17. Kapitel

Ich spreche mit meiner Geschichte einige sehr ernste Themen an und würde wirklich gerne wissen, ob ich diesen Themen auch gerecht werde. Ich möchte mich und meine Geschichte wirklich sehr gerne verbessern, doch das kann ich nicht, wenn ich keine Kritik bekomme. Daher bitte ich euch noch einmal: Sagt mir, was ich mögt und vor allem teilt mir irgendwie (egal ob hier öffentlich, oder als private Nachricht) mit, was euch nicht gefällt und was ich besser machen könnte.

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Als ich an diesem Abend zurück auf das altbekannte Zimmer ging, war Lucas noch immer nicht zurück. Was tat er nur so lange?! Ich hatte zwar mit Oma noch einen Film geschaut und ihr bei dem Abwasch geholfen, doch trotz der späten Stunde, geisterte mein Bruder noch immer irgendwo draußen herum. Ich machte mir zwar nicht direkt sorgen um ihn, doch mir war nicht klar wie er sich so lange mit etwas in diesem Dorf beschäftigen konnte. Hier war schließlich nichts und die Leute kannte er ebenfalls nicht. Das Ganze war für mich vollkommen unverständlich.

Ich war alleine im Zimmer und musste automatisch an den Streit zurück denken und an eine Sache, die er gesagt hatte, die vielleicht doch der Wahrheit entsprach. Die alten Zeiten waren vorbei und vermutlich sollte ich wirklich aufhören, ihnen hinterher zu trauern. Also stellte ich mich vor den Spiegel und beendete das, was Lucas vorhin begonnen hatte. Ich riss ein Bild nach dem anderen Ab, bis ich irgendwann in dem Spiegel nur noch mich selbst sah und zwar alles von mir, meine ungemachten Haare, das leicht gerötete Gesicht und vor allem meine breiten Hüften. Vermutlich dachte ich so viel an die Zeiten von früher, weil es mir da noch egal war, wie ich aussah oder wie ich auf andere wirkte - ich hatte einfach gelebt. Wahrscheinlich musste ich einfach diesen Schalter wieder finden und schon würden mir weder die verbalen Attacken von Marie, noch meine eigenen Gedanken etwas antun können.

Ich losch das Licht und legte mich in das untere Bett. Vermutlich würde die Welt morgen noch immer genauso aussehen, aber immerhin wäre ich dann ausgeschlafen. Leider funktionierte mein Plan nicht allzu gut, denn jedes Mal wenn ich mich auf eine Seite drehte, kehrten die Gedanken wieder - egal wie oft ich mich hin und her wälzte, egal wie lange ich still lag, jedes Mal fand mein Gehirn eine Geschichte die mich wach hielt. Wie brachte man seinen eigenen Kopf zum Einschlafen?

Als ich gerade dabei war Angst um Lucas zu entwickeln, da er auch weit nach Mitternacht noch nicht zurück war und mich gleichzeitig fragte, wieso mir das nicht egal war, hörte ich Schritte vor der Tür und erstarrte. War das endlich mein Bruder?

Mein Verdacht bestätigte sich, als sich die Tür öffnete und ich im Mondschein die rotblonden Haare erkennen konnte. Der Junge torkelte. Hatte er etwas getrunken?! Ich warf alle meine Pläne, mich einfach schlafend zu stellen oder ihm wütend meine Meinung zu sagen, über Bord und durchbrach die Stille mit dem Klang meiner vorsichtigen Stimme: „Lucas?", fragte ich leise und bekam als Antwort nur ein überraschtes Brummen. Er hatte eindeutig zu tief ins Glas geschaut! Wo hatte er überhaupt Alkohol bekommen? Er war schließlich noch keine Achtzehn, damit noch nicht volljährig und kannte in diesem Ort niemanden, wie war es da möglich, dass er so viel trank?

„Wo warst du?", fragte ich und verzichtete darauf meine Stimme leise klingen zu lassen. Oma war sowieso auf einem ganz anderen Stockwerk und auf meinen idiotischen Bruder brauchte ich nun wirklich keine Rücksicht nehmen.

„Ich war nur kurz weg.", lallte er so undeutlich, dass ich ihn beinahe nicht verstanden hätte. Er versuchte die Leiter des Stockbettes zu erklimmen, doch ich war schneller.

„Nein lass das lieber. Wir tauschen.", sagte ich verzweifelt und zog an seinem Arm. Ich wollte nicht, dass er sich dieses Mal einen richtigen Zahn an der Rutsche ausschlug. Damals war es schließlich nur ein Milchzahn gewesen. Zwar merkte ich, dass Lucas mir Widerworte geben wollte, doch ich redete einfach weiter. „Wie blöd bist du eigentlich?! Ist dir klar, wie sehr du Oma mit deinem Verhalten verletzt? Wie sehr du mich verletzt?! Ich weiß nicht was noch alles in deinem Leben passiert ist und ehrlich gesagt bezweifle ich, dass du an deiner tollen Schule auch nur einen schlechten Tag hattest, doch ich weiß, dass ich es nicht zulassen werde, dass du so mit Oma redest!" Lucas schien kaum ein Wort verstanden zu haben, stattdessen setzte er sich erschöpft auf mein Bett und sah mich eindringend an.

„Du bist doch selber schuld, dass Marie solche Bilder von dir macht.", sagte er vollkommen zusammenhangslos und dieses Mal verstand ich ihn perfekt. Seine Worte versetzten mir einen Stich. Wieso sagte er so etwas?

Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken, doch ich konnte nicht verhindern, dass mir seine Worte Tränen in die Augen trieben. Er hatte das Bild gesehen. Mein eigener Bruder hatte so ein erniedrigendes Bild von mir gesehen und gab mir die Schuld. Es tat weh. Doch ich konnte den Kloß in meinem Hals und die Tränen in meinen Augen zurück drängen, ich wollte nicht weinen. Ich durfte nicht weinen, durfte die Worte nicht an mich heran lassen.

Ich ließ Lucas in Ruhe, sollte er sich doch um sich selbst kümmern und verließ das Zimmer. Ich musste hier raus, musste weg von ihm. Wieso hatten Papa und Paps nur so eine blöde Idee? Merkten sie nicht, wie sehr sie mich damit in die Schusslinie drängten? Wie sehr sie mir weh taten? Ich musste hier weg.

Leider kam ich nicht weit, denn das Schlafzimmer meiner Oma lag direkt neben der Eingangstür und ich traute mir weder zu, im halb Dunkeln auf Anhieb den Türgriff zu finden und die Tür leise zu öffnen, noch in meiner Aufregung es zu schaffen, meine Schuhe anzuziehen, ohne dass die liebe Frau wach werden und mich in Erklärungsnot bringen würde. Daher führte mich mein Weg direkt in die große Küche.

Auf einmal hatte ich einen riesigen Appetit. Ich wollte nicht mehr an die Worte meines Bruders denken, wollte nicht mehr in Erwähnung ziehen, tatsächlich selber für die ganzen Schikanen die Schuld zu tragen. Ich wollte mich einfach nur noch ablenken.

Nach einem Blick in einen der vielen Vorratsschränke erkannte ich ein etwas älteres Glas „Nutella" und kurz darauf saß ich mit einem Löffel bewaffnet auf dem Küchentisch und aß Literweise des süßen Brotaufstrichs.

Zwar ließ das meine Gedanken nicht aufhören, aber immerhin schien die Kakaomasse dem Teil meines Körpers, der meine Tränen steuerte, so gut zu zu sprechen, dass ich in dieser Nacht keine einzige Träne vergoss.

Eine halbe Stunde und ein ganzes Glas Nutella später, hatte ich mir eingeredet, dass mir mein Bruder nichts ausmachte. Er sagte Dinge die mich nicht interessierten und hatte Ansichten, die nicht der Wahrheit entsprachen - darauf durfte ich nicht allzu viel geben. Leider kam diese Einsicht zu spät, denn die Kakaomasse war schon in meinem Körper verschwunden und sorgte dafür, dass ich mich in diesem Augenblick noch unwohler in meiner Haut fühlte, als das eh schon der Fall war.

Um mich abzulenken fing ich an, meine Spuren zu beseitigen. Ich hatte meine ganzen Hände verschmiert und auch mein Gesicht schien eine Portion abbekommen zu haben. Ich war ja so armselig. Zum Glück schliefen alle potenziellen Zeugen tief und fest und bekamen nicht mit, was ich da gerade getan hatte.

Nachdem ich mein Gesicht sorgfältig gereinigt und das Glas extra tief im Mülleimer vergraben hatte, machte ich mich schnell wieder auf den Weg in mein Zimmer. Zwar würde Lucas dort auf mich warten, aber er war vorhin so betrunken gewesen, dass er vermutlich inzwischen wie ein Stein schlief.

„Sam? Ist alles in Ordnung bei dir?", ertönte die Stimme meiner Oma hinter mir, als ich gerade dabei war, die Treppe nach Oben zu erklimmen. Hatte sie mich schon vorher gesehen? Nein, hoffentlich nicht, das würde ich nicht aushalten.

Um keinen Verdacht zu erwecken drehte ich mich schnell zu ihr um und lächelte so breit und liebenswürdig ich konnte, atmete noch einmal tief durch, um keine brüchige Stimme zu haben und sagte mit gespielter Naivität: „Ich hatte nur kurz Durst und habe mir ein Glas Wasser genommen. Das war doch Okay, oder?" Meine Oma schien sich dabei deutlich zu entspannen und die Angst fiel von mir ab, sie könne mich doch vorhin beobachtet haben.

„Ja aber natürlich, Schätzchen. Soll ich dir noch einen warmen Kakao machen?", fragte die Frau liebevoll und ich musste mich konzentrieren nicht auf die Treppenstufe zu kotzen, als ich an das Getränk dachte, das mich ziemlich an meine Nächtliche Fressattacke erinnerte. Trotzdem schaffte ich es nett zu klingen, als ich ihr Angebot ausschlug und wechselte danach schnell das Thema.

„Lucas ist übrigens wieder da, du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Mit diesen Worten log ich nicht einmal, ich erwähnte nur nicht, in welchem Zustand er sich zurück in unser Zimmer geschlichen hatte.

„Da bin ich ja beruhigt! Ich hatte extra einen Schlüssel unter die Fußmatte gelegt. Zwar wollte ich aufbleiben, bis er wieder kommt, doch irgendwie muss ich doch eingeschlafen sein.", sagte sie und schaute erleichtert zu mir. Ich wusste genau, dass sie schon wieder anfing sich selbst Vorwürfe zu machen.

Am nächsten Tag stand ich lange vor Lucas auf, der noch immer seinen Rausch ausschlief. Im Grunde hatte ich die gesamte Nacht über kein Auge zu gemacht, sondern wurde von meinen Gedanken so stark gefesselt, dass ich keine Chance hatte, den ersehnten Schlaf zu erreichen. Doch dafür hatte sich ein Plan in mir entwickelt, der für mich in der Nacht unheimlich viel Sinn ergeben hatte, aber jetzt im Sonnenschein lange nicht mehr so praktisch klang. Doch was blieb mir anderes übrig? Ich wollte auf keinen Fall, dass Oma das fehlende Glas in ihrem Schrank bemerkte, jedoch wollte ich auch nicht in Erklärungsnot kommen - im Grunde blieb mir da doch nur eines, oder? Ich war nicht einmal nahe an einem Supermarkt und hatte keinen Führerschein - mal abgesehen davon, dass ich sowieso erst im nächsten Jahr alleine fahren durfte - es gab einfach keine andere Möglichkeit. Also zog ich einmal tief die frische, kalte Luft ein, die sich in diesem Herbstmorgen im Garten in meine Lungen zog und mir Mut zu machen schien.

„Hallo?", meldete sich die dunkle Stimme am anderen Ende der Leitung genervt.

„Hast du einen Führerschein?", stellte ich meine Frage schnell und hoffte, dass er nicht zu viele Fragen stellen würde. Zwar hätte ich auch Robin anrufen können, was wesentlich rationaler gewesen wäre, doch ich hätte es nicht verkraftet, Fragen zu beantworten. Außerdem war ich mir nicht sicher, ob er es überhaupt in Erwägung gezogen hätte, hier raus zu fahren. Ich wollte die Enttäuschung nicht spüren müssen, von ihm keine Hilfe zu bekommen.

„Wer ist denn da?", fragte die Stimme und klang wenig begeistert. Ich wollte meinen Namen nennen, doch ich konnte einfach nicht. Ich brachte kein Wort heraus. Doch nach kurzer Pause, war alle Anonymität über Bord geworfen: „Sami, bist du das? Woher hast du meine Nummer?", fragte Alec und veränderte seinen Ton kein bisschen. Ich war kurz davor auf zu legen, doch als ich daran dachte, wie peinlich das Gespräch werden würde, wenn Oma erkannte, dass ich das gesamte Glas innerhalb einer Nacht aufgefressen hatte, fand ich den Mut weiter zu reden: „Von Emma." Sie hatte mir die Nummer irgendwann mal für Notfälle gegeben - ich bezweifelte zwar, dass sie so einen Notfall damit gemeint hatte und hatte damals erst recht keine Ahnung, was ich mit seiner Nummer anfangen sollte, doch Emma hatte darauf bestanden. „Hast du jetzt einen Führerschein?", wiederholte ich meine Frage vom Anfang gereizt.

„Ja, was brauchst du?", fragte er nach einer kurzen Pause und schien langsam zu verstehen, dass ich ihn niemals ohne Grund anrufen würde. Ich fing an, die gleiche Verbindung zu spüren wie noch vor ein paar Tagen, als ich ihm nach der Prügelei geholfen hatte, ohne überlegen zu müssen.

„Ein Glas Nutella", sagte ich und biss mir auf die Zunge, als ich merkte, wie bescheuert ich dabei klang. „Genauer gesagt, eins mit 800 Gramm. Nicht kleiner und nicht größer - kannst du mir helfen?" Ich musste jetzt endgültig verrückt auf ihn wirken. Aber nun war es zu spät um einen Rückzieher zu machen. Zwar zog ich in Erwähnung, einfach „April, April!", zu rufen, doch das würde mitten im Oktober nicht sonderlich glaubwürdig erscheinen.

Trotzdem legte er nicht auf und fragte auch nicht nach, ob das Ganze ein Scherz von mir war. Stattdessen erkundigte sich Alec, der unfreundliche Junge, den ich niemals mit Hilfsbereitschaft assoziiert hätte, tatsächlich nach der Adresse und war bereit mir die Kakaomasse in das Dorf zu bringen, dass über keinen direkten Supermarkt verfügte.


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