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Meiner Mama ging es psychisch immer schlechter - gar nicht mal so sehr wegen der alkoholsucht, die verursachte eher körperliche Beschwerden, nein, wegen den dunklen Schatten, die die Depression auf ihr Leben warf. Irgendwann war der Alkohol nur mehr ein Mittel zum Zweck geworden, sie brauchte ihn, um ihren Schmerz zu betäuben, nicht mehr vorrangig wegen der Suchtstoffe. Ihre Augen waren immer mit dunklen Schatten unterzeichnet, ein ständiges Zeichen der Traurigkeit, wie ein Stigma. Ich hatte es längst aufgegeben die Flaschen wieder aus dem Haus schaffen zu wollen bevor sie sie trank - es hätte sich fast wie ein Verrat von der einzigen, die noch zu ihr hielt, angefühlt. Doch, wenn ich ehrlich war, wusste ich gar nicht mehr, wann mich meine Mama das letzte mal so richtig erkannt hatte, erkannt als ihre Tochter, um die sie sich eigentlich kümmern musste. Eigentlich gab es schon lang kein „wir" mehr, eigentlich hatte sie mich längst vergessen, ich gehörte für sie zu einer Welt, die es nicht mehr gab. Ich lebte zwar im selben Haus wie sie, aber ich war nicht mehr wie Luft für sie. Sie hatte keine Tochter mehr - ich war für sie mit der schönen Zeit und unserem Motel gegangen, für immer, mein Körper nur eine Hülse, die immer wieder den alten Schmerz weckte. Ich war für sie wie ein längst verblasster Traum, schon lange nicht mehr existent. Sie sah durch mich hindurch wie durch einen Geist. Alles, was jemals zwischen uns war, war weg, keine magische Verbindung mehr, keine Wärme, kein Vertrauen. Wenn sie mich ansah oder zumindest in meine Richtung sah, war da so was wie Wahnsinn in ihrem Blick. In ihrem Kopf hatte sie ihre ganz eigene Welt geschaffen - eine Welt zu der nur sie Zutritt hatte. Wir sahen uns immer seltener, weil ich so feige war ihr teilweise auszuweichen in unserem verwinkelten Haus, ich hatte nicht mehr die Kraft jedesmal ihre gebrochene Gestalt zu sehen. Und eines Tags fand ich sie dann tot in ihrem Bett, still, wie schlafend. Eine zerbrochene alkoholflasche neben ihrem Bett. Ihr Gesicht endlich wieder friedlich, ein Frieden, den sie zuletzt im Leben nicht gekannt hatte. Ihr ausgemergelter Körper lag reglos auf dem spannleintuch, ein gefallener Engel. Ihr Verlust traf mich mit 1 Schlag - ich hätte nicht gedacht, dass man leid ins unendliche maximieren konnte, doch egal, was ich vorher geglaubt hatte, es war möglich. Ihre braunen Augen sahen Fromm zum Himmel empor, als wolle sie in ein Himmelreich entschweben so viel schöner wie hier. Eine bessere Welt, besser als die dystopie, die sie sich in ihrem Kopf geschaffen hatte. Ich war allein, ich war fortan allein in diesem Haus und meinem Leben. Ich hatte mir nie Sorgen um meine Zukunft gemacht, bis jetzt, bis zu diesem Moment. Ich hatte mich nie allein durchs Leben gehen sehen - von allen verlassen, die ich liebte, zumindest von meiner Familie. Doch ich durfte jetzt nicht in die selbe Dunkelheit und Ausweglosigkeit wie meine Mama abstürzen, ich musste stark sein, ich musste ihren Tod rächen. Auch, wenn es das letzte war, das ich tat.
Könnt ihr lydias antriebsgründe für ihre Rache an Oliver verstehen?
Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen
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