33
Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen.
Franz Kafka, in: Die Zürauer Aphorismen
***
»Mir ist langweilig.« Daria pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte missmutig zur geschlossenen Tür der Sattelkammer.
»Geduld war noch nie so deine Stärke, hm?«
»Nope.« Daria stand auf und streckte sich. »Na komm schon. Lass uns ein kleines Spiel spielen.« Sie glitzerten wie kleine Sterne in der Luft. Es kam ihr so vor, als wäre sie an einem magischen Ort. Einem Ort, der sie irgendwie an ihre Kindheit erinnerte. An Tage, an denen sie mit ihrem Bruder im Heu gespielt, sich versteckt und Geschichten erzählt hatte. Sie spürte einen Hauch von Nostalgie und Sehnsucht.
»Wir könnten uns auch einfach unterhalten?«
Daria schüttelte den Kopf und forderte ihn mit zwei Fingern auf, endlich aufzustehen.
Mit einem Seufzen erhob sich Mark. »Ok, was willst du tun?«
»Ein Spiel aus dem Fechten. Wir stellen uns gegenüber, Handrücken an Handrücken, und versuchen uns gegenseitig abzuklatschen. Ganz einfach.«
»Ein Fechtspiel? Gegen dich? Hältst du mich für irre?«
Sein Tonfall brachte sie zum Lachen. »Hast du Angst?« Auffordernd hob sie ihre Hand.
»Sollte ich?«, fragte er und legte seine Handfläche gegen ihre.
Blitzschnell zog Daria ihre Hand zurück und schlug gegen seine. Ein saftiges Klatschen war zu vernehmen. »Ach was.«.
Beim nächsten Schlag war Mark besser vorbereitet und zurück.
»Siehst du?« Daria setzte nach und traf ihn wieder. »Du wirst besser.«
Mark hob beide Hände. »Das kann dir doch nicht wirklich Spaß machen. Ich bin da kein Gegner für dich.«
Langsam begann sie ihn zu umkreisen. Das machte auf jeden Fall Spaß. »Ich sehe das als Fortbildung. Hast du denn nie etwas von Paul gelernt?«
Mark folgte ihr mit seinen Blicken, immer auf der Hut. »Nicht wirklich. Wir hatten unterschiedliche Interessen.«
Wieder schoss Daria auf ihn zu. Im letzten Moment versuchte er auszuweichen, aber ihre Fingerspitzen berührten seinen Handrücken. »Drei zu Null«, stellte Daria fest. »Komm schon, Markster. Zeig was du kannst.«
Ihre Freude schien ihn anzustecken. Er schüttelte den Kopf, trat aber erneut auf sie zu. »Lass es uns doch etwas spannender machen.«
»Was denn, soll ich mir einen Arm auf den Rücken binden?«
»Verlockend. Aber ich dachte an einen Einsatz.«
Daria tänzelte vor und zurück, hörte ihm aber dennoch zu. »Was schwebt dir vor?«
»Wenn ich dich einmal am Handrücken treffe, ziehst du bei mir ein.«
Das brachte sie aus dem Schritt. »Was?«
»Na komm schon. Was hast du zu verlieren? Oder hast du Angst.«
Daria runzelte die Stirn. »Vor dir?« Es folgte ein weiterer Satz nach vorne, dem er nicht ausweichen konnte. Wieder ertönte ein Klatschen. Ein Strohhalm ragte aus seinen schwarzen Haaren und ließ den sonst eher geschniegelten Mark beinahe verwegen wirken. Angst hatte sie trotzdem nicht. Was konnte ein Physiotherapeut schon einer Fechterin entgegenhalten. »Im Leben nicht. Und was springt für mich dabei raus?«
»Was willst du?«
Ihr Blick wurde starr. »Deine Eltern.«
Damit hatte sie ihn überrascht. »Was?«
»Wenn ich dich zehn Mal treffe, ohne das du mich triffst, besuchst du deine Eltern nicht mehr, wenn du weißt, dass ich gerade da bin.« Das würde ihr Ruhe und Frieden schenken. Endlich müsste sie nicht mehr ständig zur Tür blicken und sich fragen, ob er auftauchen würde, um sie durcheinanderzubringen.
»Aber ...«, begann er, doch sie unterbrach ihn gleich wieder.
»Lass dich drauf ein oder lass es sein.«
Mit verengten Augen starrte er sie an. »Ok. Aber wir starten wieder bei Null.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Soll mir recht sein.«
»Sonst noch Regeln, die ich kennen sollte?«
Sie brachte sich in Stellung und schüttelte den Kopf. Warum Regeln aufstellen, die sie wahrscheinlich brechen würde? »Nein.«
Im gleichen Moment preschte sie nach vorne, doch Mark war nicht mehr da. Plötzlich tauchte er neben ihr auf. Sie wich aus, aber er drehte sich mit ihr mit. Mit einer wirbelnden Bewegung warf er sich auf sie und sie fielen gemeinsam ins Stroh. Der Aufprall war weich, doch der harte Körper auf ihr presste ihr die Luft aus den Lungen. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als wie ein Käfer auf dem Rücken liegen zu bleiben und ihn anzustarren. Mark nutze die Zeit, streckte einen Zeigefinger aus und strich ihr über ihren Handrücken. »Hab dich.«
Daria holte tief Luft und blinzelte. »Was war das denn?«
»Capoeira«, antwortete er. »Habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht, scheint aber auch sowas wie Fahrrad fahren zu sein.« Mark verlagerte sein Gewicht und stützte sich beide Arme neben ihren Kopf auf. »Allerdings habe ich mich nicht aufgewärmt und jetzt brennt alles.«
Sein blauen Augen waren verdammt nahe und sie spürte ein Knie zwischen ihren, während das andere rechts von ihr ausgestreckt lag. Wenn sein warmer Körper sie schon abgelenkt hatte, noch mehr traf sie der Umstand, dass sie ihn riechen konnte. Ein sauberer und gleichzeitig warmer Geruch, der die Härchen auf ihren Armen aufrichtete. Auf der anderen Seite piekste sie vielleicht auch nur das Stroh. »Geh runter von mir«, fuhr sie ihn an und drückte an seinen Schultern.
Mark ließ sich neben sie ins Stroh fallen und hielt sich die Seite. Sein Atem ging eher flach. »Eine Zerrung. Aber das war es irgendwie wert.«
»Du bist so ein Idiot«, knurrte sie und stand auf. »Zeig her.« Ohne seine Antwort abzuwarten beugte sich Daria über ihn und fuhr über seine Shirt.
Sie drückte und entlockte ihm ein Stöhnen.
»Na, gebrochen scheint nichts zu sein.«
»Wie hätte ich mir denn dabei auch etwas brechen können?«
»Naja, gesund sah das nicht aus.«
Mark grinste. »Du kannst mich ja dann pflegen, wenn du eingezogen bist.«
»Du spinnst doch?«
Jetzt runzelte er die Stirn und richtete sich auf. »Hey, Spielschulden sind Ehrenschulden.«
Daria verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Das war nicht so gelaufen, wie geplant. »Meinetwegen ziehe ich bei dir ein, aber von Pflegen war keine Rede. Such dir eine Krankenschwester oder Ärztin, wenn du verhätschelt werden möchtest.«
Sein Blick wurde dunkel. »Hatte ich schon, hat auch nicht geklappt.«
Schweigend starrten sie sich an, bis Daria die Intensität zu viel wurde. Da entdeckte sie ein Fenster, etwas oberhalb der Strohballen. »Da, siehst du das? Ich kann da rausklettern«, mit einem Finger deutete hinauf.
Mark hob eine Augenbraue.. »Und was ist mit mir?«
»Keine Sorge, Prinzessin. Ich werde dich schon retten. Kannst du mich ein Stückchen hochdrücken?«
Seufzend schob Mark sie hoch, bis sie ein Knie auf seiner Schulter abstellte. Sie gab sich Mühe, ihr Gewicht nicht zu sehr auf ihm zu verteilen und sparte seine wunde Seite aus. Dann schob sie den Riegel zurück und kletterte hinaus.
Draußen holte sie tief Luft. Mittlerweile ging die Sonne unter und malte Schatten um sie herum. Zuerst ging sie zu ihrer Jacke und stellte zu ihrer Beruhigung fest, dass sowohl ihr Autoschlüssel als auch ihr Handy noch da waren, wo sie es zurückgelassen hatte.
Dann kehrte sie zur Tür der Sattelkammer zurück. Ein schwerer Schlüssel steckte im Schloss. Daria schloss auf und drückte die Tür auf.
Mark trat zu ihr ins Halbdunkel des Stalls. »Ich habe das Fenster wieder zugezogen, aber da durch wäre ich nicht gekommen. Danke für die Rettung.«
»Bis zum nächsten Mal, Markster.« Daria nickte ihm zu und drehte sich Richtung Auto.
»Wann wirst du einziehen?«, fragte er.
Daria seufzte. Auch wenn der Gedanke an ihn als Mitbewohner etwas sehr beunruhigendes hatte, war sie dennoch froh, dass nun die leidige Wohnungssuche beendet war.
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