#160 Mirko: Am See

Zum ersten August begann Lucas Zivildienst und Tom ist nun total im Prüfungsstress.
So kommt es, dass lediglich Tobias und ich die letzten Ferientages dieses wirklich heißen Sommers am Parksee verbringen.

Irgendwie fühlt es sich komisch an.
Ein wenig wie Verlassen.
Wie zwei ausgesetzte Hunde sitzen wir nebeneinander auf unseren Badetüchern und gucken auf den See und natürlich vor allem auf die anderen Jungs in unserer Altersgruppe.

Vielleicht sollte ich mir doch mehr Freunde suchen als nur Lucas und Tom? Aber wie sinnvoll ist das, wenn Lucas und ich womöglich eh in einem Jahr hier weg sind?

Tobias scheint ähnliche Gedanken zu haben, denn plötzlich meint er halblaut: "Es ist schon traurig, wie wir herumsitzen..."
"Schon...." gebe ich zu.
"Hast du echt keine Freunde an der Schule oder so?" fragt er mich.
"Nein, Vanessa und Lisa sind ja fertig" erwidere ich betrübt, "und was ist mit dir?"
"Ich habe einige Freundinnen in meiner Stufe" erzählt er, "aber die Jungs tun mir zwar nichts, wollen aber auch nichts mit mir zu tun haben..."
"Ist das schlimm für dich?" will ich wissen.
"Schlimm ist es nicht, aber schön ist es auch nicht" meint er gleichmütig, "außerdem sind die alle auch echt unreif!"
"Dass du mehr auf reife Typen stehst ist mir auch schon aufgefallen" spöttele ich.
Er aber ist schlagfertig wie immer: "Du findest Tom ist reif?"

Das ist eine gute Frage, Touché Kleiner!

"Darüber muss ich nachdenken" sage ich. Und das muss ich tatsächlich.
Während wir beide schweigend wieder auf den See schauen komme ich dann zu einem Ergebnis, dass ich Tobias auch mitteile: "Nein, ich finde nicht, dass Tom reif ist."
"Ich bin nicht überrascht" merkt der Kleine ruhig an, "aber wieso findest du das?"
"Trotz seiner echt miesen Erfahrungen ist er gegenüber Anderen absolut gutgläubig, ich finde sogar manchmal echt arglos und naiv" begründe ich meine Meinung, "das ist sehr kindlich finde ich und widerspricht meiner Vorstellung von Reife ziemlich."
"Wie meinst du das?" Tobias ist echt interessiert.
"Er ist immer auf der Suche nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Freundschaft, lässt sich darüber aber sehr gut manipulieren, weil er unvorsichtig ist - und weil er nur das Gute in anderen sieht" erkläre ich ihm.
"Du meinst er ist einfach zu nett für die Welt um reif zu sein?" Tobias fragt es, ohne dass ich Sarkasmus oder Ironie dabei heraushören kann.
"Ja so kann man das sehen" erwidere ich.
"Aber wie kann er dann meinen Bruder so in Angst versetzt haben?" überlegt er nun laut.
"Weißt du, ich kenne Tom nun schon etwas länger. Sein Schutzschild ist Arroganz. Und da er ziemlich intelligent ist, kann er, wenn er seinen Schutzschild hochgefahren hat, für eine bestimmte Zeit ziemlich beeindruckend wirken. Aber du musst ihn einfach mal danach beobachten, das ist eine enorme Kraftanstrengung für ihn, dann zittern echt seine Hände und so..." erzähle ich ihm.

"Also könnte sogar ich ihn manipulieren?" erkundigt sich Tobias nach einer Zeit des Schweigens.
"Tust du das nicht längst?" kontere ich spöttisch.
"Ich?" begehrt er nun auf, aber ich erwidere bestimmt: "Ja, du!"
"Aber ich mach doch nichts außer ein bisschen flirten und baggern" widerspricht er.
"Und weil du nur ein bisschen flirtest lässt ein zehn Jahre älterer Typ sich von dir wundficken?" ziehe ich ihn auf.
"Ich bin halt gut!" mault er trotzig.
"Du manipulierst ihn gut - und das ist ja auch nicht schwer" bekräftige ich meine Sicht und füge dann grinsend hinzu: "Außerdem bist du halt wirklich cute und das macht es noch einfacher..."

Er schaut mich nachdenklich an und dann sagt er: "Meinst du ich nutze Tom aus?"
"Nein, nein! Soweit würde ich nicht gehen" widerspreche ich.
"Aber wenn du ihn glauben lässt, dass du Gefühle für ihn hast, dann wird er es nicht schaffen auch mal 'Nein' zu sagen - und das wäre dann mehr als Ausnutzen, das wäre einfach fies."
Wieder wird es still zwischen uns, aber dann durchbricht Tobias die Stille mit einer weiteren Frage: "Also wenn sich zwei Typen in Tom verlieben würden und der beide sympathisch findet, dann würde der sich nie entscheiden können?"
"Vielleicht schon, aber er hätte dann immer ein furchtbar schlechtes Gewissen" erläutere ich, "schau, obwohl er sich damals für João entschieden hat, hatte er immer ein schlechtes Gewissen gegenüber einem Marco, der ihn wohl auch mochte..."
"Also könnte er auch mehrere Typen gleichzeitig lieben?" staunt Tobias nun.
"Ja, ich glaube das könnte er. Aber die Typen die das mitmachen sind eher selten" bestätige ich.

"Dieser Joho, sein Ex, wie war der so?" will er nun von mir wissen.
"João? Er war schön, reich, mächtig, gut bestückt und sehr dominant!" fasse ich meine Kenntnisse über Toms verstorbenen Ex zusammen.
"Und wie war Tom so bei ihm?" hakt er nach.
"Tom war sein folgsames Kitten" erinnere ich mich und muss dabei lächeln.
Er sieht mein Lächeln und ein wenig überrascht fragt er: "Also war Tom ein richtiger Sub?"
"Tom ist ein richtiger Sub, aber solange er keinen Partner hat, an den er sich anlehnen kann, merkt man das nicht immer so deutlich" zeige ich ihm auf was ich weiß und beobachtet habe.
Wieder schweigt er und schaut nachdenklich aus. Dann sagt er plötzlich: "Danke, ich glaube ich verstehe einiges besser jetzt!"
"Immer, gerne!" erwidere ich und in dem Moment knallt ein Volleyball zwischen uns zu Boden.

Der Ball wird von einem wirklich süßen und gut trainierten, blonden Typ verfolgt, der allerdings nicht zwischen uns zu Boden geht, sondern vor uns stehen bleibt und uns mustert.
Als sein Blick über Tobias' Badehose streift fängt er an zu grinsen und mit einem bezaubernden Lächeln fragt er: "Dürfte ich von euch zwei Süßen unseren Ball zurückbekommen?"
Tobias' Blick zeigt deutlich, dass ihm der Anblick des Jungen gefällt und kess wie er ist erwidert er: "Was bekommen wir dafür?"

Woher nur wusste der Typ dass wir schwul sind? wundere ich mich.
Dann schaue ich mir Tobias Badehose genauer an und stelle fest, dass groß 'Barcode Berlin' draufsteht.
Das beantwortet dann meine Frage.

"Was wollt ihr denn bekommen?" fragt Junge nun amüsiert.
Tobias ist aber voll in Fahrt und witzelt: "Also mir würdest du für den Anfang ausreichen!"
"Ich biete meinen Namen und meine Nummer und dass ich später noch mal zu dir kommen?" macht der nun seinerseits ein Angebot.
"Das klingt akzeptabel" kommt es von Tobias dessen förmlich angefangen haben zu leuchten und der nun auch schon sein Handy zückt.
Der hübsche Junge strahlt Tobias ab und verkündet dann freudig: "Ich heiße Florian und meine Nummer ist 0172-9551755"
"Hab ich, dann bis später" kichert Tobias nun und wirft den Ball zu dem Typen.
Der fängt ihn gekonnt auf und flötet dann "Bis später ähhhh..."
"Tobias" ergänzt der sofort.
"Bis später Tobias" grient er und dann springt er zurück zu seinen Kumpeln.

"Oh, oh, so schnell ist der arme Tom gegen ein jüngeres Modell ersetzt" mache ich mich lustig.
"Vielleicht ist der auch Top?" zickt Tobias zurück.
"Ja klar, und ich bin der Kaiser von China" spotte ich.
Wenn dieser Florian Top ist, dann fresse ich einen Besen!
"Ich bin ja nicht mit Tom zusammen!" rechtfertigt er sich jetzt.
Da sind wir auch alle froh!
Von daher lenke ich auch sofort ein: "Kein Stress, ich denke eher Tom freut sich für dich!"
"Is' ja schon ein Hottie ne..." murmelt er.
"Deswegen: Schnapp' ihn dir!" ermuntere ich ihn.
Er wirkt ein wenig unschlüssig und murmelt dann: "Abwarten ob er nachher noch kommt..."
"Kopf hoch. Du hast seine Nummer!" lache ich.

Und während Tobias sich nun bäuchlings hinlegt und mit auf den Händen gestützten Kopf diesen Florian anschmachtet bekomme ich eine Nachricht von Lucas.
Der ist nämlich noch in den vier Wochen Theorie der Einarbeitung bevor man ihn dann im Rettungswagen auf die Menschheit loslässt.
Und da ist für heute Schluß und er fragt wo ich bin.
Schnell antworte ich ihm, dass ich am Parksee bin und meine Freunde ist sehr groß als er meint, dass er in 20 Minuten auch da wäre.

Zu meiner klammheimlichen Freude ist Lucas sogar da, bevor dieser Florian wiederkehrt.
Allerdings auch nur wenige Minuten, denn kaum haben wir uns umarmt und geküsst und versichert wie sehr wir uns vermisst haben, steht der Junge vor uns.
"Wer ist denn das?" wispert Lucas mir ins Ohr und ich flüstere zurück "Ein Flo mit dem Tobi Tom ersetzt."

Besagter Flo hat aber eh nur Augen für Tobias und säuselt sogleich: "Darf ich mich zu euch setzen?"
Worauf Tobias sofort ein Teil seines Badetuches freigibt und völlig verstrahlt antwortet: "Ja gerne, setz' dich zu mir!"

Kaum, dass er sitzt, räuspert sich mein Freund und meint: "Und du bist jetzt also Florian und willst unseren kleinen Top...bias kennenlernen?"
Der so Angesprochene wird ein wenig rot und meint dann: "Ja?"
"Wie alt, woher, Single?" fragt Lucas mit einem beneidenswert gespielten Ernst, der alles, was mein Vater gegenüber Freunden meiner Schwester aufgeführt hat, geradezu verblassen lässt.
"Also ich bin 17" beantwortet der auch sofort ein wenig eingeschüchtert die Fragen, "ich komme aus Odderbarg und ja, ich bin Single."
"Aus Odderbarg?" hake ich nach, "gehst du noch zur Schule?"
"Ja, ich gehe da zur Schule, ich komme jetzt in die zwölfte Klasse.." erklärt er daraufhin.

"Darf ich jetzt auch mal den ausfragen?" meldet sich nun Tobias schmollend, "ich bin schließlich noch Single!"
"Dann mal ran!" feixt Lucas.

Florian wendet sich nun Tobias zu und mein Freund zerrt mich ein bisschen von den Beiden weg bevor er fragt: "Warum hat dich das mit Odderbarg so interessiert?"
Leise erkläre ich ihm warum: "Tom kommt aus Odderbarg. Und die einzige Schule da mit einer 12. Klasse ist die auf der Tom war!"
"Und weiter?" fragt er.
"Tom hat nie viel erzählt, aber nach allem was ich weiß, muss seine Schulzeit dort die Hölle gewesen sein!"
"Dafür kann der Junge ja nichts" entgegnet Lucas.
"Kannst du sicher sein, dass er ein Geschwister hat, das etwas dafür kann? Und Toms kleiner Bruder geht auch da zur Schule!" teile ich meine Besorgnis mit ihm.
"Wie alt ist denn der kleine Bruder von Tom?" erkundigt sich mein Freund nun. Tatsächlich weiß ich nicht viel über Tom oder seine Familie aber nachdem was ich gehört habe müsste er im Alter von Tobias sein. Von daher antworte ich: "So 15 oder 16 müsste der sein..."
"Uffz" seufzt Lucas, "das könnte dann tatsächlich ein Problem sein..."

Als wir uns wieder den Beiden zuwenden hat Tobias allerdings schon einen Arm um Florian gelegt und beide starren sich mit verklärten Blicken an.
"Zu spät, sie sind schon im Zustand der Verzückung" ätzt Lucas leise und bringt mich zum Lachen.
"Dann können wir vielleicht zu dir?" frage ich, "denn Tobias braucht uns denke ich nicht mehr."

"Tobias?" sage ich. "Tobias!" rufe ich.
Erst als ich "TOBIAS!" brülle reagiert er und guckt zu mir her.
"Ja?" kommt es widerwillig von ihm.
"Können wir dich alleine lassen oder kann Florian dann später nicht mehr sitzen?" frage ich.
"Ha, ha. Sehr witzig!" mault er.
"Wir sind dann weg, du findest allein nach Hause?" gebe ich mich unbeeindruckt.
"Ich bin doch kein Kind mehr!" empört er sich.
"Ich hab eine 80er, ich kann dich auch heimfahren" mischt sich Florian freudestrahlend ein und guckt Tobias ab wie ein Hündchen, welches nach dem Vorführen seines Kunststückes jetzt auf seine Belohnung wartet.
"Na dann ist ja alles gut" meine ich, "dann viel Spaß noch ihr beiden!"

Auf dem Weg zum Bus frage ich Lucas: "Haben wir uns auch so schmachtend angeglotzt als wir uns...?"
Er lacht und erwidert wenig überzeugend: "Wir doch nicht, wir waren cool!"
"Oh Gott, hoffentlich hat uns keiner gesehen damals" stöhne ich nur.
Doch er zerstört süffisant meine letzten Hoffnungen: "Tom wird sich sicherlich daran erinnern..."
Mit übertriebener Dramatik seufze ich: "Ich werde ihm nie wieder unter die Augen treten können!"
Lucas lacht und erwidert nur: "Dafür kannst du nach heute Nacht wenigstens noch sitzen. Anders als Tom letztens. Und anders als dieser Florian morgen befürchte ich..."

Der 24er Bus fährt vor und während wir ihn durch die hintere Tür entern widerspreche ich ihm: "Sooo? Wer sagt denn, dass du heute Nacht toppen darfst?"
"Ich sage das!" erwidert er selbstbewusst.
"Ach ja?" erwidere ich von oben herab: "Ich bin stärker!"
Völlig unbeeindruckt erwidert er jedoch: "Aber meiner ist Größer!"

Noch bevor ich etwas antworten kann dreht sich die Oma vor mir herum und meint völlig abgeklärt: "Bei der Größe lügen sie alle, Jüngchen!"

Selbst als ich Seitenstiche bekomme kann ich nicht aufhören zu lachen!
Und so lachen wir noch als wir aus dem Bus aussteigen. Denn immer wenn wir aufhören gucken wir uns an und dann müssen wir wieder lachen.

Bild oben: Nochmal Tobias
Bild mitte: Wie ihr euch Florian vorstellen könnt.

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