27
„Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen."
George Orwell, in: Farm der Tiere
Marlene lehnte sich über den Küchentresen und prostete Mark mit ihrer Kaffeetasse zu. »Na, Aramis? Rate mal, mit wem ich gestern telefoniert habe.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht Satan? Der Bundeskanzlerin?« Anstatt verärgert den Mund zu verziehen, beschränkte sich Marlene auf ein gelassenes Lächeln. Mark richtete sich auf. Wenn das mal nicht ein ganz schlechtes Zeichen war. Dennoch er versuchte er, seine Ruhe zu bewahren. »So oder so, du wirst es wohl kaum für dich behalten wollen.«
»Vielleicht sollte ich es.«
Schritte ertönten aus dem Flur und ihre Mutter betrat die Küche. »Streitet euch nicht, Kinder.«
Mit einem Lächeln ging Mark zu seiner Mutter und legte ihr den Arm um die Schultern. »Wir streiten uns nie, Mama. Weißt du doch.«
Der Blick seiner Mutter ließ sich bestenfalls als ungläubig bezeichnen.
»Weil er sich nicht traut«, fügte Marlene ein.
»Weil ich der Klügere bin und eher zum Nachgeben neige.«
»Süß«, erklärte seine Schwester.
»Wisst ihr, dass ist genau der Grund, warum wir nicht gut in Familienfeiern sind.« Seine Mutter ging zur Kaffeemaschine und goss sich eine eigene Tasse ein. »Ständig gibt es Kabbeleien.«
»Vorsicht.« Doch Marks Warnung kam zu spät. Seine Mutter probierte, verzog das Gesicht und warf einen vorwurfsvollen Blick ausgerechnet in seine Richtung. Dann ging sie zum Kühlschrank und holte Milch.
Doch auch nach dem Verdünnen veränderte sich die schwarze Farbe nur unwesentlich.
Mark versuchte sich zu rechtfertigen. »Den hat Marlene gemacht.«
»Was soll denn das heißen?«
»Du sollst sich doch nicht an die Kaffeemaschine lassen!«, zischte seine Mutter und stellte sich auf seine Seite des Tresens.
Marlene rümpfte ihre Nase. »Kaffee muss stark sein. Sonst bringt er ja nichts.«
»Aus medizinischer Sicht«, begann Mark, doch ein sanfter Stoß an seinem Bein ließ ihn innehalten. Hatte seine Mutter ihn tatsächlich getreten?
»Natürlich mein Schatz. Mit dem Kaffee ist alles in Ordnung. Was wolltest du erzählen?«
Seine Schwester musterte erst ihre Mutter, dann ihn, bevor sie mit den Schultern zuckte und einen großen Schluck ihres Gebräus förmlich inhalierte. »Richtig. Ich wollte gerade erzählen, dass Daria mich gestern angerufen hat.«
»Oh, tatsächlich?« Überrascht zog seine Mutter die Augenbrauen hoch.
Marlene nickte und verzog ihren Mund zu einem listigen Grinsen. »Sie hat gefragt, ob ich ihr eine Maklerin empfehlen kann. Läuft wohl nicht gut mit der Wohnungssuche.«
»Ach herrje. Sie muss wirklich verzweifelt sein, die Arme.«
Eine Spur von Enttäuschung hinterließ einen bitteren Geschmack auf Marks Zunge. Offensichtlich versuchte Daria wirklich alles, um eine Alternative zu seinem Vorschlag zu finden.
»Ja, offenbar gehen ihr langsam die Alternativen aus. Zumindest die für sie realistischen.« Letzteres war ein nur schlecht getarnter Seitenhieb gegen ihn.
Seine Mutter stellte die Tasse auf den Tisch und tippte sich nachdenklich mit dem Finger an die Wange. »Webers haben ihre Wohnung gerade vermietet. Schusters wollen verkaufen und Emil, ihr wisst schon, der mit dem dicken Hund, will erst sanieren, bevor er sich jemanden ins Haus holt. Ich fürchte, ich kenne auch gerade niemanden, der auf der Suche nach einer solventen Mieterin ist.«
»Naja, niemand außer unser Aramis natürlich«, stichelte Marlene.
»Stimmt!« Seine Mutter klatschte in die Hände. »Das wäre doch die perfekte Lösung. Zumindest vorübergehend. Also, bis sie etwas, ähm, eigenes gefunden hat.«
Das falsche Lächeln hatte Mark in all den Jahren als Marlenes Zwillingsbruder perfektioniert. Nur seine Schwester wusste, dass er damit seine Gefühle kaschierte die im Moment nicht besonders viel Geschwisterliebe ausdrückten. »Da habe ich auch schon drüber nachgedacht.«
Mit einem Löffel rührte seine Mutter unbeirrt in ihrer Kaffeetasse, als ob die Bewegung auf magische Weise dazu führen würde, dass das Gesöff trinkbar wurde. »Ja, immerhin kennen wir Daria. Sie ist keine Mietnomadin oder so.«
»Hast du es ihr nicht sogar schon angeboten?« Warum hatte er seine Schwester nur nicht im Moor zurückgelassen, als er die beiden damals gefunden hatte. Das Leben mit seinen beiden Brüdern war deutlich einfacher.
»Richtig. Vermutlich möchte sie einfach nur keine Umstände machen. Ihr wisst doch, wie selbstständig sie schon immer war.«
»Wäre es nicht schön? Ihr könntet zusammen wohnen und in euer Freizeit gemeinsam reiten gehen. Außerdem würde dir Daria auch wohl kaum die Freundin ausspannen, nicht wahr?«
»Wunderschön«, grummelte Mark.
»Und...«, begann Marlene.
Doch dieses Mal war er schneller und unterbrach seine Schwester, bevor sie ihn in weitere Schwierigkeiten bringen konnte. »Hast du sie denn an eine Maklerin vermittelt?«
»Natürlich. An Lara.«
»Lara? Warum nicht Konstantin? Ist der nicht erfolgreicher?«, hakte seine Mutter ein.
Interessanterweise rümpfte Marlene für einen Moment ihr Näschen. Verbarg sie etwas? »Ja schon, aber Konstantin ist auch ziemlich teuer. Und Lara wird ihr ein Sonderangebot machen.«
Mark hob eine Augenbraue und Marlene verdrehte die Augen. Also, entweder der Fehler lag in ihrer Beziehung zu Hannovers Starmakler selbst oder seine abgebrühte Schwester wollte dafür sorgen, das Daria keine Wohnung vermittelt bekam. Sollte das vielleicht eine Form der Hilfeleistung darstellen?
»Das ist sehr nett von dir, mein Schatz«, erklärte seine Mutter.
Marlene und versteckte ihren Gesichtsausdruck hinter ihrer Kaffeetasse. »Wo ist eigentlich Papa?«
»Im Keller.« Mit einem Nicken deutete seine Mutter in Richtung Treppenhaus. »Er schaut sich eine seiner Sportsendungen an. Irgendetwas brutales.«
»American Football? Eishockey?«, fragte Marlene.
Seine Mutter winkte ab. »Keine Ahnung. Etwas von dem er weiß, dass ich es nicht mag.«
»Fein.« Marlene trank ihre Tasse aus und winkte zum Abschied, bevor sie direkt auf die Kellertür zuhielt. »Ich werde mal sehen, ob es was interessantes ist.«
Kaum hatte seine Schwester die Küche verlassen, als seine Mutter zur Spüle ging und den Rest ihres Kaffees hinein schüttete. Dann warf sie einen prüfenden Blick auf die Maschine. »Glaubst du, den Rohren kann etwas passieren, wenn ich die ganze Kanne hinterher leere?«
»Nun, sicherheitshalber solltest du es mit genügend Leitungswasser verdünnen.«
Sie nickte und säuberte die Maschine. »Verrat ihr das bloß nicht. Ich möchte ja Lenes Gefühle nicht verletzen.«
»Glaubst du, das geht?«
Das Stirnrunzeln seiner Mutter war ein direkter Tadel. »Deine Schwester ist nicht aus Eisen, so hart sie sich auch geben mag. Ihr scheint das alle immer zu vergessen.«
»Du hast recht, entschuldige bitte. Aber sie ist halt auch immer so ...«
»Selbstbewusst?«
»Ich wollte stur sagen, aber ja.«
Seine Mutter schnaubte, dann setzte sie Teewasser auf. »Ein Adjektiv, dass auf alle meine Kinder zutreffen könnte.«
»Mama«, protestierte Mark, aber sie winkte ab.
»Geschenkt, dass habt ihr wohl von eurem Vater.« Für einen Moment fixierte sie ihn mit einem Gesichtsausdruck. »Und jetzt sag mir mal wirklich, warum Daria nicht bei dir einziehen möchte.«
Unter dem prüfenden mütterlichen Blick wurde Mark unsicher. »Was sagtest du, läuft unten für eine Sportsendung?«
»Boxen. Aber jetzt weich mir nicht aus.« Sie brühte den Tee auf und stellte eine Tasse vor ihm ab.
Schnüffelnd erkannte Mark eine Kräuterteemischung. Wahrscheinlich sollte sie seine Nerven beruhigen. In solchen Moment konnte er wahrscheinlich nicht wählerisch sein. »Ganz ehrlich, Mama. Ich weiß es auch nicht. Wir waren Freunde, aber irgendwann halt nicht mehr.«
Seine Mutter zog einen der Sitzhocker unter dem Tresen hervor und nahm neben ihm Platz. Sanft legte sie eine Hand auf seine und drückte sie. »Weißt du, Motte, ich habe da auch schon drüber nachgedacht. Es ist damals auf Spiekeroog passiert, nicht wahr?«
»Ja, stimmt.«
»Mal sehen, vielleicht kann ich ja Licht ins dunkel bringen.«
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