PART FOURTEEN
>LÜGEN<
11/12/2016 - 08:33 Uhr
Ich parkte Paul's Wagen vor Jonathan's Wohnung. Es war der Tag, an dem meine Tange ihren vierzigsten feierte und auf der Straße war nicht viel los.
Als ich ausstieg, lief ich trotzdem fast in eine Radfahrerin, die wild klingelnd an mir vorbeisauste. Ich drückte mich dicht an den Wagen, um einen Zusammenprall zu verhindern.
Ich lief über den Bürgersteig zur Haustür zu und läutete. Irgendwie war meine Laune gestiegen, als mir das Herbstwetter entgegen schien und mir bewusst wurde, endlich zwei Tage aus dieser trüben Stadt zu kommen.
Jonathan trat mit einer kleinen Reisetasche aus der Tür und stutzte, als er den Wagen sag.
»Deiner?«
»Nur geliehen.«, antwortete ich. Wir liefen zurück zum Wagen und Jonathan verstaute seine Tasche im Kofferraum, ehe er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ.
»Wer leiht dir denn so einen Wagen?«, fragte er.
»Paul. Keine Sorge, der ist schon nicht geklaut.«, kurz herrschte eine Stille.
Jonathan ließ sich im Sitz zurück fallen.
»Und wie geht es deiner Tante?«
»Wieso?«, fragte ich zurück.
Jonathan sag verwundert auf.
»Ach so, ja, schon besser, viel besser.«, korrigierte ich mich und schob ein, »Aber immer noch sehr kritisch.«, hinterher.
Dann fuhren wir los.
Die ersten fünfzig Kilometer auf der Autobahn sagte keiner ein Wort. Ich nahm an, Jonathan wollte so klarstellen, dass das hier keine Vergnügungstour war und er nur wegen meiner Tante mitkam. Ich wiederum schwieg, weil ich angst hatte, etwas falsches zu sagen. Ich fing sogar wieder an, auf der Unterlippe zu kauen, aber nur leicht.
Im Radio erzählte der überdrehte Moderator amüsiert die Geschichte mit der Schlange in er Gucci-Handtasche. So weit so gut. Weniger gut ist, dass er auch eine Tonaufnahme des Mannes der Dame hatte, die an dem Biss gestorben war.
»Plötzlich schießt diese giftgrüne Schlange aus der Tasche und beißt meiner Amy direkt in die Schlagader. Ich habe dann gleich einen Kerzenleuchter genommen und das Vieh erschlagen. Also die Schlange, nicht meine Amy. Danach habe ich einen Krankenwagen angerufen, aber ehe der kam, war sie schon tot. Also Amy, nicht die Schlange.«
Obwohl die Geschichte ziemlich tragisch war, musste Jonathan lachen. Der arme Kerl im Radio war auch einfach zu komisch.
Ich lachte nicht, war nur ein bisschen verwirrt. Ich fragte mich, wie jemand an die Tonaufnahme des Ehemannes kommt, wo es doch gar keinen Ehemann gibt und eine Schlange in einem Gucci-Täschchen genauso wenig.
»Das war ein Witz oder? Das hat der Moderator gerade erfunden. Und der Ehemann, das war bestimmt ein Schauspieler.«, sagte Jonathan und zeigte immer noch lachend auf das Radio.
»Klar ist das erfunden.«, antwortete ich erleichtert, weil Jonathan eine plausible Erklärung für dir Tonaufnahme hatte und der Radiobeitrag die Stimmung im Wagen außerdem merklich aufgelockert hatte.
»Und rate mal, wer das erfunden hat.«
Jonathan hörte auf zu lachen und schaute überrascht zu mir rüber.
»Jetzt sag nicht, du wars das!«
Ich nickte nur grinsend. Ich sah in den Rückspiegel und entdeckte verunsichert einen Wagen, der mir eine Weile folgte. Ich veränderte das Tempo, mal beschleunigte ich, dann bremste ich wieder ab. Mein Verfolger machte es genauso.
Während ich mit Jonathan redete, schaute ich ein paar Mal in den Rückspiegel, um ganz sicherzugehen. Als ich mir sicher war, drückte ich richtig aufs Gas, um das Auto abzuhängen. Das Auto kann mit Paul's Sportwagen nicht mithalten und so hänge ich ihn ab.
»Du sagtest, diese Story's kommen alle in ein Buch?«, fragte Jonathan dann.
»Exakt.«
»Und warum soll noch jemand für das Buch bezahlen, wenn das alles schon mal irgendwo stand?«, bingo! Darüber hatte ich noch garnicht nachgedacht.
Ich biss mir auf die Unterlippe.
»Na, weil... weil... weil man die Geschichten da alle nich mal gesammelt nachlesen kann.«, stammelte ich.
»Willst du mal eine von Otis hören?«
»Klar, schieß los!«
»Also, da folgt eine Frau einem Fremden in dessen Wohnung, weil er ihr seine Espressotassensammlung zeigen will.«
Jonathan lacht.
»Espressotassen?«
»Ja, warum nicht? Was dagegen?«, fragte ich gereizt.
»Nein, nein, überhaupt nicht. Hat halt jeder so sein Hobby.«
»Darf ich weiter erzählen?«
Jonathan tat so, als würde er sich mit einem Schlüssel den Mund verschließen und nickte mir zu.
»Das übliche Spiel. „Kommst du noch für einen Kaffe mit rauf?" „Ja gern, aber nur kurz." „Kein Problem, ich hab eh nichts zum Frühstück da." Doch statt eines Kaffes kriegt sie von dem fremden Typen K.-o.-Tropfen und als sie am nächsten Morgen aufwacht, liegt sie im Krankenhaus und hat eine Niere weniger.«
»Gruselige Vorstellung!«, Jonathan schüttelte sich.
Ich grinste.
»Na ja, ich mach auch mehr so die amüsierteren Geschichten.«, lenkte ich ein.
»Über Schlangen in Gucci-Taschen?«
Ich glaubte da ging was.
❂
Das Haus meiner Tante lag direkt am Ortseingang eines kleinen Städtchens und war zwar keine Villa, aber ein 0815 Reihenhaus war es auch nicht. Es sah edel, aber nicht zu protzig aus. Das Haus hatte einen kleinen Vorgarten, aber dahinter befand sich eine riesige Rasenfläche und in der Nähe lag ein Golfplatz.
Abbot hatte eine Anwaltskanzlei, die er aber demnächst an einen jüngeren Kollegen abgeben wollte und sein Golf- Handicap lag bei drei. Das hatte in dem kleinen Ort gereicht, um Klubmeister zu werden. Außerdem war er Jäger, war Schützenkönig in den Jahren 1995, 1997 sowie 2001 und im Internet bestellte er ausschließlich Sachbücher. Also war er ein gewaltiger Spießer.
Meine Tante hingegen war in der Kirche aktiv, leitete ehrenamtlich die Gemeindebücherei und ihr Rezept für einen Blaubeerkuchen konnte keiner nachahmen.
Ich parkte den Wagen vor der Garagenauffahrt. Meine Tante beobachtete die Szene streng, während Abbot direkt auf uns zugelaufen kommt und mich dann in eine herzliche Umarmung zog. Ich ging zu meiner Tante, während sich Jonathan und der Mann meiner Tante sich kennenlernten und schüttelte ihr die Hand. Doch bevor ich etwas sagen konnte, standen die nächsten Gäste mit einem Strauß Blumen und einer Flasche Wein vor ihr.
Wenig später standen wir mit der Haushälterin Rose in der Küche und sahen ihr dabei zu, wie sie für das Fest einpaar kalte Platten anrichtete und dabei ihr Herz ausschüttete.
»Du weißt ja garnicht, wie froh ich bin, dass du endlich jemanden gefunden hast, Liebes. Sonst würde ich mir noch mehr Sorgen um dich machen und Veronika auch. Aber sie zeigt es halt nicht.«
»Wie geht es Veronika denn?«, meldete sich schließlich Jonathan neben mir zu Wort.
»Ich hab halt Angst, dass es schlimmer wird.«, erwiderte Rose.
»Sie muss einfach auf sich achten. Damit ist nicht zu spaßen.«, allmählich fingen meine Wangen Feuer und mein Herz klopfte mir gewaltig gegen die Brust. Gleich würde meine Lüge aufgehen.
»Das erkläre ich ihr auch ständig. Aber sie sagt ja nichts. In letzter Zeit ist sie viel ruhiger geworden.«
»Das ist ganz normal. Wird schon wieder. Nach so einem Infarkt gehen bestimmt einem viele Fragen durch den Kopf.«
Rose sah ihn überrascht an, ehe sie fragt.
»Was denn für ein Infarkt?«
»Hatte sie nicht...«, setzte Jonathan verwirrt an.
Fuck. Jetzt bin ich dran.
»Unsinn! Veronika hatte doch keinen Infarkt. Ich rede von Halluzinationen. Viele aus ihrer Familie sind ein bisschen...verrückt geworden. Bilden sich Dinge ein, die es garnicht gibt. Solche Sachen eben.«
»Infarkte oder gut bezahlte Jobs zum Beispiel...«, flüsterte Jonathan so leise, dass ich es sogar fast nicht verstand.
»Wie bitte?«
»Nichts, gar nichts.«
Jonathan sah vom Fenster aus zu mir. Eigentlich müsste er wütend sein, aber er lächelte bloß.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top