Chapter 6
Gestern war ich überraschenderweise sehr schnell eingeschlafen. Wahrscheinlich hatte mich mein Gefühlsdurcheinander doch mehr Kraft gekostet, als ich erwartet hatte. Gut gelaunt, da heute die Aufzeichnungen starten würden, war ich aufgestanden und hatte die anderen euphorisch am Frühstückstisch begrüßt. Steff hatte mich daraufhin nur mit einer hochgezogenen Augenbraue gemustert, musste aber dann doch grinsen, als sie erkannte, dass ich ihr meine Stimmung nicht vorspielte.
Zwischen Mark und mir war auch alles wie immer, was ich ehrlich gesagt nicht erwartet hätte. Ich hatte befürchtet, dass sowohl von seiner Seite, als auch von meiner, durch den gestrigen Vorfall Hemmungen und Unsicherheiten entstanden waren, die die Stimmung zwischen uns angespannt werden ließen. Doch nichts dergleichen äußerte sich. Wir saßen wie immer nebeneinander und alberten mit den anderen herum, als wäre gestern nichts ungewöhnliches geschehen. Und ich war überaus froh darüber.
Gegen Mittag hatte sich jeder in sein Zimmer verzogen, um sich auf den bevorstehen Abend vorzubereiten.
Ich war den Text noch ein paar Mal durchgegangen, wodurch meine Aufregung nur noch weiter stieg, und war froh, nicht an Marks Stelle zu sein und den ersten Abend zu haben, da mir sonst wahrscheinlich vor Aufregung schlecht geworden wäre.
Schließlich ging es am frühen Abend zur Location, wo dann auch kurz darauf die Aufzeichnung von Marks Abend startete. Es war bisher unglaublich schön und die Atmosphäre war magisch. Außer Paddy und mir hatten schon alle ihren Song gesungen und ich musste zugeben, dass ich von jedem einzelnen fasziniert war und alle Songs unglaublich gut umgesetzt waren. Nicht nur ich schien dieser Meinung zu sein, da das gesamte Team alle Songs gemeinsam abfeierte und jeder vollkommen in seinem Element aufblühte. Es machte unglaublich Spaß, den anderen beim Performen zuzuschauen und zu bemerken, wie viel Herzblut sie in das steckten, was sie taten.
Vor allem Mark hatte seit dem Beginn des Abends ein breites Grinsen auf dem Gesicht. Man sah ihm an, dass er einfach glücklich war und seine Zeit hier genoss, auch wenn er nicht gern im Mittelpunkt stand. Und das fand ich unglaublich schön zu beobachten. Ihn so unbeschwert und fröhlich zu sehen, machte mich ebenfalls glücklich und ich erwischte mich selbst dabei, wie ich einige Male zu ihm hinüber schielte, um sein herzhaftes und ehrliches Lächeln wahrzunehmen, was tief in meinem Inneren eine angenehmen Wärme auslöste.
„So, dann bin ich wohl jetzt dran", rief Paddy nun erfreut aus und machte sich auf den Weg auf die kleine Bühne, wodurch er mich aus meinen Gedanken befreite. Ich war gespannt, welchen Song er sich ausgesucht hatte. Diese andächtige Stille, die immer kurz vor jedem Auftritt herrschte, war wunderschön und geheimnisvoll zugleich. Wir saßen alle dicht beieinander und warteten darauf, dass Paddy so weit war und anfangen würde.
Als schließlich die ersten Töne von der Band gespielt wurde, schlug Mark schon lächelnd die Hände vor dem Gesicht zusammen. Er schien das Lied im Gegensatz zu uns anderen bereits erkannt zu haben. Als Paddy dann die ersten Worte sang, erkannte auch ich, um welchen Song es sich handelte. Es war eins von Marks persönlichsten Liedern.
Flüsterton.
Die sanften Töne kombiniert mit Paddys Stimme ließen eine wundervolle Atmosphäre entstehen. Mark hatte die Knie nah an seinen Körper gezogen und stütze seine Arme, in denen er immer noch halb seinen Kopf vergrub, auf ihnen ab.
Schon am ersten Abend hatte Mark uns allen erzählt, wie viel ihm dieser Song bedeutete. Es fiel ihm schon immer schwer, über seine Gefühle zu reden und vor allem Probleme und Schwächen zuzugeben. Besonders vor den Menschen, die ihm am nächsten standen, verschloss er sich am meisten. In diesem Lied hatte er eben dies thematisiert und Paddy hatte daraus eine emotionale Ballade geschaffen, die mir Tränen in die Augen trieb.
Sascha, der neben mir saß, legte leicht seinen Arm um meine Schulter und ich lehnte mich an ihn. Auch Steff lächelte mir zu und ich erkannte, dass auch sie feuchte Augen hatte.
Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Gentleman, der neben Mark saß, ebenfalls seine Hand auf dessen Schulter abgelegt hatte. Ich liebte es, dass unsere Truppe schon so stark zusammen gewachsen war.
Als Paddy die letzten Töne ausklingen ließ, fuhr sich Mark mit seinen Händen unter seine Brille. Anscheinend waren auch seine Augen nicht ganz trocken geblieben, was mich nur noch mehr berührte, da es mir zeigte, wie echt und real dieser Song war.
Als wir alle anfingen zu klatschen, erhob sich Mark und schloss Paddy in seine Arme. Ich konnte ein leises „Danke, Mann", von ihm hören, was Paddy zum Grinsen brachte. Als die beiden ihre Umarmung beendet hatten, ließ es Paddy sich nicht nehmen und umarmte auch alle anderen.
„Das war echt wunderschön. Hat mich sehr berührt", gab ich ehrlich zu, als Paddy mich an sich zog.
Schließlich setzten sich alle wieder auf ihre Plätze und Paddy fing an zu erzählen:
„Also, ich muss sagen, die Songauswahl ist mir nicht schwer gefallen. Als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe, war ich fasziniert davon, wie ehrlich der Text war und wie viel Gefühl in ihm steckt, obwohl es genau darum geht, keine Gefühle zu zeigen. Es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, diese Version zu kreieren und ich freue mich, dass es euch und vor allem dir, Mark, gefällt." Wir alle applaudierten erneut und Moses boxte Paddy spielerisch auf den Arm.
„Das ist echt krass", begann Mark nun, „also, dass du mir quasi so aus dem Herz gesprochen hast. Ich fand's echt richtig schön. Danke nochmal."
Die beiden klatschten sich lächelnd ab, ehe Mark weiter erzählte:
„Wisst ihr, das Thema hat mir schon oft Probleme und Kummer bereitet. Also, dass ich nicht über alles rede, meine ich. Vor allem meine Familie hat daran zu beißen, was mir auch sehr leid tut, aber ich habe mich schon gebessert, das erkenne ich selber. Meine Schwester ist mittlerweile meine erste Anlaufstelle, wenn ich was auf der Seele habe. Zwar noch nicht bei allem und vielleicht auch nicht sofort, aber sie ist mir am nächsten und ihr kann ich mich inzwischen öffnen. Und das tut mir gut, hab ich ich gemerkt."
Seine Worte sprudelten etwas unbeholfen aus seinem Mund, aber man merkte wie ernst es ihm war. Am liebsten hätte ich ihn jetzt fest in meine Arme geschlossen.
Als Mark seine Schwester erwähnte, musste ich augenblicklich noch mehr lächeln, da das nun der perfekte Übergang für meinen Auftritt war.
„Dann würde ich sagen, passt mein Song jetzt wie die Faust aufs Auge", grinste ich und erhob ich von der Bank.
Die Blicke der anderen verfolgten mich neugierig und Mark starrte mich ungläubig an. Er wusste nicht, was ich für einen Song singen würde, doch hatte er allem Anschein nach jetzt eine gewisse Vorahnung.
„Lensche, ist das dein Ernst? Den hast du dir ausgesucht?", fragte er mit leuchtenden Augen, woraufhin ich ihm nur lächelnd zunickte.
Mit jedem Schritt, den ich machte, wurde ich nur noch aufgeregter. Ich hoffte so sehr, dass Mark meine Version mögen würde. Der Druck in meiner Brust erhöhte sich, als mir bewusst wurde, dass ich dieses Lied jetzt für Mark singen würde, der nur wenige Meter von mir entfernt saß, und es zudem das erste sein wird, das ich je in der Öffentlichkeit auf deutsch performen würde.
Mit zitternden Händen griff ich nach dem Mikrofon und atmete ein letztes Mal tief durch, ehe ich der Band ein Zeichen gab und Mark noch einmal nervös anlächelte. Und dann hörte ich auch schon die ersten Töne und schloss meine Augen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top