8 - Nathan - ich hasse Schule.

Blaue Augen. Schwarze, lockige lange Haare mit blauen Spitzen. Kleine Stupsnase, einige Sommersprossen und ein wunderschönes, freches Lächeln. Kleine zierliche Statur, meistens schwarz gekleidet, und nie alleine unterwegs. So hat Caine mir Aleyna beschrieben, und genau das sehe ich jetzt vor mir.

Einige Meter entfernt steht Aleyna mit einem anderen Mädchen, welches scheinbar ihre Freundin ist. Ich merke mir schnell ihr Gesicht, für den Fall, dass es gefährlich werden könnte und ich noch mehr Leute schützen muss. Mein Blick wandert wieder zu Aleyna, die ihre Freundin gerade lächelnd umarmt, und dann fällt es mir wieder ein: sie war das Mädchen vom Krankenhaus.

Sie ist in mich reingerannt.

Ich schmunzle etwas, und als hätte sie meine Gedanken gehört, dreht Aleyna sich etwas zu mir, während ihre Freundin neben ihr scheinbar gegen eine Wand redet. Diese blauen Augen fixieren mein Gesicht, während ich den letzten Zug meiner Zigarette nehme, und meine Kippe dann in den Aschenbecher fallen lasse. Ich mustere weiterhin das Gesicht von Aleyna, damit ich sie auch in der Schule sofort erkennen werde.

Schwachsinn, das tust du sowieso.

Kurz lasse ich unauffällig abermals meinen Blick über ihren Körper fahren und merke sofort, wieso Caine so auf die Kleine abfährt. Sie hat eindeutig was zu bieten. Aleyna's Freundin bohrt ihren Ellbogen in die Seite ihrer Freundin, und das Eisblau löst sich von meinen Augen. Noch bevor Aleyna's Freundin die Möglichkeit hat, sich zu mir umzudrehen, verschwinde ich schnell im Gebäude.

Ich will soweit unentdeckt bleiben, nur so kann ich mich selbst schützen. Ja, ich werde mich die nächste Zeit in Aleyna's Nähe aufhalten müssen, und ich gehe auch stark davon aus, dass wir ab und zu miteinander sprechen werden. Aber Teil ihres Freundeskreises will ich eindeutig nicht werden, ich habe meine Personen. Das wären genau zwei – Ray und Caine. Der Rest unserer Gang weiss zwar auch mehr als fremde Personen oder meine Klassenkameraden über mich, aber lange nicht alles. Ganz alles weiss nur Ray, weil er es selbst erlebt hat.

Als könnte er Gedanken lesen, erhalte ich in dem Moment eine Nachricht von ihm, und ich entsperre mein Handy, während ich mich neben den Schüler durchquetsche. Wer stellt sich eigentlich auch freiwillig am ersten Schultag bei einer Mordshitze in den Schulflur?

Wer?

Ray: Ich bin mal so nett und wünsche dir einen schönen ersten Schultag, in der Hoffnung, dass du mich dafür nicht direkt umbringst xD Vertrau mir, die nächsten Ferien sind in Sicht. Ist was Neues bei der Versammlung rausgekommen?

Ich schmunzle und stelle mich vor meinen Spind, um die Antwort zu verfassen. Ray ist ebenfalls eines unserer Mitglieder, doch momentan kann er leider recht wenig anstellen. Ist jedoch jemand an den wir rankommen müssen im Krankenhaus, ist dies solange er noch normal agieren kann seine Aufgabe. Er kennt sich von uns allen am besten aus in diesem Gebäude und weiss, wen er wann und wo ansprechen muss, um an die richtigen Orte heranzukommen.

Nathan: Du hast Glück gehabt, so ein schlechter Tag ist heute (noch) nicht. Bei der Versammlung habe ich eine neue Aufgabe bekommen, ich muss jetzt auf jemanden aufpassen. Komme nach der Schule bei dir vorbei und erkläre dir mehr.

Ich will mein Handy gerade wieder wegstecken, als Ray online kommt und anfängt zu schreiben.

Ray: Klingt interessant. Mädchen oder Junge?

Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen, und als das Mädchen, welches neben mir am Spind lehnt und offensichtlich was will mich verwirrt anstarrt, setze ich wieder meine kalte Miene auf.

Nathan: Mädchen. Wir reden später, will ausnahmsweise nicht zu spät kommen ;)

Ich stecke mein Handy weg, nehme mir meine Sachen aus dem Spind, schliesse diesen und laufe dann ohne das Mädchen eines Blickes zu würdigen an ihr vorbei zu meinem Raum, in dem ich gleich Mathe haben werde.

Warum genau bin ich nochmal zur Schule?

Aleyna.

Ich seufze, und innerlich schmunzle ich als ich feststelle, dass ich das erste Mal wegen einem Mädchen in die Schule gekommen bin. Normalerweise verlasse ich wegen Mädchen die Schule.

Ich betrete meinen Matheraum und setze mich wie letztes Schuljahr in die hinterste Reihe, wo mich der Lehrer kaum entdecken kann, und ich ungestört über alles, nur nicht Mathe nachdenken kann. Es dauert nicht lange bis ein Junge mit blonden Haaren und grünen Augen den Raum betritt, und sobald er mich entdeckt hat, kommt Nick mit einem Grinsen ebenfalls in die hinterste Reihe und lässt sich neben mir nieder.

Wir klatschen uns ab, und Nick klatscht sein Buch mit einem lauten Knall auf die Pultoberfläche, was ich nur mit einem leichten Mundwinkelzucken beobachte. „Na, motiviert wie immer?" Ich nicke nur, da ich für einen Montagmorgen eine ausführlichere Antwort auf diese Frage als unnötig empfinde, und Nick legt seinen Kopf auf das Buch drauf. „Prima, geht mir genauso."

Mit diesen Worten schließt er die Augen, und ich bin mir nicht sicher ob der Typ nach einigen Minuten tatsächlich eingeschlafen ist, oder ob er einfach keine Reaktionen zeigen möchte, denn das Klingeln ignoriert er vollständig.

Solange er nicht schnarcht, ist ja alles im grünen Bereich.

Seufzend nehme ich mein Buch langsam auch hervor, und im gleichen Moment betritt Mr. Wayne den Klassenraum – gefolgt von einem neuen Schüler. Seine giftgrünen Augen stechen mir sofort entgegen, und das erste Mal seit langem habe ich ernsthaftes Interesse daran zu erfahren, wer der neue Schüler ist.

Dunkle Locken hängen dem Jungen ins Gesicht, die er sich kurz aus der Stirn pustet. Etwas gelangweilt steht er neben unserem Mathelehrer, der uns alle zur Ordnung ruft – was bei ungefähr einem Viertel der Klasse noch Wirkung zeigt – und sich dann neben den neuen Schüler stellt, der ihn um mindestens einen halben Kopf überragt.

Ich stupse Nick in die Seite, welcher erschrocken hochschreckt, und dann den neuen Schüler fixiert. „Hat er sich schon vorgestellt?" raunt er mir zu, und ich schüttle den Kopf. „Nein, aus einem Grund habe ich dich ja aus deinem Dornröschenschlaf geholt du Hirn. Ich will dir nicht später alles erzählen müssen."

Ein lautes Räuspern ertönt von unserem Lehrer, und streng sieht er uns an. Ich lehne mich nur wieder zurück und kommentiere seinen strengen Blick mit einer gehobenen Augenbraue. Der kann mich mal. Mr. Wayne sieht wieder zum Neuling, der nur flüchtig einen Blick über die Klasse schweifen lässt. „Guten Morgen Zwölf a. Wie ihr schon sehen könnt, habt ihr einen neuen Schüler. Hunter, willst du was von dir erzählen?"

Der neue Junge, der anscheinend Hunter heisst, dreht sich leicht zum Lehrer und zuckt dann mit den Schultern. „Eigentlich nicht wirklich. Wer was wissen will kann fragen, ich beiße nicht."

Mit einem etwas belustigten Blick kommentiert er das aufgeregte Flüstern unserer Mädels, die anscheinend der Ohnmacht nahe sind. Ich hingegen fixiere weiterhin Hunter, der sich mittlerweile nach einem freien Platz umsieht, während Mr. Wayne alles über Hunter erzählt, was er weiss – das wäre also Alter, Wohnort und Name. Sein Aussehen können wir uns ja selbst ansehen.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie bei Ihrer Vorlesung meiner eher kurz gehaltenen Biografie unterbreche, aber darf ich mich da hinsetzen?" Hunter sieht fragend zu unserem Lehrer, der etwas sprachlos nickt, und dann weiterfährt.

Tatsächlich hat sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen geschlichen. Dieser Hunter ist mir irgendwie nicht ganz so unsympathisch wie die meisten hier. Hunter kämpft sich den Weg durch alle Louis Vuitton Taschen unserer Mädels, und zeigt dann mit fragendem Blick auf den Stuhl neben mir. Ich mache nur eine einladende Handbewegung, und Hunter setzt sich.

Mr. Wayne ist währenddessen fertig mit seinem kleinen Vortrag, und stellt sich vor die Tafel. Sobald er anfängt irgendwas über Potenzen und Wurzeln zu erzählen, schaltet sich mein Hirn automatisch ab, und ich fange an, irgendwelche Skizzen in mein Heft zu malen. Nick neben mir schläft wieder, oder jedenfalls hat er die Augen geschlossen. Und Hunter? Der macht irgendwas mit seinem Ring. Also hört keiner von uns zu.

Dies scheint Mr. Wayne aufzufallen, und ich bekomme am Rande mit, wie er anfängt, eine Aufgabe an die Tafel zu schreiben. Dann dreht er sich zu uns um. „Hunter, könntest du mir sagen, wie ich hier vorgehen soll?" Hunter sieht auf, und ich sehe deutlich, wie sich die Schadenfreude auf Mr. Waynes Gesicht breitmacht, bis Hunter nur gelangweilt nickt.

„Polynomdivison" sagt er nur, und das Lächeln auf Mr. Waynes Gesicht bröckelt etwas. Er schaut zwischen der Rechnung und Hunter hin und her, bis er dann schlussendlich nickt. „Das ist richtig. Komm doch her und löse die Aufgabe für uns." Mit einem übertriebenen Seufzer erhebt Hunter sich von seinem Platz, kämpft sich ein erneutes Mal durch alle Taschen und nimmt dann mit einem gefälschten Lächeln die Kreide entgegen, die unser Lehrer ihm hinhält.

Gespannt schaue ich nach vorne und warte darauf, dass Hunter anfängt, die Aufgabe zu lösen. Er mustert die Tafel eine Weile, dann fängt er an etwas zu machen, von dem ich nur Bahnhof verstehe, doch am Ende ist die Aufgabe gelöst und richtig, was ich sofort an Mr. Waynes Gesicht ablesen kann. Mit einem etwas überrumpelten Nicken lässt er Hunter wieder an seinen Platz zurückkehren, und als Hunter sich setzt, schmunzle ich.

„Er wird dich hassen" sage ich dann leise zu ihm, und zum ersten Mal liegt Hunters ganze Aufmerksamkeit auf mir. „Wieso?" Ich nicke leicht nach vorne. „Hast du das Gesicht gesehen?" Hunter nickt langsam und hebt einen Mundwinkel. „Es war die Genugtuung des Tages." Ich grinse leicht und seufze dann leise. „Er hasst es, wenn Schüler, die nicht wirklich aufpassen trotzdem Recht haben, und er somit nichts kritisieren kann. Das ist nämlich seine Lieblingsbeschäftigung."

Hunter hebt eine Augenbraue und schüttelt dann leicht grinsend den Kopf. „Hätte nicht gedacht, dass ich an der neuen Schule direkt wieder so einen Lehrer abbekommen werde." Hunter sieht Mr. Wayne etwas belustigt an, da er gerade nochmal mit Taschenrechner versucht, einen Fehler in Hunters Rechnung zu finden.

Er scheint es nicht verkraften zu können, dass ihm jemand die Stirn geboten hat, ohne dabei beleidigend zu werden und ohne dabei einen Fehler zu machen. Das können bei seinen Aufgaben nur die Wenigsten. Ich schaue fast etwas verzweifelt nach vorne und seufze erneut. „Leider ist er nicht der einzige hier. Wenn du Mr. Lawrence in Geschichte kennenlernst, ist das hier absolut harmlos." Hunter schließt kurz die Augen und legt den Kopf in den Nacken. „Ich hasse Schule."

Ich nicke zustimmend und lehne mich ebenfalls etwas zurück. „Ich auch." Eine Weile schweigen wir, bis ich mich leicht zu Hunter drehe, der erneut mit seinem Ring beschäftigt ist. „Nathan. Aber ich bevorzuge Nate." Hunter sieht mich lange an, dann hält er mir die Hand hin, und wir schlagen ein. „Hunter, aber das weißt du ja schon." Ich nicke und schaue wieder nach vorne.

„Mr. Waynes unter anderem sehr detaillierte Aufzählung deiner bisher wichtigsten Lebensstationen hat mir tatsächlich solche Informationen eingebracht." Leise lacht Hunter neben mir los, und ein kleines Lächeln kann ich mir nicht nehmen lassen. Ich sagte doch, unsympathisch kommt mir der Junge mit den Grünen Augen und den schwarzen Locken jedenfalls nicht vor. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass wir noch ganz gute Freunde werden könnten, und das kommt von einem Teenager, der distanzierter und desinteressierter nicht sein könnte.

Hunteeer ;)

- xo, Zebisthoughts

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