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Deku

Diese Ausstellung war die Furchtbarste in meinem bisherigen Leben. Ochako hatte mir zwar die roten Ränder um die Augen weg geschminkt, doch ich stand immer noch kurz vor einem weiteren Heulkrampf. Weder ihr noch Inko hatte ich den Grund für meine Tränen verraten. Ich wollte einfach nicht darüber reden. Es tat zu sehr weh.
Beide waren dicht an meiner Seite und bedachten mich permanent mit ihrer Sorge, bedrängten mich aber sonst nicht weiter. Ich war froh über ihr Schweigen.

Generell war diese Ausstellung sehr stumm. Männer in Anzügen und Frauen in schicken Kleidern mit teurem Schmuck stolzierten durch die Reihen und begutachteten meine Bilder wie Räubvögel. Nur eine Hand voll Menschen, die ich kannte, waren dazwischen. Sie waren oft zu meinen Ausstellungen gekommen. Kunststudenten oder generell Kunstliebhaber waren sie und schienen genauso irritiert durch die anderen Gäste wie ich. Verhalten tuschelten sie miteinander, wann ich denn so berühmt geworden war. Ich war mir ziemlich sicher, dass dieses plötzliche Interesse der Kunstwelt nichts mit mir zu tun hatte. Katsuki hatte mir gesagt, dass ich nichts weiter tun sollte als Zeichnen und meine Bilder verkaufen. Aber wie sollte ich das anstellen? Ich war diese steife Atmosphäre nicht gewohnt. Normalerweise kam ich leicht mit den Besuchern über meine Bilder ins Gespräch, aber hier? Als würden lediglich Geister und keine echten Menschen an mir vorbei ziehen. Das Schlimmste war jedoch, dass es mir noch mehr Zeit gab, mich auf mein gebrochenes Herz zu konzentrieren und mich in meinem Leid zu sulen.

"Man trifft sich doch immer zwei Mal im Leben.", hörte ich hinter mir eine Stimme, die mir entfernt bekannt vorkam. Als ich mich umdrehte, brauchte ich einen Moment, bis ich die Person wiedererkannte. Er war der Anwalt, der mich damals bei der Polizei rausgeholt und anschließend an Katsuki übergeben hatte. Ich konnte mich bloß nicht mehr an seinen Namen erinnern.
"Als ich gehört habe, dass Sie eine Ausstellung geben, musste ich einfach kommen und mich davon überzeugen, dass es Ihnen gut geht, Midoriya-sama. Was ich damals getan habe, tut mir schrecklich leid. Ich würde es Ihnen gerne einmal in Ruhe erklären." Er verbeugte sich formvollendet vor mir, doch als er sich wieder aufrichtete, saß noch alles perfekt. Der blaue Anzug inklusive blau-schwarz gemusterter Krawatte und die schwarzen, kurzen Haare. Wie machte er das nur?

"Schon in Ordnung. Sie hatten wahrscheinlich eh keine Wahl.", versuchte ich seine Höflichkeiten zu erwidern.
"Es ist das Mindeste, was ich jetzt tun kann. Ich würde Ihnen gerne helfen, Midoriya-sama. Ich kann verstehen, dass Sie mir nicht trauen, aber ich versichere Ihnen, dass ich stehts auf eine Möglichkeit gewartet habe, Sie zu kontaktieren, ohne, dass Dynamight es bemerkt." Er wirkte so ehrlich und aufrichtig, dass es mir die Sprache verschlug. Was hatte dieser Mann nur getan, dass er in Katsukis Schuld gestanden hatte?
"Auch das, würde ich Ihnen gerne einmal an einem ruhigen Ort erläutern." Oh. Ich hatte schon wieder laut gedacht. Meine Ohren färben sich rot vor Scharm.
"Äh ja, sicher doch. Vielen Dank für Ihre Offenheit.", stotterte ich unbeholfen. Es war nicht so, dass mir seine Worte nicht das Herz leichter werden ließen, aber ich war gerade auf alles, was den Blonden betraf, schlicht nicht gut zu sprechen.
Mit einer Mischung aus Eile und Ruhe -ich wusste vorher nicht, dass das möglich ist- kramte er eine Visitenkarte aus seiner Lederhandtasche und hielt sie mir entgegen. Unauffällig linste ich auf den Namen. Iida Tenya.
"Ich würde mich freuen, bald von Ihnen zu hören. Und jetzt... kommen wir doch zum Geschäft für das Sie heute hier sind. Ich habe dort hinten ein Gemälde entdeckt, welches ich gerne erwerben würde." Seine hochgestochene Redensweise irritierte mich zwar, doch meine Arbeit war bekanntes Terrain für mich. Außerdem lenkte es mich wunderbar von meinen Gefühlen ab.
"Gerne.", erwiderte ich daher schnell und folgte ihm.

Der Anwalt hatte sich für eines der dunkleren Bilder entschieden. Ein Drache mit Schuppen, die im Mondlicht silbern glänzten, schwang seine imposanten Flügel über die gesamte Breite der Leinwand. Hoch über ihm tanzte ein kleinerer Drache im Wind, dessen Schuppen golden leuchteten und etwas Licht in die Kulisse warfen.
"Ich kenne mich mit Kunst nicht sonderlich gut aus, also... Was muss ich beachten, wenn ich es aufhänge?", beginnt Iida die Verhandlungen.
Es war, als hätte der Schwarzhaarige den Auftakt zu etwas Größerem gegeben. Anfangs bemerkte ich es kaum, doch die Leute fingen an sich um mich zu versammeln, als geierten sie nur darauf mich als Nächstes sprechen zu können. Doch nichts dergleichen geschah. Sie alle hielten sich in ausreichend Abstand, sodass ich ungehindert dem geschäftlichen Teil meiner Arbeit nachgehen konnte. Die Summe, welche der Anwalt mir anbot, überstieg meine normalen Preise um das 5-fache. Ich riss mich zusammen, konnte jedoch nicht verhindern den Preis ohne viel Theater anzunehmen.
"Dynamight hat sie alle instruiert, welche Preise hier zu zahlen sind. Verlangen Sie das Doppelte von dem, was ich Ihnen angeboten habe und lassen Sie sich nicht weiter als meinen Preis herunter handeln. Bleiben Sie stark, das sind Asgeier.", wisperte mir Iida ins Ohr. Überrascht, aber vor allem gekränkt, nickte ich.

"Ich wollte niemals, dass meine Kunst so missbraucht wird. Mit welchem Recht bezeichne ich mich noch als Künstler?", sprach ich mehr zu mir selbst. Dennoch hörte er es.
"Glauben Sie mir. Niemand wird etwas kaufen, was ihm nicht gefällt. Es sind Kunstsammler, Kritiker und Liebhaber. Dynamight hat die Experten auf dem Gebiet zusammen getrommelt. Nicht mit Angst. Mit süßen Worten. Sie glauben in Ihnen den nächsten Claude Monet oder so gefunden zu haben."
Ich schaffte es nicht die Überraschung in meinem Gesicht zu verbergen. Ebenso konnte ich nicht wiederstehen meinen Blick über die Anwesenden schweifen zu lassen. Niemals hätte ich diese Leute für Kunstliebhaber gehalten. Aber sie waren auch stink reich und somit nicht wirklich die Art von Mensch, mit der ich mich auskannte.

"Danke für Ihre Offenheit. Und Ihre Ehrlichkeit. Ich weiß das sehr zu schätzen." Ein vorsichtiges Lächeln gelang mir. Zu mehr war ich nicht in der Lage. Dafür war meine Gefühlswelt noch zu beschädigt.
"Immer wieder gerne, Midoriya-sama. Ich überlasse Sie nun den Geiern. Es war schön, Sie getroffen zu haben." Mit einer knappen Verbeugung verschwand er in der Menge.

Hatte ich erwartet, dass sie sich alle auf mich stürzen würden? Oder dass das Schweigen weiter ging? Ich wusste es selbst nicht. Doch auf keinen Fall hatte ich damit gerechnet, dass sie einer nach dem Anderen -wie in einer vorher perfekt abgestimmten Reihenfolge- auf mich zu kamen. Sie stellten kluge und weitsichtig Fragen, waren aber auch dreist und kalt wie Messer. Nur ein falsches Wort und ich würde mich schneiden. Wenn nicht Schlimmeres. Die Gespräche waren anstrengend und nervenaufreibend. Ich fühlte mich alles andere als wohl bei den Summen, über die ich da verhandelte. Doch ich hatte keine Wahl als diesen Tag durchzustehen. Weil Kacchan es mir befohlen hatte. Würde er mir verraten, wieso er das alles hier tat und von mir verlangte? Wollte ich ihn überhaupt in meiner Nähe haben? Ich musste aufhören darüber nachzudenken. Es tat einfach zu weh. Es war so verdammt dumm, aber ein kleiner Teil in mir hoffte so sehr, dass es eine Erklärung für sein Verhalten gab, dass er nicht einfach böse war. Ich durfte diesem Teil nicht zu viel Beachtung schenken. Es wäre mein Untergang.

"Izu!", riss mich Ochakos Stimme aus meinen Gedanken. Erst jetzt realisierte ich, dass ich vor dem Gemälde stand, welches ich erst heute morgen angefertigt hatte. Es hing wie ein besonders wertvoller Juwel dort an der Wand und wurde durch die Platzierung in Szene gesetzt. Doch das war absurd, denn es hatte keinen äußeren Mehraufwand bekommen, als alle anderen Bilder auch. Es war schlicht mein Lieblingsstück. Und es war noch nicht verkauft worden. Merkwürdig, dass mich noch niemand darauf angesprochen hatte es kaufen zu wollen. Vor allem, da sonst alle meine Bilder nun einen neuen Besitzer hatten. Allein diese Tatsache war schon selten genug.
"Was gibts?" Ich versuchte die Gedanken abzuschütteln und mich auf meine beste Freundin zu konzentrieren. Sie sah umwerfend aus in diesem rot-schwarz karierten Schottenrock, dem dazu passenden dunkelroten Pulli und den Netzstrunpfhosen. Es war absolut nicht ihr üblicher Stil aber er passte zu meinem eigenen Outfit.
Kacchan hatte gewollt, dass ich eine recht engsitzende schwarze Jeans mit unauffällig auffälligen Löchern und einem dunkelroten Hemd aus Seide trug. Die Klamotten fühlten sich teuer an, was in mir jedoch nur Unwohlsein erregte. Vielleicht war es aber auch nur die Situation, die mich so fühlen ließ. Oder, dass sie von Kacchan waren.

"Ich habe schon dutzend Anfragen zu Auftragsarbeiten erhalten...", begann Ochako, brach jedoch sofort wieder ab. Ich runzelte die Stirn. Wo war da das Problem?
"Das Problem ist, dass..." Sie wirkte unglaublich unsicher, trat von einem Bein aufs Andere und schien ihr Anliegen nur schwer in Worte fassen zu können. Ich gab ihr Zeit sich zu sammeln.
"I-ich weiß nicht, ob du... naja, ob du sowas noch machst?"
Früher hatte Ochako immer den Hauptteil der Organisation für mich übernommen, da sie die Verbindungen hatte. Sie nahm die Aufträge entgegen, verhandelte den Preis und gab dann Kontaktdaten und grobe Infos zu dem gewünschten Bild an mich weiter. Dafür hatte sie 20% der Erträge aus diesen Aufträgen erhalten. Doch jetzt...
"Wenn du das nicht mehr für mich machen möchtest, ist das vollkommen in Ordnung. Tut mir leid, falls dich das überrumpelt hat. Ich hätte das vorher klären sollen." War doch klar, dass nach meinem Verschwinden nicht mehr alles so sein würde wie früher. Was hatte ich mir nur gedacht? Es musste ihr so unangenehm sein.
"N-nein! Das ist es nicht. Um ehrlich zu sein... Ich habe die Aufträge einfach angenommen, meine Kontaktdaten weitergegeben und das Prozedere erklärt, genau wie früher. I-ich habe sogar schon ein paar konkrete Termine. Aber... da ist mir eingefallen, dass ich das nicht tun sollte, ohne dich zu fragen. D-dass ich kein Recht dazu habe. Tut mir leid Izu... irgendwie hat es sich so wie früher angefühlt." Ihre Stimme war zum Ende nur noch ein Hauchen, doch mir fiel ein Stein vom Herzen.
"Ich möchte gerne, dass alles wieder so wie früher ist Ochako." Ich trat vor und nahm ihre Hände in meine, sodass sie mich ansah. "Ich möchte, dass nichts zwischen uns steht. Ich würde mich also sehr freuen, wenn du weiterhin als meine Managerin aggierst." Das Lächeln, welches nun auf ihren Lippen erschien, war echt und spiegelte sich umso stärker in ihren braunen Augen wieder.
"Es freut mich so das zu hören Izu!" Ohne Vorwarnung fiel sie mir um den Hals. Etwas unbeholfen erwiderte ich die Umarmung, weshalb wir beide lachen mussten.

Wir wurden allerdings jäh durch ein Räuspern unterbrochen. Einer der Kunststudenten stand vor mir und rang die Hände. "Entschuldigen Sie Midoriya-senpai, ich möchte wirklich nicht stören, aber... steht dieses Bild eventuell zum Verkauf?" Er deutete auf das Werk, vor dem wir standen. Dem Herzstück dieser Ausstellung. Ich öffnete den Mund, nicht wissend, was ich sagen sollte. Ich hatte mir noch keine Gedanken darüber gemacht, ob ich es wirklich verkaufen wollte oder nicht.
"Es steht nicht zum Verkauf!" Ich erstarrte. Diese Stimme... das konnte doch nicht...
"Oh. Wie schade. Dürfte ich... den Grund erfahren? Ich weiß, ich sehe nicht so aus aber ich habe Geld und-"
"-Es ist unverkäuflich, da es mir gehört. Und niemand nimmt mir mein Eigentum weg!", donnerte die Stimme und der Junge vor mir zuckte darunter hinweg. Ich für meinen Teil war zu einer Salzsäure erstarrt und wagte es nicht der Tatsache ins Gesicht zu sehen: Kacchan war wirklich hier. Und mein dummes Herz wollte, dass seine Worte zu dem Bild noch etwas anderes sagten. Dass ich sein Eigentum war. So wie er mir damals gesagt hatte, dass er mich beschützen würde. Es fühlte sich an, als wäre eine Ewigkeit seit dem vergangen.
"Bitte entschuldigen Sie. Ich gehe dann wohl besser.", nuschelte der Junge. Ich hätte ihn gerne aufgehalten und ihm die Angst genommen, ihm zumindest ein besseres Gefühl vermittelt. Doch ich konnte nicht.

Plötzlich kam mir ein anderer Gedanke: Was brachte Kacchan dazu, dass es sein Bild war? Ich hatte es ihm nicht verkauft doch es klang auch nicht so, als wäre das notwendig gewesen. Da wurde mir klar, dass ich es nicht verkaufen wollte. Zumindest noch nicht. Auch nicht an Katsuki.
"Wir müssen reden, Deku.", murmelte eine Stimme dicht an meinem Ohr. Ochakos Tellergroße Augen verrieten mir, was ich schon wusste. Zu nah! Alle Alarmglocken in meinem Kopf klingelten. Ich wollte ihn nicht wiedersehen, mein Herz blutete nur durch seine Anwesenheit. Doch auf der anderen Seite zuckten meine Finger in dem Wunsch ihn zu berühren und der Muskel in meiner Brust hämmerte schmerzhaft schnell vor Sehnsucht. Schon merkwürdig, wie man zwei Dinge, die so widersprüchlich waren, zur gleichen Zeit empfinden konnte. Langsam, wie in Zeitlupe, drehte ich mich um. Das Atmen viel mir schwer und als ich ihn wirklich und wahrhaftig vor mir stehen sah, gab ich es ganz auf.
Kacchan. Er war wirklich hier.

2.154 Wörter

Vielen Dank für eure ganzen Kommentare unter den letzten Kapiteln. Ich bin leider die letzten Wochen kaum zum Schreiben gekommen und hatte generell kaum Zeit für Wattpad... Ich versuche das jetzt nachzuholen :)

Und ja, im nächsten Kapitel sehen sie sich endlich wirklich wieder. Fürs Erste habe ich sie genug gequält, oder?

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