sie sich nicht gewehrt. Sie wollte es genauso sehr wie ich auch, und sie wusste, dass sie dadurch Probleme bekommen würde. „Was hätte ich denn tun sollen? Außerdem hast du mich geküsst, nicht ich dich!" Valeries Kopf ist hochrot angelaufen, und ich schmunzle leicht. „Aber du hast erwidert."
Valerie steht mit offenem Mund da und schüttelt nur ungläubig den Kopf. „Du hättest dich mal besser beherrschen können mein Lieber! Ich habe dir absolut keinen Grund gegeben, mich zu küssen. Ich habe dir sogar noch gesagt, dass du es lassen sollst! Du hast mich hier mit reingezogen, und jetzt gib mir verdammt nochmal das einzige Recht in dieser Situation, auch etwas mitreden zu dürfen. Wir stecken nämlich beide in der Scheisse, das weißt du ja wohl. Du hast dich in dem Moment dazu entschieden, deine Freundin zu betrügen, jetzt steh verdammt nochmal auch dazu."
Ich sehe, wie Valerie nach ihrem Ausbruch nach Luft schnappt, und wende mich leicht ab. „Weißt du was? Das war ein Fehler. Wir waren ein Fehler."
Ich schaue Valerie wieder in die Augen und entdecke, wie Tränen darin glänzen. Kurz sieht sie mich verletzt an, dann nickt sie, und während sie anfängt zu reden, rollt ihr die erste Träne über die Wange. „Ja, du hast Recht. Ein Fehler. Das alles hier", sie zeigt um sich, „ist ein Fehler. Ein verdammt grosser. In einer Woche weiss es Luna, sonst sag ich es ihr. Für den Rest sind wir fertig hier. Ich bin fertig mit dir, Silas Garcia. Steck dir deine Freundschaft sonst wo hin."
Ich schlucke als Valy's Stimme gegen Ende versagt, doch sie hat Recht. „Da ist die Tür, tu dir keinen Zwang an." Ich zeige hinter Valerie, und sie folgt meinem Finger langsam.
„Ich hoffe Luna sagt dir, was für ein Arsch du bist" flüstert Valerie leise, dreht sich ganz um und verschwindet mit hoch erhobenem Kopf aus meinem Zimmer.
Ich höre das Geräusch, das meine Türe von sich gibt, als Valerie sie zuschlägt. Und kurz darauf höre ich das gleiche Geräusch von ihrer Türe. Ich stehe immer noch mitten in meinem Zimmer und versuche zu verarbeiten, was eben passiert ist. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich noch mal mit Valerie streiten würde. Niemals.
Ich schiele zu meinem Bett, dessen eine Hälfte immer noch nach Valerie riecht, und als hätte man mich geschlagen, kommt plötzlich Bewegung in mich. Ich verlasse mein Zimmer und schlage die Türe mindestens so laut wie Valerie eben zu, poltere die Treppe runter, wobei ich Sidney fast umrenne, schnappe mir meine Autoschlüssel und verschwinde aus diesem Haus. Ich höre wie mir jemand folgt, und als ich mich umdrehe erkenne ich Sid, der versucht mit mir Schritt zu halten.
„Silas verdammt was ist los?" schreit er mich fast an, als ich auf seine vorherigen Kommunikationsversuche nicht reagiere, und bei meinem Auto angekommen drehe ich mich genervt um. „Alter lass mich einfach in Ruhe ja? Hättest du diese beschissene Idee nicht gehabt, wäre es nie so weit gekommen. Du kannst gerne Valerie bemuttern, aber lass mich jetzt gerade einfach in Ruhe."
Sidney sieht mich eine Weile nur an und scheint zu überlegen, weshalb genau ich jetzt so wütend bin. „Mach keinen Scheiss" sagt er dann bloss, und verschwindet wieder in Richtung Haus. „Fuck Sidney das war nicht so gemeint" zische ich, doch mein Kumpel schüttelt nur den Kopf.
„Geh, lauf vor deinen Problemen davon, mach die ganze Welt dafür verantwortlich und lass mich Valerie bemuttern gehen. Wenn Josh dir eine Reinhaut bin ich nicht dafür verantwortlich. Und ich meins Ernst – mach keinen Scheiss."
Er schlägt die Haustüre hinter sich zu, und ich steige ein. Sobald ich die Türe geschlossen habe realisiere ich, dass ich nicht nur eine gute Freundin, sondern auch meinen besten Kumpel ziemlich verletzt habe. Ich schlage mit der flachen Hand aufs Lenkrad. „Fuck!" Ich lehne meinen Kopf gegen das Lenkrad und versuche meine Wut zu unterdrücken. Als es einigermaßen geht, starte ich den Motor und fahre davon. Ich fahre viel schneller als normal, doch es ist mir egal. Es könnte mir nicht egaler sein.
Ich halte mit quietschenden Reifen vor dem Eingangstor, hinter dem sich all diese Gräber verbergen, die so einigen Leuten immer wieder das Herz brechen. Mir miteingeschlossen. Ich steige aus und laufe wie in Trance an all den Grabreihen vorbei, bis ich an der ankomme, in der sich das Grab meiner Mom befindet. Ich biege in die Reihe ein und bleibe vor einem weißen Grab stehen, an dessen linken Seite sich einige Glaskugeln befinden, die in den Stein eingefügt wurden. Es war Leonas Idee, weil sie und Mom Weihnachtsdeko über alles liebten.
Ich gehe wie immer in die Hocke und fahre einmal mit dem Finger über den Namen meiner Mutter. „Calliope Garcia" murmle ich, und schlucke. Ich liebte den Vornamen meiner Mutter. Ich liebte, wie mein Vater ihn aussprach. So liebevoll, gefüllt mit Gefühlen und Zuneigung. Liebe. Alles Dinge, die ich seit ihrem Tod nie mehr in Dads Stimme gehört habe, bis er Maria kennengelernt hat.
Ich habe die Erziehung von Leona fast ganz übernommen, und das mindestens für ein Jahr. Ich habe die Schule geschwänzt und mich durch die halbe Weltgeschichte gevögelt, und das mit sechzehn Jahren. Auf mich selbst habe ich keine Acht gegeben, Leona war das einzige auf der Welt, das ich geliebt und gehütet habe. Tue ich immer noch, aber dank meinen Freunden bin ich wieder zu Dingen wie Liebe und allgemein Gefühlen fähig.
„Mom, ich hab' Scheisse gebaut" sage ich seufzend, und stelle mir vor, wie Mom ihre Augenbrauen abwartend hochzieht, so, wie sei es immer getan hat, wenn sie wusste, dass ich ihr gleich was beichten werde. „Ich... Valerie. Ich habe mit Valerie geschlafen" flüstere ich, und versuche eine Antwort von meiner Mutter zu bekommen. Wenigstens in meinem Kopf. Ich frage mich, was sie jetzt tun würde. Was sie mir raten würde.
„Mom ich habe Luna betrogen und ich bereue es nicht mal so sehr, wie ich sollte. Ich würde jederzeit wieder mit Valy schlafen. Das ist doch falsch, oder? Ich kann nicht mit ihr schlafen, wenn ich vergeben bin. Jetzt sagst du sicher, dass ich dann mit Luna Schluss machen soll, aber das kann ich nicht. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Sie braucht mich." Ich schlucke und schweige dann eine Weile.
Die Stille auf diesem Friedhof bringt mich manchmal um, doch jetzt gerade wünsche ich mir genau das: Stille. Keine Wiederworte oder sonstiges Mitleid. Einfach nur Stille und die Erlaubnis, mir alles von der Seele zu reden.
„Ich habe mich mit Valerie darüber gestritten, ob ich es Luna sagen soll oder nicht. Sie will, dass ich es mache. Ich nicht. Dann habe ich gesagt, dass alles ein grosser Fehler war, und sie hat gesagt, dass ich Recht habe. Aber ich habe den Schmerz in ihren Augen gesehen. Ich glaube, insgeheim weiss sie genauso gut wie ich, dass es kein Fehler war. Jedenfalls kein ganzer. Naja, dann habe ich Sidney doof angemacht... Sid, meinen besten Freund der für mich da ist und mir immer zuhört. Ausgerechnet ihn. Ich fühle mich so verdammt scheisse, das glaubst du gar nicht. Ich würde gerne einen Tag zurückspulen oder so. So unglaublich gerne."
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Dramaaaa
Ich hoffe ihr hasst mich nicht dafür :3
Auf wessen Seite steht ihr? Val oder Silas?
- Xo, Zebisthoughts
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