59
Ein neues Jahr ist wie ein unbeschriebenes Buch, und der Stift ist in deiner Hand.
L.M. Montgomery, in: Emily of New Moon
***
Das Klingeln an der Tür durchdrang Marks verschlafene Gedankenwelt. Ein warmer Körper schmiegte sich an ihn und er spürte eine Hand auf seiner Brust. Vorsichtig schlug er die Augen auf. Die Strahlen der Sonne drangen durch die Fenster und hüllten das Wohnzimmer in ein warmes, sanftes Licht. An seiner Seite schlummerte Daria trotz des Läutens friedlich weiter. Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umarmung. Ihr Gesicht sah so friedlich aus in der Morgenruhe.
Jetzt klopfte es an der Tür. Mark strich sich eine Hand durchs Haar und bemerkte, dass sein Hemd aufgeknöpft war. Durch die Fenster sah er eine Welt, die über Nacht in ein zartes Weiß gehüllt worden war – der Schnee auf der Terrasse glitzerte im Sonnenlicht. Während sich auf den Weg zur Haustür machte, schloss er die knöpfe.
Mit einem Stirnrunzeln öffnete er. Vor ihm stand Kalomira, die erstaunt die Augen aufriss und einen Schritt zurück trat.
»Störe ich?«, fragte sie gedehnt.
»Saudoofe Frage«, erwiderte Mark und unterdrückte ein Gähnen. »Es ist Neujahr.«
Kalomira schnalzte mit der Zunge und musterte ihn abfällig. »Tut mir leid, wenn ich dich bei irgendetwas wichtigem stören sollte.«
»Hast du einen guten Grund, warum du so früh auftauchst?«, fragte er betont ruhig.
Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie schien nicht die beste aller Nächte hinter sich zu haben. »Ich habe eh schon versucht, dich anzurufen.«
»Ist alles in Ordnung?«
»Keine Ahnung. Weißt du, wo Didi ist?« Kalomira verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie ist gestern nicht nach Hause gekommen. Ich habe schon mehrfach angerufen.«
Jetzt hatte sie Marks ganze Aufmerksamkeit. »Und?«
»Sie geht nicht ans Telefon.«
Mark runzelte die Stirn. Didi war störrisch wie ein Bock aber es passte nicht zu ihr, ihre Mutter zu ignorieren. »Ich schaue mal bei mir nach.«
Mit gerunzelter Stir eilte Mark in das Wohnzimmer zurück und griff nach seinem Handy, das auf dem Couchtisch lag. Als er darauf schaute, entdeckte er zuerst den verpassten Anruf von Kalomira, dann eine Nachricht von Didi. Sein Herz entspannte sich, als er las, dass sie die Silvesternacht bei Dumas verbrachte, um sich um sein Pferd zu kümmern und sicherzustellen, dass es nicht wegen des Feuerwerks aufregte. Er unterdrückte ein Lächeln. Sein Blick huschte zu Daria, die ihn neugierig musterte.
»Du bist wach?«, flüsterte er.
Daria schmunzelte. »Offensichtlich.«
Rotblonde Locken umrahmten ihr Gesicht. Die Decke war von ihrer Schulter gerutscht und entblößte eine nackte Schulter. Sie sah zum Anbeißen aus, wie eine fleischgewordene Wunschvorstellung. Jetzt musste er nur noch so schnell wie möglich Kalomira loswerden. »Bleib genauso. Ich bin gleich wieder zurück.«
Im Flur wanderte Kalomira unruhig auf und ab. »Alles gut«, murmelte Mark und zog die Wohnzimmertür hinter sich zu. »Didi ist im Stall bei Dumas.«
Miras Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Μα καλά«, fluchte sie. »Warum hat sie mir das nicht einfach gesagt?«
»Das fragst du sie wohl lieber selber«, antwortete Mark und deutete mit einem milden Lächeln auf die Tür. »Im Stall hat man schlechten Empfang. Fahr am Besten selbst raus.«
Bevor er Kalomira hinauskomplimentieren konnte, hörte er wie sich hinter ihm die Wohnzimmertür öffnete. Daria stand in die Decke gehüllt im Türrahmen, ihre Arme vor der Brust verschränkt. »Mist. Ich dachte, es wäre nur ein Albtraum, plötzlich giechisch zu hören.«
Der Blick, den sie mit Kalomira austauschte, war finster.
»Alles in Ordnung?«, fragte ihn Daria argwöhnisch.
»Ja, keine Sorge. Kalomira war auf der Suche nach ihrer Tochter«, antwortete Mark und lächelte Daria an. »Didi ist bei Dumas. Sie hatte es mir geschrieben.«
Kalomira schnaubte erneut und schüttelte den Kopf. »Das Mädchen denkt mehr an das Wohl des Pferdes als ihr eigenes.«
»Immerhin kümmert sie sich«, entgegnete Daria trocken.
Mark seufzte innerlich. Warum konnte nicht wenigstens einmal etwas gut für ihn laufen.
»Moment Mal.« Daria richtete sich auf. »Wenn Didi Kalomiras Tochter ist, dann ist sie deine Exfreundin?«
Das wurde ja immer schlimmer! »Es war nur eine kurze Sache.«
»Jetzt verletzt du aber meine Gefühle«, protestierte Kalomira und legte theatralisch eine Hand aufs Herz. »Wir hatten etwas ganz besonderes.«
»So besonders, dass wir uns nach zwei Monaten schon satt hatten«, knurrte Mark.
»Interessant.« Daria schaute mit hochgezogenen Augenbrauen von einem zum anderen.
»Was denn? Immerhin habe ich eine ganze Reihe von Frauen abgelöst, die alle gleich aussahen und sogar irgendwie gleich hießen, wenn ich mich recht erinnere.« Sie hob ihre Hand und zählte ihre Finger ab. »Lass mich überlegen. Es gab da Ann-Christin, Hanna, Annika, Marianne, Annette. Soll ich weiterzählen?«
»Das war Zufall«, knirschte Mark zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Wir waren so ein schönes Paar.« Es reichte. Wenn Kalomira so weitermachte, würde Mark sie erwürgen und ihre Leiche unter dem Schildkrötengehege verscharren, Winter hin oder her.
Doch zu seiner Überraschung blieb Daria ruhig.
»Nun, das Schema scheint er mit dir ja dann durchbrochen zu haben, nicht wahr?«
Kalomira plusterte sich auf und pustete sich eine braune Locke aus dem Gesicht. »Das beste kommt halt zum Schluß.«
»Ich dachte, deine letzte Beziehung war Charlotte?« Daria zog eine Augenbraue hoch.
»Richtig«, bestätigte Mark.
Daria nickte zufrieden. »Und der Schluß bin offensichlichtlich ich.«
»Allelouia!«, kommentierte Kalomira und klatschte in die Hände. »Dann habt ihr es endlich geschafft? Wer hätte das gedacht?«
Zu seiner Überraschung schien sich Mira ehrlich zu freuen. »Du bist heute ja beinahe unumgänglich.«
»Jeder hat mal einen guten Tag.« Sie wandte sich an Daria. »Weißt du, das einzige Verblüffende an euch beiden ist, dass ihr so lange gebraucht habt. Ich meine ernsthaft? Ihr wart schon während der Schulzeit total verknallt.«
Marks Augenbrauen schnellten in die Höhe, während Darias Miene sich verfinsterte. Er konnte nicht anders, als zu lachen. »Nun ja, besser spät als nie.«
Stirnrunzelnd deutete Daria auf eine Stelle unterhalb von Kalomiras Kinn. »Du scheinst aber auch ein interessantes Silvesterfest hinter dir zu haben. Ist das da etwa ein Knutschfleck?«
»Das geht dich nichts an.«
»Siehst du«, sagte Mark mit einem breiten Grinsen, »ganz umgänglich.«
Schnaubend justierte Kalomira ihren Schal. »Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich endlich auf den Weg zu Didi mache.«
Mark begleitete sie zur Tür und öffnete sie höflich. Bevor sie hinaus rauschte, drehte sich Mira zu Daria um. »Pass lieber auf deinen eigenen Hals auf. Sonst erwischt es dich auch noch.«
»Das Zauberwort heißt Selbstbeherrschung«, erwiderte diese mit einem süßlichen Lächeln.
»Stimmt.« Kalomira verdrehte die Augen. »Genau eure Stärke.«
Die Tür schloss sich hinter ihr und es herrschte Stille im Raum. Mark drehte sich zu Daria um und beide konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kalomira war verschwunden, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
»Das war schnell«, sagte Daria mit einem amüsierten Blick auf die Tür.
»Ja, das war definitiv ein Weltrekord für den schnellsten Rückzug.« Sein Blick rutschte tiefer zu ihrem Hals und der Wölbung ihrer Brust, die sich unter der Decke zeigte. Kalomira hatte ihn da auf eine Idee gebracht.
»Augen nach oben, mein Freund.« Sie zog die Decke höher, drehte sich um und stapfte ins Badezimmer.
Marks Blick folgte ihr. Steckte er in Schwierigkeiten oder sollte er sich lieber schon einmal ums Frühstück kümmern?
Als Optimist der er war, schaltete er die Kaffeemaschine an. Wenig später hörte die Geräusche der Dusche. Als sich die Tür öffnete, stand Mark mit einer Kaffeetasse bewaffnet im Flur. So leicht würde er sie nicht flüchten lassen. »Du bist nicht sauer?«
Sie trug eines seiner T-Shirts, das sie wohl vom Wäscheständer gezogen hatte. Schlaues Mädchen. Es war ein bischen groß für sie, wie er bedauernd feststellte reichte der untere Saum des Shirts bis über ihren Po. »Nö«, antwortete sie und schnappte sich die Tasse.
Ihre Haltung war ungewohnt entspannt. »Warum nicht?«.
Daria zuckte mit den Schultern. »Ich habe eine zeitlang auch gedatet. Völlig erfolglos. Wenn wir uns immer wieder die Vergangenheit vorhalten, sind wir genau da, wo zumindest ich nicht mehr hin möchte. Was meinst du?«
»Das klingt ziemlich weise.« Sanft strich ihr Mark eine Strähne aus der Stirn.
»Ja.« Daria grinste verschmitzt. »Unerwartet, hm?«
»Ein bisschen.«
»Sie es als guten Neujahrsvorsatz. Weniger Sturheit und mehr Akzeptanz. Klingt doch ganz gut, oder?«
»Sehr.« Mark trat einen Schritt auf sie zu und zog sie am T-Shirt näher. »Du hast gar nicht gefragt, ob du dir mein Lieblingsshirt ausleihen kannst.«
»Stimmt«, antwortete Daria mit einem gedehnten Tonfall. »Und was möchtest du jetzt machen?«
»Dich bitten, es zurückzugeben?«
»Wie uncharmant.« Daria drohte ihm spielerisch mit ihrem Zeigefinger. »Du bist so durchschaubar.«
»Absolut.«
Sie zog ihn erneut an sich und bedeckte seinen Mund mit einem Kuss, der nach Zahnpasta und Kaffee schmeckte. Dann lehnte sie sich zurück. »Ich denke, es könnte funktionieren, wenn wir ein gutes Zeitmanagement an den Tag legen. Ich muss noch jede Menge für die Uni lernen.«
Mark konnte sich nur schwer auf das Gespräch konzentrieren. Darias wandernde Lippen ließen seinen Verstand kurz aussetzen.
»Aber ich denke, mit guter Absprache und gegenseitiger Unterstützung könnten wir es mit einer Beziehung hinbekommen«, fuhr Daria fort, während sie leicht an seinem Ohr knabberte.
Seine Gedanken verschwammen, und er kämpfte darum, ihre Worte zu verarbeiten. Alles, woran er denken konnte, war das warme Gefühl ihrer Lippen auf seiner Haut und der verheißungsvolle Ausdruck in ihren Augen.
Daria sah ihn mit einem verschmitzten Lächeln an. »Hast du überhaupt zugehört, Mark?«
»Witzig«, knurrte Mark. »Irgendetwas hat mich abgelenkt.«
Lachend küsste sie ihn erneut. »Das ist nicht fair. Ich rede hier von unseren Plänen, und du ...«
Mark unterbrach sie mit einem weiteren Kuss, diesmal intensiver und leidenschaftlicher. Seine Hände glitten über ihren Rücken und unter ihr T-Shirt. Vielleicht war es wichtig, was sie zu sagen hatte, aber in diesem Moment war das Gefühl zwischen ihnen einfach überwältigend. Das Jahr hatte gerade erst begonnen und der Rest konnte einfach Mal warten.
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