PART TEN

>PAPIER<

22/11/2016 - 17:30 Uhe

»Ich... äh...ich wollte nur...«, ich stellte erschrocken den Bilderrahmen zurück und sprang aus dem Stuhl auf.

»...rumschnüffeln?«, vollendete Paul schroff.

Schüchtern hielt ich das Blatt mit der Gefängnis-Kreatur in die Höhe, als wäre es eine weiße Fahne.
»Ich wollte Ihnen das nur hinlegen.«, erwiderte eingeschüchtert.

»Was ist das?«

»Eine neue Geschichte. Otis gefällt sie.«, Paul schnaubte verächtlich und nahm mir den Text aus der Hand.

»Geh nie, nie wieder an diesen Schreibtisch.«, brummte er, während er die Geschichte las. Ich blickte mich unsicher in Paul's Büro um. Es war fies, dabei zusehen zu müssen, wenn andere Leite die eigenen Sachen lasen. Ich spannte mich an und das änderte sich erst, als Paul zu lächeln begann.

»Das ist gut. Das ist sogar sehr gut.«, murmelte Paul.

»Danke.«, erwiderte ich und zeigte auf das Foto im Rahmen, »Ist das ihre Tochter? Ich wusste garnicht, dass sie eine Tochter haben.«

»Hatte. Sie ist tot.«, antwortete Paul, ohne von dem Text aufzusehen.

»Oh, das tut mir leid.«

Paul ließ das Blatt sinken und sah mich an.
»Warum? Ist doch nicht deine Schuld. Drogen und falsche Freunde. Sie hatte zu wenig Angst. Zu wenig Respekt vor dem Leben. Musste immer alles ausprobieren.«, er machte eine Pause und ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte.

Aber mir wurde jetzt einiges klar. Das hier war ein klarer Fall von Projektion, Adoption oder wie immer man es nennen mag: ich war für Paul so eine Art Ersatz für seine verstorbene Tochter. Deswegen war er auch so beleidigt, wenn ich seine Einladungen ausschlug. Warum war mir das vorher nicht schon aufgefallen? Das erklärte einiges.

Paul ließ mich noch einbisschen zappeln, dann brach er das angespannte Schweigen.
»Heute Abend lässt du mich aber nicht im Stich, verstanden? Ich rechne mit dir. Mit dir und deinem Freund.«

»Das wird nicht gehen.«, antwortete ich verlegen.

»Willst du mich etwa schon wieder versetzten?«

Nervös knetete ich meine Hände und meine Gedanken überschlugen sich.
»Nein, aber mit Jonathan, das geht nicht. Wir sind nicht mehr zusammen. ", der letzte Teil war gelogen, wie immer eigentlich, aber auch nur, damit er mich für heute in Ruhe ließ. Es dachte sowieso jeder, dass JJ und ich ein Paar wären.

»Oh, das tut mir leid.«, sagte Paul und so, wie er das sagte, klang es sogar ehrlich und aufrichtig.

»Warum? Ist doch nicht Ihre Schuld.«

»Stimmt.«, Paul grinste,»Du hängst noch an ihm, richtig? Nutz die Kraft deiner Geschichten. Lass dir etwas einfallen. Das kannst du doch. Das ist deine große Stärke.«, Paul legte eine Hand auf meine Schulter.

Ratlos sah ich ihn an, innerlich gähnte meine Finsternis.
»Und was dann?«, fragte ich und dachte darüber nach, ob mein Schauspiel wirklich für einen Oscar nominiert werden könnte.

»Du bist die Autorin, nicht ich. Es muss ja nicht die Wahrheit sein.«, Paul holte einen Schlüsselbund aus der Tasche und machte sich am Schloss eines Schranks zu schaffen.

Als er bemerkte, dass ich immer noch im Raum stand, sah er mich an.
»Hast du noch was auf dem Herzen?«

Ich kapierte, dass ich gehen soll, doch tatsächlich hatte ich etwas auf dem Herzen.
»Die Fotos. Die in Ihrer Mappe auf dem Flur.«

»Was denn für Fotos?«

»Die, die letztens auf dem Boden gefallen sind. Die Bilder aus der Bar. Woher haben Sie die?«, mittlerweile wusste ich, dass ich dort auf der Bühne stand und in meinem roten Pullover die Kamerageschichte erzählte.

»Ach, die Fotos meinst du. Ich bin Verleger, ich will wissen, wie die Leute auf die Story's reagieren. Was sie sich gerne anhören. Sonst noch was?«, klang das Plausibel? Für jemanden ohne Paranoia wahrscheinlich schon.

»Nein, nein, bis heute Abend dann.«, ich gab mich mit der Antwort zufrieden. Dann drehte ich mich um und ging, während Paul den Schrank geöffnet bekommt. Ich hätte gern gewusst, was er dort verschlossen hielt.


Ich stand in der Auffahrt zu der Bar, in der Jonathan arbeitete. Auf dem Eingang wartete ich darauf, dass JJ's Schicht zu Ende war und endlich Feierabend machte.

Abends wurde es mittlerweile schon frisch. Ich hatte den Kragen meines Mantels hochgeschlagen. Neben mir, etwas weiter weg, standen zwei Frauen und rauchten. Die beiden kamen in ein Gespräch, doch ich hörte gar nicht hin, weil Jonathan in diesem Augenblick die Bar verließ.

Er wirkte überrascht, nicht unangenehm überrascht, sondern einfach nur erstaunt, dass ich auf ihn am Eingang wartete.
»Du hier? Was willst du?«, fragte er.

Eine warmherzige Begrüßung sah anders aus, aber das konnte noch werden.
»Bloß mal schauen, wie es dir geht.« antwortete ich.

»Gut, mir geht es gut. Sehr gut sogar.«, erwiderte Jonathan und reckte trotzig das Kinn in die Höhe und ich wusste nicht, was ich verbrochen hatte.
»Jetzt sag schon, was du willst.«

»Meine Tante hat bald Geburtstag.«

»Keine Ahnung was du ihr schenken könntest.«

»Darum geht es doch gar nicht.«, ich packte ihn am Arm, nicht grob, eher bittend und er ließ es geschehen.

»Nicht? Worum denn dann?«

»Sie hatte einen Infarkt. Der Arzt hat ihr jede Aufregung...«, ich brach absichtlich ab und drückte auf den Tränendrüsen rum.

Er fiel drauf rein.
"Wie schrecklich! Das tut mir leid, Alexia. Wie geht es ihr jetzt?«, Jonathan sah ehrlich bestürzt aus.

»Nicht so gut. Sie wollte immer, dass ich sie mit meinem Freund besuche. Es wäre also echt toll, wenn du mich begleiten würdest und so tun würdest, als wären wir zusammen.«

»Ich soll was?«, er wich zwei Schritte zurück.

»Natürlich nicht so richtig. Nur so tun, als ob.«, schob ich schnell hinterher. Behutsam machte ich zwei Schritte auf ihn zu.

»Bitte komm mit.«, er zögerte immer noch, »Es würde auch mir helfen.«

»Warum sagt sie das Ganze nicht einfach ab? In so einem Zustand.«

»Meine Tante will bloß keine Schwäche zeigen.«, Jonathan guckte an mir vorbei und dachte nach. Dabei spielte er mit dem schwarzen Ring an seinem Daumen.

»Okay, einverstanden. An dem Tag nehm' ich mir eben frei. Aber nur wegen deiner Tante. Nicht, dass du denkst...«, mein Handy klingelte.

»Warte bitte, ich muss kurz ran.«, ich nahm das Gespräch an. Es war Otis, der für Paul nachfragen sollte, wo ich blieb.
»Ich komme gleich. Er soll sich nicht so anstellen.«

Anscheinend stellte sich Paul trotzdem an, denn Otis ließ nicht locker.
»Ja, ich frag ihn. Bis nach her.«, beendete ich das Gespräch und sah Jonathan an, der das Telefonat verfolgt hatte und ganz offensichtlich noch nicht wusste, ob er die Alexia vor ihr gut finden sollte.

»Hast du heute Abend noch was vor?«, fragte ich.

»Ich hab gesagt, ich fahre mit dir zu deiner Tante. Mehr nicht. Ich mach das nur für deine Tante.«, er zog seine Jacke zu.

»Schon verstanden.«, ich hob lächelnd die Hände, »Ich hol dich schon ab.«

Jonathan sagte nichts, sondern nickte nur.
»Also bis dann.«

»Bis dann.«, wir standen uns noch einen Moment gegenüber und ich grübelte immer noch darüber nach, ihm etwas angetan zu haben.

Irgendwann drehte JJ sich um und ging, ohne sich noch einmal umzuschauen. Die Raucherinnen hatten das natürlich auch alles beobachtet und hielten sich gegenseitig lachend in den Armen.

»Hat sie einfach stehen lassen, ihr Großer.«, sagte die eine und lachte.

»Immer noch kann ich einen abbekommen.«, sagte ich, bevor ich in die entgegengesetzte Richtung ging, in die Jonathan verschwunden war.

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