#34 Tom & Mirko: Deja-vu

Tom

Mehr als nur gut gelaunt bin ich mit meinem Auto auf dem Weg zur Uni. Und das obwohl es Montag und vor 8:00 Uhr ist.

Aber seit meinem Geburtstag bin ich unanständig gut gelaunt und geradezu besorgniserregend motiviert. Joao war da. Und meine Freunde haben das organisiert. Das macht sogar die Tatsache, dass alle wussten, dass Mischa schwul ist und mir mal wieder keiner was gesagt hat mehr als wett.

Überhaupt: Ich habe Freunde. Also so richtige! Das Leben ist wirklich schön.

Und obwohl mir Joao auch an meinem Geburtstag nicht die drei Worte sagen konnte - oder wollte - hat er mir dennoch gezeigt, dass ich ihm wichtig bin, in dem er da war, und dass er mir vertraut, in dem ich ihn toppen durfte. Und das als Erster. Ich habe ihn sozusagen entjungfert. Yeah!

Punkt 8:15 Uhr stolpere ich in den Hörsaal, natürlich Strafrecht bei Professor Schmitter. Schmitter schaut mich an und grinst und dann haut er raus: "Ah, Herr Keran früh am Montag morgen, da ist der Latinlover wohl am Wochenende nicht dagewesen?" Ich spüre wie meine Wangen warm werden und stottere "Herr Schmitter, auch schön Sie zu sehen!" bevor ich fluchtartig einen freien Platz ansteuere. Das kurz aufkommende Gelächter im Hörsaal verstummt unter einem mißbilligenden Blick des Professors. Gibt es eigentlich eine Frau Schmitter? kommt mir in den Sinn. Gedanken und Bilder, geht aus meinem Kopf, Bitte!

Da wir aber beim Thema Sexualstrafrecht sind, wittere ich meine Chance, es Schmitter auch mal ein wenig heimzuzahlen. Also melde ich mich und stelle mit Unschuldsmiene eine Frage: "Zum Merkmal des Eindringens in den Körper zwei Fragen: Muss dabei zwingend in den Körper des Opfer eingedrungen werden und ist es für dieses Merkmal erheblich mit was ich da eindringe?" Ich höre Gekichere im Hörsaal. Schmitter antwortet sofort: "Zu Ihrer ersten Frage: Es kommt nicht darauf an ob in den Körper des Opfer oder des Täters eingedrungen wird. Zu Ihrer zweiten Frage: Es ist egal ob das Teile des Körpers von Opfer oder Täter oder Dritten oder Gegenstände sind." Ich nicke, als wenn ich das nicht gewußt hätte und merke dann an: "Also ist es auch ein Eindringen in den Körper wenn ich jemandem einen blase oder ihm einen Dildo in den Mund schiebe..." Jetzt habe ich die ungeteilte Aufmerksamkeit des gesamten Hörsaal und das Kichern nimmt nicht ab. "Das haben Sie richtig erkannt" bestätigt der Professor und wirft mir einen merkwürdigen Blick zu. Immernoch bemüht unschuldig fragend zu wirken setze ich jetzt noch eins drauf: "Muss das Eindringen in natürliche Körperöffnungen stattfinden? Oder wie ist es wenn ich andersweitig in den Körper eindringe?" Es ist plötzlich sehr ruhig im Hörsaal und Schmitter schaut mich überrascht an, dann fasst er sich und entgegnet: "Muss ich mir Sorgen um ihren Lover machen?" Keine Miene verziehend antworte ich: "Eher um mich..." Jetzt können meine Kommilitonen nicht mehr an sich halten und prusten los. Nachdem Schmitter sich gefasst hat und mit mißbilligenden Blicken für Ruhe gesorgt hat, antwortet er: "Nun, wenn sie an Stellen in den Körper eindringen wo es keine natürliche Öffnung gibt, würde ich doch erstmal bei Körperverletzungs- und/oder Tötungsdelikten ansetzen..." "Und wenn ich erst mittels Körperverletzung eine Öffnung schaffe und dann da eindringe?" frage ich mich unschuldiger Stimme weiter nach. Schmitter schnappt hörbar nach Luft und ich setze noch eines drauf: "Würde mich halt echt interessieren ob der Apostel Thomas den Jesus vergewaltigt hat, als er seine Finger in dessen Wunden steckte..." Jetzt habe ich die Vorlesung gesprengt, dröhnendes Gelächter rollt durch den Hörsaal und Schmitter schaut mich sauer an. Ich lächele unschuldig zurück und dann merke ich wie meine Kommilitonen mit einsteigen, eine Stimme ruft von hinten: "Was ist wenn man jemandem ein Q-Tipp ins Ohr steckt? Eindringen??"

Ich lasse mich zurück in meinen Sitz fallen und wundere mich woher ich eigentlich den Mut für diesen Auftritt nehme. Das meine Hände unter dem Tisch zittern sehe aber nur ich. Eines ist sicher, Schmitter wird sich gut überlegen ob er mir nochmal mit unpassenden Kommentaren blöd kommt.

Am frühen Nachmittag fahre ich mit weiterhin blendender Laune wieder nach Hause. Als ich jedoch in meiner Straße an der Ziegelmauer der Schule vorbeifahre, sehe ich eine Szene die mich an meine Schulzeit erinnert. Und nicht an Gutes. Wut erfasst mich und ohne nachzudenken trete ich in die Bremsen, halte abrupt an und springe aus meinem Wagen. Rasch laufe ich an den Ort des Geschehen und sehr laut fahre ich die Jungs im Alter zwischen 15 und 17 die sich dort versammelt haben an: "Was wird das wenn es fertig ist?"

Mirko

Fatalistisch wie  ein Rind auf dem Weg zum Schlachthof laufe ich meinen Schulweg. Ja inzwischen laufe ich, denn neben meinem Körper haben Mehmet und seine Jungs ihren Hass auch an meinem Fahrrad ausgelassen. Wenigstens hatte ich mit dem zerstörten Rad die aufgeplatzten Wunden auf meinem Rücken erklären können und meine Mutter hatte mich für den Rest der Woche von der Schule entschuldigt und mir die Geschichte, dass mich jemand mit einem Motorrad angefahren hätte auch abgekauft. Das war aber letzte Woche und nun ist wieder Montag.

Ich habe Angst. Angst davor was heute auf mich wartet. Und auch Angst davor, dass sie tatsächlich schaffen, was Sebi mir angedroht hat, nämlich mich so sehr zu quälen, dass ich mich aus Verzweiflung selbst töte. Was mir dabei vor allem Angst macht, ist die Tatsache, dass mir diese Vorstellung zunehmend weniger abwegig vorkommt. Wie soll ich das noch drei Jahre aushalten, wenn ich schon nach Wochen nahezu am Ende bin?

Weil ich zu Fuß unterwegs bin und jede Bewegung schmerzt bin ich erst kurz nach 8:00 an meiner Schule. Zum Glück, so schaffe ich es immerhin unverletzt in meinen Klassenraum. Mein Englischlehrer guckt mich strafend an, ich entschuldige mich: "Hatte Unfall letzte Woche, Fahrrad kaputt, zu Fuß nicht so schnell leider...." und begebe mich schnell zu meinem Platz.

Auch das Sitzen ist für mich eher schmerzhaft - und das leider nicht aus einem Grund der einem Jungen wie mir gefallen würde - und diese billigen Stühle in unserer Schule machen es nicht besser, also rutsche ich eher unruhig hin und her. Und das wohl nicht so unauffällig, denn ich höre wie Luca nicht gerade leise in meine Richtung ätzt: "Na, tut der Arsch weh?" Offenbar hört das auch unser Englischlehrer denn er raunzt Luca an: "Please repeat that in English Luca!" Und der lässt sich diese Steilvorlage natürlich nicht nehmen und sagt: "I asked him if he is a pain in the ass!"  Luca, ich und natürlich auch unser Lehrer wissen sehr genau, dass Lucas Frage korrekt mit "if he has a pain..." zu übersetzen wäre, nun aber hat Luca so getan, als hätte er mich gefragt, ob ich absolut schrecklich sei. Und das spöttische Gelächter der Anderen zeigt deutlich, dass auch sie es verstanden haben. Trotzdem fragt der blöde Lehrer nach: "Has or is?" Mit gleichgültiger Stimme erwidert Luca abfällig: "It makes no difference, he is because he likes it when he has it." "I don't know what you mean?" kommt es von diesem vertrottelten Lehrer. "He is soooo gayyyyy uuuuuuuhhhh....!" lässt Mehmet von sich hören. "Mirko?" höre ich die fragende Stimme des Lehrers. Man wie hohl ist der denn? Eher Leerkörper als Lehrkörper, der erwartet jetzt nicht ernsthaft dass ich etwas dazu sage? Ich schaue zu ihm hoch und zucke mit den Schultern: "Expecting a coming out? Isn't it enough that I'm out?" Was lernen Lehrer bitte in ihrer Ausbildung zum Umgang mit solchen Themen? Wenig offenbar. Wenigstens wird der Trottel jetzt ein wenig rot, räuspert sich verlegen und wechselt ganz schnell das Thema.

Am Ende der Stunde bleibe ich einfach sitzen, mein Englischlehrer schaut mich fragend an und ich schaue ihn herausfordernd an und murmele nur "Pain in the ass...". Er versteht zu meiner Überraschung und meint nur: "Dann bleiben Sie für die Pause einfach hier okay?" Ich nicke und bin froh die erste Pause so ohne weitere Blessuren überwunden zu haben.

Auf Englisch folgt Mathematik und die Doppelstunde ist eher unspektakulär, auch wenn ich mich nur schwer konzentrieren kann, da ich eigentlich dringend etwas gegen meine Schmerzen bräuchte.

Vor dem Ende der Stunde tue ich so als würde mir schlecht und flüchte erst auf die Toilette und dann, weil ich ja noch meine Krankmeldung abgeben muss, ins Sekretariat. Das rettet mich tatsächlich über die nächste Pause in die Doppelstunde Deutsch.

Als der Unterricht vorbei ist, interessiert sich zu meiner Überraschung niemand für mich. Ungestört kann ich meinen Kram zusammenpacken, die Schule verlassen und mich auf den Heimweg machen.

Aber natürlich habe ich mich zu früh gefreut, nach etwa 300m fangen mich Mehmet, Sebi, Luca, Erkan und die anderen Jungs ab. Ich suche für meinen Rücken Deckung an der Ziegelmauer welche das Schulgelände von der Strasse abgrenzt. Keiner sagt etwas, aber als mich der erste Schlag direkt 'in die Fresse' trifft, ist mir klar, dass die Zeit von 'nicht ins Gesicht' und dergleichen nun auch abgelaufen ist. Den Schmerz ignorierend lasse ich mich an der Mauer herabrutschen und versuche mein Gesicht mit meinen Armen und Händen zu schützen während weitere Schläge auf mich einprasseln.

Da höre ich das Geräusch eines schweren Wagen der eine Vollbremsung macht und plötzlich hören die Schläge auf. Ich hebe meinen Kopf und linse durch meine Hände. Vor mir hat ein dunkler großer BMW gehalten und aus diesem ist der Fahrer ausgestiegen und läuft um den Wagen herum auf uns zu. Es ist ein blonder, jung aussehender Mann mit blauen Augen die vor Wut glitzern. Seine Blicke streifen über die Jungs und nur als mich sein Blick trifft, wird dieser kurz sanft und mitleidig. Mit kalter aber zorniger Stimme herrscht er die Jungs an: "Was wird das hier wenn es fertig ist?"

Mehmet wird natürlich als erster frech: "Der braucht das, der ist voll das Opfer!" Der blonde Typ mustert Mehmet eisig und fragt dann "Opfer, warum?" Der Fettsack allerdings erkennt nicht, dass die Zeichen für ihn auf Sturm stehen und labert los: "Ey, der ist voll schwul, Digga!" Ohne eine Miene zu verziehen fragt der junge Mann ihn: "Hattest du was mit ihm oder woher weißt du das?" Mehmet verzieht das Gesicht: "Ihhh nee!" und dann mischt sich Sebi ein: "Er wollte mich küssen, voll eklig sowas!" Der Blonde wendet sich zu Sebi und mustert in kalt: "Wenn er dich küssen wollte, dann ist das wirklich sowas von eklig." Ich unterdrücke ein kichern, aber Sebi ist wohl zu blöd zu verstehen wie diese Ausage gemeint ist. "Schwule sind also

Opfer?" fragt der Mann und Mehmet, Sebi und  die Anderen nicken. Mit leichter Ironie in der Stimme fragt der blonde Typ dann: "Wie nennt man denn Opfer von Opfern?" Mehmet schaut perplex und meint: "Hää was?" Blitzschnell ist der Blonde plötzlich bei ihm und packt ihm am Hals unterhalb des Kinns und drückt ihn an die Wand. "Jetzt bist du mein Opfer oder?" Mehmets Blick wechselt von Verwirrung zu Panik und wieder zurück. "Und da Schwule Opfer sind und ich schwul bin, bist du ein Opfer-Opfer" spöttisch grinst der Typ Mehmet an, während er ihn langsam am Hals an der Mauer hochschiebt. Dino rafft als Erster was Sache ist und versucht abzuhauen, aber der junge Blonde lässt Mehmet los, der nach Atem ringend röchelnd zu Boden geht, schnappt sich dessen Rucksack und schleudert ihn nach Dino der am Kopf getroffen ebenfalls zu Boden geht. "Hatte ich gesagt, dass ihr gehen könnt?" fragt der Mann drohend. Er wendet sich Sebi zu zu: "Und du bist also derjenige, den er nicht eklig genug fand, um ihn nicht zu küssen? Wie hast du das geschafft bei deinem Aussehen?" Sebi ist etwas blass geworden und stottert etwas vor sich. "Er heißt Sebi. Er war bis dahin mein bester Freund" sage ich laut genug um gehört zu werden. "Wie lange?" schnauzt er Sebi an. "Zwölf Jahre..." murmelt der.  "Wer solche 'besten Freunde' hat, braucht keine Feinde" sagt der Typ "aber heute ist dein Glückstag Sebi, du hast nämlich jetzt einen neuen Feind, den du garnicht brauchst!" Sebi glotzt ihn nur blöde an, da sagt der Blonde: "Mich!" und haut Sebi eine rein, dass es ihn zu Boden fegt. Leise wimmernd bleibt dieser da hocken.

Mein Retter schaut die Anderen drohend an: "Wehe einer bewegt sich!" dann kommt er zu mir und fragt mich: "Wie heißt du?" "Mirko" antworte ich leise. Er wendet sich wieder den Anderen zu und mit einem fiesen Unterton droht er: "Also, sollte ich noch einmal mitbekommen, dass einer von euch Mirko zu nahe kommt, dann mach ich mit euren Ärschen Dinge die nichtmal in euren Alpträumen vorkommen!" Die Jungs fühlen sich sichtlich unwohl und dann fragt der Typ: "Ist die Botschaft angekommen oder muss ich das jetzt in eure Köpfe prügeln?" "Nein...." stottern die im Chor. "Gut, dann verpisst euch!" Und schon rennen sie als wäre der Teufel hinter ihnen her.

Er beugt sich zu mir runter und seine blauen Augen mustern mich aufmerksam: "Kannst du aufstehen?" Ich nicke und greife zu der Hand die er mir reicht. Dabei fällt mir auf, dass seine Hand zittert. Nicht stark, aber merklich. Ob er noch so wütend ist? Oder war er garnicht so selbstbewußt und cool wie er auftrat?

Schmerzlich zische ich mehrfach auf, während er mir auf die Beine hilft. "Ich bin übrigends Tom" teilt er mir mit während er zu seinem Auto läuft und die Beifahrertür öffnet. "Steig ein!" fordert er mich auf, ich zögere und da grinst er mich an: "Sag' jetzt nicht, deine Mama hat gesagt du sollst nicht bei fremden Männern ins Auto steigen?" Unwillkürlich muss ich lachen und er lächelt mich warm an: "Ich wohn hier gleich um die Ecke - und so kannst du jetzt sicher nicht heim!" Und in dem Moment spüre ich die Schmerzen wieder, den metallischen Geschmack von Blut in meinem Mund, sehe die Abschürfungen auf meinen Handrücken. Schlimmer als es ist kann es nicht werden denke ich und lasse mich in den Recarositz seines Autos fallen. Fallenlassen ist eine dumme Idee und das zeigen mir die Schmerzen die von meinem Rücken und Hintern ausgehen sofort so dass ich gequält aufstöhne. Tom wirft mir nun einen besorgten Blick zu bevor er um sein Auto läuft und einsteigt. Nachdem er den Wagen gestartet hat, fahren wir gerade einmal 400m die Straße runter bevor er ihn vor einem älteren Haus parkt.

"Hier sind wir schon" sagt er fröhlich um dann in einem etwas besorgteren Ton fortzufahren: "Ich hoffe nur du kommst die Treppe hoch..."

Mühsam quäle ich mich mit seiner Hilfe aus dem Sitz. Dann stelle ich die Frage die mich schon umtreibt seitdem er Mehmet an die Gurgel ging: "Warum machst du das?" "Schwule Solidarität" flachst er, dann wird er ernst und seine Augen werden dunkel, wie, wenn er sich an etwas Schlimmes erinnern würde: "Ich hatte ein Deja-vu mit meiner Schulzeit. Du, das hätte auch ich sein können, in deinem Alter...."

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