#117 João & Tom: Helikopterpapa

João

Reinkommen war einfach. Aber auch wenn das hier mein Zuhause ist, wir können hier nicht ewig bleiben.
Schon weil ich mit Tom noch nach São Paulo will, die nächste Party bei Ricardo will ich ebenso wenig verpassen wie die restlichen Sommerferien mit meinen Freunden.

Mit dem Flugzeug fällt schon einmal aus, denn egal ob Linie oder Charter,  alleine die Flughäfen und der Weg dahin und von da ist spätestens nach der Landung eine Art Spießrutenlauf den ich - und meine Familie - weiterhin vermeiden möchten.

So was wie Personenzüge gibt es auf dem brasilianischen Schienennetz längst nicht mehr und eine Reise mit dem Bus, dazu muss ich jetzt nichts sagen oder?

Also was bleibt uns noch? 600km mit dem Auto, eine Fahrt von 8 Stunden.
Ja, das ist jetzt nicht übermäßig viel, für Tom sowieso nicht, der fährt ja auch von der Nordsee an das Mittelmeer in einem Rutsch durch.

"Hast du mal eine Sekunde für mich?" will ich wissen und gucke durch die Tür des Arbeitszimmmer.
"Oh João, für dich doch immer!" Mein Vater schenkt mit ein wirklich liebevolles Lächeln.
"Komm' rein, setz dich und sag mir was ich für dich tun kann..." meint er und deutet in die Ecke mit den Ledersesseln und dem kleinen Tischchen.

"Cachaça?" fragt mein Vater während ich mich setze. "Ja, mit Eis..." antworte ich.
Kurz darauf kommt mein Vater mit zwei Shotgläsern dazu und setzt sich.
"Na, dann schieß mal los..." fordert er mich auf.
"Ach..." seufze ich, "es geht eigentlich nur um ein Auto mit dem ich und Tom nach Sampa kommen, denn eine Flugreise unter den Augen des Medienmobs vor unseren Toren möchte ich vermeiden..."
"Oh, dass kann ich gut verstehen" meint er, "hast du schon mal ins Netz geschaut, deine Mails, soziale Medien?"
Nein, das habe ich bisher vermieden  und so schüttele ich bloß meinen Kopf.
"Ist besser so" murmelt mein Vater, "du glaubst nicht was ich schon erhalten habe..."
"Was meinst du?" frage ich obwohl ich eine ungute Vorahnung habe.
" 'Hätte ich dich strenger erzogen, wäre das nicht passiert' 'Warum ich mich nicht schäme für so einen Sohn' 'Das ist eine Schande für Brasilien' 'Gott wird die Familie dafür bestrafen' 'Der Marschall wird sich im Grab herumdrehen' und so weiter und so fort..." zählt er monoton auf.
Mir ist sofort klar, dass es da sicherlich noch Übleres gab.
"Bereust du es?" will ich wissen.
"Nein! Du?" kommt es augenblicklich von meinem Vater.
"Nein!" bekräftige ich, "aber zurück zum Auto..."

"Auto...." erwidert mein Vater gedehnt, "warum nehmt ihr nicht einen Helikopter? Der kann euch direkt bis auf das Dach unseres Verwaltungsgebäudes in Sao Paulo fliegen..."
Den Rest meines Cachaças runterkippend erwidere ich: "...oder gleich zum Haus der Pampuchs."
"Ja, das geht sicherlich auch" grinst mein Vater.

Dann also mit dem Hubschrauber.

"Wann wollt ihr denn weg?" will er wissen.
"Wie wäre es mit Morgen?" erkundige ich mich vorsichtig.
"Lass' mich kurz telefonieren..." erwidert er und steht auf um an seinem Schreibtisch einen Anruf zu tätigen.

Ein kurzes Telefonat später bei dem von meinem Vater eigentlich nur "Die Bell206 Long Range, morgen nach São Paulo?" und "Perfekt, dann morgen um 12 Uhr hier, vordere Landefläche..." gesagt wird, scheint die Sache in trockenen Tüchern zu sein.
"Holt euch morgen Mittag ab" meint er dann zu mir.
"Danke Papaei!" Ich bin ihm wirklich dankbar.
"Irgendwann müsst ihr da durch, aber nicht jetzt schon" winkt er ab.
Und nun mache ich mich auf den Weg Tom zu sagen, dass es morgen Mittag zu Ricero geht.

.
Tom

Ahhhh, da ist es, mein Smartphone.
Nicht, dass ich jetzt direkt abhängig von diesem Gerät wäre, wer ist das schon, aber drei Tage ohne ist schon ungewohnt.

Kaum, dass es eingeschaltet ist, wird mir angezeigt, dass ich neue Nachrichten habe.
Von Mirko, von Marco und von Meri.

Zunächst lese ich die Nachricht von Mirko: >Herzlichen Glückwunsch und Alles Gute zur Verlobung<
Woher weiß der, ich hatte doch niemanden was gesagt...?
Egaaaal....

Ich öffne meinen Chat mit Marco.
Eine Sprachnachricht, Marco Stimme klingt traurig, aber bemüht nicht so zu klingen: >"Hallo Tom. João hat dir also endlich den ersehnten Antrag gemacht. Natürlich hast du ja gesagt, wer kann es dir verdenken.
...
Ich freue mich für dich und beglückwünsche euch beide zu diesem Schritt.
Sehe ich dich noch ein letztes Mal so wie bisher? Nicht nur als Freund... Nur zum Abschied?
Hab' dich lieb...."<

Woher auch er?
Ich hätte es ihm lieber selbst gesagt. Ob João es ihm mitgeteilt hat?

Hastig öffne ich die Nachricht von  Meri:
>Im Namen von Manuel und der ganzen Truppe aus dem Leo's gratuliere ich dir zu deiner Verlobung. Deine Meri.<

Auch die weiß es also schon.
Neugierig beschließe ich einen Blick ins Internet zu werfen.
Kurze Zeit später ist mir klar, woher Mirko, Marco und Meri wissen, dass João mir einen Antrag gemacht haben.

.
João

Gutgelaunt rausche ich in unsere Zimmer um Tom zu sagen, dass es morgen nach São Paulo geht.
Auf den Anblick der sich mir da bietet bin ich jedoch in keinster Weise vorbereitet.

Tom sitzt auf dem Bett und starrt mit fassungslosem Blick und bleichem Gesicht auf das Phone welches seine linke Hand förmlich umklammert.
Behutsam setze ich mich neben ihn und während meine rechte Hand sanft über seinen Rücken streift frage ich: "What has happened, my angel?"
Sein Kopf ruckt hoch und er schaut mich an, aus seinen Augen spricht Bestürzung, dann sagt er mit tonloser Stimme leise und verstört: "Sie hassen mich! Alle!"

Ich werfe einen Blick auf sein Mobiltelefon. Er ist auf der Website von Estadão, einer großen Tageszeitung und Nachrichtenagentur.
Auch dort gibt es natürlich einen Nachricht über unsere Verlobung und man hat sogar das Foto von unserem Opernbesuch in São Paulo herausgekramt und dazugestellt.
Aber der Artikel ist nicht das eigentlich Schlimme, es sind die Kommentare darunter.
Man muss kein Portugiesisch können um zu verstehen, dass die überwiegend nicht nett gemeint sind. Und dass sie sich meist gegen Tom richten.
'O loiro desconhecido'* wie sie ihn nennen und das ist noch die netteste Titulation.
Viele Kommentare sind auch in einem mehr oder minder schlechten Englisch verfasst.
Einer der Tom als 'dunklen Fleck auf der Ehre Brasiliens' bezeichnet, welcher 'gründlich abgewaschen' gehört, fällt mir besonders ins Auge.
Und ein anderer fordert man müsse 'den jungen Caxias von diesem Makel befreien, mit allen Mitteln'.
Noch ein anderer verlangt, dass man das Zustandekommen dieser Teufelsehe unbedingt verhindern müsse.

"Weine nicht mein Engel" versuche ich ihn zu beruhigen, "die sind alle dumm, ungebildet, religiös verblendet und von vorgestern!"
"Ich habe Angst..." kommt es von ihm.
"Ich werde dich beschützen, dir wird nichts passieren und ich verspreche dir, wir werden nicht dauerhaft in diesem Land hier leben" versichere ich ihm. Dass mein Verlobter Angst hat, ist etwas, das mir garnicht gefällt.
"Ich habe Angst um dich, verdammt!" faucht Tom.
Er hat Angst um mich, aber warum?
"Du musst um mich keine Angst haben" versuche ich ihn zu beruhigen, "die hacken nur deshalb so auf dir herum, weil sie genau wissen, dass sie an mich eh nicht herankommen. Und dass sie an dich herankommen, werden wir ebenso zu verhindern wissen!"
Ein Blick voller Zweifel trifft mich.
"Glaub mir, mit diesen Leuten wirst du nie zu tun haben" versuche ich ihn aufzumuntern, "und morgen werden wir abgeholt und dann geht es erstmal zu Ricero."
Über sein Gesicht huscht ein zaghaftes Lächeln.
Nichtsdestotrotz werde ich jetzt noch einmal zu meinem Vater gehen und ihn bitten, den Mesquitas zu sagen, dass ihre Redaktionen ein bisschen mehr auf die Kommentare achten mögen.

.
Tom

Der Hass, die Abscheu und die Verachtung im Internet, sie trafen mich unvorbereitet.
Jetzt im Nachhinein frage ich mich warum eigentlich, denn das war doch zu erwarten.
Als wenn in Deutschland die Kommentare zu so etwas besser wären.
Trotzdem, wer liest schon gerne, dass er ein Makel seines Partners sei oder ein dunkler Fleck auf der Ehre einer stolzen Nation, wohl niemand.

João hat wohl erwartet, dass es mir Angst um mich macht. Aber erstaunlicherweise habe ich vollstes Vertrauen, dass er und seine Familie mich beschützen werden, noch nicht einmal mein Name tauchte bisher in den Artikeln und Meldungen auf.

Aber ich habe die Angst, dass einige der Hetzer es nicht bei Verbalinjurien im World Wide Web belassen werden.
Und dass diese, wenn sie meiner nicht habhaft werden, es an João auslassen, der das meiner Meinung nach alles viel zu wenig ernst nimmt.

Weswegen ich jetzt auch nicht verstehe, wieso wir nun mit einem Auto nach São Paulo fahren.
Aber ich habe natürlich nichts gesagt und stehe Punkt Mittag an dem Platz vor dem Anwesen mit meinen Sachen bereit.
Neben mir mein Verlobter ebenso.
"Wer fährt uns denn?" löchere ich den Neugier.
"Geduld, kommt ja gleich..." lächelt der.

Ein Auto taucht aber keines auf, allerdings höre ich den zunehmenden Lärm eines sich nähernden, tieffliegenden Helikopters.
Als ich hochschaue kommt tatsächlich einer im Tiefflug über das Haus und verharrt dann in der Luft.
Dann sinkt er langsam ab auf den Platz an dessen Rand wir warten und plötzlich verstehe ich...

"Wir fliegen mit einem Helikopter?" brülle ich durch den Lärm zu João.
"Wie du siehst mein Engel!" schreit er zurück.

Und dann sitze ich tatsächlich in einem Hubschrauber, mein Verlobter neben mir.
"Fliegen wir jetzt damit bis nach São Paulo?" will ich wissen.
"Ja, direkt zum zu Hause von Rico und Cici" erklärt er mir, "in drei Stunden sind wir da."

So ein Flug mit dem Helikopter bietet tolle Aussichten, allerdings ist der auch ziemlich laut und nicht wirklich schneller als ein Hochgeschwindigkeitszug.

In und um São Paulo herum ist der Helikopterverkehr allerdings beträchtlich. Viele Menschen fliegen hier mit Hubschraubern zur Arbeit, vom Flughafen aufs Hotel oder sogar zum Shoppen. Fast alle Hochhäuser in der City haben einen Helikopterlandeplatz - und fast alle Villen in den Vierteln der Reichen und Schönen auch.
Und offenbar ist unser Abflug in Belo Horizonte nicht unbemerkt geblieben, denn als wir nun in die Metropole unseres Zieles einfliegen, stürzen sich einige Medienhelikopter auf uns.
"Paparazzi der Lüfte" zischt João angewidert und für mein Gefühl kommen die uns viel zu Nahe.

So bin ich froh, als wir endlich auf dem Anwesen der Pampuchs einschweben.
Endlich wieder Boden unter den Füßen, endlich wieder Ruhe und endlich wieder Ricero.

"Oh Tom, toll dass ihr hier seid, bist du immernoch so glücklich, die Feier war ja so toll..." springt Cicero euphorisch auf mich zu.
Ich weiß garnicht was ich so schnell antworten soll, aber João kommt mir zuvor: "Mach' langsam Cici, er hat sie gesehen..."
Ciceros strahlendes Gesicht zerfällt in Betroffenheit: "Oooohhh, verstehe..."
Was habe ich gesehen?

"Die meisten Zeitungen haben die Kommentare inzwischen gelöscht und gesperrt" murmelt Ricardo.
Ach, das ist es was ich gesehen habe...

"Geht schon wieder, damit hätte ich rechnen müssen" sage ich schulterzuckend.
Cici umarmt mich und meint dann: "Wir haben jetzt noch so lange Sommerferien, wir werden ganz viele schöne Dinge machen und das Böse einfach vergessen."
Ich schenke ihm ein Lächeln und erwidere: "Ich bin mir sicher, dass dir das gelingt."

Was stelle ich mich auch so an.
Ciceros Mutter hat ihn an Ricardos Vater verkauft in dem Glauben, der bräuchte ihn als Sextoy für seinen Sohn. Und ich lasse mir von ein paar Pöbeleien im Netz bange machen.

"'What doesn't kill us makes us stronger' said Nietzsche" sage ich, "also, lasst uns zusammen Stärker werden - und Spaß dabei haben!"
"Den werden wir haben" kommt es von Cicero und João unisono.
Und dann müssen wir lachen, alle vier, herzhaft und befreiend.

.
João

Auf Tom hat Cicero seine besondere Wirkung in einem Maße wie bei sonst keinem. Es ist als ob man einen Eisblock in den Backofen steckt, Toms Ängste, Sorgen und düstere Gedanken scheinen alleine durch die Gesellschaft von Cici förmlich hinwegzuschmelzen.
Tom taut auf und wird locker, unbekümmert und fröhlich - und mit ihm kommt auch meine Unbekümmertheit und meine Freude zurück.

Es ist wichtig, dass mein Verlobter versteht, dass ihn nicht alle hassen. Und was wäre dafür besser als eine Party bei Ricardo? Eben, nichts und deshalb kann ich es kaum erwarten, dass es wieder soweit ist.

Und vorher machen wir einen Ausflug zu Segis & Mascarini.
Auch wenn ich kein wirklicher Fan von Ageplay bin, die kindliche Freude, das Glänzen in seinen Augen  wenn Tom sich mit seinem Hobby befasst oder wir in einem Laden dafür stehen, die möchte ich nicht missen.
Obwohl mich der Gedanke, dass er ein erfülltes Leben alleine mit mir und einer großen Eisenbahn führen könnte manchmal noch ein klein wenig irritiert.
Tom hat gerne Menschen um sich, wenn die ihn mögen. Aber er braucht nur wenige Menschen um sich um glückliche zu sein. Es macht mich glücklich, dass ich einer davon bin.





*O loiro desconhecido. = Der unbekannte Blonde

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