#134 Tom: Despedida sem retorno
Als die Totenmesse vorüber ist, trete ich mit Joãos engerer Familie noch einmal an den offenen Sarg.
Zum letzten Mal kann ich das wunderschöne Gesicht des Mannes betrachten, den ich geliebt habe wie keinen anderen Menschen je zuvor und wie ich keinen Menschen je nach ihm lieben werde.
Kurz erfasst mich der Drang ihn zu küssen gepaart mit der irrationalen Hoffnung ihn wachküssen zu können.
Aber ich kann ja nicht vor den Augen seiner Eltern mit dem Leichnam meines Verlobten zu knutschen anfangen, also zwinge ich diesen Impuls nieder.
Ach João, der Gedanke, dass ich dein Gesicht jetzt zum letzten Mal sehe, er zerreißt mich.
Warum nur waren uns nicht mehr als zwei Jahre vergönnt?
Und warum sterben alle die, die mir nahestehen so jung?
Natürlich erhalte ich keine Antworten auf meine Fragen und so trete ich nach einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf Joãos Körper vom Sarg zurück.
Die Herren in Schwarz treten nun wieder auf und verschließen den Sarg.
Dann heben sie ihn an und tragen ihn aus der Kathedrale, die Treppen hinab und verladen ihn in einen Leichenwagen.
Wir folgen dem Sarg und besteigen bereitstehende Fahrzeuge, dann formiert sich eine Kolonne und unter Polizeieskorte verlassen wir Belo Horizonte und begeben uns zum Anwesen der Caxias.
Dort befinden sich hinter einer kleinen Kapelle am Ende der Parkanlagen die Familiengräber.
Und dort nun wird meine große Liebe nun ihre letzte Ruhe finden.
Erneut wird der Sarg aus dem Wagen gehoben und zum Grab getragen.
Erneut folgen wir ihm zu Fuß.
Dann versinkt er in der Erde und dieser Abschied hat etwas endgültiges.
Da geht er dahin, der Letzte der Herzöge von Caxias, die Liebe meines Lebens, mein Mate und der Räuber meines Herzens.
Mit diesen Gedanken schippe ich mein Schäufelchen Erde auf den Sarg, dann wende ich mich ab.
Für die engsten Angehörigen und Freunde hat Dom Pedro noch ein Essen arrangiert.
Nichts Großes, denn ein Leichenschmaus gilt in Brasilien als absolut pietätslos.
Aber mir kommt das durchaus zupass, denn ich habe noch etwas zu erledigen.
Bevor das Essen serviert wird gehe ich zu Dona Yolanda.
Vorsichtig ziehe ich den Verlobungsring von meinem Finger und reiche in ihr mit den Worten: "The promise associated with this ring made me very happy.
But this ring belongs to your family and I hope one day someone else will make a promise with it that he will be able to keep."
Sie lächelt mich traurig an als sie ihre Hand ausstreckt in die ich den Ring behutsam lege.
"Ich habe mir so sehr gewünscht, dass du mir den Ring zurückgibt, weil João dir einen anderen, besseren angesteckt hat" sagt sie betrübt.
"Das habe ich mir auch so sehr gewünscht" erwidere ich wehmütig.
"Was wirst du jetzt machen?" fragt sie mich daraufhin.
"In meine Heimat zurückkehren und versuchen irgendwie weiterzumachen..." erwidere ich und meiner Stimme klingt niedergeschlagen und mutlos.
"Denkst du, du wirst vergessen können?" will sie wissen.
Meine Erwiderung kommt schnell: "How could I forget the love of my life?"
"I will not forget nor forgive!" mischt sich Dom Pedro ein.
"Was wirst du machen?" erkundige ich mich.
"Sie haben mir meinen einzigen Sohn genommen, ich werde sie finden und ich werde Rache üben!" Alleine die Stimme von Dom Pedro bei dieser Ankündigung ist geeignet einem das Fürchten zu lehren.
Rache. Einerseits kocht auch in mir der Hass auf alles und jeden der mir João genommen hat. Anderseits, als nach dem Tod von Adriano ein Tatverdächtiger ermittelt wurde und dieser eine Jugendstrafe von acht Jahren wegen Totschlag bekam, hat mich der Anblick des nach der Urteilsverkündung heulenden Teenagers in keinster Weise befriedigt. Im Gegenteil, ich war kurz davor Mitleid zu haben.
Trotzdem kann ich den Hass in meiner Stimme nicht unterdrücken als ich erwidere: "Take revenge for your son and for my love. Let them die like the miserable sons of bitches they are!"
Während Dom Pedro tröstend seinen Arm um seine Gattin legt schaut er mich bitterlich an: "Können wir für dich irgendetwas tun?"
"Das ihr fragt ehrt euch, aber ihr habt genug zu tragen, nehmt auch für mich Rache für João, dass was ich brauche könnt auch ihr mir nicht geben..." lehne ich jede Art von Unterstützung ab.
Wie könnte ich die Hilfe von Eltern annehmen die gerade ihren einzigen Sohn verloren haben?
Dom Pedro versteht mich jedoch und meint dazu nur: "Dann wünsche ich dir für dein weiteres Leben viel Glück wenn sich unsere Wege in ein paar Tagen dann trennen."
"Danke" erwidere ich, "es war mir eine große Ehre euch begegnet zu sein."
Es bedarf keiner weiteren Worte, denn uns ist nur allzu klar, dass das was uns verbunden hat uns genommen wurde und das Einzige was uns nun noch verbindet schmerzliche Erinnerungen sind.
Und solche sind keine Basis eine Verbindung aufrecht zu erhalten.
Nach dem Essen ziehe ich mich mit Ricardo und Cicero in die Räumlichkeiten zurück, die einst Joãos Reich waren.
"Bestärke Dom Pedro nicht noch in seinen Racheplänen" mahnt mich Ricardo kaum, dass wir außer Hörweite sind.
"Warum?" will ich wissen.
"Das 'Aufräumen' in Diadema - das ist da wo João angegriffen wurde - hat schon 163 Menschen, darunter 39 Polizisten, das Leben gekostet" erklärt er mir "und dabei ist völlig unklar, wer überhaupt dahinter steckt und kaum zu erwarten, dass man die Täter oder die Hintermänner so ermittelt!"
Von diesen 163 Menschen haben vermutlich viele überhaupt nichts mit Joãos Tod zu tun und mein Verstand sagt mir deutlich, ich solle jetzt Mitleid haben.
Aber ich fühle rein garnichts.
Dann sterben sie halt, der Tod von João hat sie doch auch nicht gekümmert.
Sie sind mir egal, so wie ihnen João egal war.
"Es tut mir leid und vielleicht bin ich schon verbittert, aber für diese Menschen empfinde ich nichts" stelle ich mit emotionsbefreiter Stimme fest.
"Aus tiefstem Verlangen kommt oft der tödlichste Hass" zitiert Cicero Sokrates.
Der Junge überrascht mich immer wieder mit dem Umfang seines Wissens, vielleicht aber bin ich auch Opfer meiner Vorurteile bezüglich seiner Herkunft?
"Ich hasse sie nicht" widerspreche ich ihm, "sie sind mir egal."
"Ich kann mir dich ohne Mitgefühl nicht vorstellen" wendet er ein.
Ich kann mir mich ohne João nicht vorstellen, ich kann mir nicht einmal vorstellen wie es jetzt weitergeht! Das denke ich, aber ich sage nur: "Ich habe mir vieles nicht vorstellen können, aber es wurde Realität..."
Bedrückt schauen mich die Beiden an und in die entstandene Stille hinein sage ich: "Ich buche mir jetzt einen Rückflug, ich hoffe einer von euch bringt mich dann die Tage zum Flughafen?"
"Das musst du nicht, ich habe den Rückflug für Übermorgen schon gebucht und bezahlt, One-Way war zu kompliziert" sagt Ricardo.
"Oh, danke" bedanke ich mich, "du sagst mir dann, was ich dir schuldig bin?"
"Tom" zischt er sauer auf, "versuch' nicht mich zu verärgern oder zu beleidigen!"
"Sorry" murmele ich, "war nicht meine Absicht. Ich mag es nur nicht jemandem etwas zu schulden..."
"Du schuldest mir nichts, den Verlobten meines besten Freundes zu dessen Beerdigung heranzuschaffen, schuldete ich ihm!" bedeutet mir Ricardo in einem Ton, der unmissverständlich klar macht, dass die Diskussion darüber beendet ist.
"Ich hoffe es ist trotzdem okay, dass ich ein wenig Zeit für mich brauche und mich jetzt in Joãos Zimmer zurückziehe?" frage ich.
"Ja" sagt Ricardo nur während Cicero hinzufügt: "Wenn was ist, rufst du uns, ja?"
Nachdem ich endlich allein bin, checke ich meine Mails und Nachrichten.
Der Einzige der mich effektiv zu vermissen scheint, ist Mirko, denn von ihm stammt die einzige Nachricht: >Du bist nicht daheim, dein Auto schon, wo bist du?<
Rasch tippe ich zurück: >Bin in Brasilien, in drei Tagen zurück. Kannst du mich ggf. vom Flughafen abholen?<
Zu meiner Überraschung antwortet er sofort: >Was machst du da?< und danach: >Klar, wenn ich dein Auto nehmen darf<.
Ohne wirklich darüber nachzudenken schreibe ich ihm: >Joao beerdigen, klar, nimm mein Auto<.
>NEIN!< ploppt auf meinem Screen auf und dann >Bitte sag, dass das schlechter Witz ist!!!!<.
>Ist es leider nicht, der Traum ist ausgeträumt< texte ich zurück.
>Wie geht es dir?< will er sofort wissen.
>Im Moment bin ich einfach leer und taub, frag mich wenn ich zurück bin< tippe ich.
>Ich weiß nicht was ich sagen soll...< erwidert er, >fühl dich fest gedrückt, ja?<
>Ja< antworte ich, dann mache ich das Handy aus.
Jetzt will ich niemanden mehr sehen, hören oder fühlen.
Ich muss wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, ist es früher morgen und folglich der nächste Tag.
Zu meiner Überraschung liegen Ricardo und Cicero links und rechts neben mir und schlafen.
Ich habe doch nicht.... Mit beiden... Kaum das João unter der Erde ist...?
Panik durchflutet mich.
Ruckartig richte ich mich auf und meine hektischen Bewegungen wecken die Beiden sofort auf.
Ricardo knurrt etwas auf Portugiesisch und Cicero mault vor sich hin.
Aber ich habe dafür gerade kein Verständnis und mit banger Stimme kreische ich heraus: "What are you doing here? We don't have... ?"
Jetzt sind die beiden wirklich wach.
Ricardo erwidert mir mit schlaftrunkener Stimme: "Calm down" und Cicero spricht beruhigend auf mich ein: "Du hast in der Nacht geschrien, du hattest Alpträume und du hast dich erst beruhigt als wir uns zu dir gelegt haben."
"Oh... sorry..." Jetzt schäme ich mich dafür, dass ich es für möglich gehalten habe, die beiden hätten Sex mit mir gehabt kaum das Joãos Beerdigung herum ist.
Das alles wird mir einfach zu viel und aus Scham und Überforderung fange ich an zu weinen, heftiges Schluchzen lässt meinen Körper erbeben.
Nur mühsam gelingt es den Beiden mich wieder zu beruhigen und als sie es endlich schaffen, bin ich wieder so müde, dass ich zwischen den Zweien erneut einschlafe.
Als ich später wieder wach bin, gehe ich noch einmal hinaus, durch den Park, an der Kapelle vorbei und zum Grab desjenigen, mit dem ich dachte, den Rest meines Lebens teilen zu werden.
Obwohl ich bis zu diesem Moment noch nicht darüber nachgedacht habe, ist mir sofort klar, dass ich morgen diesen Ort endgültig verlassen werde und vermutlich niemals mehr in meinem Leben hierher zurückkehren werde.
Dass ich in meinem noch bevorstehenden Leben nicht mehr die Möglichkeit haben werde mich in einen Flieger zu setzen, nach Brasilien zu fliegen und an das Grab von João zu gehen, Blumen dazulassen oder dort mit ihm zu reden.
Trotzdem, oder gerade deshalb, fange ich an mit ihm in meinen Gedanken zu reden: "Du hast das gewusst oder? Dass ich nicht mehr nach Brasilien kommen werde, wenn du mich so verlässt. Aber ich liebe dich immernoch so sehr, dass ich es nicht ertragen könnte hier zu sein. Du weißt, dass ich dich niemals vergessen kann und werde, egal wo ich bin. Mit dir zusammen zu sein war die schönste Zeit in meinem Leben, von dir geliebt zu werden das großartigste Gefühl was ich je empfunden habe. Ich wünschte ich würde hier liegen und du hättest noch ein großartiges Leben vor dir und würdest die Welt verändern. Wenn es dich zurückbrächte, ich würde mein Leben sofort gegen deines eintauschen. Aber sowas funktioniert ja leider nur im Märchen.
Trotzdem danke ich dir für die wundervolle Zeit die du mir gegeben hast, dafür, dass du mir gezeigt hast, wie es ist geliebt und begehrt zu werden. Und dafür, dass ich dir vertrauen konnte, dass du mir gezeigt hast, wie man einander Vertrauen kann.
Wir wissen beide, dass ich den Rest meines Lebens nach einem Partner, einem Geliebten, einem Dom wie dir suchen werde - und wir wissen beide, dass ich ihn niemals finden werde.
Ein Teil von mir, von meinem Herzen, von meiner Seele wird für immer hier bei dir bleiben und bei dir warten, bis der Tag gekommen ist an dem ich zu dir zurückkommen darf.
Ich hoffe nur, da wo du bist, vergeht die Zeit schneller als hier unten wo ich bin.
Von daher, wenn ich jetzt gehe, sage ich dir 'Bis bald'.
Ich liebe dich!"
Noch lange danach verharre ich am Grab bis Ricardo mich dort findet und bittet wieder ins Haus zu kommen und etwas zu essen.
****
Bevor Ricardo mich zum Flughafen zu meinem Flug nach Sao Paulo (und dann weiter nach Frankfurt) bringt, heißt es nun Abschied nehmen.
Ein letztes Mal von Joãos Familie in bedrückter Stimmung und dann hängt Cicero an mir wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring.
"Sehen wir uns wieder?" fleht geradezu.
"Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist" bescheide ich ihn.
"Warum nicht?" weint er fast.
"Erstens: Ihr erinnert mich zu sehr an João" beginne ich meine Antwort, "zweitens: Ich erinnere Ricardo ständig an seinen besten Freund, drittens: Ich möchte nicht, dass ich anfange für einen von euch mehr zu empfinden um dann entweder abgewiesen zu werden oder eure Beziehung zu stören, dann viertens: Unser Verhältnis ist für Ricardo etwas anderes wenn ich nicht mehr als Joãos Partner mit seinem Partner zu tun habe und letztendlich fünftens: Ich habe Angst, dass ich in eurer Beziehung immer das sehe was ich mit João hätte haben können und ich eifersüchtig auf euer Glück werde."
Cicero schaut mich geschockt aus weit aufgerissenen Augen an in denen es verdächtig schimmert.
"Und ich möchte nicht, dass du so viel für mich empfindest, dass es eines Tages einem von uns dreien mehr weh tut, als es jetzt dir weh tut" füge ich sanft hinzu und schenke ihm ein letztes, trauriges Lächeln.
"Es ist okay wenn du weinst Cicero, ich würde es auch, aber ich kann nicht mehr..." bedeute ich ihm.
In dem Moment kommt Carlos, der Cousin um die Ecke.
"Carlos" frage ich ihn, "würdest du mich schnell zum Flughafen fahren?"
"Sim, claro!" antwortet der.
"Aber das hätte ich doch..." wundert sich Ricardo.
"Ich glaube Ricardo" sage ich und deute auf Cicero der inzwischen heulend dasteht, "du tröstet jetzt besser Cicero."
Ein letzter Händedruck mit Ricardo und dann sitze ich mit Carlos im Auto und verlasse das Anwesen der Caxias.
Und dann Belo Horizonte.
Und dann Brasilien.
*Despedida sem retorno = Abschied ohne Wiederkehr
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top