Stürme der Herzen 🌪

Kategorie: Das Buch mit den vielschichtigsten Charakteren  

Liebe Teresia,

ich habe mich spontan entschieden, diese Review in Briefform einzureichen. Dabei werde ich mich an Natalias Vorgaben halten. Hoffentlich wird das nicht zu diffus. Stell mir gern Fragen und bedenke: Jede Kritik ist subjektiv. Ich fokussiere mich immer auf Schreibtechnik, insbesondere auf die Darstellung zwischenmenschlicher Dynamiken mit allem, was Sprache als Kanal zu bieten hat.

Worum geht es also in "Stürme des Herzens"? (Du darfst mich gern korrigieren, wenn ich etwas verkehrt wiedergebe, ich möchte andern schließlich keine fehlgeleitete Impression antragen.)

"Stürme des Herzens" ist in meinen Augen eine recht klassische enemies to lovers romance mit dem gewissen Reiz des Verbotenen. Elli kann den arroganten Fatzke mit den zugegeben wunderschönen blauen Augen, dem sie erstmals an der Tanke begegnet, nicht ausstehen. Die beiden geraten sofort aneinander. Kein Wunder, denn Elli hat jede Menge starke Meinungen, und da ist jeder mit diametral entgegengesetzen (aber ebenso stoischen) Ansichten in ihrem Leben natürlich unerwünscht.

Wir können uns zum Glück nicht aussuchen, wen uns das Schicksal schickt, und so muss Elli mit Schrecken feststellen, dass Joshua Degenhardt ihr unablässig weiter über den Weg läuft. Sie besucht das Seminar ihrer Träume an der Uni: van Gogh, ihr Lieblingskünstler, welch holdseliger Zufall das sie dazu etwas anbieten. Doch wer steht vorn und doziert? Joshua Degenhardt aka der Tankstellen-Fatzke. Miese Nummer!, so urteilt Elli gleich

Kompliziert wird alles durch die unangenehme Tatsache, dass sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlt. Wahnsinnig. Hingezogen. Als sie dann übers Wochenende in ihre Heimat zurückkehrt, um bei den Hochzeitsvorbereitungen ihres Quasi-Bruders Gabriel Schöneberger (einem der drei Nachbarsjungen) mitzuhelfen, spitzt sich die Lage zu. Joshua Degenhardt ist nun ein angeheirateter Teil von Ellis herzensguter Wahlfamilie, den Schönebergers, von Seiten der Braut aus. Ungünstig. Oder wie Elli es sicher betiteln würde: Vollkatastrophe!

Es folgen nun zitronige Küsse, Reue und Ellis einsame Schlacht mit den Dämonen ihrer Vergangenheit. (Sie hat sich immerhin eine Wahlfamilie auserkoren, liebe Leute.) Ein Auf und Ab, ein Hin und Her, oder vielmehr ein perfekter Kreis.

Immer wieder wiederholen sich die prekären gestohlenen Momente, die Elli und Joshua miteinander teilen. Dabei legen sie stetig an Intensität zu und hallen immer lebhafter in Elli nach. Sie öffnet sich sogar anderen Menschen - ganz Elli-untypisch -, wenn auch mit Einschränkungen, und wird zum Opfer ihrer emotionalen Ausbrüche und ihrer begründeten Irritation. Das ist die Geschichte bis zum heutigen Zeitpunkt.

Ich sollte etwas zum Cover und zum Klappentext anmerken und beginne mit Letzterem. Ich habe das Buch gewählt, weil ich etwas von dir lesen wollte und nicht, weil mich(!) der Klappentext neugierig gemacht hat. Er reizt aber Leute, die den Kitzel des Verbotenen in einer Liebesgeschichte mögen und du machst einen guten Job darin, deine Zielgruppe anzulocken. Insofern habe ich nichts zu beanstanden.

Dein Cover und dein Titel haben sich ja zwischendrin geändert. Das war eine gute Entscheidung. Nun erinnert mich dein Einband an Tami Fisher, "Crushing Colors", "Building Bridges" usw. Vielleicht sagt dir das was. Es passt zum New-Adult-Feeling, die Farben assoziiere ich automatisch mit van Gogh. Eine schöne Arbeit.

Du setzt beim Schreiben deinen Plan um, das spüre ich. Verwaschen, nicht präzise, das ja; das ist aber der "Gärtnerei" geschuldet, also dem überwiegenden Spontanschreiben. (Ich mache das genauso, das ist nie ein Minus. Man bekommt einerseits oft mehr Worldbuilding als notwendig wäre, das sorgt andererseits aber für eine locker-flockige Leseerfahrung. Hat alles seine Vor- und Nachteile.) Gerade Ellis Vergangenheit greifst du immer wieder auf, wobei ich wohl eher sagen sollte, du machst Andeutungen. Es ist ein Schattenspiel. Du reizt das ziemlich aus, weil dir wichtig zu sein scheint, Elli eine nachvollziehbare Handlungsgrundlage zu geben. "Sie hat ihre Gründe, vertraut mir!" - Tu ich, Teresia.

Erstmal ist daran nichts verkehrt, Charaktere brauchen ihre Motive. Was ich nicht mag - ich bin da den Kommentaren zufolge übrigens allein mit -, ist diese schwierige Gratwanderung. Die Hinweise sind nicht konkret, weil Elli das alles nicht an sich heranlassen möchte. Das ist okay. Allerdings darfst du dich da gern ganzheitlich drauf einlassen und Elli könnte früher Cuts setzen, wenn jemand mehr über sie und ihre Persönlichkeit wissen will. Sie könnte sogar weniger nachvollziehbar sein, und du kämst prima damit davon, weil Elli eine komplexe Figur ist. Wo könntest du dir die Hinweise also sparen?

Elli hat einen Putzzwang. Der Ursprung dessen, ist das Letzte, was jemanden, der zwangsgestört handelt, in solchen Augenblicken interessiert. Wenn Elli putzt, sieht sie nicht das Waschbecken. Sie sieht den Dreck, und der Dreck steht für etwas völlig anderes. Wenn sie ihren Vater ansieht, sieht sie nicht ihn. Auch er steht übertragen für etwas anderes. Alles in Ellis Leben, jeder Mensch, jedes Ereignis, ihr Verhalten - das sind Platzhalter. Das ist charakteristisch für traumatisierte Menschen, die ausschließlich in ihrem Kopf leben, seit ihnen das mal körperlich oder seelisch oder physisch und psychisch gleichermaßen das Leben gerettet hat. Mir ist klar, dass du die Umrisse von Ellis Vergangenheit bewusst vage gestaltet hast, bis zum Showdown von Teil I. Trotzdem hätte weniger Mystik der Spannungskurve gut getan.

Beim Lesen hat sich in mir der Verdacht erhärtet, dass du mehr rüberbringen willst als du müsstest. Ultimativ bestätigt hat sich das meiner Meinung nach in dem Moment, in dem der große Reveal kam, was Elli denn nun wiederfahren ist. Nora ... hätte nicht da sein müssen.

Das klingt erstmal total schlimm, wenn ich das so sage, aber ich fand, das war too much. Bitte sag mir, wenn ich etwas überlesen habe, aber hat Elli zuvor wenigstens ein einziges Mal der Gedanke gestreift, was z.B. wäre, wenn Nora jetzt in Freddys Alter wäre? Sie muss ihre verstorbene Schwester ja nicht einmal explizit beim Namen nennen im Text. Und dennoch: Das kam aus heiterem Himmel und hat sich für mich eher angefühlt, als wolltest du dem Einbruch von damals noch eine neue Schockdimension verleihen. Als wäre der sicher vermeidliche Tod von Ellis Mutter dir nicht genug gewesen.

Das war eine bewusste Entscheidung von dir, das hinterfrage ich nicht, aber es war eine impulsive Entscheidung. So zumindest mein Eindruck. Das abschließend zur Handlung. Widmen wir uns dem nächsten großen Thema.

Was macht einen Charakter faszinierend? Was fasziniert uns an echten Menschen? Zuerst ist es ihre Aura, ihre Schwingung. Dann kommunizieren wir miteinander, treten in Kontakt, und was macht uns so süchtig nach mehr Information über diesen Menschen? Die Details, in denen der Teufel steckt. Und diese Details habe ich vermisst. Sätze, die mehr wiedergeben als einen Sachverhalt.

Stellenweise machst du das, und dann machst du es klasse. Ich denke dabei an die Szene, als Elli in ihrem alten Kinderzimmer sinniert. Sie formuliert einen Gedanken und du weißt als Leser*, alles daran ist absolut unauthentisch. Mich hat dieses Kapitel so unbehaglich fühlen lassen, es war fesselnd.

An Joshua hege ich selbst nach Kapitel 37 kein Interesse. Er behandelt sich selbst scheiße, deswegen behandelt er Elli scheiße. Ich möchte nichts über ihn erfahren und als love interest hapert es ihm an redeeming qualities ... die du nichtsdestotrotz zu unterstreichen versuchst. Er taucht auf magische Weise auf, wenn sie ihn braucht. Seine Muskeln und seine Haare und seine sexy Brille und seine Gegenfragen sind seine Persönlichkeit. Im zweiten Teil sollen wir nun mehr erfahren. Ich bin nicht wirklich gespannt auf Joshua Degenhardt.

Ich bin aber gespannt auf Ellis Weiterentwicklung. Denn ich mag Elli. Falls ihre Entscheidungen denn angemessene Konsequenzen nach sich ziehen. Beim großen Streit mit Andi war das in meinen Augen nicht der Fall.

Wenn ich mir vorstelle, dass mein bester Freund zu mir sagt, was Elli zu Andi sagt - nun ... Andi ist in etwa so nachgiebig wie Knete. Nicht böse gemeint, deine Charakter haben meisterhaft ausgearbeitete Schwächen. Oft korrelieren ihre Stärken dann nur nicht damit. Wenigstens beweist Andi andernorts Rückgrat und setzt seinen freien Willen durch, sein Dasein auf Erden als totaler Beziehungsphobiker zu fristen *räuspert sich* ...

Weil Gabriel heiratet, hätte ich es schön gefunden, hätten Elli und er wenigstens einmal ein längeres Gespräch miteinander geführt. Ja, er ist im Stress. Ja, Elli steht Andi am nächsten. Aber sogar von Freddy habe ich ein klareres Bild als von Gabriel. Ich weiß über ihn praktisch nur, dass er mit einer gewissen Bestimmtheit die Entscheidung getroffen hat, eine Frau zu heiraten, die sogar ohne Ellis Hyperbeln einen unangenehmen Eindruck auf (fast) jeden deiner Leser* machen dürfte.

An sich sehe ich, dass du deine Welt reich mit Charakteren bevölkert hast. Du steckst beim Schreiben mittendrin, aber wie erreichst du nun, dass auch deine Leser* dorthin teleportiert werden? Wieder lautet die Antwort auf diese Frage: mithilfe von eingestreuten Details. Und damit meine ich keine Flashbacks! (Ich habe eine persönliche Aversion gegen Flashbacks. Zu deinem formvollendeten im Finale des ersten Teils komme ich im übernächsten Paragraphen.) Ein Charakter wirkt sofort lebendiger, wenn er eine andere Art zu sprechen hat als der Rest, eine andere Art zu blinzeln, zu essen, sich an der Nase zu kratzen ... Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Vielleicht trinkt Gabriel gern mal einen über den Durst, nach seinem heftigsten Streit mit Emilia hat er ja wohl ordentlich gebechert. Eventuell verbindet ihn mit Elli, dass sie öfter Saufkumpanen waren und noch wären, wäre sie nicht weggezogen?

Obwohl ich jetzt viel zu deinen Figuren gemeckert habe, möchte ich dir doch die Auszeichnung für die vielschichtigsten Charaktere verleihen. Bei dir ist nichts, wie es scheint - und das weißt du in deine Geschichten einzubinden. Ich persönlich hab zwar gar keinen Bock auf Joshua, aber ich weiß, dass er seinen eigenen Werdegang hatte und ihn Erfahrungen in seinem Leben geprägt haben, vorrangig offenbar solche, die er mit seinem Vater gemacht hat. Ich habe dir in einem Kommentar mal geschrieben, dass ich Elli gut durchdacht und ausgearbeitet finde. Ein bisschen mehr Durchdachtheit wünsche ich mir bei den restlichen Charakteren, hab ich oben alles angesprochen. Über die Ich-Perspektive hinaus. Das wünsche ich mir für ihren Vater, die Eltern der Schönebergers, Emilia, Sandy, Anna, Kira, Adam ... Ellis Beziehungen können oberflächlich bleiben. Aber diese Personen sind allesamt trotzdem vollständig Mensch. Zwar Menschen, die Elli nicht gut kennt, aber das meine ich mit "über die Ich-Perspektive hinaus denken". Anna ist nicht nur die liebe, immer verständnisvolle beste Freundin, die kein Problem damit hat, wenn Elli mal in der Versenkung verschwindet; Reinhard ist nicht nur der Mann, der nach dem Tod seiner Frau seine Tochter vernachlässigt hat - das sind lediglich die Rollen, die die beiden in Ellis Leben spielen. Aber wie redet Reinhard z.B. mit Kathrin? Inwiefern klingt das anders? Wie guckt Anna, wenn Elli mal wieder abwinkt und behauptet, es ginge ihr gut? Sieht sie vielleicht aus, als würde sie eine Nachbohr-Frage runterschlucken, aus Angst, womöglich einen Konflikt vom Zaun zu brechen, der sie eine Freundin kosten könnte?

Wie versprochen jetzt der Flashback: Du achtest auf das Alter, das ist gut, auch wenn es stellenweise ein wenig "off" wirkt. Elli ist noch ein Kind und es ist ihre Perspektive, aus der du den Angriff schilderst. Ich hätte mir nur gewünscht, dass du mehr von dem einbringst, was du am Schluss machst, als es um die Augen des Mannes geht, dieses Verbrechers. Du zoomst rein und die Zeit verlangsamt sich. Das macht unser Kopf in stressigen Situationen ganz gern. Wir sind in voller Alarmbereitschaft körperlich und unser Geist ist dabei so rege wie sonst nie im Leben. In Millisekunden können wir jedes Szenario gedanklich durchexerzieren und wir nehmen Sachen wahr, an die wir uns Jahrzehnte später noch genau erinnern. Um Stress zu erzeugen (was nötig ist, weil du dich für einen zeitgenauen Flashback entschieden hast), kannst du wechseln zwischen der Hektik des Moments, z.B. schnelles Atmen und Herzklopfen, und dem messerscharfen Fokus, der es uns ermöglicht, uns auch noch in Situationen orientieren zu können, in denen wir eigentlich komplett reizüberflutet sind.

Es ist keine Frage des Könnens, meine liebe Teresia. Sondern eher danach, wie bewusst du mit deinen schriftstellerischen Fähigkeiten hantierst. Du zweifelst wahrscheinlich zu viel an dir, gerade nach dieser Kritik, wie etliche Hobbyautoren* auf Wattpad. Stilistisch arbeitest du manchmal mit merkwürdigen Konjunktionen und Repetitio, aber ich könnte theoretisch durch deine Worte fliegen. (Geht natürlich nicht, wenn ich fundiertes Feedback geben soll.) Alles, was ich angesprochen habe, ist in Ansätzen mal ausgeprägter, mal weniger ausgeprägt bereits in deinem Buch vorhanden. Du bist kreativ, und wann immer du mit Sprache intuitiv und unbeschwert gespielt hast, war dein Werk eine Delikatesse für meinen wählerischen Kritiker*-Gaumen.

In diesem Sinne, keep doing what you're doing. Mein ultimativer Tipp wäre: Dreh dabei auf. Deine Prämissen sind sexuelle Spannung und die Aufarbeitung von Traumata, eingefasst in das Wechselspiel von Kunst und Wahnsinn. Mach das. Und steig in jedes dieser Themengebiete so tief ein, wie du nur kannst. Zeig mir das Unsichtbare.

Ein Kollege hat letztens zu mir gesagt: "Gute Bücher zeigen dir immer etwas, das direkt vor deiner Nase war, was du aber so, wie es im Roman beschrieben ist, noch nie zuvor gesehen hast."

Alles Liebe und hochachtungswürdig

Deine Saskia :3

P.S.: Die fett markierten Schlüsselworte sollen beim Skimming helfen, falls du dir die Review später nochmal anschauen willst :)

von Saelamju

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