Tag 7
Jonas' Sicht:
Ich hatte kein Auge zugemacht. Und normalerweise schlief ich immer die restliche Nacht durch, wenn ich auf Raubzug war. Sollte ich nicht ein gewissenloses Untier sein? Warum interessierte es mich, was mit den Menschen hier im Dorf passierte? Warum schätzte ich immer ganz genau ab, wer beschützt werden könnte, bevor ich empfahl den/die jenige/n anzugreifen?
Lag es an Alisha? Sie war die größte Bedrohung für meine Art. War es richtig auf ihrer Seite zu stehen? Oder sollte ich mich für das Weiterleben meiner Rasse opfern? Sollte ich dem anderen Werwolf sagen, dass ich mit ihr in einer Art Beziehung war? Doch man sollte doch niemals Selbstmordgedanken hegen, das war nicht richtig. Das war keine Lösung.
Ich setzte mich auf und drehte mich mit einem leisen Seufzen auf den Bauch.
Aber sie war alles. Das was ich für sie empfand war mehr, mehr als ich es jemals für jemand anderen empfunden hätte. Mehr als für meine Eltern, für Bell. Ich war mit ihr zusammen, bevor der erste Angriff stattfand und sie ohne ein Wort des Abschieds sofort verschwand.
Ich schloss kurz meine Augen und stand auf. Die Sonne war bereits aufgegangen und ich sollte nach unten gehen und so tun, als ob es mich interessieren würde, wer gestorben war.
Also zog ich mir eine dicke Jacke an und trat nach draußen. Der Regen hatte aufgehört, doch natürlich trat ich sofort in eine Pfütze, besser konnte es wahrhaftig nicht laufen.
Ich wollte gerade fluchen, doch seufzte bloß und zog eine nasse Spur hinter mir her über den Dorfplatz zu Anja. Alina war ebenfalls schon da. Sie stand gedankenverloren an ihr Haus gelehnt. Ich konnte mir denken woran sie dachte. An ihre ganze Familie. Sie waren alle tot. Und ihren Mann hatte sie sogar selbst ermordet.
Am liebsten wäre ich zu ihr gegangen, doch ich konnte nicht riskieren, falls Alisha sie gesehen hatte, dass ich ebenfalls verdächtigt wurde.
Hinter mir ging plötzlich mit Wucht die Tür von Alishas Haus auf. Wütend stürmte meine Freundin hinaus, sie sah süß aus, wenn sie aufgebracht war...
"Eröffnet die Versammlung!", befahl sie, als wäre sie die neue Bürgermeisterin.
Lucas, der ebenfalls gerade dazu gekommen war, nickte bloß langsam, doch machte keine Anstalten die Trompeten zu holen. Wozu auch? Wir waren nur noch zu fünft.
Ich warf ihr ein flüchtiges Lächeln zu, als Alishas Blick kurz zu mir sprang, worauf sie ebenfalls ein wenig Lächelte und sich so in die Mitte des, naja, Kreis konnte man es kaum nennen, was auch immer es war, stellte.
Alina war auch näher gekommen.
"Ich muss sagen, ich habe ein Biest in unserer Mitte entdeckt. Eine Frau, und da wir vermutlich alle wissen, dass Anja das Gummibärchen ist, Alina...", sprach sie laut und drehte sich beim letzten Wort ruckartig zu der Witwe.
Diese schaute sie bloß lange mit leeren Augen an, bevor sie langsam sagte: "Was soll ich dazu noch sagen?"
Ihr schien es nicht leid zu tun. Sie war leer, paralysiert von den Schmerzen ihrer Verluste.
Ich brachte es einfach nicht übers Herz sie zum Galgen zu bringen. Sie war eigentlich eine wirklich nette Frau gewesen, vermutlich weil sie auch ein Werwolf war und ich sie deshalb so gut kannte.
"Ich mach' schon", flüsterte Lucas leise neben mir, legte mir kurz seine Hand auf die Schulter und ging dann zu Alina.
Es lag nicht daran, dass sie ein Werwolf war und von meiner Art, sondern daran, dass die jemand war, der so viel Leid ertragen musste und trotzdem jetzt gehängt wurde, dass ich meine Augen schließen musste, als Lucas den Hebel zurück drückte.
Ich spürte Arme, welche sich von hinten um meinen Hals legten und heißen Atem, welcher mein Ohr kitzelte, als sich meine Lider schlossen.
"Es tut mir Leid, aber wenn wir überleben wollen, muss auch sie sterben", flüsterte Alisha mir leise zu.
Ich lächelte leicht und umfasste mit meiner Hand die ihre. Ihre Nähe tat so unglaublich gut und jetzt musste ich nicht mehr lange nachdenken was zu tun war. Wir hatten schon gewonnen.
"Glückwunsch", sagte Anja, als sie uns so betrachtete und ging ohne ein weiteres Wort in ihr Haus zurück.
Alisha ließ sofort ihre Arme sinken und stellte sich neben mich.
"Du wirst sie töten heute Nacht?", fragte sie leise und schluckte schwer.
"Lucas wird sicher sich selbst schützen. Ich habe keine andere Wahl, Alisha", antwortete ich mitfühlend und sah ihr fest in die Augen.
"Ich weiß... nur mach' es schnell, sie ist meine beste Freundin", den letzten Teil hauchte sie bloß noch und leichte Tränen bildeten sich in ihren Augen.
"Wie wärs, wenn du diese Nacht bei mir schläfst, dann wären wir beide nicht so alleine", schlug ich schließlich vor und sofort erhellte sich ihr Gesicht wieder ein wenig.
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