#175 Marco: Verfangen

"Siehst du, neue Zääähneee" freut sich Tom und grinst breit wie ein Honigkuchenpferd.
"Sieht gut aus" entgegne ich, "und - bist du bereit nach Hause zu kommen?"
"Bist DU bereit mich nach Hause zu bringen?" erwidert er.
"Ich bin zu allem bereit!" versichere ich ihm.
"Das bin ich leider nicht" entgegnet er bekümmert. Ich verstehe nicht was er meint und schaue ihn irritiert an: "Hääää?"
"Oh Dummerchen, erstens braucht meine Lustgrotte noch zwei Wochen Regenerationszeit und zweitens danach nochmals fünf Wochen nur in Gummi...." belehrt er mich.
Schmollend halte ich ihm entgegen: "Anders als du denke ich nicht immer sofort an Sex!"
"Was?" erwidert er mit gespielter Empörung, "du denkst nicht immer an den Sex mit mir?"
"Spinn nicht herum, zieh dir die Schuhe an" entgegne ich ihm.
"Ja Daddy!" spottet er, dann schlüpft er in die Schuhe und plötzlich wird er sehr verlegen. "Kann Daddy mir die Schuhe zumachen?" nuschelt er.
"Erstens, Daddy?" gehe ich ihn enerviert an, "und Zweitens: "Warum?"
Er streckt wortlos seine Hände aus und noch immer sind insgesamt drei Finger geschient und fixiert.
"Oh..." entfährt es mir, "Sorry, ich verstehe." Dann gehe ich vor ihm auf die Knie und binde ihm die Schuhe.
Das schlichte "Danke" was nun von ihm kommt, sowie seine Körperhaltung verströmen soviel Dankbarkeit, dass ich mich geradezu gezwungen fühle,ü ihn zu umarmen und ihm ins Ohr zu flüstern: "Das ist nichts wofür du dich bedanken müsstest."
Genauso leise erwidert er: "Aber sehr wohl etwas für das ich mich bedanken möchte!"

"Wie geht es jetzt weiter?" frage ich ihn, während ich ihn zu seinem Zuhause kutschiere.
"In zwei Wochen erfahren wir die Ergebnisse der Klausuren" antwortet er, "dann wissen wir, wie es weiter geht. Entweder noch ein Jahr büffeln und der nächste Versuch. Oder Hausarbeit ab Mitte Januar..."
Das ist zwar eine Antwort auf meine Frage, aber zugleich keine Antwort auf meine Frage.

"Ich meine, wovon willst du leben bis das Ref dann beginnt?" frage ich ihn direkt.
Er schweigt und sein Blick wird eisig bevor er ihn abwendet und nach unten schaut.
"Willst du DAS wirklich fortsetzen?" hake ich konsterniert nach.
Weiterhin schaut er mich nicht an, erwidert dann jedoch mit eisiger Stimme: "Denkst du wirklich, das ist eine Frage des Wollens?"
"Aber es zwingt dich doch keiner dazu!" argumentiere ich verständnislos.
Kühl kontert er: "Die Freiheit nur immer das zu tun, was ich auch wirklich will, ist ein Luxus, den ich mir leider nicht leisten kann!"
"Das kannst du nicht ernst meinen!" rege ich mich auf, "verdammt, Tom, das machst du nicht, was wenn nochmal so etwas passiert?"

Sein Blick geht nun starr durch die Windschutzscheibe nach draußen als er mit einer schrecklichen Ruhe erwidert: "Mir sagen was ich mache und nicht mache, darfst du. Ab dem Moment wo du auch dafür sorgst, dass es mir, wenn ich mache was du mir sagst, auch gut geht."

Gerade weil er damit voll ins Schwarze trifft empfinde ich diese Aussage als Vorwurf und so reagiere ich wie angegriffen: "Willst du jetzt eine Karriere als Nutte anstreben oder was? Was kommt als Nächstes? Drehst du Pornos?"

Tom sackt ein wenig in sich zusammen, würdigt mich immernoch keines Blickes und als er darauf antwortet, ist seine Stimme so bitter schneidend, dass alleine ihr Klang mich frösteln lässt: "Wenn du so über mich denkst, ist es wohl das Beste für beide von uns, dass du mich einfach vor meiner Haustür absetzt und ich mich dafür bedanke, dass du dich trotzdem herabgelassen hast mir zu helfen."
Bei den letzten Worten schwankt seine Stimme kurz und lässt mich erahnen, wie sehr ihn die Meinigen verletzt haben.
Fieberhaft überlege ich, wie ich aus der Sackgasse wieder hinauskomme, aber mir fällt nicht mehr ein als: "Das werde ich ganz sicher nicht tun!"
In brüskiertem Ton entgegnet er knapp: "Wie du meinst."

Was habe ich nur getan? Er hat mir klar signalisiert, dass er alles macht was ich will, sofern ich mich um ihn kümmere. Und was mach' ich? Verstehe das als Vorwurf, dass ich mich nicht genug kümmere - und damit indirekt als Vorwurf, dass ich mich vor meinen Eltern drücke. Obendrein beschimpfe ich ihn noch..

...ich habe ihn als schmutzig hingestellt, weil er nicht mit der Rolle meines schmutzigen Geheimnisses zufrieden ist.

Ich schaffe es noch und der Tag wird kommen, wo ich ihn einmal zuviel enttäusche und beleidige und er mir nicht mehr verzeihen kann.
Hoffentlich ist der nicht schon heute!

Tom steigt wortlos und mit einem furchtbar neutralen Gesichtsausdruck aus dem Auto als wir bei ihm angekommen sind.
Er öffnet die Haustür und verzieht auch keine Miene, als ich mit seiner Tasche vom Wagen herkomme.
Als ich mich anschicke sie ihm die Treppe hochzutragen verhindert er es nicht, lässt aber auch nicht erkennen, dass er es befürwortet.
Weiterhin mich keines Blickes würdigend, öffnet er die Wohnungstür und tritt ein.
Ganz kurz merkt man ihm die Überraschung an, dass alles geputzt und sauber ist, dann fällt seine Maske wieder und sein Gesichtsausdruck ist wieder ausdruckslos und distanziert.
Er guckt kurz in sein Wohnzimmer, dann geht er in sein Arbeitszimmer wo sein eigentliches Bett steht und guckt sich kurz um, bevor er mehr über die Schulter in einem niedergeschlagenen Ton sagt: "Ich geh zu Bett. Danke fürs Herbringen."

Betreten schaue ich zu ihm, aber er würdigt mich keines Blickes sondern beginnt tatsächlich seine Sachen auszuziehen.
Obwohl ich weiß, dass ich jetzt gehen sollte, kann ich nicht und starre ihn weiter an, wie er seine Hose auszieht, sich die Strümpfe abstreift.
Als er versucht sich den Pullover auszuziehen, passiert es und er verhakt sich mit den Metallteilen an seinen Fingern in dem Gewebe.
Krampfhaft und mit zunehmender Verzweiflung versucht er sich daraus zu befreien, ich höre wie sein Atem schneller geht.
Jedoch erst als er ein entmutigtes Wimmern ausstößt und dann gewaltsam versucht sich zu befreien, dass aber unter schmerzerfülltem Keuchen wieder abbricht, eile ich ihm zur Hilfe.
"Ruhig, ich helfe dir da heraus" sage ich und mache mich daran, die Enden der Schienen aus dem Gewebe des Ärmels zu befreien.
Es gelingt mir und ich schaffe es ihm den Pullover endgültig über den Kopf zu ziehen.
"Das T-Shirt auch?" frage ich.
Er zuckt nur gleichgültig mit den Schultern und so ziehe ich ihm auch das aus.

Er steht da nur in Unterhose und schaut zu Boden, dann meint er verbissen: "Das gefällt dir jetzt gell?"
Daraufhin schaue ich ihn nur ratlos an.
"Dass ich so erbärmlich bin, dass ich es nicht mal gebacken bekomme einen Pullover auszuziehen und du jetzt den strahlenden Retter spielen kannst, der ach so gut und richtig handelt" kommt es leise aber leicht zynisch von ihm.

"Da irrst du dich aber gewaltig!" widerspreche ich ihm leicht aufgebracht jedoch auch etwas deprimiert, "es gefällt mir überhaupt nicht! Im Gegenteil, dich so hilflos zu sehen tut mir weh. Auch wenn du das vielleicht nicht glaubst, aber alleine der Gedanke an das, was man dir angetan hat, quält mich. Die Vorstellung das könnte dir wieder passieren bringt mich schier um meinen Verstand!"
Zögerlich wendet er sich zu mir und schaut mich unsicher an.
Dann fängt er an leise zu sprechen: "Du weißt, dass es mir schwer fällt andere um Hilfe zu bitten. Aber wenn du in sechs Wochen, nach dem Ergebnis des zweiten Tests, immernoch so denkst und fühlst, dann gib' mir irgendeine Perspektive auf die ich mich verlassen kann!"
Eine erste heimliche Träne rinnt aus seinem rechten Augenwinkel, läuft an seiner Nase entlang und endet auf seiner Oberlippe. Er schluchzt auf und sein ganzer Körper erbebt, dann ist kein halten mehr und er sackt weinend vor mir auf den Fußboden.
Es ist das Weinen eines gebrochenen Menschen, dem gerade alles zu viel wird.
Äußerst behutsam hebe ich seinen zitternden Leib hoch und trage ihn in sein Bett, wo ich ihn ebenso umsichtig hineinlege.
Gerade als ich die Bettdecke über ihn legen will, schnieft er: "Bitte, bleib!"
"Natürlich" erwidere ich ohne nachzudenken, "ich bin im Wohnzimmer, ruh' dich ein bisschen aus!"
"Kannst du.... Hier?" fragt er mit einer verweinten Stimme.
Ich nicke, dann ziehe ich mich bis auf die Unterhose aus und schlüpfe zu ihm unter die Decke.
Er schiebt sich mit dem Rücken an mich heran, wohl auch weil er mit seinen Drahtfingern mich nur schwerlich umarmen kann. Als ich nun einen Arm um ihn lege und ihn so an mich halte, seufzt er auf und entspannt sich merklich.
Nicht lange danach ist er, wohl auch aus Erschöpfung, eingeschlafen.

Mir gelingt das nicht so schnell und so grübele ich weiter nach.
Ich muss mich bei meinen Eltern outen und ihnen Tom als mein Freund vorstellen.
Am Besten mache ich beides zusammen, dann flippen sie nicht total aus.
Sobald klar ist, dass wir zur Examenshausarbeit zugelassen sind, das besänftigt meinen Vater sicherlich und auch er kann nicht leugnen, dass ich da ohne Tom nicht wäre.
Was soll schon passieren? Enterben weil ich schwul bin kann er mich sowieso nicht. Selbst wenn ich nur den Pflichtteil von dem bekomme, ich bin Einzelkind, das ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Also in meinem Falle 50 Prozent des gesamten Nachlasses meiner Eltern.

Die Drohung das er dann keinen Job im Unternehmen für mich hat beeindruckt mich wenig.
Tom und ich machen nach dem ersten Examen erstmal zwei Jahre Referendariat. Da bekommt man ein kleines Gehalt von dem man leben kann. Zur Not ziehe ich zu Tom.
Nach zwei Jahren hat mein Alter sich dann vielleicht auch daran gewöhnt und es sieht alles ganz anders aus.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto zuversichtlicher werde ich und je zuversichtlicher ich werde, desto müder bin ich.
So folge auch ich Tom in Morpheus' Reich.

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