#173 Marco & Mirko: Blutspur
Marco
Es ist Samstag Abend und da Tom leider keine Zeit hat, bin ich mit Christian und Antje auf unserer lokalen Diskomeile unterwegs.
Wenn wir die Klausuren bestanden haben, dann wird es so eine unbeschwerte Zeit mit soviel Freizeit nicht mehr geben und wenn wir sie nicht bestanden haben, dann erst recht nicht.
Da um die Jahreszeit nicht viel los ist, sind wir letztendlich in einer Art Club-Lounge gelandet wo wir nun an vermutlich überteuerten Cocktails zippen und zu diskreter Musik uns über Belanglosigkeiten austauschen.
Unerwartet höre ich den Nachrichtenton den mein Handy nur ertönen lässt, wenn es Nachrichten von Tom anzeigt.
Es ist nach ein Uhr in der Nacht, was er wohl will?
Rasch schaue ich nach, eine Sprachnachricht.
Sofort höre ich sie ab.
Tom spricht etwas mit einer gepressten Stimme die in meinen Ohren wirklich gruselig klingt, begleitet von einem seltsamen Lispeln: "Bitte... Ich brauche Hilfe. Bitte... Zuhause..."
Ich katapultiere mich förmlich aus dem Loungesessel und auf die erstaunten Blicke der Anderen hin sage ich nur: "Ich muss jetzt zu Tom, zahlt für mich!" Dann lasse ich sie einfach sitzen und stürme nach draußen.
Das unheimliche Gefühl, dass etwas Furchtbares passiert ist erfasst mich noch auf dem Weg zum Taxistand.
Zum Glück ist der nur 200 Meter die Straße runter und als ich auf das erste Taxi in der Reihe zustürme scheine ich so einen Eindruck zu machen, dass dessen Fahrer geradezu herbeisprintet und simultan mit mir in seinen Wagen steigt.
Ich reiche ihm einen Fuffziger und nenne Toms Adresse, dann sage ich: "Stimmt so, machen Sie so schnell es geht!"
Der Fahrer sagt kein Wort, aber er prescht derart aus dem Taxistand, dass mir sofort klar ist, er nimmt mich ernst.
Hektisch versuche ich Tom anzurufen und während es tutet murmele ich "Geh dran, bitte geh dran" aber er geht nicht dran.
Mein Taxifahrer kann seinen Job, denn er braucht tatsächlich nur fünf Minuten bis er vor Toms Haus zum Stehen kommt.
Mit den Worten "Danke Meister!" springe ich förmlich aus dem Taxi.
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Mirko
Samstagnacht ist auch nicht mehr das wenn der Freund Nachtschicht als Zivi im Rettungsdienst hat und man selber dem Abi entgegenstrebt.
So sitze ich tatsächlich nun hier alleine an meinem Schreibtisch mit meinen Bücher und dem Laptop.
Ein Vorteil hat das nächtliche Lernen allerdings: Niemand will etwas von einem, Niemand stört einen.
Oder halt auch nicht denke ich als mein Handy piepst.
Trotzdem bin ich neugierig wer mir um diese Uhrzeit Nachrichten schickt. Also schaue ich nach und es ist eine Sprachnachricht von Tom.
Das ist ungewöhnlich, denn Tom verschickt keine unnötigen Nachrichten und Tom würde mir nie um diese Uhrzeit schreiben.
Es sei denn es ist etwas.
Also höre ich die Nachricht umgehend ab.
Es ist Tom, aber seine Stimme klingt unheimlich, so als wenn er sich ganz mühsam beherrscht, dazu zischelt er ganz komisch beim Sprechen. "Bitte... Ich brauche Hilfe. Bitte... Zuhause..." fleht er.
Mir ist sofort klar, dass das Ernst ist.
So leise und so schnell wie möglich laufe ich nach unten, ziehe mir Schuhe an, eine Jacke, greife meinen Schlüsselbund und schwinge mich auf mein Fahrrad.
So schnell wie möglich presche ich durch die Gassen.
Als ich gerade vor Toms Haus angelangt bin, hält hinter ein Taxi mit wimmernden Reifen und ein Typ kommt hastig herausgesprungen.
Ebenso wie ich eilt er zu Toms Haustür und so rufe ich ihn von hinten an: "Willst du auch zu Tom?"
Er fährt herum: "Wer bist du?"
"Ich bin Mirko und ich habe einen Schlüssel" erwidere ich und dränge mich an ihm vorbei zur Haustür.
"Du bist das Kind" stellt er überrascht fest.
"Ich hörte, dass man mich so nannte" erwidere ich während ich die Tür aufschließe.
"Marco" stellt er sich vor und in dem Moment schalte ich das Licht im Treppenhaus an und beide sehen wir gleichzeitig die Spur an Bluttropfen welche die Treppe hinaufführen.
"Scheiße!" entfährt es uns unisono und wir rennen förmlich die Stiegen hoch.
Die Wohnungstür ist offen und die Spur des Blutes führt ins Badezimmer.
Dort finden wir Tom. Er liegt bewusstlos vor der Duschkabine, nur mit einem T-Shirt bekleidet, das mit Blut besprenkelt ist.
Vor ihm liegen seine Schlüssel, sein Handy und sein Portmonee und halb unter ihm eine Jogginghose die ziemlich in Blut und eine Art Schleim getränkt wurde.
Was aber schlimmer noch ist, ist die Tatsache, dass Blut und dieser Schleim auch aus seinem After laufen, das Blut aus seinen Mundwinkel sickert und von seiner Kopfhaut auf seine Stirn. Dazu kommen noch heftigste Striemen auf seinem Hintern.
Völlig geschockt stammele ich: "Ist er tot?"
Marco tastet seinen Puls und erwidert sichtlich erschüttert: "Er hat Puls und sieh', er atmet..."
Dann greift er sein Handy und wählt 112.
Ruhig nennt er seinen Namen und Toms Adresse, dann meint er sachlich: "Der Betroffene ist bewusstlos, zahlreiche blutende Wunden, Verletzungen im Mund- und Analbereich, ich vermute hohen Blutverlust." Sein Gegenüber sagt wohl etwas, denn Marco hört zu bevor er wieder spricht: "Ist höchstwahrscheinlich Opfer einer Straftat, sieht für mich aber danach aus als wäre er vom Tatort nach Hause geflüchtet!"
Kurz darauf legt er auf und meint: "Rettungswagen ist unterwegs!"
"Hatte er einen Unfall? Ist er angefahren worden?" frage ich.
Marco steckt seinen Finger in diesen Schleim an der Jogginghose, dann schnuppert er daran bevor er sich hastig den Finger abwäscht und murmelt: "Das habe ich befürchtet!"
Dann wendet er sich an mich und sagt mit bedrückter Stimme: "Tom hat dir nie erzählt wo mit er Geld verdient?"
"Dienstleistungsbranche?" erwidere ich verdutzt.
"So kann man das auch nennen" sagt er sarkastisch und sagt dann traurig: "Nein, Tom hatte keinen Unfall. So sieht das aus wenn man Opfer einer Gruppenvergewaltigung wird!"
"Nein!" hauche ich fassungslos und meine Stimme wird vor Schreck ganz hoch: "Woher...?"
"Das Zeug da" er deutet auf den Schleim an Toms Anus, "ist definitiv Sperma. Und er hat Verletzungen hinten und am Mund..."
"Aber er überlebt doch?" frage ich ängstlich.
Bevor er etwas antworten kann, höre ich Sirenengeheul.
Sofort laufe ich hinab und öffne die Haustür und winke.
Der Rettungswagen fährt direkt über den breiten Gehweg und hält vor der Haustür.
Die Türen springen auf und heraus kommen ein Rettungsassistent und auf der Fahrerseite Lucas.
Der erkennt mich sofort und ruft "Mirko, was ist passiert, was ist mit Tom?"
Ich schaffe es noch zu sagen: "Oben, Bad, Marco, Trage!" dann sacke ich an der Mauer neben der Haustür herunter und beginne bitterlich zu weinen.
Derweilen hasten mein Freund und sein Vorgesetzter mit der Trage die steile Treppe hoch, zumindest haben sie meinen Worten richtig entnommen, dass sie eine Trage brauchen werden.
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Marco
Zwei Herren vom Rettungsdienst stürmen in die Wohnung. Laut schreie ich "HIER!" und die beiden kommen unverzüglich ins Badezimmer.
Sofort mache ich ihnen Platz.
Als der jüngere der Beiden Tom erblickt schlägt er sich erschrocken die Hand vor den Mund und sagt: "Oh Gott, Tom!"
"Du kennst den Patienten?" erkundigt sich der Andere sofort.
"Ja" erwidert der, "gut sogar. Er ist der beste Freund meines Boyfriends, der hat unten auf uns gewartet..."
Der ältere von den Rettungsdienstlern untersucht Tom kurz, dann meint er knapp: "Der blutet mir zuviel, wir nehmen ihn mit!"
"Ich möchte mit!" fordere ich sehr bestimmt.
"Sie sind?" fragt der Ältere.
"Ich bin Marco Lyrssen. Ich bin der Verlobte im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes von Herrn Thomas Keran!" behaupte ich in einer Stimme die keinen Widerspruch zulässt.
"Gut" erwidert der nur.
Mit den Worten "Ich warte draußen" verlasse ich das Badezimmer.
Es dauert nicht lange und die beiden Rettungskräfte kommen mit Tom auf der Trage aus dem Badezimmer.
Aber zwischen ihnen und dem Rettungswagen steht nun noch die steile Treppe.
Zum Glück ist Tom gut auf der Trage festgeschnallt so dass die beiden die Trage nicht ganz waagerecht halten müssen so dass sie es mit meiner Hilfe schaffen die Stiegen runter und um die Ecke zur Haustür zu gelangen.
Tom wird hinten eingeladen und der Rettungsassistent begibt sich zu ihm.
Ich darf auf der Beifahrerseite Platz nehmen und der junge Mann, der wohl ein Zivildienstleistender ist, fordert die Zuweisung einer Klinik mit Notaufnahme an.
Wir müssen ins Zentralkrankenhaus. Das heißt einmal durch die ganze Innenstadt.
Mit Martinshorn und Blaulicht setzt der Wagen sich in Bewegung.
"Ich bin Lucas, der Freund von Mirko" spricht der Fahrer mich nun an, "du und Tom sind verlobt?"
"Jetzt schon!" erwidere ich und er versteht und lächelt.
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Mirko
Auch wenn ich den Fluss meiner Tränen stoppen konnte, stehe ich immernoch wie betäubt da, als mein Lucas den Rettungswagen souverän wieder zurück auf die Fahrbahn bringt und dieser mit ihm, mit Tom und mit diesem Marco lautstark und mit zuckendem blauen Licht entschwindet.
Ich bin noch am überlegen was ich jetzt machen soll, soll ich die Treppe und das Bad sauber machen, soll ich Lucas fragen in welches Krankenhaus sie Tom bringen, als ein neues Fahrzeug mit flackernden Blaulicht die Straße herunterkommt.
Die Polizei.
Auch der Wagen hält auf dem Gehweg direkt vor mir und zwei junge Polizisten steigen aus, eine Frau und ein Mann.
Der Mann spricht mich sofort an: "Hier soll das Opfer einer Gewalttat aufgefunden worden sein?"
Ich nicke und erwidere: "Ja - mein bester Freund!"
"Wie heißt der denn?" erkundigt sich die Polizistin.
"Keran" erkläre ich, "Thomas Keran, das ist seine Wohnung."
"Und Sie sind?" fragt er weiter, ich gebe ihm meine Personalien.
"Haben Sie ihn gefunden?" will sie nun wissen.
"Ja!" erwidere ich.
"Wie kam es dazu?" fragt er nun.
Ich spiele ihnen die Sprachnachricht von Tom vor und erläutere ihnen dann, dass ich einen Schlüssel zu Toms Wohnung habe.
"War sonst noch jemand da?" lautet ihre nächste Frage.
"Ja, Marco, sein Freund" berichte ich, "er kam kurz nach mir mit einem Taxi an... ...ich glaube der hat die Nachricht auch bekommen..."
"Wo haben Sie Herrn Keran dann vorgefunden?" will sie wissen.
"Ich hab dann aufgesperrt und da haben wir gleich das Blut auf der Treppe gesehen" hole ich etwas aus, "wir sind dann gleich hochgerannt und da hat er im Badezimmer gelegen vor der Dusche. Er sah schrecklich aus..."
"Können wir uns das angucken?" will er wissen.
"Klar, ich bringe sie hin" antworte ich.
Und so gehen wir ins Haus.
Die Beamten machen Fotos von den Spuren auf der Treppe und im Flur und dann gehen wir ins Badezimmer wo noch immer Toms Sachen und die blutgetränkte Jogginghose liegen.
Die Polizistin macht auch hier Aufnahmen von allem, dann geht sie zurück an den Wagen und holt eine Art Koffer.
Sie entnimmt ihm eine Art verschließbaren Plastikbeutel und mit einer Plastikgreifzange befördert sie die Jogginghose dort behutsam hinein und verschließt sie dann sorgfältig.
"Den Spuren nach ist das aber nicht hier passiert" merkt der Beamte an, "haben Sie eine Idee wo Herr Keran gewesen sein könnte?"
"Also wenn er ausgeht, geht er meistens nach Hamburg" erkläre ich und dann fällt mir etwas ein: "Das Auto!"
"Sie wissen wo das ist?" fragt sie mich.
"Klar, das steht vor der Tür, da sind die Schlüssel!" erkläre ich aufgeregt.
Mit Hilfe einer Art sterilen Tuch hebt er den Schlüssel vom Badezimmerboden und nachdem ich die Wohnung abgeschlossen habe, gehen wir hinunter zu Toms Wagen.
Er ist nicht einmal abgeschlossen und die Spuren auf dem Fahrersitz zeigen auch mir sehr deutlich, dass Tom hier gegessen haben muss.
Erneut macht die Beamtin Fotos.
Der Beamte fasst auf die Motorhaube und meint dann: "Noch warm, der ist heute Nacht bewegt worden..."
Sie machen sich noch ein paar Notizen und dann bedanken sie sich für meine Mithilfe und wenden sich zum gehen.
"Darf ich etwas verändern?" frage ich hastig.
"Was meinen Sie?" frage sie mich.
"Darf ich das Blut von der Treppe... ...oder aus dem Auto...?" stammele ich.
"Oh, Sie wollen das selbst reinigen?" fragt er überrascht.
"Ja?" erwidere ich unsicher.
Die beiden gucken sich an und dann meint er "Da dürfte nichts sein, was nicht auf der Hose zu finden ist..."
Bevor ich nachfragen kann erläutert sie: "Sie dürfen sauber machen, um ehrlich zu sein, bei der Treppe wären wir Ihnen sogar dankbar, nicht dass ein anderer Hausbewohner noch zu Schaden kommt!"
Sie gibt mir Toms Schlüssel zurück, dann steigen sie in ihren Dienstwagen und fahren davon.
Ich aber beginne mitten in der Nacht das Treppenhaus zu wischen, behandle den Sitz in Toms Wagen mit dem Reinigungsschaum und säubere alles mit einem Mikrofasertuch.
Und mit großer Überwindung reinige ich letztendlich auch das Badezimmer.
Ein Gedanke verfolgt mich dabei immer: Was hat Marco damit gemeint wie Tom sein Geld verdient?
Und wer hat Tom das angetan. Vor allem warum?
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Marco
Souverän steuert dieser Lucas den Einsatzwagen durch den zu dieser Nachtzeit zum Glück spärlichen Verkehr unserer Hansestadt.
Ich schicke Christian eine Nachricht, dass ich mit Tom jetzt ins Zentralkrankenhaus fahre und sie nicht auf mich warten sollen.
Zum Glück ist in der Notaufnahme wenig los, dennoch stehe ich verloren daneben, als die Rettungsdienstler mit ganz viel Fachchinesisch den immernoch bewusstlosen Tom an das Krankenhauspersonal übergeben.
Dann geht alles ganz schnell, ein Arzt bellt Kommandos und dann wird Tom davongerollt.
Zum Glück spricht mich dann doch jemand an: "Und Sie sind?"
"Ich bin der Verlobte von Herrn Keran, was passiert jetzt?" erwidere ich aufgeregt.
"Kommen Sie mit" bedeutet die Frau mir.
Während ich neben ihr herlaufe erklärt sie mir: "Ihr Verlobter wird jetzt sofort operiert, seine Verletzungen im Analbereich verursachen einen zu hohen Blutverlust und es ist auch zuviel Zeit verstrichen, da gibt es keine Alternativen.
"Wird er das überleben?" stelle ich die Frage, die mich am meisten umtreibt.
"Die Verletzungen schon..." erwidert sie und ich traue mich nicht nachzufragen.
"Sie können hier warten, ich gebe ihnen Bescheid sobald wie möglich" weist sie mich in einen Wartebereich.
Ich bedanke mich und setze mich auf eine der Bänke.
Dann fällt mein Blick auf eine Plakette, welche die großzügige Spende meiner Familie für die Modernisierung dieses Operationssaals würdigt.
Schicksal, du bist so eine miese Bitch!
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