Das unvermeidliche Gespräch

Ollie
Zwei Tage später
Nach dem Hauptrennen

Die Haas-Garage bebt vor Energie. Lachen, Umarmungen, Jubelrufe. Die Mechaniker klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, stoßen an, teilen diesen Moment, als hätten sie gerade das Rennen ihres Lebens gewonnen. 

Und irgendwie fühlt es sich auch genau so an.

Ich lasse mich mitreißen, erwidere Umarmungen, klatsche Hände ab, teile ehrliche Glückwünsche aus. Es war ein großartiges Wochenende. Beide Autos in den Punkten.. kein Selbstverständnis für uns. Das Team hat hart gearbeitet, und sie verdienen es, diesen Moment zu feiern.

Und doch... fühle ich mich seltsam abgekoppelt.

Ich lächle, aber es fühlt sich ein bisschen mechanisch an. Ich freue mich, aber nicht ganz so, wie ich sollte. Während ich all die strahlenden Gesichter um mich herum sehe, spüre ich etwas Schweres in mir. 

Einen Gedanken, der nicht weggeht. Ein Name, der immer wieder aufblitzt.

Kimi.

Er ist nicht hier.

Aber er ist trotzdem überall in meinem Kopf. Seit Freitag ist er da, in jeder freien Sekunde, in jedem Moment, in dem ich nicht abgelenkt bin. Und jetzt, wo der Adrenalinschub langsam nachlässt, kehrt dieses Gefühl mit voller Wucht zurück.

Dieses Gefühl, das ich den ganzen Tag ignorieren wollte.Ich kann es nicht mehr wegdrücken. Ich will es auch nicht mehr wegdrücken.

Mein Magen zieht sich zusammen, als ich mich aus der Gruppe löse. Ich verabschiede mich, nicke, lächle so ehrlich wie möglich. Aber ich weiß, dass ich hier nicht länger bleiben kann. Es gibt etwas Wichtigeres.

Ich muss ihn finden.

Denn das, was seit Freitag zwischen uns war... diese Distanz, dieses Vermeiden, als wären wir Fremde... das war schlimmer als alles andere.

Wir haben uns nicht gestritten. Wir haben nicht mal richtig gesprochen. Aber genau das war das Problem.

Blicke, die sich nicht trafen. Gespräche, die nie stattfanden. Türen, die wir hinter uns schlossen, bevor der andere sie betreten konnte.

Und es war grauenhaft.

Denn ich habe nicht nur Kimi ignoriert. Ich habe auch einen Teil von mir selbst ignoriert.

Den Teil, der nach Antworten sucht.

Den Teil, der noch immer genau spüren kann, wie es sich angefühlt hat, als Kimi mich geküsst hat.

Den Teil, der sich nicht sicher ist, was mit mir los ist.

Ich schlucke hart, beschleunige meine Schritte. Ich will dieses Gespräch. Ich brauche es. Wir brauchen es.

Aber gleichzeitig habe ich Angst davor.

Angst davor, was er sagen wird. Angst davor, was ich sagen soll. Angst davor, was es bedeutet, für uns, für unsere Freundschaft, für alles, was wir waren und vielleicht sein könnten.

Aber eines weiß ich mit absoluter Sicherheit:

Es kann nicht so weitergehen.

Denn diese Distanz... sie tut mehr weh als alles andere.

___

Meine Finger sind schon taub vom Klopfen.

Fünf Minuten.

Fünf verdammte Minuten stehe ich jetzt vor Kimis Tür, klopfe, warte, hoffe  und mit jeder Sekunde, die vergeht, sackt meine Hoffnung ein Stück weiter in sich zusammen.

Er ist nicht da.

Oder noch schlimmer... er ist da, aber will mich nicht sehen.

Der Gedanke trifft mich härter, als ich es erwartet hätte.

Ich atme tief durch, starre auf die verschlossene Tür, als könnte sie mir eine Antwort geben. Aber da kommt nichts. Kein Geräusch. Keine Schritte.

Nichts.

Meine Schultern sacken herunter. Mein Magen fühlt sich schwer an.

Habe ich es wirklich geschafft, unsere Freundschaft zu zerstören?

Gott, wenn ich könnte, würde ich den verdammten Kuss rückgängig machen.

Warum hat mir die Umarmung nicht gereicht?

Warum musste ich diesen letzten Schritt gehen?

Warum musste ich diese Grenze überschreiten?

Ich schüttele den Kopf, versuche mich zu sammeln. Ich muss das hier von allem anderen trennen. Von der Marcus-Sache. Von all dem Chaos in meinem Kopf.

Denn am Ende des Tages gibt es eine Sache, die über allem steht:

Ich will Kimi und unsere Freundschaft nicht verlieren.

Ich drehe mich um, gehe langsam zurück zu meinem Zimmer. Mein Herz fühlt sich schwer an, meine Gedanken sind ein einziges Durcheinander.

Ich hasse dieses Gefühl.

Die Ungewissheit.

Ich habe in den letzten Monaten so viele innere Kämpfe ausgefochten, aber Kimi sollte nicht einer davon sein.

Mein Hotelflur ist still. Nur meine Schritte hallen dumpf auf dem Teppich. Ich greife nach meiner Zimmerkarte.. und dann bleibe ich abrupt stehen.

Mein Herz setzt einen Schlag aus.

Da steht er. Vor meiner Tür.

Kimi.

Seine Schultern sind angespannt, eine seiner Hände in der Tasche vergraben und mit der anderen klopft er an meine Tür.

„Komm schon, Ollie. Bitte mach auf und lass uns reden."

Seine Stimme ist leise, aber voller Emotionen.

Etwas Warmes breitet sich in mir aus.

Er ist hier.

Er hat mich nicht abgeschrieben.

Ich schlucke. Die Angst vor diesem Gespräch ist noch da, aber jetzt mischt sich etwas anderes darunter.

Hoffnung.

___

Kimi

Ich weiß nicht, zum wievielten Mal ich jetzt schon gegen die Tür klopfe.

Fünfmal? Zehnmal?

Ich habe aufgehört zu zählen.

Aber es kommt keine Antwort.

Ich presse die Lippen zusammen, drehe mich kurz um, als könnte ich so herausfinden, ob mich jemand beobachtet. Ich komme mir albern vor.

Wie jemand, der eine Grenze überschritten hat und jetzt dafür bezahlen muss.

Ollie ist hier.. das hat Nico mir schließlich bestätigt.

Eigentlich wollte ich ihn noch in der Haas-Garage abfangen. Ich dachte, nach so einem erfolgreichen Wochenende würde er länger bleiben. Aber Nico schüttelte nur den Kopf und meinte: „Ollie ist schon aufs Zimmer gegangen."

Das hätte mir zu denken geben sollen... Vielleicht will er mich einfach nicht sehen.

Ich hasse den Gedanken. Er tut mehr weh, als er sollte.

Ich seufze, drehe mich wieder zur Tür. Klopfe erneut, diesmal fester. „Komm schon, Ollie. Bitte mach auf und lass uns reden."

Meine Stimme klingt sanfter, als ich erwartet hätte. Vielleicht sogar ein bisschen flehend.

Und dann höre ich es. „Wenn ich die Tür öffnen soll, musst du einen Schritt zurücktreten."

Mein Herz macht einen Sprung. Ich fahre herum und da steht er.

Ollie.

Sein Blick ist angespannt, aber hinter der Nervosität sehe ich etwas anderes.

Erleichterung.

Er ist erleichtert, mich zu sehen. Ich wusste nicht, wie sehr ich das gebraucht habe, bis jetzt.

Ich will etwas sagen, aber er kommt mir zuvor. „Ich war in meinem Zimmer. Aber dann wollte ich zu dir. Und du warst nicht da."

Meine Brust zieht sich zusammen. Er wollte auch reden?

Es schmerzt.

Aber es bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.

Er schließt die Tür auf und geht in sein Zimmer.

Ollie hält die Tür offen, ein stilles Zeichen für mich, einzutreten. Mein Herz hämmert in meiner Brust, während ich langsam über die Schwelle trete. Der Raum ist ruhig, fast zu ruhig, als würde er die Spannung zwischen uns widerspiegeln.

Hinter mir fällt die Tür sanft ins Schloss.

Ich merke, wie Ollie tief durchatmet. Ich tue es ihm gleich, aber es fühlt sich nicht wirklich erleichternd an. Die Anspannung liegt schwer in der Luft, greifbar, fast erstickend.

Wir stehen uns gegenüber. Nicht weit voneinander entfernt, aber es fühlt sich trotzdem an, als würde eine unsichtbare Mauer zwischen uns existieren.

Ich will etwas sagen. Irgendwas. Aber mein Kopf ist leer.

Ollie senkt kurz den Blick, seine Hände fahren unruhig an den Nähten seiner Jeans entlang. Ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, dass das ein Zeichen von Nervosität ist.

Und dann, schließlich, hebt er den Kopf, sieht mir direkt in die Augen.

„Ich wollte gestern und heute nicht, dass es so läuft wie es gelaufen ist." Seine Stimme ist leise, aber bestimmt. „Dieses... Ignorieren. Ich fand das ganz schrecklich."

Ich schlucke hart. Es tut gut zu hören, dass es ihm genauso ging, aber gleichzeitig verstärkt es das Stechen in meiner Brust.

„Ich auch," sage ich ehrlich. „Ich wollte das nicht. Ich..." Ich stocke, suche nach den richtigen Worten. „Ich wusste einfach nicht, wie ich damit umgehen soll...Also nach Freitag.."

Ollie presst die Lippen aufeinander, nickt langsam. „Ja. Ich auch nicht."

Ein kurzer Moment des Schweigens. Nicht unangenehm, aber schwer.

Dann, bevor ich es mir anders überlegen kann, trete ich einen Schritt auf ihn zu. Mein Herz schlägt schneller, aber ich zwinge mich, den Mut aufzubringen. Ich hebe meine Hände, nehme vorsichtig seine.

Sofort breitet sich eine vertraute Wärme in mir aus.

Es ist ein kleiner, simpler Kontakt... nichts, das ungewöhnlich sein sollte. Aber es fühlt sich an, als würde meine Haut vor lauter Anspannung brennen.

Ollie erstarrt einen Moment, aber er zieht seine Hände nicht weg. Stattdessen hält er meinen Blick, als würde er versuchen, in meinen Augen eine Antwort zu finden, die ich selbst nicht habe.

Ich räuspere mich, kämpfe gegen das Chaos in meinem Kopf an und doch weiß ich das mir unsere Freundschaft am allerwichtigsten ist und das will ich ihm auch sagen. 

„Unsere Freundschaft ist mir zu wichtig, um sie für einen... flüchtigen Kuss kaputtzumachen."

Kaum habe ich es ausgesprochen, spüre ich, wie mir das Wort bitter auf der Zunge liegt. 

Flüchtig?

Gott, nein.

Der Kuss war alles andere als flüchtig.

Für mich jedenfalls nicht.

Und ich sehe es.

Dieses winzige, kaum merkliche Zucken in Ollies Gesicht. Der Hauch von Enttäuschung, der für einen Sekundenbruchteil in seinen Augen aufblitzt, bevor er ihn mit einem Blinzeln fortwischt.

Ich öffne den Mund, will es sofort korrigieren, will erklären, dass es nicht so gemeint war, aber bevor ich dazu komme, schließt Ollie unsere Finger fester ineinander.

Mein Atem stockt.

Seine Stimme ist ruhig, fast sanft, aber ich spüre die Unsicherheit dahinter. „Ich will dich als Freund nicht verlieren, Kimi."

Etwas in mir zieht sich schmerzhaft zusammen.

Ich weiß nicht, was genau es ist, ob es die Ehrlichkeit in seiner Stimme ist, die Angst, die mitschwingt, oder die Tatsache, dass er mir genau das sagt, was ich eigentlich hören wollte.

Und doch fühlt es sich nicht so erleichternd an, wie es sollte.

Denn er sagt nicht, dass er mehr will.

Er sagt nicht, dass er diesen Kuss genauso wenig vergessen kann wie ich.

Er sagt, dass unsere Freundschaft das Wichtigste für ihn ist.

Und ich kann ihm das nicht einmal übel nehmen, denn das ist es auch für mich und trotzdem war da eventuell kann kurz dieser Wunsch und vielleicht auch eine Hoffnung, dass er es ebenso sieht.

Ich schlucke das Stechen in meiner Brust herunter und nicke langsam. „Unsere Freundschaft hat doch immer gut funktioniert, oder?"

Ollie hält meinen Blick, und für einen Moment wirkt er... nachdenklich. Als würde er mit sich selbst ringen. Dann, schließlich, nickt er. „Ja... hat sie."

Ich weiß nicht, was mich dazu bringt, es zu tun, ob es Instinkt ist oder pure Verzweiflung, irgendetwas Vertrautes zwischen uns zu behalten, aber ohne weiter nachzudenken, ziehe ich ihn in eine Umarmung.

Ollie zögert keine Sekunde. Seine Arme schließen sich fest um mich, und plötzlich ist alles andere egal.

Ich atme tief ein.

Sein Geruch ist mir vertraut.

Seine Wärme ist mir vertraut.

Er ist mein sicherer Hafen gewesen, das ganze Jahr. Und jetzt stehe ich hier, halte ihn fest und gleichzeitig fühlt es sich an, als würde ich ihn auf eine Weise verlieren, die ich nicht einmal richtig verstehe.

Aber ich halte ihn trotzdem. Weil das hier, diese Umarmung, das Einzige ist, was sich gerade richtig anfühlt.

Wir stehen so da. Wahrscheinlich länger, als wir sollten.

Ich weiß nicht, ob Ollie es auch spürt, dieses unterschwellige Ziehen in der Brust, diesen unausgesprochenen Druck zwischen uns. Aber er löst sich nicht.

Er hält mich genauso fest, wie ich ihn halte.

Als er sich schließlich ein wenig von mir löst, sehe ich ihn an. Sein Blick ist weich, aber da ist auch etwas anderes.. etwas Unsicheres, fast Fragendes.

„Also... ist unsere Freundschaft jetzt wieder wie vorher?" Seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.

Ich halte seinem Blick stand. Nicke.

„Ja."

Er sieht mich einen Moment lang an, als würde er abschätzen, ob ich es ernst meine.

Dann zieht er mich noch einmal in eine Umarmung, diesmal noch fester.

Ich schließe die Augen.

Vielleicht dauert sie ein bisschen zu lange für eine rein freundschaftliche Umarmung.

Aber für mich könnte sie gar nicht lange genug sein.

Und Ollie scheint es genauso zu gehen.

Ende Kapitel 10

Hey Ihr Lieben, die beiden hier sind zumindest einen Schritt weiter... oder auch nicht?Zumindest haben Sie gesprochen und ignorieren sich nicht mehr, oder laufen voreinander weg🙈

Ob sie Ihre "alte" Freundschaft allerdings wieder so einfach weiterlaufen lassen können wird sich zeigen🙈

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