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Du liebst jemanden nicht für sein Aussehen, seine Kleidung oder sein schickes Auto, sondern weil er ein Lied singt, das nur du hören kannst.
Oscar Wilde, in: Das Bildnis des Dorian Gray
Als Mark nach Hause kam, stand die Tür von Darias Zimmer einen Spalt offen. In den letzten Tagen hatte sie viel zu viel gelernt und viel zu wenig gegessen. Nach dem Auspacken hatte sie sich sofort an ihre Unterlagen gemacht. Wahrscheinlich wäre es eine gute Idee, heute abend irgendetwas zu bestellen. Sie könnten über die Party reden und er würde dafür sorgen, dass sie ihren Körper weniger vernachlässigte.
Marks Blick glitt an seinen Beinen hinab. An den Reithosen hingen Pferdehaare. Mit ziemlicher Sicherheit roch er auch nicht besonders gut. Essen war definitiv notwendig, aber er sollte vor dem Bestellen noch duschen.
Leise schlich er sich ins Bad. Dumas war heute wieder in bester Laune gewesen. Sein Pferd schätzte die Herbsttage, wenn die Hitze des Sommers verschwunden war und die lästigen Fliegen sich nur noch vereinzelt zeigten. Der warme Wasserstrahl vertrieb die Kälte aus seinen Gliedern und Mark seufzte genüsslich auf.
Nach der Dusche hob Mark die schmutzigen Kleidungsstücke auf und warf sie in den Wäschekorb, der unter dem Waschbecken stand. Dann verzog er das Gesicht. So ein Mist. Er hatte tatsächlich vergessen, sich frische Sachen herzurichten. Offenbar musste er sich erst an eine Mitbewohnerin gewöhnen. Vor ihrem Einzug wäre er nach dem Abtrocknen einfach rüber gegangen, aber das ging jetzt ja nicht mehr. Der Gedanke brachte ihn dennoch zum Grinsen. Irgendwie fragte er sich schon, wie Daria darauf reagieren würde, wenn er nackt durch die Wohnung marschierte. Ganz sicher würde sie nicht weglaufen, dafür war sie gar nicht der Typ.
Mit einem Kopfschütteln über seine kruden Gedankengänge frottierte sich Mark die nassen Haare. Wahrscheinlich würde sie ihn gepflegt ignorieren oder irgendetwas spöttisches sagen, um sein Ego zu stutzen.
Mark schlang sich das Handtuch um die Hüfte und kippte das Fenster, um zu lüften. Kalte Luft wehte herein und er beeilte sich, um den Raum zu verlassen.
Die Tür zu Darias Zimmer war immer noch angelehnt. Gerade als er sich zu seinem Zimmer umdrehte, ließ ihn ein deutliches Räuspern herumfahren.
Daria stand im Türrahmen vom Wohnzimmer. Anhand ihrer hochgezogenen Augenbraue konnte Mark deutlich erkennen, dass er sie überrascht hatte.
»Wir brauchen ein paar Regeln. Dringend.«
Mit einem entschuldigenden Lächeln fuhr sich Mark durch die feuchten Haare. Er suchte nach einer passenden Antwort, aber sein Gehirn war wie leergefegt.
»Regeln?«, wiederholte er schließlich.
Daria nickte ernst. Sie trug eine schwarze Jogginghose und ein graues T-Shirt. Ihre wilden Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden. »Ja, Regeln«, sagte sie. »Zum Beispiel: Wenn du duschen gehst, zieh dir bitte etwas an, bevor du durch die Wohnung läufst. Oder besser noch: Leg dir vorher etwas zurecht.«
Mark zuckte mit den Schultern. »Ich hab's vergessen, tut mir leid.«
Seine Entschuldigung schien sie paradoxerweise zu reizen. »Das ist mir klar. Aber du musst verstehen, dass ich nicht darauf vorbereitet bin, dich halbnackt zu sehen. Das ist ... irritierend.«
So war es eigentlich immer mit Daria. Sie konnte mit seinem Necken, Flirten oder Provozieren wesentlich besser umgehen, als mit seiner Fürsorge. Das musste er unbedingt berücksichtigen. Mark verschränkte seine Arme vor der Brust und lehnte sich gegen den Türrahmen. In seinen Blick legte er eine wortlose Herausforderung. »Irritierend? Inwiefern?«
»Du weißt ganz genau, was ich sagen will«, erwiderte sie und durchbohrte ihn mit ihren Augen. »Es ist einfach ... unangebracht. Wir sind schließlich Mitbewohner.«
Mark grinste schief. »Nur Mitbewohner? Das klingt so traurig. Ich sehe uns eher als Freunde.«
»Ich denke, wir sollten da etwas klären«, schnaubte sie. Ihr Blick rutschte immer wieder seinen Hals hinab und ihre Laune fror sichtbar immer mehr ein, wenn sie es bemerkte und korrigierte.
Mark trat einen Schritt auf sie zu. »Gut«, murmelte er leise. Unter gesenkten Lidern fixierte er sie. »Wo hättest du mich gerne?.«
Mittlerweile war Darias Mund nur noch ein dünner Strich. Trieb er es zu weit? Aber sie wich seinem Blick nicht aus.
»Wohnzimmer«, forderte sie. »Aber zieh dich zuerst an.«
Mark nickte. »Perfekt. Hast du auch Hunger? Dann bestell ich uns was.«
»Hast du mich nicht verstanden oder ignorierst du mich absichtlich?«
»Macht das Lernen dich so dünnhäutig oder mein Oberkörper?«
Darias Gesichtsausdruck wurde mörderisch. Bevor sie antworten konnte, grinste er und ging in sein Zimmer. »Immer noch Pizza Spinaci?«
»Ja«, knurrte sie.
Er ging gerade lang genug in sein Zimmer, um bei seiner Lieblingspizza eine Bestellung aufzugeben und sich eine T-Shirt und eine Jogginghose anzuziehen. Als er zurückkehrte saß Daria auf dem Sofa im Wohnzimmer. Zwischen ihren Fingern drehte sie einen Stift. Mark ließ sich neben sie auf das Sofa fallen und schaute über ihre Schulter auf den Zettel. Regeln stand dort, dreimal unterstrichen. Und als ersten Punkt: Kleidung nicht vergessen.
»Halbe Stunde.« Als sie ihn fragend ansah, fügte er hinzu: »Die Pizzen.«
Sie nickte abwesend und fügte Punkt zwei hinzu. Kein Flirten. »Tut mir leid, aber das gehört einfach zu meiner Persönlichkeit.«
Ihr Schnauben war unheilverkündend. »Hast du auch Wünsche?«
»Immer.« Wenn er sie weiter neckte, würde sie ihm den Stift wahrscheinlich früher oder später ins Bein rammen, aber er genoss es einfach zu sehr. Trotz all der Stacheln, die sie aufstellte, war es einfach schön, sie neben sich sitzen zu haben. »Aber lass uns erstmal über deine Bedürfnisse reden.«
»Ruhe«, quetschte Daria zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ganz wichtig.«
»Natürlich. Du musst dich ja auf deine Klausuren konzentrieren.«
Daria sah ihn überrascht an. »Du verstehst das? Wirklich?«
»Klar. Ich weiß, wie wichtig dir dein Studium ist und ich will dir da auch echt nicht reinpfuschen.« Sein Ziel war, ihre Beziehung zueinander zu kitten und nicht für immer zu zerstören.
»Oh«, sagte sie leise.
»Allerdings ...«, begann Mark.
Daria sah ihn misstrauisch von der Seite an. »Aber was?«
Mit einem unschuldigen Lächeln sah er auf sie hinab. »Allerdings kannst du nicht immer nur lernen. Du musst auch mal abschalten und Spaß haben. Du musst auch mal leben, Daria.«
Ihr Kopf fiel nach hinten auf die Stütze und sie kuschelte sich gegen die Armlehne. »Ich lebe doch. Das Studium macht ja irgendwie auch Spaß. Also, wenn es nicht gerade weh tut.«
Vehement schüttelte Mark den Kopf. »Nein, du lebst nicht richtig, Dar. Zum schönen Unileben gehört viel mehr. Prüfungen sind nur die Spitze des Eisberges. Dir entgehen ja die unvergesslichen Momente.«
Daria rollte mit den Augen. »Du redest wie ein Werbespot, Mark. Was willst du mir verkaufen?«
»Partys, Dar. Du musst feiern, um all das Lernen zu kompensieren.«
Sie gähnte und sah eher so aus, als ob sie sich ins Bett wünschte, als auf eine Party.
»Wir haben die Einweihungsfeier, schon vergessen?«
»Ja, aber ...«
»Die reicht erstmal.« Daria zog die Knie an und griff nach seiner Decke, um sie sich über die Beine zu ziehen.
»Naja, bis zur Geburtstagsfeier, aber ...«
»Geburtstagsfeier?« Mit einem Ruck setzte sie sich wieder auf.
»Naja, du weißt doch, wir haben im November alle Geburstag. Also, außer Noah.«
»Keine Geburtstagsfeier. Keine weiteren Feiern!«
»Aber«, begann Mark wieder, nur um aufs neue Unterbrochen zu werden.
»Ich meine das Ernst, Mark. Keine Feiern. Wenn du Geburtstag feiern willst, dann mach das am Samstag bei der Einweihungsparty. Oder feier nach. Ich kenne eure Geburtstagsfeiern. Das schaff ich nicht.«
Sie sah so gestresst aus, dass sie ihm einfach nur leid tat. »Ist gut, das krieg ich hin.«
Erleichtert ließ lehnte sie sich wieder zurück. Mark konnte aber nicht darauf verzichten, es noch ein wenig weiterzutreiben. So bekam sie wenigstens etwas Farbe in den Wangen. »Ich kann ja einfach die Silvesterparty ausdehnen.«
»Was?«
Mark musste so laut lachen, dass er beinahe das Läuten der Pizza überhört hätte. »Alles gut, Dar. Wir feiern eine Riesenparty, nach der Klausurenphase. Ok?«
Ihr Mundwinkel zuckte ein wenig, aber sie nickte hoheitsvoll. Zufrieden ging Mark zur Tür und bezahlte die Pizza.
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