69 - Aleyna - Only time can heal

Ein halbes Jahr später

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„Sicher, dass du nicht mit uns gehen willst?" Ava sieht mich zweifelnd an, während ich mein Kleid zurechtrücke, und mein Make-Up ein letztes Mal überprüfe. „Ava, ich werde mit Aidan hingehen. Er hat mich eingeladen, und ich habe die Einladung angenommen. Das ist jetzt schon zwei Monate her, und du diskutierst mit mir jeden Tag darüber! Außerdem gehst du doch auch mit Chase hin. Ich wäre da nur das fünfte Rad am Wagen, und das weißt du."

Ava sieht mich empört an, und stemmt die Hände in die Hüfte. Was bei ihrer Körpergröße ziemlich witzig aussieht. „Sag mal, geht's noch? Natürlich wärst du nicht das fünfte Rad am Wagen! Du bist immerhin meine beste Freundin, also bitte." Ich seufze, und drehe mich endgültig zu Ava um. „Ich weiss. Aber du gehst mit Chase hin, und ich gehe mit Aidan hin. Ende der Geschichte und jetzt komm, wir haben nicht mehr alle Zeit der Welt."

Bevor Ava noch einen Einwand bringen kann, ziehe ich sie aus ihrem Zimmer und dann über den Flur in ihr Badezimmer. „Setzen", kommandiere ich, und Ava kommt meinem Befehl – wenn auch mit einem Augenrollen – nach. „Ich will einfach nicht, dass du das nur tust, weil... naja, weil eine andere Person nicht gefragt hat." Auch ohne seinen Namen zu sagen weiss ich, dass Ava Nate meint, und obwohl ich es nur ungerne zugeben möchte – irgendwie hat sie schon ein bisschen Recht.

Als Nate geschrieben hat, er wäre in einem halben Jahr wieder da, habe ich eigentlich darauf gehofft, dass wir somit doch zusammen zum Prom gehen können. Immerhin ist er ein Senior, und schließt dieses Jahr die Schule ab. Ich habe gehofft, dass er heute da ist. „Und wenn schon. Ich gehe gerne mit Aidan hin, er ist ein guter Freund. Lieber gehe ich mit ihm hin und mache mir einen schönen Abend, als die ganze Zeit heulend im Bett zu liegen. Ich bin erst gerade darüber hinweg."

Ich sehe, dass Ava noch etwas sagen will, doch ich ersticke jegliche Worte, in dem ich anfange, mit dem Puderpinsel auf ihrem Gesicht rumzufahren. Ende der Diskussion.

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„Bereit?" Ich nicke, und Ava lächelt mich an. „Du siehst wunderschön aus", sagt sie dann, und ein breites Lächeln umspielt ihre dunkelroten Lippen. Meine beste Freundin steckt in einem – passend zu ihrem Lippenstift – dunkelrotem Kleid, das ab der Taille in einem A-Linienrock verläuft, und sich eng an ihren Oberkörper schmiegt. Es bringt Ava's Figur perfekt zur Geltung, und ich klopfe mir selbst etwas auf die Schulter, da ich sie dazu überredet habe, sich für heute Abend dieses Kleid zu kaufen.

Sie hätte keine bessere Wahl treffen können – auch, wenn sie jetzt etwas pleite ist.

Sie weiss ja noch nicht, dass Chase mir verraten hat, die Hälfte des Preises zu zahlen. Die beiden sind kurz nachdem Nate abgereist ist ein Paar geworden, und ich könnte mir kein schöneres Paar vorstellen, als Chase und Ava. Sie harmonieren einfach perfekt, das sieht sogar ein Blinder mit Krückstock. Ich selbst trage – üblich für mich – ein schwarzes, enges Kleid, welches ebenfalls in einem, wenn auch kurzen, A-Linienrock verläuft. Die obere Hälfte des Kleides ist mit kleinen, schwarz-silbernen Pailletten bestickt, und hat durchsichtige Träger.

Meine Schuhe bestehen aus schwarzen Pumps, meine Haare sind teilweise zu einem Dutt gebunden, und teilweise fallen sie offen und in leichten Locken über meine Schultern. Mit dem Make-Up habe ich mich nicht zurückgehalten, denn das wäre nicht ich. Ich halte mich nie zurück. Schwarze Smokey-Eyes mit einem silbrig glänzenden Lidstrich, dunkelroter Lippenstift, und Fake-Lashes. Das volle Programm eben.

„Erde an Aleyna!" Ava fuchtelt mit ihrer Hand vor meinem Gesicht rum, und ich erwache aus meinen Gedanken. „Dein Date kommt da." Ich verdrehe die Augen, und schaue Ava streng an. „Er ist nicht mein Date, Ava. Er ist ein guter Freund, mit dem ich heute einen tollen Abend verbringe. Ich würde eher sagen, dein Date kommt da gerade an." Ava folgt meinem Blick, und fängt breit an zu grinsen, sobald sie Chase entdeckt. Währenddessen gehe ich Aidan entgegen, der mich fest in die Arme schließt.

„Gut siehst du aus", raunt er mir zu, und ich lächle, ehe ich mich von Aidan löse, und kurz seinen Anzug mustere. „Du aber auch", stelle ich dann fest, und Aidan grinst. „Danke. Darf ich bitten?" Er streckt mir seinen Arm entgegen, und ich hacke mich bei ihm ein. „Aber natürlich", erwidere ich dann mit einer abgehobenen Stimme, und wir lachen leise. Kurz werfe ich einen Blick über die Schulter, und winke Ava zu, die gerade überglücklich mit Chase in dessen Wagen steigt. Sie winkt zurück, und dann steige ich selbst in Aidans Auto.

„Ich möchte dir bevor wir zur Schule fahren noch etwas zeigen", verkündet er, sobald er hinter dem Steuer sitzt, und während ich mich anschnalle, hebe ich eine Augenbraue. „Ach, bist du jetzt plötzlich der Mensch für Überraschungen?" Aidan schüttelt heftig den Kopf, und schmunzelt. „Nein, aber man kann ja auch mal eine Ausnahme machen, nicht?" Wir fahren los, und gespannt versuche ich anhand der Umgebung zu erkennen, wo oder was die Überraschung vielleicht sein könnte. Doch es hilft alles nichts – ich kann anhand der teuren Häuser und des Strandes nicht erkennen, was Aidan mir zeigen will.

Den Strand kenne ich ja mittlerweile sicher in- und auswendig, immerhin wurde ich in LA geboren. „Wie lange fahren wir denn?", frage ich meinen mittlerweile besten Freund, und Aidan schaut kurz auf die Uhr. „Noch etwa fünf Minuten", sagt er dann, und ich bin erstaunt darüber, dass wir nur so kurz fahren. „Hier", durchbricht Aidan die Stille plötzlich, und hält mir ein schwarzes Tuch hin. „Was soll ich damit?", frage ich verwirrt, und nehme es an mich.

Aidan schmunzelt nur, und schielt dann zu mir. „Um die Augen binden, natürlich." Ich hebe eine Augenbraue, und versuche herauszufinden, ob Aidan nur Witze macht, oder ob er es ernst meint. „Ernsthaft?", frage ich schlussendlich mit einem kleinen Lacher, und Aidan nickt. „Jap. Ernsthaft. Wenn du's nicht machst halte ich auf dem Pannenstreifen an und binde dir das Tuch selbst um die Augen, also los."

Ich seufze, und falte das Tuch dann einige Male, damit ich es mir um die Augen binden kann, ohne dabei den ganzen Stoff auch noch im Mund zu haben. Soweit ich weiss gehören Tücher noch nicht zu meiner Ernährung. „Siehst du noch was?" Ich schüttle den Kopf, und komme mir ziemlich verloren vor, als ich zwar spüre, dass wir die Autobahn verlassen, jedoch überhaupt nichts sehen kann. „Nein, gar nichts", antworte ich wahrheitsgemäß, und ganz ehrlich – es würde mich nicht wundern, wenn Aidan gerade als Test so tut, als würde er mir ins Gesicht schlagen.

Nicht mal ein kleines Bisschen.

„Gut, ich glaube dir", gibt mein bester Freund dann auch zufrieden von sich, und wir bleiben stehen. „Sind wir da?", frage ich sofort, und höre nur, wie Aidan aussteigt. Kurz darauf öffnet sich meine Türe, und ein Arm greift nach mir. „Ich würde sagen ja", schmunzelt Aidan, und hilft mir aus dem Auto. „Heilige Scheisse, hätte ich gewusst, dass ich heute sowas machen werde, hätte ich mir eine Jeans und Sneakers angezogen", fluche ich, als ich merke, wie wacklig ich auf meinen High-Heels bin, und gleichzeitig höre ich Aidan leise lachen. „Jetzt mecker nicht rum, wir laufen nicht lange."

Obwohl ich weiss, dass er das nicht sehen kann, verdrehe ich die Augen, und hänge mich dann an meinen besten Freund ran. „Ich gehe keinen Schritt." Ich weiss, dass Aidan jetzt die Augen verdreht, doch es ist mein voller Ernst – ich werde so keinen Schritt machen. Ich habe wirklich keinen Nerv für einen verstauchten Knöchel. „Festhalten", seufzt Aidan dann auch schon, und wenig später schwebe ich über dem Boden.

Aidan setzt sich in Bewegung, und irgendwann verstummt das Knirschen der Kieselsteine unter seinen Schuhen. Stattdessen vernehme ich dumpfe Schritte, die auf Rasen hindeuten. Wo auch immer wir sind, ich hoffe, es ist richtig schön hier. Wir bleiben stehen, und Aidan lässt mich vorsichtig wieder runter. „Was wird das hier denn jetzt?", frage ich verwirrt, und kralle mich sofort an den Arm meines besten Freundes, um nicht einfach auf der Stelle umzuknicken. High-Heels sind ja eine Sache, aber High-Heels auf Gras – das ist was völlig anderes.

„Das siehst du gleich", lacht Aidan leise, und ich seufze laut und deutlich. „Das sagst du seit du mich abgeholt hast", murre ich, und taumle gefährlich herum, als Aidan mich etwas loslässt. Jedoch nur, um sich hinter mich zu stellen, und mir die Augenbinde abzunehmen. Da es schon dämmert benötigen meine Augen nicht viel Zeit, um sich an das Licht zu gewöhnen, und schon bald erkenne ich, dass wir gerade über die ganze Stadt schauen können.

„Woher kennst du diesen Ort", frage ich Aidan mit offenem Mund, und drehe mich völlig baff zu ihm um. Aidan jedoch zuckt nur mit den Schultern, und grinst breit. „Geheimnis", sagt er dann nur, und ich schlucke trocken. „Nathan", sage ich dann mit zittriger Stimme, und schaue Aidan eindringlich an. „Du weißt es von Nate, richtig?" Aidan weicht meinem Blick aus, doch ich lasse mich nicht beirren. „Aidan", sage ich eindringlich, und stelle mich vor ihn. „Weißt du es von Nate? Hat er sich gemeldet? Geht's ihm gut?"

Aidan sieht zu mir, und lächelt milde. „Wieso fragst du ihn das nicht einfach selbst?" Verwirrt schaue ich Aidan an, der mich immer wie breiter angrinst. „Das weißt du doch", antworte ich immer noch verwirrt, und Aidan schüttelt den Kopf. „Nein, ich meine, wieso fragst du ihn das nicht einfach hier und jetzt?" Als ich es immer noch nicht verstehe, dreht Aidan mich an den Schultern um, und meine Augen weiten sich. Schwarzer, enger Anzug, ziemlich teuer aussehende Schuhe, wie üblich gestylte, blonde Haare, tiefblaue Augen, markantes Gesicht, und ein spöttisches Lächeln.

Ein spöttisches Lächeln, das mir gilt.

„Oh mein Gott", flüstere ich, und kann spüren, wie sich meine Augen sofort mit Tränen füllen. Doch das könnte mir nicht egaler sein. Obwohl ich diese wirklich komplizierten Schuhe trage, laufe ich problemlos auf Nate zu, und springe ihm fast entgegen. Mit einem leisen Lacher schließt Nate mich sofort in die Arme, hebt mich leicht hoch, und drückt mich so fest an sich, als würde er ohne mich augenblicklich ertrinken. Ich versuche, den Italiener vor mir so fest zu drücken, wie es mir meine Arme erlauben, und schluchze ziemlich ungehalten drauf los.

Ich glaube, wirklich Ladylike ist das nicht.

Eine Weile sagt keiner von uns etwas, sondern wir umklammern einander wie zwei ertrinkende. Irgendwann stellt Nate mich dann doch ab, was aber noch lange nicht heisst, dass wir uns voneinander lösen. „Was machst du hier", frage ich irgendwann völlig aufgelöst, und löse mich so weit von Nate, dass ich sein Gesicht sehen kann. Als ich tatsächlich zwei kleine Tränchen erkennen kann, bin ich kurz sprachlos. Ich habe Nate zwar schon weinen gesehen, jedoch noch nie wegen mir.

„Ich sagte doch, wir sehen uns in einem halben Jahr wieder", antwortet Nate, und grinst sein für ihn übliches Grinsen. Ich schüttle nur ungläubig den Kopf, und fahre mit beiden Daumen über Nate's Wangen. Anders als noch vor einem halben Jahr trägt Nate jetzt einen Dreitagebart, der ihm fast verboten gut steht. „Du siehst gut aus", murmelt Nate, während ich noch damit beschäftigt bin, sein Gesicht zu mustern, und mich immer wieder zu fragen, ob das hier wirklich echt ist.

„Schau dich doch mal an", hauche ich mit bebender Stimme, und Nate lächelt. Es ist ein echtes Lächeln. Was auch immer Nate die letzten Monate getrieben hat – es tat ihm gut. Ich kann schon mit einem einzigen Blick in seine Augen erkennen, dass er viel mehr Lebensfreude besitzt, als noch einige Monate zuvor. Ich glaube, Nate hat angefangen, zu heilen. Ja, das, was schier unmöglich schien, ist eingetroffen.

„Hör auf zu weinen", sagt Nate plötzlich, und fängt damit an, meine Tränen wegzuwischen. „Deine ganze Schminke verläuft noch. Ich wette, das hat mal wieder Stunden gedauert." Ich lache leise, da Nate sich nicht gerade selten darüber aufgeregt hat, wie lange ich brauche, um mich morgens fertigzumachen. Dinge wie diese habe ich vermisst. „Das ist doch egal", sage ich nur, und ziehe sehr ungraziös die Nase hoch. Doch vor Nate geht das. Er kennt diese Seite an mir.

„Ach, dann willst du also mit schwarzen Striemen zum Ball?" Meine Augen weiten sich, und Nate's Grinsen wird breiter. Noch bevor ich es realisiere, hält Nate ein kleines Schild aus Karton hoch, das ich bisher ganz ignoriert habe. „Willst du mit mir-"

„Ja. Ja! Ja, ich will mit dir zum Prom. Schon seit ich dich Kenne, du Idiot." Nate lacht, lässt das Schild fallen, zieht mich an der Hüfte zu sich, und platziert endlich seine Lippen auf meinen.

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Ich hoffe, das ist eine gute Wiedergutmachung dafür, dass er abgehauen ist xD

Wer hatte anfangs einen kleinen Schock und dachte, Al wäre mit Aidan zusammen? ;)

Und was haltet ihr so vom "neuen" Nate? (Obwohl - er ist ja immer noch der Alte. Nur etwas besser drauf.)

- Xo, Zebisthoughts

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