49

Alkohol ist das Elixier, das den Geist der Wahrheit aus der Flasche holt.

James Joyce, in: Ulysses

Darias Augen schienen nicht richtig zu funktionieren. Zusätzlich fühlte sich ihr Mund an, als sei über Nacht irgendetwas pelziges darauf verstorben.

Sie blinzelte. Durch den Vorhang schien heller Sonnenschein. Ruckartig setzte sich Daria auf. Wie war sie in ihr Bett gekommen? Eben hatte sie noch im neuen Club mit Ariane getanzt, der Rest des Abends bestand nur aus fernem Nebel. Stirnrunzelnd tastete sie nach ihrer Brille. In ihrer Erinnerung waren lediglich Fragmenten aneinander gereiht. Ein Anstoßen mit Ari. Mark, der unerwartet aufgetaucht und sie nach Hause gebracht hatte. Der Tanz mit ihm war so unwirklich, dass sie in sich Wahrscheinlich nur hinzugedichtet hatte. Ihr Kopf pochte, aber es war auszuhalten.

Mark hatte sie irgendwann auf ihr Bett gelegt. Seine Hände waren an Darias Füßen gewesen. Nachdenklich wackelte sie mit ihren Zehen. Wahrscheinlich hatte er ihr die Schuhe ausgezogen. Als nächstes schien er ihr eine Geschichte erzählt zu haben. Es ging wohl um ein Geheimrezept gegen Kopfschmerzen. Auf ihrem Nachtisch stand ein leeres Glas. Das passte also auch zusammen.

Großartig. Wie es schien, hatte sie sich absolut zum Affen gemacht. Sie ließ sich zurück in die Kissen fallen. Der Aufprall sendete ein Ruck durch ihre Nerven. Perfekt schien sein Geheimrezept nicht funktioniert zu haben, aber sie sollte wahrscheinlich nicht kleinlich sein. Gähnend drückte Daria auf die Zeitanzeige ihres Weckers. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass der Vormittag schon weit vorangeschritten war. Die Hochzeit!

Eigentlich hätten sie bereits losfahren sollen und hier saß sie nun und war nicht einmal geduscht. Mit einem Knurren sprang sie aus dem Bett.

Die Wintersonne warf schwaches Licht in das Zimmer, als sich Daria entschlossen auf den Weg machte. Der Tag versprach viel, und es war an der Zeit, Mark zu fragen, warum er sie verdammt noch mal nicht geweckt hatte. Zu ihrer Überraschung waren sowohl die Küche als auch das Badezimmer leer. Auch im Wohnzimmer fand sie ihn nicht. Daria atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Damit blieb nur noch ein Raum übrig.

Leise öffnete sie Marks Tür. Das Zimmer war von ruhigem Atemgeräusch erfüllt, während Mark tief und fest zu schlafen schien. Daria verzog leicht den Mund und trat näher ans Bett.

»Mark!«, zischte sie, aber er reagierte nicht.

Mit einer schnellen Bewegung riss sie die Bettdecke weg und enthüllte seinen schlummernden Körper. Mark lag auf dem Bauch. Sein Hintern war von dunkelblauen Boxershorts bedeckt und er trug kein Shirt. Verdammt. Sie hatte das nicht genug durchdacht. Ihr Blick saugte sich an der glatten Haut zwischen seinen Schulterblättern fest.

Mark schnaubte leise und drehte sich auf die Seite, die Augenlider blieben fest verschlossen. Es war zum Haare raufen. Ob sie es wollte oder nicht, jetzt musste sie zu drastischeren Maßnahmen greifen.

Ihre Finger formten eine Klaue, und dann stieß sie mit einem kurzen Ruck in seine Seite. Marks Augen flogen auf, und er fuhr abrupt hoch, verwirrt und etwas verschlafen. In einer fließenden Bewegung griff er nach ihr, zog sie zu sich hinab und wälzte sich über sie. Ihre Brille rutschte von ihrer Nase und ehe sie es sich versah, waren beide Handgelenke neben ihrem Kopf in die Matratze gepinnt.

»Was zum Teufel?«, murmelte Mark und starrte sie an.

Ihr Mund fühlte sich trocken an. »Ich wollte dich nur wecken. Hätte ja nicht ahnen können, das du gleich in einen Survival Modus übergehst.«

Mark kniff die Augen zusammen. »Dir auch einen schönen Morgen.«

Unter seinem Blick fing Daria an zu schwitzen, aber sie würde sich auf keinen Fall diese Schwäche eingestehen. »Los jetzt. Wir haben eine Hochzeit zu besuchen, und du liegst hier immer noch im Bett.«

Mit einem lauten Seufzen ließ Mark ihre Handgelenke los und rieb sich die Seite, die sie getroffen hatte. »Ich hab vergessen, wie du morgens sein kannst.«

»Komm schon, Dornröschen.« Während Daria aus dem Bett kletterte, schob sie sich ihre Brille wieder auf die Nase.

Mark schüttelte den Kopf, als versuchte er, sich wachzurütteln. »Schon so spät?«

»Ja, und wenn du nicht gleich in die Gänge kommst, werden wir uns noch richtig beeilen müssen.«

Darias Blick streifte seinen Körper, als er damit begann, sich ausgiebig zu stecken und sich dann langsam auf die Bettkante setzte. »Okay, okay, ich bin ja schon auf.«

Mühsam wandte sie sich ab und begann, das Zimmer zu verlassen. »Ich mache dir derweil Kaffee. Du hast zehn Minuten.«

Marks Stimme folgte ihr. »Ich gehe jede Wette ein, dass es dir Spaß macht, andere zu quälen.«

Daria drehte sich um und lächelte verschmitzt. »Oh, sicher. Du glaubst gar nicht, wie viele Ideen ich schon hatte.«

Mark lachte bevor er endlich aufstand. Sein zerzaustes Haar und der verschlafene Blick versetzten ihren Magen in Unruhe. Oder es war Restalkohol. Bestimmt war sie nur verkatert.

»Daria?«, rief er von hinten, und sie schüttelte den Kopf, um sich zu sammeln.

»Ich bin in der Küche«, rief sie zurück. Dann stoppte sie abrupt, als ihr etwas wichtiges einfiel. »Mein Kleid! Ich habe es im Auto gelassen!«

Es dauerte etwa fünfzehn Minuten, bis sie wieder auf dem Beifahrersitz in Marks Wagen Platz nahm.

Mark trank einen Schluck Kaffee und parkte aus. Im Gegensatz zu ihr war er bereits perfekt eingekleidet. Völlig unfair, dass dieser Mann das innerhalb von wenigen Minuten hinbekam. Sie hingegen war gerade mal geduscht, für das Schminken musste der Beifahrerspiegel herhalten. Die Fahrt verlief relativ ruhig, und Daria gab sich größte Mühe, um nicht wie ein Clown auf Extasy auszusehen. Irgendwann bemerkte sie, dass Mark sie von der Seite ansah.

»Was?«, knurrte sie.

»Nichts. Du machst das ziemlich gut, wollte ich nur einmal festhalten.«

Das Komplement freute sie. Allerdings hatte sie keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte. Daria räusperte sich. »Ich werde mich gleich hier im Auto umziehen müssen. Du darfst auf keinen Fall hinschauen, hörst du?«

Eine seiner Augenbrauen hob sich. »Habe ich vor, dich zu bespannen?«

Daria funkelte ihn an. »Du weißt, was ich meine. Dein Ehrenwort?«

Mit einer Hand griff er sich an die Brust. »Mein Ehrenwort. Ich werde keinen Blick riskieren.«

Sie erreichten Darias kleinen Renault. Eilig sprinte sie hinüber, holte die Tüte mit dem Kleid und kletterte auf den Rücksitz. Ihr Blick schweifte zu Mark, der stoisch den Blinker setzte und die Fahrbahn fixierte. Daria würde ihm vertrauen müssen. Mit zusammengebissenen Zähnen zog sie ihr Kleid aus, und kämpfte sich in das elegante Outfit für die Hochzeit. Im Laden war ihr das Anziehen wesentlich einfacher vorgekommen. Zwar gelang es ihr nicht, den Rückenteil zu schließen, aber schließlich waren alle wesentlichen Bereiche bedeckt. »Okay, ich bin fertig. Wie lange brauchen wir noch?«

Ihre Blicke trafen sich im Rückspiegel. »Wow, du siehst wirklich umwerfend aus.«

Daria spürte, wie ihre Wangen leicht erröteten. Sie streckte den Rücken durch. »Danke.«

Wieder setzte Mark den Blinker und bog in eine Art Feldweg ein, der sie zu einer Scheune brachte. Sie hatten den Ort der Hochzeit erreicht. Als Mark den Wagen stoppte, atmete Daria tief durch.

»Na dann los«, sagte er und lächelte sie an.

Daria stieg aus und drehte ihm ihren Rücken zu. »Würdest du bitte?«

»Jeder Zeit.« Seine warmen Finger strichen ihre Wirbelsäule entlang und verschlossen den Ausschnitt. Die Berührung ließ Daria erschauern, und als er sich zurückzog, fühlte sie sich irgendwie traurig, als hätte sie etwas verloren.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top