17
Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell, in: Farm der Tiere
Mark warf einen Blick auf sein Handy, bevor er die Schubkarre nach draußen schob. Bislang hatte sein Telefon keinen Ton von sich gegeben. Diese Ruhe hätte er an jedem anderen Tag eher geschätzt. Er kannte Daria. Wenn sie sich nicht gleich meldete, würde sie ihn wahrscheinlich gar nicht kontaktieren.
Neben ihm schnaubte Dumas und drücke seinen Kopf gegen Marks Schulter. Lächelnd strich Mark seinem Pferd über die Stirn und lobte ihn für seine Leistung. Der Wallach hatte sich heute gut geschlagen, trotz der Hitze und der vielen Fliegen. Wenigstens einer, der immer zu ihm hielt.
Bevor er Dumas in seine Box führte, band Mark ihn am Waschplatz an. Um das Pferd abzukühlen füllte er einen mit Wasser. Mit langsamen Bewegungen arbeitete sich Mark vom Hals nach hinten vor und wusch Dumas den Schweiß aus dem Fell. Sein Freund schnaubte zufrieden und schloss die Augen.
Als er seine Arbeit beendete hörte Schritte er Schritte hinter sich. Kalomira stand in der Tür und lächelte ihn an. Sie trug eine enge Jeans und ein asymetisches weißes Top, das ihre Bräune betonte. Ihre dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden, der über ihre Schulter fiel. Auf dem freien Arm zeigte sich eine riesige Hummel, die gerade eine Blüte bestäubte. Kalomira sah gut aus, wie immer. Seit ihrer Jugend hatte sie viele ihrer nervtötenden Angewohnheiten verloren.
»Hi, Marki. Wie geht's dir?«
.
Allerdings nicht alle. Beim Klang des verhassten Spitznamens verzog Mark seinen Mund.
»Hallo, Mira. Danke gut. Was machst du hier?«
Kalomira musterte Dumas mit einem zurückhaltenden Blick. »Beist er?«
»Nur wenn ich ihn lieb bitte.«
»Witzig.« Sie seufzte. »Ich bin hier, um über Didi zu sprechen.«
Überrascht zog Mark die Augenbrauen hoch. »Mit mir?«
Kalomira seufzte und lehnte sich gegen einen der Stützpfeiler, die außerhalb von Dumas Reichweite standen. »Mit wem sonst? Ihr Onkel Luca hat zu viel zu tun, die Uni hat gerade erst angefangen. Und mein Vater ist mal wieder unterwegs. Ich weiß, dass du sie magst, immerhin hängt sie hier ständig rum. Also kannst du mir genauso gut auch einen Ratschlag geben.«
Was Kalomira betraf, waren Ratschläge wie Bumerangs. Wenn man den Kopf nicht rechtzeitig einzog, konnte es ziemlich ungemütlich werden. »Hattest du nicht noch einen Stiefbruder?«
»Dante hat keine Ahnung von Frauen.«
Während Mark Dumas fertig versorgte, dachte er über Miras Worte nach. Wahrscheinlich kam er nicht besonders einfach aus der Sache raus. »Und was bringt dich zu der Annahme, dass dir meine Sichtweise gefallen würde?«
Kalomira zuckte mit den Schultern. »Ich bin verzweifelt, okay? Didi ist völlig außer Kontrolle. Sie schwänzt die Schule, sie raucht, sie trinkt, sie hängt mit den falschen Leuten ab. Sie hört nicht auf mich, sie hört nicht auf ihren Lehrer. Sie macht, was sie will.«
Mark sah sie an und spürte einen Anflug von Mitleid. Er mochte Didi, auch wenn sie manchmal eine Zicke war. Vielleicht wollte sie sich nur abnabeln, um ihren eigenen Weg zu finden. Aber er machte sich auch Sorgen um sie.
»Hast du mal mit ihr geredet?«, fragte er.
Kalomira schnaubte. »Natürlich habe ich das. Aber sie blockt ab. Sie sagt, dass ich sie nicht verstehe, dass ich ihr Leben ruiniere, dass ich ihr nichts verbieten kann. Sie sagt, dass ich eine schlechte Mutter bin.«
Mark schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Du bist eine gute Mutter. Du liebst Didi und du willst nur das Beste für sie.«
Kalomira lächelte schwach. »Danke. Das ist nett von dir. Aber es hilft mir nicht weiter. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Ich habe Angst um sie. Wenn ich ehrlich bin, bist du ihre einzige Konstante.«
Mark legte Dumas die Decke über und verließ seine Box. Er streichelte ihm noch einmal über den Hals und ging dann zu Kalomira.
»Vielleicht solltest du mal mit jemandem reden, der sich damit auskennt«, schlug er vor.
»Wie meinst du das?«
»Naja, vielleicht braucht Didi professionelle Hilfe. Vielleicht hat sie ein Problem oder wird gemobbt oder so was. Vielleicht sollte sie mal zu einem Therapeuten gehen oder zu einer Beratungsstelle ...«
Kalomira unterbrach ihn mit einer abwehrenden Geste.
»Nein, nein, nein«, sagte sie schnell. »Das kommt nicht in Frage. Das wäre doch total peinlich. Was würde Didi denken? Würde sie nicht eher denken, dass ich sie für, naja, fehlerhaft halte?«
Mark kratzte sich am Kopf. »Mira, es geht hier nicht um dich«, sagte er ernst. »Es geht um Didi und um ihre Zukunft. Wenn du ihr wirklich helfen willst, musst du vielleicht über deinen Schatten springen und etwas tun, was dir unangenehm ist. Oder möchtest du nichts tun und einfach hoffen, dass es sich von selbst löst?«
Kalomira sah ihn an und biss sich auf die Lippe. »Ich weiß ja, dass du recht hast«, sagte sie leise.
Mark nahm ihre Hand und drückte sie leicht.
»Ich weiß«, sagte er sanft. »Aber du bist nicht allein. Ich bin für dich da. Und für Didi auch. Du kannst dich auf mich verlassen.«
»Danke«, murmelte Kalomira. »Das bedeutet mir viel. Eigentlich bist du ein ziemlich guter Freund ... Marki ...«
Sie grinste frech und zwinkerte ihm zu.
Mark verdrehte die Augen und lachte. »Du bist unmöglich.«
Nebeneinander verließen sie den Stall. Die Sonne schien hoch am Himmel und Mark hatte keine Lust, den Hof schon zu verlassen. Er spürte Miras Blick von der Seite.
Wortlos öffnete sie die Beifahrertür ihres kleinen Renaults und holte zwei Flaschen Limonade heraus.
»Ist das deine Notfallration?«, fragte Mark vorsichtig. Mira fuhr das Auto schon sehr lange. Es war gut möglich, dass die kleine blaue Rostlaube älter als Mark war. Irgendwann hatte sich Mira angewöhnt, im Kofferraum eine Decke, Wasserflaschen und Müsliriegel zu bunkern, für den Fall das sie liegenblieb.
»Hey, sei nicht unverschämt.« Sie warf ihm eine Flasche zu und drehte ihre eigene auf. Das Geräusch von entweichender Kohlensäure beruhigte ihn. »Neben der Tankstelle war ein Supermarkt und ich habe mir schon gedacht, dass du mein Wasser nicht möchtest.«
Mark führte sie an den Rand der Koppel. Im Schatten der Bäume des angrenzenden Waldes stand eine Bank. Mira nahm Platz und trank. Seit ihrer Schulzeit hatte sie sich verändert. Sie war immer noch impulsiv, temperamentvoll und manchmal ganz schön zickig. Aber sie hatte auch deutlich weichere Züge angenommen. Soweit Mark wusste arbeitete Mira in mehreren Jobs, um den Unterhalt von Didi alleine zu bestreiten.
Mark öffnete seine eigene Flasche. Die Kohlensäure entwich mit einem lauten Zischen und bevor er es verhindern konnte, lief die Limonade über seine Hände.
Vor Lachen verschluckte sich Mira. »Du bist mein Held, Marki.«
Es war seine eigene Schuld, er hatte nicht aufgepasst. Das Gelächter hatte Miras Züge weicher gezeichnet und die dunklen Ringe unter ihren Augen vertrieben. Beinahe sah sie wieder aus wie eine Schülerin. Natürlich abgesehen von den Tätowierungen, die ihren Körper schmückten.
»Das mir das auch mal gelingt. Normalerweise hat dich nur Daria so vorführen können.«
»Wie meinst du das?«
Kalomira lehnte sich gegen die Rückenlehne und schlug ihre Beine übereinander. »Nun, du hast immer mehr auf sie geachtet als auf dich. Wenn sie wollte, hätte sie dich an der Leine herumführen können, wie ein Hündchen. Und das hat sie auch manchmal.« Mira trank einen weiteren Schluck. »Bis dann halt irgendwann Schluss war.«
Das Licht malte helle Flecken auf Miras Gesicht. Mark legte den Kopf schief. »Weißt du noch, wann das war?«
Mira zuckte mit den Schultern. »War es denn jemals vorbei?«
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