#188 Jérôme/Tom: Erstkontakt
Jérôme
Eigentlich könnte ich zufrieden sein.
Ich habe eine gute Arbeit als leitender Oberarzt in der hiesigen Kinderklinik, ich habe eine wunderschöne Eigentumswohnung im besten Teil der Stadt, ich bin gesund.
Aber das alles ist auf Dauer nur halb so schön, wenn man immer alleine ist.
Sicher, man hat als kleiner, nicht gerade sportlicher Mann von Anfang Vierzig, dem auch schon die Haare ausgehen, nicht gerade das goldene Ticket gezogen auf dem schwulen Partnermarkt.
Es ist ja auch nicht so, dass ich nicht schon fast alles versucht hätte.
Von Kleinanzeigen über Dating-Plattformen bis Über-40-Parties, aber alles vergebens.
Seit diese treulose ungarische Tomate mit diesem Weib nach Australien abgerauscht ist um einen Stammhalter für seine 'uralte Adelsfamilie' zu produzieren, hatte ich keinen Partner mehr.
Das war während ich promoviert und dann verschiedene Facharzttitel erworben habe auch erstmal nicht so schlimm, denn wenn man so ehrgeizig ist wie ich es leider oder gottseidank bin, hat man in der Zeit ohnehin keine Freizeit.
Aber nun startet der Frühling und ich verbringe Sonntage damit, deprimiert im Bett zu liegen.
Von daher habe ich beschlossen etwas zu tun, was eigentlich meinen Wertvorstellungen zutiefst widerspricht: Ich schaue mir die Profile von Männern an, die als Escort oder Callboy ihre Dienste anbieten.
Wenn man da jedoch alle die außer Acht lässt, die kaum Deutsch können, die nur einen bestimmten sexuellen Fetisch bedienen und diejenigen, die ihren Penis für Geld einfach überall reinstecken, bleibt auch da garnicht mehr soviel über.
Aber dann fiel mir einer ins Auge, der nicht nur optisch meinem Idealvorstellungen entsprach sondern dessen Profil verriet, dass er ein gewisses Maß an Bildung und Benehmen hat, so dass man auch außerhalb des Schlafzimmers mit ihm etwas anfangen kann.
Außerdem hatte er hervorragende Bewertungen, denen nach er ehrlich, zuverlässig und pünktlich war und nicht nur im Bett, sondern auch im Restaurant, in Theater, Oper und so weiter eine gute Figur macht.
In einer seiner Bewertungen erzählt sogar ein Mann, dass er ihm versehentlich sein gleich aussehendes Portmonee mitgegeben hatte, in dem sich sehr viel Bargeld für einen Autokauf am nächsten Tag befand und dieser Junge hätte das Portmonee am nächsten Tag zurück gebracht ohne überhaupt einmal hineingeschaut zu haben.
Natürlich hat auch dieses Profil Fotos die den Escort nicht nur bekleidet, sondern auch nackt und auch mit erigiertem Glied zeigten.
Das Alter des Jungen wird mit 24 angegeben und seine Bilder stehen in keinem Widerspruch dazu.
Trotzdem ringe ich mehrere Tage mit mir bevor ich ihm eine Anfrage schicke:
>Hallo!
Ich habe dein Profil hier entdeckt und würde dich gerne kennenlernen.
Da du schreibst, dass du zu deinen Verabredungen auch nach Hause kommst, wäre ich sehr erfreut, wenn du mich bei mir in Oberjungland besuchen würdest.
Mit freundlichen Grüßen
Jérôme<
Obwohl ich sehr aufgeregt bin nachdem ich die Nachricht abgeschickt hat, kommt leider an dem Abend keine Antwort von ihm.
Angesichts der guten Bewertungen die er hat, bin ich darüber zugegeben ein wenig überrascht.
.
Tom
Zwei Monate habe ich mich einfach verkrochen, habe alle Nachrichten, SMS und Mails per automatischer Beantwortung ins Leere laufen lassen, Anrufe ebenso.
Aber anscheinend hat mich keiner vermisst, weder meine Familie noch meine Freunde. Gut Mirko muss ich zugute halten, dass ich ihn achtkantig rausgeschmissen habe.
Jetzt fühlt es sich an, als hätten sie zwei Monate garnicht stattgefunden, wie wenn man aus dem Koma erwacht oder so ähnlich.
Aber in den letzten zwei Wochen habe ich zumindest wieder begonnen Mails und Nachrichten zu lesen, manchmal etwas darauf zu antworten und mich wieder an Diskussionen in meinem politischen Online-Diskussionsforum zu beteiligen.
Aber gesehen habe ich außer diversen Lieferjungen umliegender Pizzerien, Kiosk, Dönerbuden et cetera bisher niemanden.
Doch heute früh habe ich eine Nachricht über mein Escortprofil erhalten, na ja genaugenommen ist sie schon von gestern Abend, die mich zum Lächeln gebracht hat.
Ein mir unbekannter Typ schreibt:
>Hallo!
Ich habe dein Profil hier entdeckt und würde dich gerne kennenlernen.
Da du schreibst, dass du zu deinen Verabredungen auch nach Hause kommst, wäre ich sehr erfreut, wenn du mich bei mir in Oberjungland besuchen würdest.
Mit freundlichen Grüßen
Jérôme<
Er möchte mich kennenlernen. Immerhin, er scheibt nicht gleich, dass er mich ficken will, oder dass ich viel zu teuer bin, weil der kleine Tscheche xyz es alles schon für 60 macht...
Da ist wohl jemand einsam und nicht primär nur untervögelt.
Obwohl ich dank Marcos Geldsegen noch längst nicht wieder müsste, beschließe ich aus gefühlten Gründen, welche ich garnicht genau benennen kann, diesem Typen zu antworten und ihm eine Chance zu geben mich kennenzulernen.
Mit dem Gedanken Es ist ja auch sinnvoll wieder anzufangen bevor Marcos Geld aus ist versuche ich diese gefühlten Gründe zu rationalisieren und da ich gut darinne bin, mir selbst etwas vorzumachen, schicke ich diesem Jérôme eine Antwort:
>Hallo Jérôme!
Gerne kann ich Dich bei Dir in Oberjungland besuchen kommen.
Du müsstest mir nur sagen, wann es dir zeitlich passen würde.
Und eine Adresse bräuchte ich dann natürlich auch noch.
Mit lieben Grüßen
Thomas<
Erst als ich die Nachricht bereits abgeschickt habe, fällt mir auf, dass ich mit Thomas 'unterschrieben' habe und nicht mit Tom.
Etwas, das mir alle die Jahre vorher noch nie passiert ist.
Verwirrt starre ich die versendete Nachricht noch minutenlang an bevor ich mich mit einem Schulterzucken abwende.
Ist ja jetzt auch egal ob der mich jetzt Tom oder Thomas nennt...
Und dann beschließe ich, dass ich heute das Haus verlasse und zum Friseur gehe. So banal das klingt, für mich fühlt sich das an als hätte ich einen gewaltigen Schritt gewagt.
.
Jérôme
Ich habe gerade Mittagspause als ich tatsächlich doch noch eine Antwort von dem Escortjungen bekomme, den ich gestern Abend angeschrieben habe.
Ohne Umschweife kommt er darinne zum Punkt und fragt, wann und wo er mich besuchen soll.
Außerdem erfahre ich, dass er Thomas heißt.
Alles ist sehr höflich vormuliert, dennoch wirkt es so, als sei er kein Freund von vielen Worten.
Ich beschließe einfach einmal alles auf eine Karte zu setzen und antworte ihm:
>Hallo Thomas!
Ich hoffe das ist nicht zu kurzfristig, aber wenn du es einrichten könntest, würde ich mich freuen wenn du heute gegen 19:30 Uhr bei mir sein könntest.
Meine Adresse ist:
Am Heidefleet 23, das ist in Oberjungland.
Klingel dann einfach bei Ewers.
Würde mich über eine Rückmeldung freuen ob das bei dir klappt.
Falls nicht, ginge es Freitag?
Mit lieben Grüßen
Jérôme<
Nachdem ich die Nachricht abgeschickt habe, bin ich kurz verunsichert und befürchte, dass das vielleicht zu forsch war.
Aber dann denke ich mir, dass mehr, als dass er heute und morgen keine Zeit hat, ja nicht passieren kann.
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Tom
Ich bin auf dem Weg zu meinem Friseur als ich schon eine Antwort von diesem Jérôme bekomme.
Er will, dass ich schon heute Abend bei ihm aufschlage.
Na, der geht ja ran wie Blücher...
Als ich dann beim Haarexperten warte, denn einen Termin hab ich jetzt nicht gemacht, überlege ich, was ich antworten soll.
Einerseits geht mir gerade ein wenig schnell, andererseits, es ändert sich ja auch nichts wenn ich jetzt noch weiter in Prokrastination verharre und ewig kann ich mich auch nicht von allen Menschen fernhalten.
Von daher entschließe ich mich, ihm einfach für heute Abend zuzusagen:
> Hallo Jérôme!
Gerne werde ich mich heute Abend um 19.30 Uhr bei dir einfinden.
Sollte dir etwas dazwischen kommen, bitte ich dich, mir rechtzeitig abzusagen.
Dafür gebe ich dir meine Handynummer: 01720/93317666
Ansonsten bis heute Abend
Thomas<
Kurz überlege ich noch, ob ich statt Thomas jetzt doch besser Tom schreiben soll, dann aber befürchte ich, dass das irgendwie komisch wirken würde, belasse es so und schicke die Mail ab.
Kaum, dass ich damit fertig bin, hat der Coiffeur meines Vertrauens nun auch endlich Zeit mich von einem zotteligen Beatle wieder in einen ansehnlichen jungen Mann zu verwandeln.
Irgendwie muss ich auch wieder in irgendeine Form von Leben zurückkehren. Denn ich habe keine Wahl, ich kann nicht mein Versprechen an João brechen und ich kann nicht wegwerfen wofür sich Marco meinte opfern zu müssen.
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Jérôme
Zwischen zwei Patienten schaffe ich es einen Blick in meine privaten Nachrichten zu werfen.
Und tatsächlich hat dieser Thomas mir geantwortet, dass er gerne heute Abend zu mir kommt.
Als ich mich gerade daran mache ihm zu antworten, kommt mein selbstverliebter Chef um die Ecke und will einen Haufen abstruser Dinge von mir.
Ja, unter dem ist man als leitender Oberarzt auch leidender Oberarzt.
Ich hoffe nur ich bin hier weg bevor er alle anderen Mitarbeiter vergrault hat und ich die ganze Arbeit alleine machen muss.
So kommt es, dass ich diesem Thomas keine Antwort mehr sende und einfach darauf hoffe, dass er auch wirklich heute Abend kommt.
Dann jedoch fragt mein Chef ob ich länger bleiben kann und da lehne ich freundlich aber bestimmt ab: "Leider nein Dr. Scherzel, ich muss heute pünktlich um 18.30 Uhr los, ich habe noch einen wichtigen Termin."
Er schaut mißvergnügt, aber er weiß genauso gut wie ich, dass er mich braucht.
Also sagt er nichts und geht los sich ein anderes Opfer zu suchen.
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Tom
Mit neuer Frisur wieder daheim, befasse ich mich noch mit den anderen Haaren an meinem Körper, dann mit dem was ich anziehe und letztendlich begebe ich mich zu meinem Auto.
Ein wenig bin ich überrascht, dass es sogar anspringt, dann lenke ich es vorsichtig aus dem Parkplatz und steuere es in Richtung Autobahnzubringer.
An der Uni vorbei fahre ich zwei Abfahrten über die Autobahn, bevor im auf die lange, gerade Allee Richtung Oberjungland komme.
Obwohl ich das was jetzt kommt schon unzählige Male gemacht habe, fühle ich mich unsicher.
Und ich habe ein wenig Angst.
So ganz ist die Erfahrung vom November noch nicht aus meinem Kopf verdrängt und so werde ich zunehmend nervöser je näher ich zeitlich und geografisch meiner Verabredung des heutigen Abend komme.
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