PART TWELVE

>POET<

23/11/2017 - 23:27 Uhr

Das Number One war auf Dauer ziemlich grausam für ein Portemonnaie. Ich kam zum ersten Mal hier her, das Wasser kostete fast sieben Dollar und ich konnte mir nicht vorstellen, was Paul für unsern Eintritt gezahlt hat.

»Der kommt genauso wie Pinowski mit seinem Ausweis hier rein.», meinte zwar Otis, aber das glaubte ich nicht ganz.

Dem nach, saßen wir jedoch in tiefen weißen Sesseln im VIP-Bereich. Paul wurde von einer Traube Schnorrer umlagert und Daniel saß etwas abseits mit dem Zwerg - sein Name war Freddie, das hatte ich herausgefunden - , der sofort ein Klappmesser zückte, als er mich sah. Ich lächelte bloß müde und schon packte er das Ding auch wieder weg.

Die Dramaqueen war auch da und Sarah konnte ich in den Gedränge ebenfalls erkennen. Sie sah immer wieder zu mir rüber, aber scheint nicht das Interesse daran zu haben, mit mir zu reden.

Ich schenkte mir etwas aus der halb leeren Champagnerflasche ein, die vor mir in einem schwarzen Kühler auf dem niedrigen Tischchen stand.

»Hör zu! Ich hab' da einen Megadeal für und beide an Land gezogen.«, flüsterte Otis mir ins Ohr.

Das mit dem Flüstern hätte er sich sparen können. Die Bässe wummerten so laut, dass ihn sowieso niemand hören konnte und ich war selber froh, als ich ihn noch gerade so verstand.
»Du und ich, wir zwei machen uns selbstständig.«, sagte er.

»Womit? Mit Kopfhörern?«, fragte ich und zeigte auf die großen roten Hörer, die wie eine Nackenrolle um Otis' Half hingen.

Der Skater ignorierte meine Bemerkung. Er sah ganz euphorisch aus. Mit den Händen gestikulierte er wild und seine Augen strahlten vor Begeisterung.
»Hör zu: ich habe mich mit Typen getroffen. Oberstes Management einer Turnschuhfactory.«

»Willst du jetzt Sneakers verkaufen?«, erkundigte ich mich.

»Quatsch! Alles, was wir machen müssen, ist unsere Geschichten bei denen in Bare Münze umwandeln. Wir erfinden einpaar hässliche Story's über ihre Konkurrenten und bringen die in Umlauf. Was glaubst du, was dann passiert?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Stell dir vor, so eine Firma für Babygläschen bezahlt uns dafür, dass wir überall verbreiten, ihr größter Konkurrent stellt seine Babynahrung aus Schlamm her.«, meinte er dann, voll in seinem Element.

»Otis! Das klappt doch nie!«

»Klar klappt das. Die Manta- Witze, wo kamen die wohl her? Die hat Porsche erfunden, um Opel zu schaden. Und rate mal, warum die beiden Flieger ausgerechnet am elften September, also 9/11, in die Twin Towers gerast sind? Na?!«, Otis sah mich erwartungsvoll an.

»Keine Ahnung.«, erwiderte ich.

»9/11 gleich 911. Porsche 911, schonmal gehört? Klingelt's jetzt? Dir superreichen Scheichs, die al-Qaida heimlich unterstützen, sind doch alle an VW beteiligt. Die wollen ihren Konkurrenten schaden. So war das!«

»Porsche gehört zu VW.«

»Echt?«, für einen Moment hatte ich Otis aus dem Konzept gebracht. Aber nur kurz, »Ist doch egal, wichtig ist, irgendein Gerücht zu streuen und dann bei der Konkurrenz abzukassieren. Bis die Firma das richtiggestellt hat, ist die längst pleite und wir stinkreich.«

»Du.«

Otis sah mich irritiert an.
»Was meinst du damit?«, fragte er.

»Du bist stinkreich. Ich mach da nämlich nicht mit.«

»Komm schon. Ich brauch dich. Dich und deine Geschichten. Du erfindest was Hübsches und ich bring's unter die Leute. Zusammen sind wir unschlagbar.«

Ich winkte ab.
»Ohne mich.«

»Wie jetzt?«

»Otis, hast du nicht gehört, was ich gesagt habe: ich mach da nicht mit.«, wiederholte ich mich.

Er sah geschockt aus.
»Du kannst mich jetzt nicht hängen lassen! Ich habe das doch schon alles eingetütet.«
Als er weiter redete, ahmte er meine Stimme nach.
»Du und ich, wir sind Rockstars. Unsere Storys sind wie Songs.«

Otis beugte sich vor, um mir ganz nah zu sein und wechselte dann wieder in seinen normalen Sprechmodus.
»Hast du doch selbst gesagt. Mit der Geschichte werden wir die Megarockstars. Komm schon!«

»Mit der Geschichte wandern wir in den Knast, wenn das rauskommt. Das ist Betrug.«

»Aber wenn eine Firma behauptet, ihre Zuckerbonbons seien gesund, weil da Vitamine drin sind, dann ist das kein Betrug oder was?«

»Das ist Werbung. Was du vorhast, ist kriminell. Dafür kriegst du mindestens fünf Jahre.«

Otis ließ sich zurück in die Sofapolster fallen.
»Beschwer dich nur nicht, wenn ich in ein paar Wochen in meinem Ferrari an dir vorbei rausche.«

»Du hast echt einen Schuss.«, ich grinste, Otis nicht. Eine Weile beobachteten wir schweigend das Geschehen im Club.

»Du glaubst nicht, dass ich das kann oder? Du traust mir das nicht zu. Du glaubst, du bist die Einzige, die genug Grips hat, sich Geschichten auszudenken.«, sagte plötzlich Otis, der dabei weiter auf die Tanzfläche starrte.

»Darum geht es doch garnicht.«, erwiderte ich müde.

»Hör mal gut zu, du Nobelpreisträger, ich habe Paul neulich eine coole Geschichte verkauft. Glaub bloß nicht, du bist die einzige Dichter hier.«, meinte er schroff.

Mit hoch gezogenen Augenbrauen sah ich ihn an.
»Was für eine denn?«

»Da ist dieses Mädchen, das einen Fremden in seine Wohnung folgt, weil der ihr irgendeine Sammlung zeigen will. Du weißt schon. Aber statt eines flotten One-Night-Stand kriegt sie von ihm K.-o.-Tropfen. Als sie wieder aufwacht, liegt sie im Krankenhaus. Mit einer miesen Erfahrung mehr und einer Niere weniger.«

Ich sagte nichts, sah Otis nur an.

»Und? Was sagst du dazu?«

»Etwas plump. Außerdem...«

»Außerdem was?«, fragte Otis gereizt.

»Außerdem gibt es die Story schon.«

»Merkt doch keiner. Mir und dem Boss gefällt sie und im Netz ist sie auch schon unterwegs.«, ich machte eine amüsierte Handbewegung. Dann mussten wir beide lachen.

»Der Geschichte fehlt übrigens noch was.«, erklärte ich, als wir uns wieder beruhigt hatten.

»Wieso.«

»Irgendein Detail, das sie glaubwürdiger macht. Die Sammlung, die er ihr zeigen will: Sag einfach, der Typ sammelt Espressotassen.«

»Du spinnst!«

»Vielleicht antwortete ich und stand auf.«

»Wo willst du hin?«

»Ich fahr nach Hause.«, ich kramte den Schlüssel zu Paul's Wagen aus der Tasche.

»Hast du dem Boss die Autoschlüssel geklaut?«

»Nein, den hat er mir geliehen.«

»Ich sag ja, du bist Paul's Goldmädchen.«

»Neidisch?«

»Pah, bald habe ich meinen eigenen Flitzer. Wart's nur ab.«, ich umarmte Otis zum Abschied.

Das war das erste Mal und ich wollte ihm irgendwie zu verstehen geben, dass wir trotzdem Freunde waren und blieben. Ich trank mein Wasser aus, wäre ja schade drum, es stehen zu lassen.

Dann verließ ich das Number One.

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