43
Der Gedanke ist der Vater der Tat.
Johann Wolfgang von Goethe, in: Wilhelm Meisters Lehrjahre
Marks Kopf fühlte sich an, als würde er gleich explodieren. Also hatte sein Kuss auf der Insel sie bedrängt. War es das? Sie hat seine Annäherung als zudringlich empfunden und ihn geschnitten, als er die Zeichen nicht verstand, die sie ausgesendet hatte? Auch wenn er sich so etwas schon gedacht hatte, tat es weh, die Worte aus Jonas Mund zu hören.
Sein Cousin schaute ihn mitfühlend an.
Sie musste sich jetzt in seiner Wohnung fühlen wie auf dem Präsentierteller. Hatte er denn wirklich wieder alles falsch verstanden?
Jona schien zu verstehen, dass Mark Zeit zum Nachdenken brauchte. Ohne noch etwas hinzuzufügen kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Mark stöhnte. Die Gäste würden sich um sich selbst kümmern müssen. Was verdammt nochmal, sollte er jetzt tun?
Mark warf sich auf sein Bett. Vielleicht sollte er sich mit jemand anderen verabreden? Ihr das Gefühl geben, dass er sie nur als Freundin schätzte? Der Gedanke widerte ihn an. Er wollte niemand anderen. Schon gar nicht jetzt, wo sie wieder in seiner Nähe war. Aber er würde einen Teufel tun und die gleichen Fehler machen wie vor all der Zeit.
Es klopfte an der Tür und Noah schaute hinein. »Was machst du hier?«
Mark zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. »Ich arbeite an meinem nächten Auftritt. Warum?«
»Da ist eine Frau an der Tür, die nach dir fragt.«
Sollte das die Lösung sein? Eine Unbekannte, die ihm half, Daria ein Gefühl von Sicherheit zu geben? »Fein«, antwortet er und ging zur Tür. Dort stand seine unliebsame Nachbarin mit einer Topfpflanze in der Hand, die offensichtlich schon bessere Tage gesehen hatte.
»Anastasia«, seufzte Mark. Hätte es nicht eine angenehmere Lösung sein können? »Komm doch rein. Möchtest du mitfeiern?«
Seine Nachbarin lächelte triumphierend und trat ein. Entweder sie bemerkte seine fehlende Begeisterung wirklich nicht, oder es war ihr schlicht egal. »Ich wollte dir nur diese Pflanze bringen«, sagte sie und hielt ihm die welken Blätter entgegen. »Sie ist ein Symbol für gute Nachbarschaft.«
Widerwillig nahm er die Pflanze an und stellte sie auf den nächsten Tisch. Auch wenn Anastasia gewiss eine Ablenkung darstellte, ging sie ihm schon jetzt gehörig auf die Nerven.
»Danke, das ist sehr nett von dir.«
Anastasia schmiegte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Du bist so ein toller Mann, Mark«, hauchte sie. »Wir könnten so viel Spaß zusammen haben.«
Ihre Definition von Spaß war ganz sicher nicht deckungsgleich mit seiner. »Noah«, murmelte er. »Das ist Anastasia. Meine Nachbarin.«
»Anastasia? Wie ...« Sein Bruder zögerte. »Anni?«
Überrascht zuckte Mark zusammen. Anastasia schien seine Reaktion zu beflügeln, denn sie nickte so heftig, dass ihre glatten schwarzen Haare mit wippten. »Genau. Du kannst mich gerne Ani nenne.«
Mark schüttelte den Kopf. Seine Nachbarin war noch keine fünf Minuten auf der Party und schon hatte er genug von ihrem Drama.
Die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich und entließ eine Woge von Musik, bevor sich die Lücke wieder schloss. »Hallo«, murmelte eine rauchige Stimme hinter ihm.
Mark schloss die Augen. Wenn das nicht mal perfektes Timing war. Widerstrebend legte er einen Arm um Anastasias Hüfte, der sie eher auf Abstand halten sollte als heranzuziehen, auch wenn es anders wirken würde. »Ich habe unsere Nachbarin eingeladen. Stört dich doch nicht, oder?«
»Maria, nicht wahr?«, zwitscherte Anastasia und versuchte, näher an Mark heranzurücken.
»Fast.« Daria deutete auf die scheintote Topfpflanze. »Von dir? Reizend.«
Die beiden Frauen durchbohrten sich förmlich mit Blicken. Bei einem Kampf würde er auf Daria setzen, aber Anastasias Absätze waren dermaßen spitz, dass sie damit niemals durch eine Flughafenkontrolle kommen würde. Nervös schweifte sein Blick von einer Frau zur Anderen.
Noah schlug sich mit der Hand gegen die Stirn, bevor er so tat, als ob er sich selbst an einem Seil aufhängen würde. Seine Botschaft war eindeutig. Mark war erledigt.
Die Tür schwang auf und lies erneut eine Musikwelle zu ihnen hinaus. Es war ein Raplied, in dem es um Palmen und Cocktails ging. Wie sehr wünschte er sich jetzt woanders zu sein. Mit Daria irgendwo im Sand zu chillen.
Noah räusperte sich und Mark fuhr hoch. Beide Frauen schauten ihn an, Anastasia aufdringlich und Daria abschätzig. Irgendwie kam es Mark so vor, als hätte er seinen Einsatz verpasst. »Nun gut. Dann ist ja alles klar. Lasst uns rein gehen.«
Daria nickte steif, drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück in die Küche. Seine Nachbarin nutzte den Moment, um sich bei ihm unterzuhaken.
»Du bist sowas von am Arsch«, hauchte Noah in sein Ohr, prostete ihm mit einem Bierglas zu und ging voraus ins Wohnzimmer. Mark blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
Im Wohnzimmer war die Party in vollem Gange. Anastasia zug seinem Arm zum Sofa. »Setz dich doch«, sagte sie und drückte ihn auf die Polster. »Wir können uns hier besser unterhalten.«
Wie hatte der Abend nur so schief gehen können? Ihn nervte alles an dieser Frau, in Wahrheit wollte er doch nur mit Daria reden und ihr erklären, dass er sie nicht bedrängen wollte.
»Du bist so ein toller Mann, Mark«, wiederholte Anastasia und rückte näher an ihn heran. »Du bist so talentiert und erfolgreich. Und so gut aussehend.«
Ihr Atem kitzelte an seinem Ohr. Als er seinen Arm aus ihrer Umklammerung lösen wollte, ließ sie ihn nicht los. »Danke«, murmelte er steif. »Wie nett.«
»Ich bin auch nett«, antwortete Anastasia und lächelte verführerisch. »Und ich weiß, was du brauchst.«
Mark schüttelte den Kopf. Ganz sicher brauchte er nicht das, was sie ihm anbot. Hilfesuchend schaute er sich um und entdeckte Noah, der mit der sich gerade mit Paul vor der Terrassentür unterhielt.
Beide fingen seinen Blick auf und schüttelten gleichzeitig den Kopf. Mark unterdrückte einen Fluch. Wenn möglich würde er in seinem nächsten Leben gerne auf Brüder verzichten.
»Na, Aramis«, gurrte plötzlich eine Stimme zu seiner Linken. Mit einem unguten Gefühl drehte sich Mark zur Seite. Marlene stand mit einem breiten Lächeln neben ihm. Wenn er so darüber nachdachte, wäre Einzelkind wahrscheinlich seine beste Option.
»Ja?«
Marlenes Lächeln verbreitete winterliche Temperaturen. Mit einem Blick schien sie Anastasia zu mustern..
Seine Nachbarin zuckte kurz zusammen, bevor sie Marlene ihrerseits anstarrte. »Und du bist?«
»Marlene. Seine Schwester«, antwortete sie kühl. »Zwillingsschwester, um es mal genau zu nehmen.«
»Zwillinge?«, Anastasia Brauen zogen sich zusammen und sie fixierte Marlenes naturblonde Haarpracht. »Ihr seht euch aber gar nicht ähnlich?«
»Was soll ich sagen, ich hatte halt mehr Glück als er.« Mit einer eleganten Bewegung glitt Marlene auf die Armlehne neben ihm. »Was mich aber zu der Frage bring, was machst du hier?«
Anastasia wirkte plötzlich etwas verunsichert, aber sie behielt ihre aufrechte Haltung bei. »Ich bin Anastasia, aber du kannst mich Ani nennen.«
»Wie nett. Das war aber gar nicht die Frage.« Marlene beugte sich näher heran und Anastasia ließ endlich Marks Arm los und rutschte ein Stück zurück. »Wobei Ani? Wie süß. Aber meine Frage war eigentlich, was du hier machst? Das ist eigentlich sowas wie eine geschlossene Gesellschaft hier. Wir kennen uns alle, irgendwie. Nur halt dich nicht.«
Anastasia blinzelte verwirrt und Marlene fuhr fort, ohne ihre Antwort abzuwarten. »Was ich damit sagen möchte, Mark ist ein viel beschäftigter Mann. Seine Zeit ist kostbar, und er hat keinen Platz für Ablenkungen, vor allem nicht für blumige Gesten.«
Jetzt verengten sich Anastasias Augen. Sie sah eindeutig angefressen aus. »Oh, ich verstehe. Du bist also seine große Beschützerin, ha?«
Aber Marlenes Grinsen war sie nichtgewachsen. »Nun ja, du könntest sagen, dass ich seine persönliche Bodyguardin bin, wenn es um aufdringliche Verehrerinnen geht.«
»Fein. Ich wollte sowieso gerade gehen.« Anastasia rümpfte ihre Nase und stand auf. »Aber bitte achtet darauf, nicht allzu laut zu sein. Sonst sehe ich mich gezwungen, die Polizei zu rufen.«
Von der anderen Seite des Tisches mischte sich Sarah ins Gespräch ein. »Wer will die Polizei rufen?«
Seine Schwester nickte in Richtung der der Nachbarin. »Niemand.«
»Schade«, seufzte Sarah. »Das Bier geht zur Neige und die Kollegen hätten gleich eine neue Kiste mitbringen können.«
»Ihr seid ja verrückt«, schnaubte Anastasia und stöckelte hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.
MIt großen Augen schaute Mark seine Schwester an. »Danke, Mylady. Du hast mich gerade gerettet. Wirklich gerettet!«
»Kein Problem«, flüsterte diese und grinste. »Aber du musst mir erklären, was du dir dabei gedacht hast, diese Frau hereinzulassen. Die hat eindeutig Stalker-Vibes.«
»Ich habe sie nicht eingeladen«, rechtfertigte sich Mark. »Sie ist einfach aufgetaucht und hat mir diese hässliche Pflanze geschenkt. Ich wollte sie nicht unhöflich abweisen.«
»Ach, Kleiner«, seufzte Marlene. »Du hast noch so viel zu lernen. Keine Ahnung, wie ich das wieder hinkriegen soll.«
Die Worte seiner Schwester wurden von Sarahs Kichern begleitet und beides zusammen sorgte dafür, dass Mark ein ganz schlechtes Gefühl bekam. Wenn Marlene sich tatsächlich dazu entschloss, ihm etwas beibringen zu wollen, waren die Konsequenzen nicht absehbar. Endlich ließ sich auch Noah dazu herab, sich zu ihnen zu gesellen. Aber statt einem Ausweg bot er Mark nur eine Flasche Bier an. Mark stöhnte. Das lief mal so gar nicht gut.
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