Mirko

Neben Tom stehe ich in der Ankunftshalle des Flughafen von Nizza.
Lucas wollte unbedingt mit Cédric zum Großmarkt fahren, also bin ich mit Tom mit, der Freunde seines Freundes vom Flughafen abholen gefahren ist.

Nach für mich endloser Zeit des Wartens erscheinen die Beiden dann auch, ein großer, grünäugiger und ziemlich selbstbewusst wirkender Typ und ein niedlicher Junge mit dunklem verwunschelten Haaren und großen dunklen Augen.
Der Junge quietscht laut auf als er Tom erblickt, dann treffen sich ihre Blicke und bei Gott, es knistert zwischen den Beiden, was aber außer mir keiner zu bemerken scheint. "Tom" ruft der Junge, "Cicero" antwortet dieser mit seltsam atemloser Stimme.
Dann macht er eine Bewegung so als müsste er sich aus einem Bann befreien und wendet sich dem anderen Typen zu. "Ricardo, nice to see you!" begrüßt er ihn.
Danach wendet er sich an mich und stellt mir die beiden vor: "Ricardo, Joãos best friend and his boyfriend Cicero." Er wendet sich erneut an die anderen beiden und stellt mich vor: "That's Mirko, a friend of mine..."
Cicero grinst mich an und fragt dann sofort: "So he's the child, the bayboy?"
"Yepp, genau der..." antwortet Tom.

Wir nehmen den Beiden etwas Gepäck ab und begeben uns zu Toms Wagen.
Nachdem alles verstaut ist sitze ich hinten neben Cicero.
Verstohlen betrachte ich den Jungen von der Seite. Nicht nur, dass er einer der wenigen Menschen ist, für die das Attribut 'schön' absolut zutreffend ist, er hat auch eine starke Ausstrahlung, eine anziehende Ausstrahlung, der man sich nur zu gerne ergeben würde.
Ich bin mir sicher, dieser Ricardo hat alle Hände voll zu tun, Cicero vor unerwünschten Verehrern und Begehrern zu schützen.

Das Engelsgesicht mit der Aura einer Sirene wendet sich aber schon lachend an Tom: "I've heard you had the twins?"
Zu meiner Überraschung erötet Tom bevor er mit leicht verlegener Stimme antwortet: "Ja..."
"Und, war es schön?" will Cicero unbekümmert wissen.
Sein Blick kreuzt wieder den von Tom und ich warte förmlich auf die Blitze mit denen sich die Spannung zwischen den Beiden entlädt.
"Es war toll, aber nicht so schön wie mit..." beginnt Tom eine Antwort die er dann plötzlich abbricht. Sein Blick streift Ricardo so, als hätte er beinahe etwas ausgesprochen, was man nicht sagen darf, dann konzentriert er sich sehr auf den Verkehr.
Ein wissendes Lächeln umspielt Ciceros Lippen während Ricardo nachdenklich schaut.

Da ist mehr als nur 'bester Freund von Joao und dessen Boyfriend', soviel ist mal sicher.
Und ich finde schon noch heraus was!

"May I ask how old you both are?" beginne ich mit einer harmlosen Frage meinerseits eine Unterhaltung.
"I'm 20" antwortet Cicero und Ricardo antwortet "Bin bereits 25."
"Wie lange seid ihr schon zusammen?" ist meine nächste Frage.
"It's complicated, je nach Sichtweise entweder 6 oder 4 Jahre" seufzt Ricardo.
"Dann war Cicero ja erst 14..." staune ich.
"Jetzt müsst ihr sie ihm erzählen" mischt sich Tom von vorne ein, "die Legende von Ricero".
"Okay" hebt Cicero an, "ich war 14, arm, lebte in einem der übelsten Slums von Sao Paulo als ich Ricardo das erste Mal traf. Genaugenommen wollte ich ihn mit einem Messer in der Hand überfallen...."

Und so erfahre ich wie es dazu kam, dass Ricardo und Cicero zu Ricero wurden.
"Uff, dass ist echt heftig" entfährt es mir als die beiden mit ihrer Erzählung fertig sind, "aber auch sehr romantisch."
Beide werfen sich ein Blick voller Liebe zu und im selben Moment fährt Tom schwungvoll vor Joãos Villa vor und meint jovial: "Et voila, we are there.."

João muss uns schon gehört haben, denn er stürmt aus der Tür und begrüßt Ricardo überschwänglich bevor er sich Cicero zuwendet, den er mit einem breiten Grinsen umarmt.
Hinter ihm taucht Lucas auf und guckt unverholen neugierig in die Runde.

Ich geselle mich zu ihm und erkläre ihm wer die beiden Neuankömmlinge sind und etwas zu deren Beziehungsgeschichte, ich ende mit: "Und da ist nich irgendwas zwischen Tom und Cicero am Laufen was ich nicht einschätzen kann, aber wenn die zwei sich anschauen beispielsweise, dann sprühen die Funken..."
"Wie meinst du das?" will Lucas wissen.
"Guck hin, beobachte..." fordere ich ihn auf.
Und wir beobachten beide wie Tom Cicero zu uns geleitet und ihm Lucas vorstellt und dann umgekehrt.
Es ist ein kleiner, fast unmerklicher Moment, als Cicero ihn wie zufällig an der Wange berührt und in Toms Augen etwas aufblitzt, das aber sofort wieder verschwindet.

"Du hast Recht" flüstert Lucas mir ganz aufgeregt zu, "sie reagieren aufeinander in einer sehr intensiven aber auch rätselhaften Art und Weise."
"Als ob man einen Stromkreis schließt" murmele ich. "Ja, das passt..." raunt Lucas.
"Was da wohl läuft zwischen den Beiden?" frage ich und Lucas ergänzt: "Und was João und Ricardo davon halten...."
"Ob die es mitbekommen haben?" rätsele ich und Lucas erwidert "Das ist ja kaum zu übersehen oder?"
"Wir werden es rausbekommen" verkünde ich und Lucas nickt: "Werden wir."

Tom

Beinahe wäre mir im Auto rausgesucht, dass es mit den Twins nicht so toll war wie mit Cicero.
Reiß dich zusammen! schimpfe ich mit mir selber während ich Cédric helfe das Gepäck auf die Zimmer zu tragen.
Plötzlich bin ich mir garnicht mehr so sicher, dass eine Nacht mit Twins und Cici wirklich so eine supergeniale Idee ist.
Aber da komm' ich jetzt wohl nicht mehr raus, denke ich und seufze laut.

"Na, was belastet deine unschuldige Seele so sehr - und das wo ich jetzt da bin?" Natürlich hat Cicero mein Seufzen gehört.
"Ach nichts, meine Gefühle verwirren mich manchmal" erwidere ich ausweichend.
"Ich verwirre dich?" belustigt funkeln Ciceros Augen mich an.
"Das auch..." antwortet ich und seufze erneut.
Er fixiert mich fest mit seinem Blick so dass ich nicht ausweichen kann: "Das ist okay. João und Ricardo wussten, was für eine Wirkung wir aufeinander haben - es macht ihnen nichts aus."

Es macht ihnen nichts aus?

"Wirklich?" Ungläubig starre ich ihn an.
"Ja, wirklich" bestätigt er mit fester Stimme, "du musst also nicht versuchen es zu verstecken, das gelingt dir eh nicht."
"Nein?" hauche ich verwirrt. "Nein" erwidert Cicero sanft, "dein Mirko hat das schon sofort gemerkt..."
"Oh..." mehr fällt mir dazu nicht mehr ein.

Also muss ich keine Angst haben, dass João denkt ich liebe ihn nicht mehr oder genug wenn ich nicht unterdrücke was Cicero in mir auslöst?

Einerseits erleichtert mich das, andererseits verwirrt es mich.

Könnte ich tatsächlich zwei Menschen gleichermaßen lieben? Auch wenn ich bei Cicero jetzt nicht von Liebe sprechen würde.

Der Gedanke ist faszinierend wie beunruhigend zugleich - und er wird mich wohl noch längere Zeit beschäftigen.

Noch in Gedanken versunken führt mich mein Weg in die Küche wo Lucas seinen Beutezug aus dem Großmarkt für den Abend präpariert.
Der Junge hat sich ernsthaft vorgenommen für alle Fisch zu grillen und ist nun dabei, einige der Tiere zu marnieren.
"Und - klappt alles?" erkundige ich mich.
"Ja schon" erwidert Lucas, "aber das Angebot da in diesem Markt ist ja gigantisch, du glaubst nicht, was es da alles gibt..."
"Es gibt nichts was es da nicht gibt" unterbrechen ich seine Schwärmerei, "also kannst du dich hemmungslos austoben?"
"Oh ja...." freut er sich.
Ich schaue ihm zu wie er diverse Marinaden herstellt und die Fische damit bestreicht, es ist irgendwie sehr kontemplativ.
Unbemerkt von mir kommt Mirko hinzu und erst als die beiden tuscheln werde ich wieder aufmerksam.

"Worüber tuschelt ihr denn?" frage ich und die beiden fahren förmlich auseinander.
"Nichts..." kommt es von Mirko in einer Stimme die sehr deutlich macht, dass es sicher nicht um 'Nichts' geht.
"Nichts also...." wiederhole ich süffisant.
Kurz ist es still, betretenes Schweigen.
Dann rafft Lucas seinen Mut zusammen und fragt: "Du und dieser Cicero... ...was ist das zwischen euch?"

Ah daher weht der Wind, na Cicero meinte ja schon das Mirko was aufgefallen ist...

"Ich und Cicero also?" Ich schinde Zeit.
Aber was soll ich da antworten?

"Wonach sieht es denn aus?" versuche ich es mit einer Gegenfrage.

"Wenn João und Ricardo nicht wären" erwidert Mirko, "dann würde ich sagen, ihr habt einen heftigen Crush aufeinander."
"Oder ihr seid seelenverwandt oder sowas" mutmasst Lucas.

"Nun ja, Cici hat eine gewisse Wirkung auf andere Gays" beginne ich meine Antwort, "aber das zwischen uns ist mehr, aber ehrlich gesagt, habe ich keinen blassen Schimmer wie ich das nennen oder beschreiben soll..."
Ich zucke mit den Schultern: "Aber was immer es auch ist, João und Ricardo wissen es und es ist okay, also von daher..."

"Ihr habt also einen Crush aufeinander" resümiert Mirko völlig abgeklärt, "und eure Boyfriends die gleichzeitig Best Friends sind, finden das cute...."
"So kann man das wohl beschreiben" murmele ich.
"Und dann noch die Zwillinge" seufzt Lucas und es ist ihm anzuhören, dass er mich vielleicht ein bisschen beneidet.
Mirko hört das wohl auch heraus, denn von ihm kommt ein empört-zurechtweisendes "Lucas!"
Mit "Okay, das klärt ihr ohne mich" sehe ich, dass ich mich vom Acker mache und die Küche sowie Mirko und Lucas schleunigst verlasse.

Habe ich mich echt in Cicero verguckt?
Und wenn ja, wäre das schlimm?
Cicero geht ja davon aus und nachdem was er sagte, João und Ricardo auch.
Hat er sich auch in mich verguckt?
Und finden unsere Freunde es wirklich süß wenn wir zwei füreinander schwärmen?
So wie befreundete Eltern die sich freuen wenn ihre Kinder miteinander spielen.
Upps, jetzt wird es strange....
Ich muss João fragen.

João finde ich am Pool mit Ricardo.

"Querida, posso te perguntar uma coisa?* bemühe ich mein Portugiesisch, auch um ihm zu zeigen wie wichtig es mir ist.
"Sim, claro!" antwortet er mir.
Ich deute mit Blicken Richtung Ricardo und er scheint zu verstehen. Oder auch nicht.
"Geht es um Cici?" fragt er und sofort habe ich auch die Aufmerksamkeit von Ricardo.
Ich nicke verlegen.
"Hey my angel..." hebt João an und kommt auf mich zu und umarmt mich, "verwirrt dich was er in dir auslöst?"
Erneut nicke ich nur stumm.
"Das muss es nicht. Du hast vielleicht einen Crush auf ihn. Oder vielleicht auch mehr. Das muss dir nicht peinlich sein!"
"Aber..." hebe ich kleinlaut an und will fortfahren was ist mit uns? jedoch unterbricht er mich: "Wir, also Ricardo und ich, haben gewusst, dass das passieren kann, wir kennen Cici. Und ich kenne dich."
"Und das stört dich nicht?" erkundige ich mich beklommen.
"Nein, tut es nicht!" versichert er mir und Ricardo fügt mit einem beruhigenden Lächeln hinzu: "Es ist auch irgendwie süss..."
"Oh....." zum zweiten Mal heute fehlen mir die Worte.

Also doch, wie Eltern die es süss finden wenn ihre Kinder miteinander spielen!

"Dann ist ja gut" man merkt mir meine Erleichterung fraglos deutlich an.
"Ich wollte nur nicht, dass du denkst..." murmele ich.
"Warum sollte ich" raunt João zurück, "ich weiß dass du das niemals könntest, so bist du nicht."

So bin ich also nicht.
Wie gut das er weiß wie ich nicht bin.
Warum nur weiß ich nicht wie ich bin oder nicht bin?

João

Es ist ein Bild für die Götter.
Mein geliebter Tom hat anscheinend auch schon gemerkt, dass seine Erfahrungen mit Cicero ihn auch auf einer emotionalen Ebene nicht ganz unberührt gelassen haben.
Und nun treibt es ihn um und vor allem hat er Angst, mir würde das missfallen.

So steht er nun vor mir, mit hängenden Schultern und großen, fragenden Augen, die personifizierte Besorgnis.
Sogar sein Portugiesisch bemüht er um mir klar zu machen, wie wichtig es ihm ist jetzt mit mir sprechen zu müssen.
Und wie er versucht mir klarzumachen, dass ich Ricardo wegschicken soll, einfach cute.
"Is it about Cici?" frage ich ihn, dabei bin ich mir sicher, dass es ihm darum geht.
Er kann nur verlegen nicken während er rote Wangen bekommt.
"Hey my angel, are you confused about what he's doing to you?" beruhigend frage ich nach dem Offensichtlichen während ich ihn in eine Umarmung ziehe.
Tom nickt nur.
Oh je, mein armes Kitten. "It doesn't have to. You might have a crush on him. Or maybe more. Don't be embarrassed!"
Er versucht etwas zu entgegnen, aber ich lasse ihn nicht zu Wort kommen: "We, that is Ricardo and I, knew that this could happen, we know Cici. And I know you."
Mit banger Miene will er wissen ob mich das nicht störe. Ich versichere ihm, dass es nicht der Fall ist und Ricardo springt mir zu Seite, nur um dann noch anzumerken, dass er es süß finde.
Man merkt wie es in Tom arbeitet, aber mehr als ein "Oh.." bringt er nicht zustande.

"Then it's all right" stellt er sichtlich erleichtert fest und murmelt dann: "I just didn't want you to think..."

Oh Tom, nichtdoch, dafür bist du viel zu ehrlich.
Man kann auch mehr als einen Menschen lieben. Und wenn das so wäre bei dir, ich würde es merken. Deine Gewissensbisse wären unübersehbar - und deine Angst wenn du dann dazu stehst, einen deiner beiden Lieben zu benachteiligen könnte man dir kaum nehmen.
So bist du nicht, dass ich denken würde du liebst mich nicht mehr.

"Why would I" raune ich zurück, "I know you never could, you're not like that."
Darüber muss er erneut nachdenken.
Und ich halte ihn dabei fest in meinem Arm.

"Versuche niemals deine Gefühle vor mir zu verstecken" ermahne ich ihn dennoch, "erstens bist du grottenschlecht darin und zweitens, ich würde weder die Twins noch Cici oder sonstwen an dich heralassen wenn ich nicht damit klarkomme, dass dich das nicht unbeeindruckt lässt. Du bist kein Eisklotz, also denke bitte nicht, dass ich erwarte, dass dich alles kalt lässt!"

"Aber wenn ich was falsch mache, dann sagst du es mir, ja?" nuschelt er.
"Ja natürlich!" versichere ich ihm und registriere erfreut wie sich der Griff seiner Arme um mich verstärkt, so als wolle er mir zeigen, wie wichtig ihm diese Rückversicherung, dass zwischen uns alles in Ordnung ist, doch ist.
Wie sehr er mir damit aber auch zeigt, was ich ihm bedeute, das ist ihm vermutlich garnicht so klar.

Wie lange wir in unserer Umarmung verharren, ich weiß es nicht, aber irgendwann löst sich Tom aus meinen Armen und flüstert mir zu: "Danke..." bevor er sichtlich beschwingt und erleichtert wegläuft.

Als er um die Ecke verschwunden ist höre ich Ricardo amüsiert sagen: "Wenn du je mit ihm Schluss machst, reißt Cici dir den Kopf ab...."

Das glaube ich sofort. Dass ausgerechnet Tom bei Cicero einen Beschützerinstinkt weckt ist schon ein wenig absurd. Aber irgendwie auch einleuchtend.

"Das habe ich nicht vor" erwidere ich,
"mein Plan ist, dass wir hier auch in 60 Jahren noch zu Viert am Pool sitzen, Champagner trinken und es uns gut gehen lassen!"
"Das passt zu meinen Plänen" lacht Ricardo.

Ihr Shipname wäre Toci. Oder Cito...
...die Verbindung von Joto und Ricero...

*Querida, posso te perguntar uma coisa? = Schatz, kann ich dich etwas fragen?