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Vertrauen wird nicht gekauft, sondern verdient.
Nikolaus Lenau, in: Briefe
Die Morgensonne schien durch das Fenster der gemeinsamen Küche, als Mark sich eine Tasse Kaffee einschenkte. Daria saß mit konzentrierter Miene über ihren Mathebüchern. Ihre Stirn war leicht gerunzelt, während sie über komplizierten Gleichungen brütete. Sie hatte ihre langen Haare zu einem lockeren Dutt gebunden, und ihre Brille saß leicht schief auf ihrer Nase, was sie irgendwie noch süßer aussehen ließ.
»Du lernst in der Küche?« fragte Mark und setzte sich auf den Stuhl neben sie.
Daria blickte kurz auf und zuckte mit den Schultern. »Ja, hier ist das Licht besser.«
»Und wie läuft es?«
«Es ist anstrengend. Ich meine, Mathe war schon immer mein Ding, aber die Uni ist einfach eine ganz andere Liga.« Daria lehnte sich zurück und streckte ihren Nacken. «Als ob jemand versucht, mein Gehirn in einen mathematischen Knoten zu verwandeln.«
»Mathe kann manchmal ein echter Knoten im Hirn sein. Aber du kannst es sicher entwirren.« Mark lächelte aufmunternd. »Du wirst das schon schaffen. Ich glaube an dich.«
Sie hob eine Augenbraue. »Du glaubst an mich?«
»Ja, natürlich«, antwortete er mit einem charmanten Lächeln. »Du bist klug, talentiert und selbstbewusst. Du wirst die Prüfungen mit Bravour bestehen, da bin ich mir sicher.«
Daria schnaubte amüsiert. »Du sagst das, als ob du mein persönlicher Cheerleader wärst.«
»Einer muss dich ja unterstützen.« Noch bevor sich ihre Miene wieder verschloss wusste Mark, dass er dünnes Eis betreten hatte. Daria hatte noch nie viele Freunde gehabt. Abgesehen von Paul hatte sie auch nicht viele gebraucht.
»Und warum tust du das?», fragte sie und schaute ihn skeptisch an. »Welche Hintergedanken verstecken sich wohl hinter diesen Babyaugen?«
»Keine.« Mark hob beide Hände und lehnte sich zurück. »Ich hätte viel zu viel Angst, dass du mich in Staub verwandeln würdest.«
Die Teetasse neben ihrem Block war leer und Mark stand auf, um ihr neuen Tee aufzubrühen. Während das Teewasser kochte, starrte sie wieder auf ihre Gleichungen. Aber als er den fertigen Tee vor sie stellte, hatte sie sich zurück gelehnt und massierte vorsichtig ihre Schultern.
»Du siehst ziemlich verspannt aus. Wenn du willst, kann ich dir eine kurze Massage geben. Ich bin schließlich Physiotherapeut, das ist quasi mein Job.«
Ihr Blick war mehr als skeptisch. »Du willst also mein Physiotherapeut spielen? Ich weiß nicht ...«
»Keine Sorge, es ist nur eine lockere Massage, um die Verspannungen zu lösen. Glaub mir, es wird dir guttun und dich beim Lernen entspannen lassen.«
Daria zögerte, aber schließlich gab sie nach. »Na gut, aber nur kurz.«
Die Tasse Tee hatte seine Hände gewärmt. Mark trat hinter Daria und berührte vorsichtig ihre Schulterblätter. Ihm war klar, dass sie sich unter seinen Fingern nicht leicht entspannen würde, daher bemühte er sich, sanfte und beruhigende Bewegungen auszuführen. Er strich behutsam über ihre verspannten Muskeln und massierte mit leichtem Druck die Stellen, die er als besonders angespannt erkannte. »Du bist ziemlich verspannt«, bemerkte er besorgt. »Das Lernen fordert wohl seinen Tribut.«
Sie nickte leicht, die Augen geschlossen, und lehnte sich etwas in seine Berührung. Es war ein kurzer Moment, in dem es schien, als könnten sie sich näher kommen, aber Mark wollte nichts überstürzen. .
»Danke, dass du das machst«, flüsterte sie. »Es fühlt sich wirklich gut an.«
»Kein Problem«, sagte er leise. »Ich bin froh, wenn ich dir helfen kann.«
Ihre Schultern lockerten sich allmählich, und Daria schien sich etwas zu entspannen. »Du hast dich als ziemlich gute Reiterin herausgestellt.«
Daria schnaubte amüsiert. »Du hältst wohl immer noch an dieser Überraschung fest.«
»Natürlich, ich war beeindruckt«, verteidigte er und strich an ihrer Wirbelsäule entlang.
Ihr Körper antwortete mit einem wohligen Stöhnen. »Naja, es ist immerhin eine Fähigkeit, die mir beim Mathestudium nicht sonderlich hilft.«
Das Stöhnen ließ ihn nicht kalt. Mark konzentrierte sich weiter auf ihr Gespräch. Keinesfalls dürfte Daria mitbekommen, was ihre Nähe mit ihm anstellte. »Vielleicht können wir eine Verbindung zwischen Mathe und Reiten herstellen. Stell dir vor, du reitest auf einem Pferd namens 'Quadratische Gleichung'.«
Daria lachte leise. »Und wie würde das aussehen?«
Wie gerne hätte er sich vorgebeugt und ihren Nacken geküsst. Ihr Duft war berauschend. Nur seine Professionalität rette ihn davor, einen Fehler zu machen. »Ganz einfach. Du würdest über Hürden springen, die aus riesigen X- und Y-Buchstaben bestehen, während du die Gleichungen löst.«
Ihr Kichern war ansteckend. »Das wäre definitiv eine interessante Art, Mathe zu lernen.«
Mark weitete seine Massage auf ihre Oberarme aus und spürte, wie sich immer mehr Muskeln unter seinen Fingern lösten. »Und wenn du ein Problem nicht lösen kannst, muss dein Pferd einen verzweifelten Galopp hinlegen, um den Lösungsweg zu finden.«
Daria lachte so sehr, dass sie sich beinahe verschluckte. »Du bist wirklich verrückt, Mark.«
»Verrückt in einer guten Art und Weise«, betonte er und griff nach einer ihrer Hände. Zu seiner Freude, ließ sie es zu.
»Du schaffst es zumindest, mich zum Lachen zu bringen, selbst wenn ich gestresst bin.«
»Das ist meine besondere Superkraft«, sagte er, während er jeden Finger einzeln bearbeitete. Dann wechselte er die Hand.
Daria seufzte. »Du bist wirklich hartnäckig, weißt du das?«
»Natürlich, das ist schließlich Teil meines Charmes«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen. Sie schaute zu ihm hoch und ihre Augen verhakten sich ineinander. Mark schluckte. So gerne würde er einfach in den graugrünen Augen versinken. Aber es ging nicht. Noch nicht.
»Danke, Mark«, sagte Daria schließlich und sah ihn weich an. »Du machst die Dinge immer ein bisschen heller.«
»Das ist der Plan«, murmelte er.
Das Klingeln der Haustür unterbrach sie. Daria schreckte hoch. »Oh. Ich gehe mal schauen, wer das ist.«
»Kein Problem«, antwortete er und stand ebenfalls auf.
Daria lächelte leicht, aber es war nicht das strahlende Lächeln, das er von ihr kannte. Es war eher ein dankbares, aber auch ein wenig trauriges Lächeln. »Danke. Und danke für die Massage. Es hat wirklich geholfen.«
»Gern geschehen«, sagte er sanft. »Jederzeit wieder.»
Mark stellte ein Glas Lakritze neben ihre Lernunterlagen, als Daria zur Tür ging. Hoffentlich würde sie der Geschmack aufheitern. Und wenn sie ab und zu beim Lernen an ihn denken würde, wäre es ja auch nicht verkehrt.
Noch während er unschlüssig herumstand und sich überlegte, was er jetzt machen könnte, rief sie ihn schon aus dem Flur. »Mark, könntest du bitte kurz hierherkommen?«
Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm auf, als er den Flur betrat und eine vertraute, aber unerwartete Gestalt vor sich sah. Es war Charlotte, seine Exfreundin. Dunkelbraune Locken umrahmten ihr Gesicht, und ihre hellblauen Augen blickten ihn nervös an. Sie sah zerbrechlich aus, fast so, wie er sie in Erinnerung hatte.
»Hallo, Mark«, sagte sie leise und reichte ihm eine eleganten Umschlag, auf dem sein Name prangte.
Sein Herz schlug schneller, als er das schwere Papier in den Händen hielt. Die Trennung zwischen ihnen war alles andere als schön gewesen, und er spürte sofort die alten Verletzungen aufwallen. Doch er versuchte, ruhig zu bleiben.
»Was willst du hier, Charlotte?«, fragte er mit einem sanften, aber distanzierten Tonfall.
»Ich möchte, dass du zur Hochzeit kommst«, erklärte sie leise. »Ich hoffe, dass es uns die Chance gibt, die Freundschaft zwischen dir und David wieder zu kitten.«
Mark spürte eine Woge der Anspannung in sich aufsteigen. Die Vorstellung, auf der Hochzeit zu sein, war alles andere als angenehm.
»Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist«, antwortete er schließlich und schüttelte den Kopf. »Das habe ich auch schon David gesagt.«
Sie nickte verständnisvoll. »Ich verstehe das. Aber ich hoffe, du denkst darüber nach.«
Mark wollte einfach nur, dass sie verschwand. Die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit war zu frisch. Doch dann fiel sein Blick auf Daria, die ihn beobachtete.
»Mark, ich denke, du solltest hingehen«, sagte sie zu seiner Überraschung. »Es könnte gut für dich sein, die Vergangenheit endlich abzuschließen.«
Er starrte sie an. Normalerweise waren Gefühle nicht Darias Ding, aber in diesem Moment wirkte sie erstaunlich einfühlsam. »Ich weiß nicht.«
»Du kannst natürlich auch deine Freundin mitnehmen«, platzte Charlotte heraus. »Als dein plus eins.«
»Oh, wir ...«, begann Daria, aber Mark griff nach ihrer Hand und drückte. Schweigend sah sie zu ihm hoch.
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit.« Mark tippte sich an die Stirn. »Oh, ich vergaß. Du hast ja Prüfungen. Tja, dann geht es wohl nicht.«
Charlotte nickte traurig. »Tja, wenn das so ist.«
Mit einem Ruck löste sich Darias Hand aus seiner. Ihr Gesichtsausdruck verhieß nichts gutes. »Ach, keine Sorge«, presste sie hervor. »Das wird sich schon einrichten lassen.«
»Was?«, zischte Mark.
Charlotte schien seine Reaktion rein auf die Überraschung zu schieben. Sie strahlte Daria an. »Wirklich?«
»Natürlich.« Daria fixierte Mark und tätschelte seine Wange. »Was wäre ich denn für eine Freundin, wenn ich Mark so hängen lassen würde.«
Er schluckte.
»Danke schön. Das bedeutet uns wirklich viel. Wir sehen uns dann also in zwei Wochen!« Charlotte zögerte, dann drückte sie Daria die Einladung in die Hand. Die winkte ihr hinterher, bevor sie die Haustür zuzog.
»Was sollte das denn?«, fragte Mark entgeistert.
Ihre Reaktion bestand aus einem Schulterzucken. »Zum einen lasse ich mich nicht als billige Ausrede missbrauchen.«
»Und zum anderen?«
Daria tätschelte ihm erneut die Wange. »Du hast doch angedeutet, dass ich mehr leben muss. Und mir hat erst kürzlich jemand gesagt, Hochzeiten wären eine nette Abwechslung. Abgesehen davon ...«
»Ja?«
Sie drehte sich um und ging in Richtung Küche. Über die Schulter blickte sie zurück. »Sieh es als Gegenleistung. Ich bin dir ungern etwas schuldig.«
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